Diskurse der Nacht

Ein nietzscheanisches Geister-Zwitschern

„Werde der, der Du bist“, sagt Zarathustra. „Verwirklich Dich selbst!“, sagen Therapeuten; in den meisten Fällen haben sie keine Ahnung, was sie damit sagen. Nietzsche hat es gewusst: Du entdeckst Dich selbst als himmellosen Engel, als eine einsame Gestalt, die friedlos und immer unbefriedigt von animalischen Trieben dazu verführt wird, illusionäre Heimaten zu erschaffen.

 

Thomas Hürlimann (1950 – ), Nietzsches Regenschirm


An sich ein schöne Sache, so eine Heimat, sofern man noch eine hat. Für sich aber derezit eine gefährliche Sache, da Heimat als rares Gut begriffen und damit gründlich missverstanden wird. Daraufhin wird sie fatal folgerichtig als ständig bedrohnt erfahren, gar zu schützen versucht. Zuletzt wird sie tapfer verteidgt, mit defensiven bis offensiven, allseits geheiligten Mitteln. Munter und eifrig sind die Wächter der Heimat im Einsatz gegen die gefürchteten Fremden von draußen hinter den Grenzen. Der Gastfreundschaft zum Trotz und Hohn, steht hier, diesseits, das Volk und dort drüben, jenseits, die da, sie da, die anderen halt..

Diese Wanderer und ihre Schatten werfen ein grelles, entlarvend klares Licht. Tiefschwarze Schlagschatten zeichnen sich deutlich gegen den Hintergrund ab, scharf und kalt konturiert – Schwarz gegen Weiß. Während die Bauern mauern, teilen die Könige, Bischöfe und Ritter den Gewinn brav unter sich auf, ziehen munter ideologische Furchen quer durch Freiheit und Öffentlichkeit. Sie alle nutzen als Instrument, was einst war ein echtes Ideal: Europa. Erwacht sind wir allesamt, jäh und unwirsch, vorbei ist der Väter utopischer Traum.

Er herrscht der historisch-furchtbare Zirkel, rund herum geht es geschwind. Jede Runde immer wieder das Gleiche; und noch Mal herum, immer wieder und weiter drehrt sich das ewige Rad. Hinter seinen schnell rotierenden Speichen, fast nicht zu erkennen im Taumel der Zeit, sitzt und wirkt er, lüstern und verschlagen zugleich, ein düsterer Dämon mit unheiligem Namen: Der Wille zur Macht.

Bereit zur Geisterjagd und offen für Gäste, Euer Satorius

Quanzland + Terror-TFF & ein (fast viel) zu langes P.S.

Was ist eigentlich aus dem nicht ganz namenlosen [D.Q.] Gedanken-Terrorist geworden, der zu Beginn unserer Reise so präsent war: mundtot, verbittert, geschnappt, gar tot oder sogar zur Staatstreue bekehrt?

Seine Aktionen jedenfalls haben im letzten Jahr für ernstliche Aufregung in Quanzlands Öffentlichkeit gesorgt, soviel ist gewiss; jedoch ist er in den letzten Monaten zurückhaltender geworden, soviel steht ebenso sicher fest. Vielleicht nutzt sich sein Medium ab, werden die Menschen in ihrem Trott durch Textbomben nicht mehr aufgerüttelt, weder irritiert, noch inspiriert, eventuell haben sich die Bürger sattgegessen am kritisch zu verdauenden Text-Fast-Food oder sie wurden zuerst nur von dessen Neuheit wie modisch angezogen, letztlich dann aber von der politisch-existenziellen Note der Textauswahl abgeschreckt – man und besonders ich weiß es nicht.  

Mit seinen subversiven Zitaten hatte D.Q. fast im Alleingang die anfänglich boomende Kategorie des Text-Fast-Foods gefüllt. Ich wurde beinahe täglich von Texten angesprungen, die überall im Alltag auf willige und unwillige Passanten lauerten: in den Straßen, den Orten des öffentlichen Lebens, in Dokumenten und Sendungen, auf Bildern und Plakaten, besonders aber im digitalen Dschungel des Internets. Überall traff man auf Gedankenbomben, unweigerlich fast; aber dann, nach der ersten Furore legte sich Schritt für Schritt das Interesse und die Aufmerksamkeit, jeweils einen Schritt dannach fuhr der Terrorist – so die offizielle Sprachregelung – sein Engagement zurück. Zunächst subtil und qualitativ, dann merklich und quantitativ. Schwacher, schlechter und weniger – in dieser Reihenfolge geschah der Rückzug der Textfragmente und ihres Urhebers aus dem öffentlichen Raum.

