Monthly Archives: Juni 2015

Ein sensibles Programm begehrt auf!

Best Error Ever

Wer sich die Bedeutung dieser tatsächlich am eigenen Leib erlebten Fehlermeldung auf der mentalen Zunge zergehen lässt, sollte, wenn er auch nur ein Quäntchen Humor sein eigen nennt, mindestens heftig schmunzeln. Ich für meinen Teil habe laut und schallend gelacht.

Da behauptet ein Programm doch tatsächlich deshalb angestürzt zu sein, weil es „auf ein undefiniertes Verhalten gestoßen sei“. Wehe dem Nutzer, der in seiner dreisten Freiheit mit verwirrenden Eingaben die autistische Ruhe eines beschränkten Programms zu stören wagt.

Die humorvollen Eltern der Fehlgeburt wissen immerhin eine guten, realistischen Rat zu geben: Kuck halt mal in den Logs was an deinem seltsamen Verhalten den Definitionen im Detail zuwider gelaufen ist, heißt es zunächst explizit. Mit diesen „konventionellen wie komplexen Kleinlichkeiten“ im Gepäck, versuch’s halt nochmal und passe dich dabei gefälligst ein bisschen besser an, dann funktioniert vielleicht auch mal was, hallt es sodann implizit nach. Hätten man (ich) da nicht besagtes Quantum Humor kultiviert, könnte man (ich), statt zu lachen, beinahe weinen oder im Zorn wüten im Angesicht der aberwitzigen Absurdität dieser Aussage.

Lachend und mit einer tiefen Verneigung vor dem Humor anonymer Programmierer, Euer Satorius

Muße, Arbeit, Müßiggang

Denn die Muße ist der Angelpunkt, um den sich alles dreht. Wenn auch beides sein muss, so ist die Muße dem Leben der Arbeit vorzuziehen, und das ist die Hauptfrage, mit welcher Art Tätigkeit man die Muße auszufüllen hat. Die Muße scheint Lust, wahres Glück und seliges Leben in sich selbst zu tragen.

 

Aristoteles (384 – 322), Politik: S. 284f.

 

Denn Gott will keine faulen Müßiggänger haben, sondern man soll trefflich und fleißig arbeiten, ein jeglicher nach seinem Beruf und Amt, so will Er den Segen u d das Gedeihen dazu geben. Der Mensch ist zur Arbeit geboren wie der Vogel zum Fliegen. Müßiggang ist Sünde wider Gottes Gebote, der hier Arbeit befohlen hat.

 

Martin Luther (1483 – 1546), Private Mitteilung.

 

Ein Müßiggänger ist der Mensch der Zukunft. Betreibt der Müßiggänger künftig Müßiggang, so wird es zu einer Revolution kommen, die auf wunderbare Weise Errungenschaften hervorbringt, von denen heute niemand zu träumen wagt.

 

Günter Bruno Fuchs (1928 – 1977), Wanderjahre: S. 76.


Drei Epochen, drei verwandte Begriffsfelder, drei Perspektiven auf ein Thema, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Welcher dieser Geister, welche sittlichen Konvention zumal, herrscht denn in Deinem Heimatland, vermeine ich zwischen den Zeilen der drei Zitate wispern zu hören, oder träume ich das nur? Ist vielleicht einfach der moderne Plural angemessen und jeder wählt frei aus dem Fundus an Haltungen, fern von Anpassung und Ideologie? Da ich es nicht zu sagen weiß, entscheide ich mich optimistisch.

Eindeutig dem Müßiggang, der Muße und den Musen verpflichtet, gleichsam dem Schlafe nahe, Euer Satorius

Ein (Gedanken-)Terrorist, seine Wünsche und Emotionen

Art 146

Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.

 

Parlamentarischer Rat (1948-1949), Grundgesetz der BRD

 

[Ist der letzte Artikel dieser (Übergangs-)Verfassung nicht ein grandioses Finale; Logisches Ende und historisierender Sargnagel zugleich? Damit erspüre ich ein einladend geöffnetes Tor in die konstitutionelle Zukunft! Worauf warten wir noch, warum fordern wir keine derartige Offenheit für unsere Heimat? Hier bei uns wäre nämlich alles besser als der Status quo, besonders ein solch offenes, lernfähiges Provisorium wie dort. Dieser Zustand und die ihm innewohnende Diskrepanz erfüllen mich phasenweise mit Neid, Scham oder Ärger – manchmal sogar alles zeitgleich zusammen; D.Q.]

