Bhagavad Gita feat. 2016 – Mit vorsätzlichem Edelmut hinein in unausweichliche Exzesse

2. Gesang – Über die Erkenntnis

[…]

Wer jede sinnliche Begier,

O Sohn der Pritha, von sich weist,

In sich und durch sich selbst beglückt,

Den, Tapferer, nennt man fest im Geist.

Wen nie ein Leid erschüttern kann,

Kein Freudentaumel überwand,

Wer frei von Gier, von Furcht und Zorn

Ein „Schweigender“ wird er genannt.

Wer nicht frohlockt, nicht mürrisch wird,

Ob Glück, ob Unglück ihn befällt.

In allem frei von Leidenschaft,

Der heißt, o Freund, ein Geistesheld.

Die Schildkröte, berührt man sie,

Zieht alle ihre Glieder ein,

So halte von der Sinnenwelt,

Wer standhaft ist, die Sinne rein!

[…]

 

5. Gesang – Über die Entsagung

[…]

Entsagung zwar und Tätigkeit,

Sie führen beide wohl zum Heil.

Doch wird vor dem Entsagenden

Dem Tätigen der Preis zuteil,

Wer nicht begehrt und wer nicht hasst,

Übt wahrhaft die Enthaltsamkeit,

Entrückt jedwedem Gegensatz

Er von der Bindung sich befreit.

„Vernunft“ (Sankhya), und „Andacht“ (Yoga),

sondern sich.

Kein Weiser spricht so, nur ein Kind,

Wenn eins von beidem man erlangt,

Man aller beiden Frucht gewinnt.

Gleich stehen, wer „Andacht“ sich

Und wer sich der „Vernunft“ befleißt,

Wer nur ein Ziel in beiden sieht,

O Freund, der sieht mit hellem Geist.

[…]

Dem äußern Sinneseindruck fern,

Mit starrem, unverwandtem Blick,

Den Atem durch der Nase Spalt

Bald vorwärtsstoßend, bald zurück,

Wer Sinne, „Herz“, „Vernunft“ beherrscht,

Von Gier, Furcht, Zorn sich hat befreit

Und einzig die Erlösung sucht,

Der ist erlöst für alle Zeit.

[…]

 

6. Gesang – Über die Meditation

[…]

So sitzt er in Ergebenheit.

Wer so im Geist die Andacht übt

Beherrschten Denkens, frei von Gier,

Der geht zum Frieden, zum Verwehn,

Das wurzelt ganz und gar in mir.

Nicht ist ein Yogi, wer zu viel,

Noch auch wer nichts isst, Ardschuna,

Noch wer zu viel des Schlafes pflegt,

Noch wer stets wacht, o Pandava.

Wer maßvoll speist und sich erholt,

Wer maßvoll handelt jederzeit,

Wer maßvoll schläft und maßvoll wacht,

Bei dem tilgt Yoga jedes Leid.

Wer einen wohlbezähmten Sinn

Im Innern tief befestigt hat,

Von keinerlei Begier befleckt,

Der hat Andacht sich genaht.

„Das Licht am stillen Platz,

Das nicht des Windes Hauch bewegt“,

Ein Gleichnis für den Yogi ist’s,

der steten Sinns der Andacht pflegt.

[…]

 

18. Gesang – Über die Befreiung

[…]

Denn der Verzicht ist dreierlei.

Auf Schenken leiste nicht Verzicht,

Auf Buße noch auf Opferung,

Denn Schenken, Buße und Opfer sind

Der Einsichtsvollen Läuterung.

Doch ohne Hang stets übe sie

Und ohne Rücksicht auf die Furcht,

Das ist der ganz entschied’ne Rat,

O Printhasohn, den du gesucht.

Entsagung vorgeschrieb’nen Werks

In keinem Fall sich gebührt;

Wer aus Verblendung dieses tut,

Der wird durch „Dunkelheit“ verführt.

Wer unbequemes Werk nicht tut,

Weil es dem Leib Beschwerde schafft,

Gewinnt nicht des Verzichtes Frucht,

Denn ihn beherrscht die „Leidenschaft“.