Die staatlichen Organe gehen derzeit mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon aus, dass es sich um einen Einzeltäter handelt; oder, um es mit einem Zitat von einem Regierungssprecher zu sagen, das zweifach eindrücklich ist, sowohl für die öffentliche Atmosspähre in meiner neuen, alten Heimat als auch für die weitere Geschichte unseres inoffiziellen Mitarbeiters, der soviel Text zu dieser Seite beigetragen hat, dass ich ihn mit aller staatsbürgerlich-ironischen Distanz so betiteln möchte. : 

Sehr geehrte Mitbürger von Quanzland,

 

Unsere gründlichen und großangelegten Ermittlungen weisen zweifelsfrei auf eine Einzeltäterschaft des Terroristen hin. Eine rasch eingesetzte Terror-Sondereinheit aus den fähigsten Mitarbeitern von Wächterpolizei und Administration hat unermüdlich im Geheimen für unsere Sicherheit gearbeitet und erst kürzlich ihren neuesten Ermittlungsbericht in Auszügen vorgelegt. Neben den Fakten, die eine Einzeltäterschaft beweisen, finden sich darin beruhigende Terror-Zahlen und ein erfreulicher Terror-Trend: weniger Anschläge durch den Täter und weniger Akzeptanz seiner verqueren Meinungen durch die Bürger. Dafür liefern die letzten Ausgaben des Faktenbuchs zur Lage der öffentlichen Meinung, welches vom Statistikkonzil in Zusammenarbeit mit dem Bereirat zur Pfelge der Meinungslandschaft vierteljährlich herausgegeben wird, weitere eindrucksvolle Belege

.

Eingeschüchtert durch die Brillianz unseres Ermittlungs- und Regierungsapparates und vor allem frustriert durch die Zuversicht und Loyalität der Bevölkerung unseres starken Landes, zieht sich der rücksichtslose Terrorist feige und verschlagen wieder in die dunklen Winkel zurück, aus denen er vor gut neun Monaten gekrochen kam. Ohne die unzählbar vielen und unschätzbar wertvollen Hinweise, die Beweismittel und Aktionen besogter Quanzländer wäre diese Bedrohung der staatlichen Sicherheit nicht so beherzt abgewendet worden. Deswegen möchten sich die gesamte Administration und alle Mitarbeiter der Wächterpolizei ausdrücklich bei den Unmengen ziviler Helfern bedanken.

 

Der einzige Wermutstropfen in dieser Hinsicht bleibt trotz aller Erfolge der letzten Monate weiterhin die ungeklärte Täterschaft. Zöge sich der Terrorist sich nicht zurück, wäre zwar auch das sicher nur noch eine Frage von Wochen, aber er droht allen Ernstes ungestraft davonzukommen. Leider konnte daher bisher auch Niemand in den Genuss der großzügigen Belohnung kommen. In weiser Voraussicht hatte unsere großartige Administration, geheim beraten durch die Terror-Sonderkommision, zackig ausgeführt durch die Wächterpolizei, einen Bonus auf das individuelle Jahresgrundeinkommen als Terror-Kopfgeld ausgesetzt.

 

Nun, da trotz einer dankenswerten Flut an Meldungen und Anzeigen von Ihnen allen da draußen, ein leidlich geschickter Einzeltäter uns alle weiterhin narrt, hat sich die Administration heute überraschend dazu entschlossen, ihren Dank gegenüber den wachsamen Mitbürgern auch finanziell auszudrücken. Im Rahmen ein staatlichen Lotterie können Drei der 50 hilfreichsten Beiträge einen 20%-Bonus für ihr nächstes Jahrsgrundeinkommen erwarten. Aber nicht nur das, allen 50 wird ein sicherer Bonus von 5,23% zugebilligt. Denn Sie, geliebte Mitbürger sind das Volk, das mit seiner Treue und seinem Engagement Quanzland zu einem so guten und schönen Ort machen.