Fragwürdige Fremdverzweiflung im Fragment

In einem Komplex aus Sturm und Drang, Bipolarer Störung und romantischer Finesse finden wir uns heute mit dem neusten Text-Fast-Food. Eindringliche Worte vermitteln einen tiefen Einblick in eine gepeinigte, hin- und hergeworfene Existenz.

Auch wenn ich die Frage, wie dieses Bekenntnis eines Leidenden in den Zusammenhang der Text-Attentate passen soll, nicht zu stellen, noch gar zu beantworten wage, vermag ich doch immerhin Zweierlei:

Zum einen eine Leseempfehlung auszusprechen für das gesamte Fragment, dem eine berauschende, poetische Kraft innewohnt. Von dieser Kraft erfasst, wurde ich eines Nachts richtiggehend mitgerissen. Zum zweiten erlaube ich mir einen Verweis auf den thematisch eng verwobenen Briefroman Hyperion oder der Eremit in Griechenland aus den Jahren 1797-1799. Hier allerdings ohne eigene Lektüreerfahrung, riskiere ich einen Vorschuss an Erwartungen und hoffe dabei auf literarisch Ebenbürtiges.

Fröhliche Fremdverzweiflung, Euer Satorius


 

Aber die mannigfaltige Täuschung drückte mich unaussprechlich nieder. Ich glaubte wirklich unterzugehn. Es ist ein Schmerz ohne gleichen, ein fortdaurendes Gefühl der Zernichtung, wenn das Dasein so ganz seine Bedeutung verloren hat. Eine unbegreifliche Mutlosigkeit drückte mich. Ich wagte das Auge nicht aufzuschlagen vor den Menschen. Ich fürchtete das Lachen eines Kindes. Dabei war ich oft sehr still und geduldig; hatte oft auch einen recht wunderbaren Aberglauben an die Heilkraft mancher Dinge. Oft konnte ich ingeheim von einem kleinen erkauften Besitztum, von einer Kahnfahrt, von einem Tale, das mir ein Berg verbarg, erwarten, was ich suchte.

 

Mit dem Mute schwanden auch sichtbar meine Kräfte.

 

Ich hatte Mühe, die Trümmer ehemals gedachter Gedanken zusammenzulesen; der rege Geist war veraltet; ich fühlte, wie sein himmlisch Licht, das mir kaum erst aufgegangen war, sich allmählich verdunkelte. Freilich, wenn es einmal, wie mir deuchte, den letzten Rest meiner verlornen Existenz galt, wenn mein Stolz sich regte, dann war ich lauter Wirksamkeit, und die Allmacht eines Verzweifelten war in mir; oder wenn sie einen Tropfen Freuden eingesogen hatte, die welke dürftige Natur, dann drang ich mit Gewalt unter die Menschen, sprach, wie ein Begeisterter, und fühlte wohl manchmal auch die Träne der Seligen im Auge; oder wenn einmal wieder ein Gedanke, oder das Bild eines Helden in die Nacht meiner Seele strahlte, dann staunt ich, und freute mich, als kehrte ein Gott ein in dem verarmten Gebiete, dann war mir, als sollte sich eine Welt bilden in mir; aber je heftiger sich die schlummernden Kräfte aufgerafft hatten, desto müder sanken sie hin, und die unbefriedigte Natur kehrte zu verdoppeltem Schmerze zurück.

 

Wohl dem, Bellarmin! wohl dem, der sie überstanden hat, diese Feuerprobe des Herzens, der es verstehen gelernt hat, das Seufzen der Kreatur, das Gefühl des verlornen Paradieses. Je höher sich die Natur erhebt über das Tierische, desto größer die Gefahr, zu verschmachten im Lande der Vergänglichkeit!

 

Friedrich Hölderlin (1770 – 1843), Fragment von Hyperion: S. 4 (1797 – 1799)

6 subversive Glückskekse und 1 glaubhaftes Plädoyer

Der zufriedene Mensch, wenn auch arm, ist glücklich, der unzufriedene Mensch, wenn auch reich, ist traurig.

 

Gier macht den Menschen im Leben arm, denn die Fülle dieser Welt macht ihn nicht reich. Glücklich ist wer ohne Krankheit, reich wer ohne Schulden.

 

Wenn du auch zehntausend Felder hast, kannst du nur ein Maß Reis am Tag essen; wenn auch dein Haus tausend Zimmer enthält, kannst du nur acht Fuß Raum brauchen bei Nacht.

 

Fürchte dich nicht vor dem langsamen Vorwärtsgehen, fürchte dich nur vor dem Stehenbleiben.

