Denk-Welten

Primaten und ihrer Abarten

Die meisten Primaten markieren ihre Territorien mit Exkrementen; domestizierte Primaten [wir, die sog. Menschen; D.Q.] markieren ihre Territorien mit Tintenexkrementen auf Papier (Verträge, Rechtstitel usw.). Aus biologischer Sicht ist jede nationale Grenze in Europa Mahnmal für ein Gebiet, auf dem zwei rivalisierende Banden von domestizierten Primaten bis zur Erschöpfung gekämpft und dann ihre territoriale Markierung hinterlassen haben.

 

Dank der einzigartigen Fähigkeit domestizierter Primaten (zu denen übrigens neueren Untersuchungen zufolge auch Schimpansen zählen), neurosemantische Systeme (Kodes, Sprachen) zu lernen, können diese unvergleichlichen Säugetiere ebenso wie natürliche Reviere auch symbo­lische Reviere beanspruchen (oder glauben, sie beanspruchen zu dür­fen). Solche symbolischen Reviere sind im allgemeinen unter dem Be­griff »Ideologien« oder »Glaubenssysteme« bekannt – wir bevorzugen hier den Terminus »Realitätstunnel«.

 

Robert Anton Wilson (1932 – 2007), Die neue Inquisition: S. 36 (1992)

Krieg den Märkten, Friede den Utopien

Es gibt heute sehr starke Vorbehalte, sich auf eine Definition der von uns erstrebten Güter festzulegen, sogar Bedenken, einen Vortrag über das gute Leben als solches zu halten. Wir leben in liberalen Gesellschaften, die ihre Vorstellung vom Guten „vor die Tür gesetzt“ haben. Warum? Zunächst weil wir den Dissens fürchten, den das Aufeinanderprallen von notwendigerweise konkurrierenden Vorstellungen hervorrufen könnte. Und schließlich weil wir Angst haben, dass die Mehrheit ihre Vorstellung vom guten Leben denen aufzwingen könnte, die sie nicht teilen. Das sind durchaus legitime Befürchtungen. Aber ich sehe keinen anderen Ausweg, als sich der Schwierigkeit zu stellen. Sonst werden wir den Angriffen des Marktes keine substanziellen Argumente [geschweige denn, Aktionen; D.Q.] entgegensetzen können.

 

[…]

 

Der Markt erschien uns als neutraler und sehr nützlicher Bewertungsmechanismus, der uns die Mühe schwieriger Kontroversen über das beste Mittel für die Bewertung eines Gutes ersparte. Gleichzeitig bemühten sich die liberalen Philosophen, die öffentliche Vernunft so stark wie möglich einzudämmen. Seitdem begannen wir zu verstehen, dass man die öffentliche Debatte nicht komplett auslagern darf. Denn das überlässt dem Markt immer mehr Bereiche des gesellschaftlichen Lebens und bringt uns in einen Zustand gesellschaftlicher Abgestumpftheit. Unsere Kultur überhitzt sich, denn sie ist im Wesentlichen sinnentleert, ohne einen moralischen oder geistigen Inhalt [, frei von Utopischem; D.Q.]

 

Michael J. Sandel (1953 – ), Gespräch unter dem Titel „Wir haben Angst vor dem guten Leben“, in: Philosophie Magazin Nr. 03/2015 (April/Mai), S. 73


Nirgendwann und Nirgendwo der Marktförmigkeit vieler Lebensbereiche den Spiegel vorzuhalten, ist aus der Mode gekommen. Dazu bedarf es in Quanzland nicht einmal mehr der Aktionen unseres werten Gedankenterroristen, und trotzdem verdanken wir ihm diese Schlaglichter auf zwei aktuelle Stimmen der Kritik. Ihr Gegner ist der Zeitgeist, der durch Quanzland weht.

Der anonyme Täter, den wir seit Anbeginn unserer Reise begleitet haben, bleibt dennoch eine Ausnahmeerscheinung in der Öffentlichkeit. Er ist wahrlich nicht alleine in seiner Opposition, wohl aber durch die Wahl seiner Mittel und Methoden gefährdet. Als Terrorist geächtet, steht er mit dem Rücken zum Hintergrund einer Meinungsmaschinerie, die Kritik gut portioniert und inszeniert geschehen lässt. Dass er angesichts seiner brisanten Lage nunmehr beginnt, seltsame Signaturen in die Text-Attentate einzuschreiben, erregt mein Interesse ebenso wie die neuerliche Aktualität der verwendeten Quellen.