 

Ein Hoch auf uns, ein Hoch auf Quanzland!

 

Regierungsproklamator Klaus-Eduard von Doberstädten (1968 – ), Transskript der Regierungserklärung vom 19.09.2015 [Die ähm, wie sie wissen, sozusagen, quasi, etc.-Schleifen wurden gegenüber dem tatsäclichen Vortrag im Transskript gutmütig zugunsten von Leserschaft und Lesbarkeit entfernt – es war wirklich grausam, ehrlich!]

Das, lasse ich – zunächst sprachlich nichtsagend innehaltend – kurz ausklingen – und kommentiere es dann auch nicht weiter, denn es spricht für sich selbst, klar und deutlich. Zudem verlöre der Kontrast zum Folgenden noch weiter an rhetorischem Glanz, zögerte ich ihn noch länger heraus.

In sproadisch wiedererwachter Quanzland-Perspektive präsentiere ich eine der rar gewordenen Gelegenheiten. Sie läuft dem sogenannten erfeulichen Terror-Trend zuwider. Sie ist ein prächtiges Exemplar von terroristischem Text-Fast-Food alá Anonymus – endlich wieder bissig wie früher, klar im Ausdruck und in der Form, ein ungleicher, aber gleichsam kritischen Dialog zwischen utopischen Weitdenkern:


 

Unsere Postulate waren also falsch, man müsste alles ganz von vorne beginnen. Doch wir leiden an einem schrecklichen Mangel an Vorstellungskraft. Es fällt uns immer schwerer, für uns andere Lebensmöglichkeiten in Betracht zu ziehen. Wir sind gleichsam geistig paralysiert. […] Wir lassen unsere kostbarste Ressource verkümmern: nämlich die Fähigkeit der Seele, von einer Idee verwandelt und vervollkommnet zu werden.

 

[…]

 

Die Perspektive einer Welt ohne Politik ist Träumerei. Es ist für uns eine Notwendigkeit, uns in politischen Gemeinwesen zu organisieren. Meine Sorge ist es nicht, der Politik zu entkommen, sondern zu ihr zurückzukommen, in einem Moment, in dem Europa dazu tendiert, sie aufzugeben.

 

Pierre Manent (1949 – ), Gespräch unter dem Titel „Wer hat Angst vorm Fortschritt?“ In: Philosophie Magazin Nr. 01/2015 (Dezember/Januar), S. 36f.


Ich bin sehr skeptisch hinsichtlich der Idee der Bildung neuer politischer Gemeinwesen als Ausweg für die Globalisierung. Zunächst, weil ich nicht glaube, dass man der Globalisierung entkommen kann. Dann, weil mir Politik nicht als ein Ausweg erscheint.

 

[…]

 

Wenn der Staat verschwindet, kommt möglicherweise der Kannibalismus wieder in Mode. Ich bin mir nicht sicher, aber möglich wäre es. Um den Kannibalismus zu verhüten, reicht allerdings ein minimaler Staat. Ich billige ihnen zu, dass nicht alle staatlichen Organe Unheil bringen, doch die Gefahr ist größer, wenn sie einen gigantischen Staat haben. Wenn sie in Frankreich den Staat von 55 Prozent des Bruttoinlandsproduktes auf 15 Prozent reduzieren würden wie in Singapur, wäre das bereits ein großer Fortschritt. Von 15 auf 0 Prozent zu gehen wie in Somalia, wäre ein Fehler. Es ist alleine eine Frage des Maßes!

 

[…]

 

Es kommt mir so vor, als gab es zumindest am Ursprung des Projekts der Moderne eine sehr klare Vision von der Zweckbestimmtheit des Fortschritts. […] Im Vergleich dazu würde unser derzeitiger Geisteszustand eher in den Bereich „epikureischen Hedonismus“ fallen: Wir glauben, dass alles untergehen wird, und wir wollen bloß essen, trinken und fröhlich sein vor dem Ende der Welt. 