 

Solange du dem Anderen [Funktionär, Mitglied, Rat, Minister, Meister, Abt, Lehrer, Vater, Mutter, etc., uvm.; D.Q.] sein Anderssein nicht verzeihen kannst, bist du noch weit ab vom Wege zur Weisheit.

 

Ist eine Sache am Geschehen, dann rede nicht darüber, es ist schwer verschüttetes Wasser wieder zu sammeln.

 

Chinas kollektives Bewusstsein (grob 1485 v.Chr. – ), Quellen chinesischer Weisheit (Selektiert und arrangiert; D.Q.)


Subversion aus dem Glückskeks war das Motto dieses neuen, großangelegten Gedanken-Anschlags. Mehrere tausend Flugblätter, überall angeschlagen und in alle Winde verstreut, boten oben lesend zu bestaunende Neuerung.

Eine brandneue Art Text-Fast-Food wird damit also heute serviert: Der thematische Zitat-Freistil, hier als Sechsgang-Menü erlesenster Klassiker Asiens. Sechs für sich harmlose Fragmente der reichen Weisheitslehre Chinas bekommen durch Auswahl und Reihenfolge eine zusätzliche Bedeutungsebene. Unser Lieblings-Terrorist fühlt sich zudem wohl genötigt für die Bürger Quanzlands mit dem kommentierenden Zaunpfahl zu winken. Insgesamt zeigt sich der ominöse D.Q. neuerdings öfter, neinahe aufdringlich zwischen den Zeilen seiner Zitate.

So werden hier weite historische Bezüge sichtbar gemacht und zugleich illustre Schlaglichter nicht nur auf die vergangene Politik Chinas geworfen. Freilich treffen mehr Aspekte des Zaunpfahl-Subtextes, als uns liebe sein dürfte, auf Quanzland zu; und mehr oder weniger auch die meisten anderen Staatswesen, die gewesen sind und derzeit wesen – weltweit ihr Unwesen treiben.

Allerdings möchte ich trotz aller Sympathie für den Terroristen und entgegen aller gemachten Andeutung von allem Möglichen eines hier und jetzt endgültig klarstellen: Anarchie und Kommunismus, wie auch Utopien/Dystopien im Allgemeinen, sind keine ernstzunehmende Alternative, für einfach gar überhaupt nichts. Alles ist gut hier in Quanzland und sicher auch anderswo, alles ist gut genug, besser geht’s einfach nicht! Nicht, dass mich hier jemand falsch missverständlich missinterpretiert, indem er mir wenigstens Verharmlosung von intellektuellem – nein, ideologischem – Terrorismus unterstellt oder mich sogar am Ende noch dessen untergründiger Unterstützung bezichtigt.

Metatext-Redaktion: Diese Beteuerungen stimmen wirklich, sind also ganz bestimmt keine Ironie! Ebenso sicher ist das alles hier über uns ein lahmer Versuch, sich vor dem zugesagten Start der neuen Rubrik zu drücken. Nicht nur wahllos Themen sammeln, sondern auch mal darüber schreiben. Fleiß und Pünktlichkeit wären nach und neben Loyalität, Sittlichkeit und Anstand zwei weitere Tugend, die zukünftig mehr Beachtung verdient hätten!

Primaten und ihrer Abarten

Die meisten Primaten markieren ihre Territorien mit Exkrementen; domestizierte Primaten [wir, die sog. Menschen; D.Q.] markieren ihre Territorien mit Tintenexkrementen auf Papier (Verträge, Rechtstitel usw.). Aus biologischer Sicht ist jede nationale Grenze in Europa Mahnmal für ein Gebiet, auf dem zwei rivalisierende Banden von domestizierten Primaten bis zur Erschöpfung gekämpft und dann ihre territoriale Markierung hinterlassen haben.

 

Dank der einzigartigen Fähigkeit domestizierter Primaten (zu denen übrigens neueren Untersuchungen zufolge auch Schimpansen zählen), neurosemantische Systeme (Kodes, Sprachen) zu lernen, können diese unvergleichlichen Säugetiere ebenso wie natürliche Reviere auch symbo­lische Reviere beanspruchen (oder glauben, sie beanspruchen zu dür­fen). Solche symbolischen Reviere sind im allgemeinen unter dem Be­griff »Ideologien« oder »Glaubenssysteme« bekannt – wir bevorzugen hier den Terminus »Realitätstunnel«.

 

Robert Anton Wilson (1932 – 2007), Die neue Inquisition: S. 36 (1992)