Hier alsonnoch ein zweites Exempel seiner subversiven Aktivitäte der letzten Wochen, konsumierbar in einer marktfreien Light-Variante.

Mit anerkennendem Gruß an alle Nichthändler, Euer Satorius


 

Da muss ich widersprechen. Hinter dieser Haltung [Wir seien alle Kinder Mammons und als solche zur Vernunft befähigt; D.Q.] steht letztlich ein Rousseau’scher Ursprungsmythos, dass wir im Kern alle gut sind und es nur die Gesellschaft – oder die Zivilisation – ist, die uns verdirbt. […] Das lässt sich philosophisch auch als Frage nach dem Humanismus formulieren:

 

[…]

 

Haben wir ein Gemeinsames – ob man es jetzt biologisch oder theologisch definieren mag? Ich würde eher fragen: Wohin wollen wir? Das ist eine sowohl politische als auch philosophische Frage, die viel zu wenig gestellt wird, weil wir in einer Gesellschaft leben, die wenig Zukunftsemphase hat, sondern allenfalls, dass alles in zehn Jahren noch nicht gänzlich katastrophal sein wird.

 

Armen Avanessian (1974 – ), Gespräch unter dem Titel „Freund oder Feind?“, in: Philosophie Magazin Nr. 03/2015 (April/Mai), S. 63f.

 

Ein wenig Zeit für ein Wenig Zeit

Die liebe Zeit beschäftigt uns alle: Kirchenväter, Terroristen und brave Bürger wie mich. Da ich aber derzeit zu wenig davon habe, überlasse ich das Texten anderen. Ich schreibe gleichwohl an anderen Stellen, worunter der Blog etwas leidet  – eventuell ist es andersherum und es tut ihm gut.

Auch wenn unserer subversiver Textattentäter weiterhin umtriebig ist und viel Text-Fast-Food überall in Quanzland lanciert, werde ich zunehmend zum Nadelöhr des Informationsflusses. Wollte ich alles kommunizieren was der fleißige Fiesling so verbreitet, wäre das zum allseitigen Schaden – also lass ich es direkt.

Ich verpasse also bewusst viele seiner Aktionen und wähle unter den wenigen nur die schönsten Exemplare für Euch aus. So ließ mich gestern ein heiliges Dreifach-Zitat, welches damit den anfänglichen Antiklimax vervollständigt, aufmerken. Als Text seinerzeit absolute Avantgarde und von zeitloser Brillanz, da verzeiht man gerne den religiösen Tand; zumal er bisweilen durchaus poetische Qualität besitzt:


 

Was also ist die Zeit? Wenn niemand mich danach fragt, weiß ich es; wenn ich es jemandem auf seine Frage hin erklären will, weiß ich es nicht. Dennoch behaupte ich, dies mit Sicherheit zu wissen: Ginge nichts vorüber, gäbe es keine vergangene Zeit; käme nichts auf uns zu, gäbe es keine zukünftige Zeit; wäre überhaupt nichts, gäbe es keine gegenwärtige Zeit.

 

[…]

 

Es gibt drei Zeiten, die Gegenwart von Vergangenem, die Gegenwart von Gegenwärtigem und die Gegenwart von Zukünftigem.

 

[…]

 

Jetzt aber vergehen meine Jahre unter Stöhnen, doch du, Herr, bist mein Trost und mein ewiger Vater. Ich hingegen, ich bin zersplittert in die Zeiten, deren Zusammenhang ich nicht kenne. Meine Gedanken, die innersten Eingeweide meiner Seele, werden zerfetzt von den Mannigfaltigkeiten – bis ich in dir zusammenfließe, gereinigt  und flüssig geworden in deiner Liebe.