 

Peter Thiel (1967 – ), Gespräch unter dem Titel „Wer hat Angst vorm Fortschritt?“, in: Philosophie Magazin Nr. 01/2015 (Dezember/Januar), S. 37ff.

P.S.: Falls sich jemand darüber wundert, hier keine Erwähnung des einjährigen Jubiläums [Impressum vom 15.10.14 & erster Beitrag am 16.10.14] zu finden, das überlasse ich der derzeit ungewiss verschollenen Metatext-Redaktion. Diese seltenen Feierlichkeiten sind üblicherweise ihre Plattform und der unglückliche Unfall war sicher nicht ihre Schuld. Ja, richtig gehört, ein Unfall – die armen Teufel waren auf ihrem Betriebsausflug mit einem Kreuzfahrschiff unterwegs und havarierten während sie in Bermuda-Shorts und Hawaiihemd ihren Urlaub genossen. Von der Karibik, durch den Panamakanal, hinein in den Pazifik sollte die Reise gehen; sie endete tatsächlich bereits vorher. Bevor ich das PS endgültig entehre, der langen Geschichte zu kurzes Ende: Die Rettung ist so gut wie gewiss, die Rückkehr ebenso, aber ungewiss.

Gegen TTIP/CETA und für (digitale) Politisierung

Da ich meine Zusage gegenüber der Metatext-Redaktion, aktiver und produktiver mit den Diskursen der Nacht umzugehen, weiterhin nicht so recht ernstgenommen habe, hole ich das jetzt aus wirklich ernstem Anlass nach. So kurz vor der zweiten Abrechnung der Metatext-Redaktion mit mir und meiner Leistung oder, schöner gesagt, dem 1. Jahresjubiläum von Quanzland, gibt es neben vielen anderen einen besonderen Anlass zur Sorge und damit einen Grund für politischen Aktivismus.

Auch wenn Quanzland ein Ort von Zweckfreiheit und Weltvergessenheit ist, beidem gleichsam mit semantisch-ästhetischer Spielereien nachgegangen wird, es muss Ausnahmen geben. Was also bringt mich dazu, Ernst und Fakten den Vorrang vor Fiktion und Eigensinn zu geben?

Es geht nicht um die drängende und eskalierende Flüchtlingsproblematik; auch nicht um die Zerrüttung Europas von innen und den Niedergang der (hiesigen) politischen Kultur; ebenso nicht um neorealistische Renaissance in der internationalen Politik, wobei die Stichwörter Ukraine, Naher Osten, Afrika und Südostasien kurz aufblitzen; sondern um TTIP und CETA.

Tolldreister Tausch von Idealen gegen Profit oder Teuflische Täuschung von Industrie und Politik fallen mir hierbei in spontaner Assoziationen ein, wobei der reale Hintersinn der Abkürzung Transatlantic Trade und Investment Partnership da schon viel angenehmer in den Ohren der Öffentlichkeit klingen dürfte. Viel zu angenehm, viel zu rhetorisch geschönt werden hier tiefe Einschnitte in politische Errungenschaften deutscher und europäischer Geschichte verpackt. Dass CETA, inhaltlich zwar ähnlich, aber etwas prosaischer, Comprehensive Economic and Trade Agreement bedeutet, verhindert nicht, dass ich auch hier forsch von Canada und Europa torpedieren die Allgemeinheit sprechen möchte.

Einige erinnern sich vielleicht noch düster und etwas vage an das sog. Fracking oder die einst so medienwirksam inszenierten Chlor-Hühnchen, vielleicht sogar an die dadurch drohende Suspendierung von Rechtsstaatlichkeit und nationaler Souveränität. Manch einer ist womöglich mit einem unzeitgemäßen Langzeitgedächtnis gesegnet, was Politik und deren Kritik angeht, und sieht in solchen Verhandlungen eine teilweise Neuauflage des 2012 zurecht gescheiterten ACTA-Vertragswerks, nun halt auf bilateraler Ebene. Was aber ist in der breiten, medialen Öffentlichkeit noch übrig geblieben von der berechtigten Empörung, wieviel konnte mit staatsbürgerlichem Prostest erreicht werden und vor allem kann noch erreicht werden? Ich hoffe in beiden Fällen: Einiges, wenn nicht Vieles. Denn ohne einen öffentlichen Diskurs über solche hochbrisanten Themen, fehlte jeder Demokratie ein wichtiges Korrektiv, mangelte es unseren politischen Systemen an seiner Voraussetzung.