Wer vorgeschrieb’nes Werk vollzieht

Ganz ohne Hang und nur aus Pflicht,

Der übt, weil er nicht Lohn erstrebt,

Den „wesenhaften“ Werk-Verzicht.

Der weise „wesenhafte“ Mensch

Auch unerwünschtes Werk nicht scheut

Und frei von Zweifel, frei von Hang,

Am Angenehmen sich nicht freut.

Kein Sterblicher vermag jemals

Das Handeln aufzugeben ganz,

Doch wer aufgibt den Wunsch nach Lohn,

Der strahlt in des Verzichtes Glanz.

[…]

 

Diverse Brahmanen, Krishna und Co., Robert Boxberger (Übers.) und Helmuth von Glasenapp (Hrsg.) (um das 0, +- 300 Jahre), Bhagavad Gita (Das Lied der Gottheit), in: Mahabharata


Das nenne ich mal große Vorsätze für das neue Jahr, die auf spirituellem Sprachniveau, mit prominetem, historisch tiefem Colorit wunderschön gebunden daherkommen. Vom Ursprung zweier Weltreligionen her rühren die Worte von Krishnas Avatar, der Aruna in höchster Not beisteht und ihn weise bis dogmenbildend belehrt und unterweist.

An dieser Poetik und rhetorischen Gewandheit sollte sich der durschnittliche Bibelautor ein Vorbild nehmen und bei den indischen Urmeistern der Weisheitslehre und Sprachbildung Unterweisung suchen. Ex oriente lux mal wieder und wie immer, aber das ist nur meine bescheiden kommentierende Spöttermeinung: Zurückhaltung und Verzicht, Konzentration und Achtsamkeit, dennoch Fortschritt und Wachstum, diese Formel führt in den westlich-östlichen Divan hinter Postmoderne, Neorealismus und Populismus. Von schamanistischem Ethos in seiner ethnograpischen Breite und historischen Tiefe möchte ich garnicht erst anfangen zu fabulieren.

Was bleibt noch übrig von der technisch-wissenschaftlich-industriellen Modernität westlicher Provenienz nach einer tugendhaften Bereinigung alá Yoga? Wieviel digital naitiv darf der urbane Informationskrieger sein, will er noch yoga genug sein für Krischnas hehre Ideale?

Ein wenig mehr Bewusstsein für Grenzen und Folgen der eigenen Gewohnheiten sind sicher nie schädlich. Wenn dann noch ein Quantum lebenslangen Lernens stattfindet, das nicht einzig durch entfremdete Motive angetrieben wird, begründet sich eine moderne Form von minimalem Moralismus. Er würde sich anschließend an einen Moment der Bekenntnis, motiviert durch die Lust am und auf den nächsten Trippelschritt entlang des acht- oder – zeitgemäß und plural besser formuliert – n-fachen Weges mit diversem Ziel: Selbstvervollkommung, Perfektion, Erwachen, Alchemie des Selbst und dergleichen mehr oder in den nihilistisch anmutenden Worten der Erleuchteten aus dem ferneren Osten im Verwehn, durch Verlöschen – Nirvana lockt.

Bis dahin bleibt noch viel Zeit, für Genüsse, Lüste, Freuden und Begehren, all die schönen, angeblich so leidvollen Anhaftungen und Bindungen des Lebens. Zwischen den besinnlichen Tagen, auf deren Ende wir allesamt nun zusteuern, findet es statt das wirkliche Leben, der Alltag, der sie herausfordert, die ach so schönen und allzu guten Vorsätze, wie groß oder klein, nötig oder nutzlos, ernsthaft oder vorgespielt sie auch sein mögen.

Welchen Pfad ihr Euch für das kommende Jahr auch immer vorgezeichnet haben mögt, ich wünsche Euch, dass ihr ihn nicht gänzlich aus den Augen verliert, wenn ihr die genauso wünschenwerten, weil existenziell erfrischenden Ausflüge fern des Weges unternehmt.

Möge es edel und exzessiv gleichermaßen werden, auf ein existenziell erquickendes 2016, Euer Satorius

 

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