 

Aurelius Augustinus (354 – 430), Confessiones/Bekenntnisse – Elftes Buch (Kapitel 14, 20, 29; 397 – 401)

 

Melancholisch-pharmakologische Utopie

Wo der letzte Textangriff – allem medialen Trubel zum Trotz – inhaltlich eigentlich nur eine kleine Gruppe an Intellektuellen betroffen hatte, wendet dieses neuerliche Beweisstück terroristischer Subversion sich schlicht an alle Menschen von Quanzland. Wenn deshalb hierauf nicht noch heftigere Verrisse und Anfeindungen folgten, wäre ich doch sehr verwundet.

Der Text hätte eine unglaublich sozial-kulturelle Sprengkraft, würde seine Kritik ernst genommen und seine Appelle in historische Tat umgesetzt. Da es aber genug schöne, bequeme und anerkannte – kurz normale – Alternativen zu dem darin angedeuteten Lebensentwurf gibt, begnügt sich der typische Einwohner Quanzlands lieber mit allerlei Zerstreuung, anstatt zu fernen Ufern aufzubrechen.

Eine Utopie im besten Sinne des Wortes haben wir also hier vor uns: Kritik des Bestehenden und konkreter Entwurf des Besseren. Allerdings krankt sie an einem naiven und idealistischen Pathos. Geblendet von diesem unterschätzt der Entwurf die verbreitet Angst vor den Abgründen der Seele, den Tiefen des Ozeans Namens Geist. Die Wenigsten ertragen die erschreckende Stille und den schmerzlichen Verzicht; wo doch soll viele Reize locken und Bedürfnisse – künstliche wie natürliche – nach Stillung dürsten. Dennoch und gerade wegen ihrem träumerischen Idealismus sind die Worte Albert Hoffmanns getragen von nüchternem Ernst und zugleich durchdrungen von kreativer Hoffnung – eine seltene und erstrebenswerte Haltung.

In mild-utopischer Stimmung wünscht Euch nur das Beste, Euer Satorius


 

Dieses Bedürfnis steht im Zusammenhang mit der geistigen und materiellen Notlage unserer Zeit. Es erübrigt sich, im einzelnen aufzuzählen, wo es nicht mehr stimmt in unserer Welt. Gemeint sind auf geistigem Gebiet Materialismus, Egoismus, Vereinsamung, Fehlen einer religiösen Lebensgrundlage; auf der materiellen Ebene Umweltzerstörung infolge Technisierung und Überindustrialisierung, drohende Erschöpfung der natürlichen Reserven, Anhäufung von ungeheuren Vermögen bei einzelnen bei gleichzeitiger zunehmender Verarmung einer Großzahl der Bevölkerung. Diese bedrohliche Entwicklung hat ihre geistige Ursache in einer dualistischen Weltanschauung, in einer bewusstseinsmassigen Aufspaltung des Welterlebens in Subjekt und Objekt.

[…]

Alle Mittel, alle Wege, die zu einer neuen, universalen Geistigkeit führen, verdienen, gefördert zu werden. Zu diesen gehört vor allem die Meditation, die durch verschiedene Methoden unterstützt und vertieft werden kann; durch Yoga-Praktiken, Atemübungen, Fasten usw. und durch sinnvollen Einsatz von gewissen Drogen als pharmakologische Hilfsmittel. Die Drogen, die hier gemeint sind, gehören zu einer besonderen, als Psychedelika und neuerdings auch als Entheogene bezeichneten Gruppe von psychoaktiven Substanzen. Ihre Wirkung besteht in einer enormen Stimulierung der Sinneswahrnehmungen, einer Verminderung oder gar Aufhebung der Ich-Du-Schranke und einer Bewusstseinsveränderung im Sinne einer Sensibilisierung und Erweiterung.

 

Albert Hofmann (1906 – 2008), Vorwort zur Enzyklopädie der psychoaktiven Pflanzen von Christian Rätsch (1957 – ): S.2 (1988)

Eine Zuflucht vor den Diskursen der Nacht

Es ist endlich soweit: Zu Hause!