Bevor ich mich in oberflächlicher Polemik oder theoretischem Kleinklein verliere, komme ich nun langsam zum Kern dieses Artikels. Da die Debatte um die fragwürdige Thematik etwas zu erlahmen scheint, zu Recht und zu Unrecht von anderen Themen verdrängt wird, gilt es aufmerksam zu machen. Auch stehen hierbei die allgemeineren Fragen zur Debatte was dieser Tage politisch ist und wie man heutzutage politisch sein kann?

In einem reflektierenden Klimax möchte ich darauf versuchen zu antworten: Neugierig zu sein, sich daraufhin quellensensibel zu informieren, bildet die unerlässliche Basis; brave wählen zu gehen, schadet erstmal auch nicht; mit seinen interessierten Mitmenschen über allgemeine und spezielle Politiken zu reden, die Desinteressierten zurückhaltend für solche Gespräche zu begeistern und dabei für seine Überzeugungen einzutreten, ist auch nicht eben unwichtig, ohne dabei – selbstredend – die Meinung des Gegenüber respektlos, damit ohne gutmütigen Versuch des Verständnisses abzulehnen oder zu erzwingen; sich politisch zu engagieren, also eine Initiative persönlich zu unterstützen, damit auf den diversen verfügbaren Wegen mit politischen Entscheidern zu kommunizieren, zu protestieren, petieren und demonstrieren, kann sicher schon etwas mehr bewegen; gar eine solche Beschwerde selbst auf den Weg zu bringen, eine Bewegung zu gründen oder zu finanzieren, eventuell einer Partei beizutreten oder sich in der (Lokal-)Politik selbst zu bemühen, sorgt bereits merklich für Einfluss und ermöglicht gezielte Veränderung; mit offenem Angriff und Leidenschaft politisch motiviert tatsächlich Leiden zu schaffen, auf die Barrikaden zu gehen, zu kämpfen, schießt hingegen definitiv über Ziel hinaus – aktuell jedenfalls; ultimativ und paradox zugleich ist schließlich, nichts zu meinen und nicht handeln, nicht entscheiden zu wollen.

Aus dieser Bandbreite und deren ungesagten Zwischentönen hat jeder Bürger eines politischen Systems zu wählen. Wer sich, wie angedeutet, einer solchen Wahl verweigert, in dem er sagt, er sei eben nicht politisch und habe keine oder zu wenig Ahnung von sowas, noch gar Lust auf Politik, denn man könne doch sowieso nichts verändern, auch der ist ungewollt politisch. Politisch neutral zu sein, Nicht-Meinen und Nicht-Wählen sind genau wie Nicht-Kommunizieren eine performative Unmöglichkeit. Agiere ich nicht, unterlasse ich also meine Partizipation, tun andere es für mich mit und erfreuen sich meines delegierenden Schweigens. Als Element eines jeden (wirklich politischen) Systems bin ich, ob ich das will oder nicht, immer Teil von dessen sich selbst regulierender Dynamik.

So, genug der Reflexion und der Missionierung gegen die grassierende Krankheit der Politikverdrossenheit – was also kann man konkret im Falle von TTIP und CETA tun? Informieren, Kommunizieren und Agieren sind möglich und nötig: Einige Ressourcen dafür habe ich für Euch in einer kleinen Linksammlung zusammengestellt. Zudem hängen noch Links für einen allgemeinen, bequemen Weg in die Welt der digitalen Bürgerlichkeit an. Und keine Sorge, auf Parteienwerbung verzichte ich, denn es geht um die Sache und nicht um beliebige Bekenntnisse.

Wer das Kritisierte nach Lektüre, Nachdenken und Meinungsbildung noch gut findet – nun, gut – auf dessen Meinung bin ich schlicht gespannt: also gerne her mit Kommentaren zum Thema, welcher Couleur auch immer.