Ich habe mich nun tatsächlich in der provinziellen Peripherie von Quanzland häuslich niedergelassen. Allen politisch-kulturellen Bedenken zum Trotz, es bleibt meine Heimat. Die Verschiebungen in Politik und Öffentlichkeit, die sich, zunächst befürchtet, zwischenzeitlich leider als weitgehend zutreffend herausgestellte haben, setzen mir zwar ein wenig zu; dennoch, die Vorteile und Annehmlichkeiten im Privaten überwiegen in der Abwägung klar. Hier bleibe ich erstmal, schaue mich um und lebe mich ein.

Denn ein sehr Gutes haben die rapiden und radikalen Veränderungen der politischen Hierarchie und institutionellen Struktur von Quanzland: Meine Anklage, meine Akte und die persönlich von mir oder durch mich betroffenen Akteure sind allesamt spurlos verschwunden. Vermutlich irgendwo in den düsteren Tiefen dessen, was man abstrakt und harmlos Geschichte nennt.

Wie revolutionär diese von Statten ging, muss ich gelegentlich noch in Erfahrung bringen – mit den erschreckend selten gewordenen, klaren und reinen Quellen. Positive und hoffnungsvoll-naive Gemüter sprechen dieser Tage von Fortschritt und preisen das, was aller Wahrscheinlichkeit nach eine irgendwie gewaltsame Revolution war und eventuell noch ist, fast unisono als notwendige Reform. Wenn diese Frohnaturen Redakteure und Herausgeber renommierter Medien sind, schleicht sich der Begriff Propaganda als Verdachtsmoment in meine Hirnwindungen. Aktuell noch subtil und hintergründig, nur sporadisch und leise wispernd, gilt es dieses Hirngespenst entweder zu bannen oder herzlich willkommen zu heißen. In meinem neuen Domizil wäre jedenfalls noch genug Platz für Neuanschaffungen und Zuwachs.

Da ich aus Gründen der Wahrheitsfindung also darauf angewiesen bin, meine Nase in allerlei aktuelle und historische Texte zu stecken, bin ich kürzlich auf ein neues, terroristisches Fragment gestoßen. Dass dieses englische Text-Fast-Food für einigen Wirbel sorgt, dürfte unseren altbekannten Gedankenterroristen beglücken.

Er hatte mit dieser vor vier Tagen aufgetauchten, intellektuellen Provokation die Gemüter der Staatsgeistlichkeit von Quanzland spürbar erhitzt. So hatten ein großer Anteil der Professorenschaft auf die philosophische Anfeindung, wenigstens mit verärgerten, teilweise gar mit unflätigen bis obszönen Stellungnahmen reagiert. Bei der Publikation halfen dann mediale Multiplikatoren derart eifrig mit, sodass aus einer akademischen Mücke ein innenpolitischer Elefant geworden ist: Etwa konzertierte Stimmungsmache?

Einer der vielen, verdächtigen Text war mir – wie anfangs gesagt – in die Hände gefallen und hatte sofort mein Interesse geweckt. Einfach erstaunlich, wie viel öffentliche Aufmerksamkeit unser altbewährter Aktivist damit bekommt: Ich möchte ihn nur noch ungern einen Terroristen nennen. Ich hege ja seit Längerem eine wachsende, intellektuellen Sympathie diese(n) Menschen gegenüber. Seitdem ich auf meiner Reise zurück in meine alte Heimat unterwegs war – treue Mitreisende erinnern sich eventuell – und vor allem seit ich hier angekommen bin und lebe, hat sich das Dunkel des Falls Terrorexzess mit Text-Fast-Food schrittweise ein klein wenig erhellt. Soweit zumindest, um sagen zu müssen: Ich bin ich in meinen Zweifeln milde bestärkt; verliere dadurch die Hoffnung auf Heimat aber nicht.

Integrität und Authentizität von Medien und Institutionen hier in Quanzland, stehen für mich nun also insgesamt auf dem Prüfstand. Wobei ich dem staatlichen Informationsmoloch und der Handvoll, noch verbliebenen, privat-wirtschaftlichen Medienkonzerne mit der gleichen, methodisch-kalten Skepsis begegnen möchte. Der Umgang mit Mr. X, wird dabei einer meiner journalistischen Lackmustest sein. Man bräuchte im Ideal eine profundes Insider-Wissen und könnte dann abwarten, um ganz sachlich zu beobachten wer, was, wie verdreht. Da dies wohl so schnell nicht passieren wird, finden sich vielleicht noch andere tagesaktuelle, möglichst politische Themen, deren Hintergründe direkter, unvermittelter erfahren werden können. Es gibt derzeit viele Kontroversen die in Frage kämen: Krieg vor der Haustür, Elend an den Grenzen, Zwietracht und Diskriminierung im Inneren und Äußeren.

Schon der hochverehrte Epikur riet zu einem Leben im Verborgenen, fern von großer Politik, Geschichte und Geschäft. So lag sein Schule – passend und konsequent zugleich: Ein Garten – abseits des Zentrums vor den Toren Athens. In seiner 58. Weisung formuliert kurz und knapp, dabei ermutigend imperativ: Befreien muss man sich aus dem Gefängnis der Alltagsgeschäfte und der Politik.

Wie immer viel geschrieben, wenig erklärt, fast nichts gewusst und so komme ich schließlich mit dem eigentlichen Aufhänger des Textes, nun als Absacker, zu einem Ende; sonst verirre ich mich noch in den Diskursen der Nacht und finde am Ende womöglich nicht mehr heraus und zurück in mein Haus – die ultimative Zuflucht.

Hin- und hergerissen zwischen heimatlicher Geborgenheit und nächtlich-diskursiver Skepsis, Euer Satorius


Without consciousness the mind-body problem would be much less interesting. With consciousness it seems hopeless. The most important and characteristic feature of conscious mental phenomena is very poorly understood. Most reductionist theories do not even try to explain it. And careful examination will show that no currently available concept of reduction is applicable to it. Perhaps a new theoretical form can be devised for the purpose, but such a solution, if it exists, lies in the distant intellectual future.

 

[…]

 

Strangely enough, we may have evidence for the truth of something we cannot really understand. Suppose a caterpillar is locked in a sterile safe by someone unfamiliar with insect metamorphosis, and weeks later the safe is reopened, revealing a butterfly. If the person knows that the safe has been shut the whole time, he has reason to believe that the butterfly is or was once the caterpillar, without having any idea in what sense this might be so. (One possibility is that the caterpillar contained a tiny winged parasite that devoured it and grew into the Butterfly.)

 

Thomas Nagel (1937 – ), What is it like to be a bat?, in: The Philosophical Review LXXXIII – 4, S. 435 & 450 (October 1974).

Und wie haltet ihr es mit dem Unendlichen?

Ich weiß nicht, wer mich in die Welt gesetzt hat, und auch nicht, was die Welt und ich selbst sind; ich bin schrecklich unwissend in allen Dingen; ich weiß nicht, was mein Körper, meine Sinne, meine Seele und selbst jener Teil meines Ichs sind, der denkt, was ich sage, der über alles und über sich selbst Betrachtungen anstellt und sich nicht mehr als das übrige erkennt.

 

Ich sehe diese entsetzlichen Weiten des Weltalls, die mich einschließen, und ich finde mich an einen Winkel dieses gewaltigen Raums gefesselt, ohne daß [sic!] ich weiß, warum ich an diesen Ort und nicht vielmehr an einen anderen gestellt bin und warum diese kurze Frist, die mir zu leben gegeben ist, mir gerade zu diesem Zeitpunkt und nicht vielmehr zu einem anderen der ganzen Ewigkeit, die mir vorausgegangen, und der ganzen Ewigkeit, die auf mich folgt, bestimmt ist. Ich sehe überall nur Unendlichkeiten, die mich wie eine Atom und wie einen Schatten einschließen, der nur einen unwiederbringlichen Augenblick lang dauert.

 

Blaise Pascal (1623 – 1662), Gedanken. Über die Religion und einige andere Themen: Fragment 681 (Anhang; 1669)


Ungewohnt sensible, fast rechtfertigende Töne von unserem subversiven Unruhestifter. Trotz aller Mutlosigkeit und Verzweiflung, die in diesem wortreichen Text-Fast-Food mitschwingen, dennoch eine irgendwie tröstliche, eröffnende Perspektive. Im ungetrübten Blick ins Antlitz metaphysisch-physischer Unwissenheit und Bedeutungslosigkeit liegt nämlich auch ein kraftvoller Quell von tiefer Gelassenheit und kreativer Selbstbehauptung verborgen.