Mit Lust, Neugierde und Hoffnung, Euer Satorius  


Information

Aktion


Digitale Demokratie (Petition, Kommunikation)

Inoffizielle Plattformen

Offizielle Kanäle

Politische Plaudereien am revolutionären Frühstückstisch

„Hier du, früher, das mit dem Feudalismus und der Ständehierarchie, das war echt ne klasse Sache! Zurück zur Monarchie!“, sage ich, mitten ins Blaue hinein.

„Nein, du Dummerchen“, unterbricht mich Plutokrach mit mildem Spott, „das ist keinesfalls denkbar: klingt scheiße, ist auch wirklich scheiße und nicht mal annähernd diskussionswürdig!“

„Die Attische Demokratie und die Römische Republik, so stelle ich mir das vor. Das waren zwei erstklassige Epochen, ganz gewiss gute Vorbilder. Die Namen gehen nicht nur leichter von den Lippen, die klingen sogar richtig gut!“, wirft Pita kross ein.

„Da hat er Recht, wobei die moderneren Formen eine gute Weiterentwicklung der antiken Vorläufer waren: England, Amerika, Frankreich, EU und Co. Kg., Inc., Copyright, TM waren echt optimal“, schließt sich Plutokrach mit einem verschwörerischen Lächen auf den Lippen an.

„Das nehme ich doch auch. Nicht lang zögern, zugreifen und reinbeißen. Herr Ober, ein Mal Demokratie & Republik, aber zackig bitte. Gut durchgebraten, also well done meine ich. Ja, so mag ich die beiden am liebsten – Hauptsache nicht mehr blutig!“, lallt Highmitch im Vollrausch vor sich hin.

„Ey, Highmitch, du bist ein Hohlkopf! Aber für euch anderen, habe ich ein paar Einwände und Erwägungen: Das alles hat damals nur funktioniert, weil der üppige Wohlstand, der diese Staatsformen mitunter überhaupt erst ermöglicht hat, von Zwang, Raub und Krieg getragen wurde. Ohne Sklaven für die harte Arbeit, Frauen für Heim und Herd und Barbaren zum Plündern wäre in der Antike nicht viel gelaufen. Und in der Neuzeit – tja – da waren es die indoktrinierten Arbeiter und kompetenten Karrieristen, Massen an bequemen und unmündigen Wähler. Eigentlich herrschte weltweit ein politisch ungezügelter, höchst asymmetrisch angelegter Konsumkapitalismus, der in Kombination mit einer weltweiten Finanzmafia, den sog. Banken und ihren Anlegern, die Mitmenschen an der Nase herumführten. Zahlen und Wachstum waren mehr Wert als die Menschenkinder und ihre Mutter Erde. Glaubt mir einfach, das war echt nicht ohne damals. Wenn man genauer hinschaut war die Angelegenheit höchst doppelbödig und dubios; destruktiv und desaströs ja allemal, wie wir alle wissen sollten. Wir müssen uns endlich mal was wirklich Neues ausdenken. Die Vergangenheit und ihrer politischen Ideale sind aber definitiv eine gute Inspirationsquelle, dagegen habe ich nichts einzuwenden – aber eben nicht mehr als das“, wendet Galle in einem bitter-utopischen Monolog ein.

Alle starren wir ihn an, sagen aber unsererseits Nichts. Damit bringt er unsere ansonsten so illustre Runde abrupt zum Schweigen. So sitzen wir minutenlang am verschwenderisch gedeckten Frühstückstisch und grübeln, jeder für sich, stumm und nachdenklich vor uns hin. Jeder spekuliert, analysiert, differenziert und entwirft letztlich mehr oder weniger plausible politische Systeme für die eigene und vor allem für unsere gemeinsame Zukunft. Nach der Revolution ist vor der Revolution, das wäre doch sicher ein tolles Motto. Das denke ich mir gerade noch als plötzlich Geschichte, Mensch und Zufall in einem Affenzahn auf uns zugerast kommen und uns alle zusammen …

So stelle ich mir gute Science-Fiction-Dramatik vor, nicht so seicht und implizit, wie hier nun als Text-Fast-Food folgt. Die dreibändige Buchreihe von Frau Collins ist trotzdem und allem anderen, was man einwenden mag und könnte, irgendwie dennoch lesens- bzw. in meinem Fall genauer hörenswert gewesen. Und schön anzusehen ist ihre zügig zurechtgeschnittene Hollywood-Verwurstung allemal: Popcorn in the hands, it’s Mainstream-Time!