Wo nichts sicher, überhaupt nichts absolut bestimmt ist, da kann ich wählen und durchaus auch mal wählen lassen – je nach Temperament und Situation aktiv oder passiv, demütig oder mächtig. Womit wenigstens ein paar kleine semantische Bojen im Ozean der Existenz verankert und damit ein Halt im Angesicht des Unendlichen angeboten werden soll.

Da ich mächtig müde bin, ergebe ich mich nun aktiv und in Demut der Passivität des Schlafes, Euer Satorius

Dekonstruktive Spukgeschichte

Wenn ich mich anschicken, des langen und breiten von Gespenstern zu sprechen, von Erbschaft und Generationen, von Generationen von Gespenstern, das heißt von gewissen anderen, die nicht gegenwärtig sind, nicht gegenwärtig lebend, weder für uns, noch außer uns, dann geschieht das im Namen der Gerechtigkeit. Der Gerechtigkeit dort, wo sie noch nicht ist, noch nicht da, dort, wo sie nicht mehr ist, das heißt da, wo sie nicht mehr gegenwärtig ist, und da, wo sie, ebensowenig wie das Gesetz, niemals reduzierbar sein wird aufs Recht.

 

Jacques Derrida (1930 – 2004), Marx‘ Gespenster – Der Staat der Schuld, die Trauerarbeit und die neue Internationale: S. 10f. (Auftakt; Hervorhebungen entsprechen dem Original; 1996)


Einer der Gründe – welch sibyllinische Synchronizität -, wegen denen ich kaum zum Ausbau dieser Seite komme, liefert hier das Material für ein weiteres eindrucksvolles Exempel der Gattung Text-Fast-Food. Denn just zitiertes Werk steht ganz oben im Literaturverzeichnis einer Arbeit, die ich im Rahmen meines Fernstudiums während der Reise verfasse. Allerdings verfolgen mich besagte Gespenster dank hunderten Seiten solcher und noch verfemterer Beschwörungsformeln seit geraumer Zeit – sogar bis in die Tiefen der Nacht!

Möge die Eure ruhig und friedlich verstreichen, Satorius der Ghostbuster        

Fast-Food nur mehr Fast-Food

Das „Ende der Welt“ kann entropischen Untergang bedeuten, der alles begräbt; dann enthalten gerade die Äonen keine Spur mehr von unseren Erdentagen. Anders jene hypothetisch-helleren „Natur-Vollendungen“, sie verbinden sich, wo sie behauptet wurden, mit menschlicher Meta-Historie; gleichsam erst mit einer Zukunft der menschlichen Zukunft, mit einem totaliter Neuen, mit einer nicht nur echten, sondern absoluten Zukunft.

 

Ernst Bloch (1895 – 1977), Experimentum Mundi. Frage, Kategorien des Herausbringens, Praxis: S. 95f. (1975)


Die liebe Zeit – ist wohl eines der kostbarsten Güter. Da ich sie für Brot(-zutaten-)erwerb und Brotzubereitung einsetze, bleibt hier wieder nur von Text-Fast-Food zu berichten. Nebenbei fließt noch viel Schreibzeit in andere Textbaustellen, deren Prioritäten Quanzland leider übertreffen. Vielleicht landet gelegentlich ein Ergebnis dieser Textarbeiten hier zur allgemeinen Begutachtung. Eventuell passiert bald wieder etwas, möglicherweise aber auch nicht, sicher aber letztlich dann doch irgendwie.

Keine Macht der Weihnacht, Euer Satorius

Offenbarung der Hure!

Und es kam einer von den sieben Engeln, die die sieben Schalen hatten, redete mit mir und sprach: Komm, ich will dir zeigen das Gericht über die große Hure, die an vielen Wassern sitzt, mit der die Könige auf Erden Hurerei getrieben haben; und die auf Erden wohnen, sind betrunken geworden von dem Wein ihrer Hurerei. Und er brachte mich im Geist in die Wüste. Und ich sah eine Frau auf einem scharlachroten Tier sitzen, das war voll lästerlicher Namen und hatte sieben Häupter und zehn Hörner. Und die Frau war bekleidet mit Purpur und Scharlach und geschmückt mit Gold und Edelsteinen und Perlen und hatte einen goldenen Becher in der Hand, voll von Greuel und Unreinheit ihrer Hurerei, und auf ihrer Stirn war geschrieben ein Name, ein Geheimnis: Das große Babylon, die Mutter der Hurerei und aller Greuel auf Erden. Und ich sah die Frau, betrunken von dem Blut der Heiligen und von dem Blut der Zeugen Jesu. Und ich wunderte mich sehr, als ich sie sah.

 

Johannes von Patmos, Martin Luther (Hrsg.) et al. (Nicht zuverlässig datierbar), Die Offenbarung des Johannes. In: Die Bibel – Das Neue Testament, 17,1 – 17,6 (68 – 96 n. Chr.)


Illustration aus der Ottheinrich-Bibel (Text vermutlich 1425 – 1430; Bilder ca. 1530 – 1532), Die Hure Babylon


Ein Lebenszeichen; sowohl von mir, als auch von unserem anonymen Unruhestifter! Die kürzlich bestrittenen Etappen meiner Route waren einfach zu spannend und (zeit-)intensiv. Was sage ich, sind es noch immer. Für die schnell Offerte dieses Fundstücks an Text-Fast-Food und Lichtrausch finde ich gerade noch die Zeit. Stilistisch-seltsame Register hat er gezogen. Bild und Text mit religiösem Hintergrund und hierbei sogar eines der hermetischsten Bücher der Bibel, lassen aufhorchen und verwundern wenigstens mich. Glassklar ist trotz aller Esoterik immerhin Eines: Wer die hier gemeinte Hure ist; seine erklärten Feinde nämlich, die aktuelle Obrigkeit von Quanzland und ihre Unterstützer wie mancher allzu hörige Untertan!

Dieser Tage sind mir die dortigen, politischen Verhältnisse jedoch noch höchst suspekt, deswegen meine vage Sprache. Als ich vor vielen Jahren fortging, war das politische System samt seiner Zivilkultur noch leidlich freiheitlich-demokratisch. Allerdings zeichneten sich schon damals erste Verfallserscheinungen und weitreichende Tendenzen ab, die mir große Sorge bereiteten. Mitunter waren diese Fehlentwicklungen und mein Umgang mit ihnen ein Grund für meinen nicht ganz freiwilligen Weg ins Exil. Bevor ich nun aber – entgegen meinem Vorsatz – ins Erzählen gerate: schnell weiter, es gibt so viel zu erleben!

Hoffentlich bald wieder mit mehr Zeit für Text, Welt und vor allem Euch, Satorius

Zeichen über Zeichen, … über Zeichen

Kann man das folgende Text-Fast-Food tatsächlich als subtile, pragmatisch-abstrakte Selbstauskunft werten oder doch nur als verwirrenden Gedankenfick? Man verzeihe mir diese derbe Sprache, aber das englische Kunstwort Mindfuck ist für mich eines der treffend-prägnanten Zeichen, mit welchen ich die bisherigen Funde und deren vermeintlicher Hintergrund interpretiere. Machen wir uns also weiter auf der Suche nach Zeichen in den Buchstaben und sofern wir keine zu finden vermögen, sind wir vielleicht dennoch prinzipiell frei, uns welche vorzustellen:


 

Ein Zeichen fungiert nicht als Zeichen, wenn es nicht alssolches verstanden wird. […]Dieses interpretierende Zeichen fungiert wie jedes Zeichen nur als Zeichen, insofern es seinerseits interpretiert wird, das heißt, daß [sic!] das Zeichen tatsächlich oder virtuell ein Zeichen desselben Objekts bestimmt, für das es selbst ein Zeichen ist. Also gibt es eine im Prinzip endlose Folge von Zeichen, wenn ein Zeichen verstanden wird, und ein Zeichen, das niemals verstanden wird, kann kaum ein Zeichen genannt werden.

 

Charles Sanders Peirce (1839 – 1914), Regeln des richtigen Räsonierens, in: Semiotische Schriften – Band 1, S. 424 (1902)