Mit parodistischen wie frühmorgendlichen Grüßen, Euer Satorius


 

»Und wenn wir gewinnen, wer würde dann die Regierung bilden?«, fragt Gale.

 

»Alle«, antwortet Plutarch. »Wir werden eine Republik gründen, in der die Einwohner jedes Distrikts einschließlich des Kapitals ihre eigenen Vertreter wählen können, damit diese in der Zentralregierung für sie sprechen. Schau nicht so skeptisch! Das hat früher auch schon mal funktioniert.«

 

»In Büchern«, brummt Haymitch.

 

»In Geschichtsbüchern«, sagt Plutarch. »Und wenn unsere Vorfahren das konnten, dann können wir das auch.«

 

Mit unseren Vorfahren sollten wir eigentlich nicht so angeben, finde ich. Wenn man sieht, was sie uns hinterlassen haben, die Kriege, den zerstörten Planeten. Offensichtlich haben sie sich keine Gedanken über die Leute gemacht, die nach ihnen kamen. Trotzdem, die Idee mit der Republik klingt verlockend im Vergleich zu unserer jetzigen Regierung.

 

Suzanne Collins (1962 – ), Die Tribute von Panem – Flammender Zorn: S.106f. (Band 3; 2011)

Über die Toleranz und Energieprobleme

Es gibt einige von ihnen: Kraftquellen der menschlichen Existenz. Religiosität oder allgemeiner das Bedürfnis nach Metaphysik besitzen definitiv einen solchen Stellenwert. So allgegenwärtig, umfassend im Raum und unablässig in der Zeit, dass ich wenigstens eine kulturelle Affinität, höchstens eine anthropologische Konstante wittere.

Speisen sich Werte und Tugenden aus einer solchen Kraftquelle, gedeihen sie prächtig. Versiegen wichtige Quellen oder kommt deren Zufluss ins Stocken, dann haben es die Werte schwerer als zuvor, deren Blüte und Wachstum sowieso, aber auch der bloße Bestand. Die Metapher ist ebenso unerschöpflich wie intellektuell unanständig und definitiv überstrapaziert. 

Theismus oder Deismus, Atheismus oder Agnostizismus und ihr Verhältnis zur demokratischen Generaltugend Toleranz stehen zur Debatte. Tagesaktuell wird die Frage nach deren Bedingungen und Grenzen dringlich, besonders im Angesicht von Zuwanderung und Flucht, Ideologisierung und Radikalisierung sowie dem gefühlten Verlust von Solidarität und Vertrauen werden Fragen rund um die Toleranz für immer mehr Menschen ein konkretes Thema. Historisch spielt für Genese und Differenzierung des betrachteten Begriffs vor allem die Epoche der Aufklärung und deren produktiven Geister eine eminente Rolle. Ihr Beitrag zum ideengeschichtlichen Fundament unserer heutigen politischen Realität, jedenfalls in Europa und an wenigen weiteren Oasen der Freiheit auf diesem, kann nicht unterschätzt werden. Ein Allgemeinplatz, zugegeben, aber Kant, Hegel, Voltaire und Co. genießen nicht zu Unrecht Weltruhm. Zudem erquickt Philosophiegeschichte nicht jeden so sehr wie mich – also schnell weiter mit den argumentativen Siebenmeilenstiefeln. 

Quanzland im Übrigen gehört nicht zu den politisch privilegierten (Post-)Demokratien, noch nicht, denn es herrscht verhaltene Unruhe. Kognitive Dissonanzen machen die Runde, sorgen für allerlei Kontroverse und beleben die Kommunikation. Wenn der Gedankenterrorist weiter so konsequent und wortbewaffnet in idealistisch-kritischen Töpfen rührt, erwärmt sich die bereits zaghafte, öffentliche Diskussion über das allpräsente Text-Fast-Food noch weiter. Ob sie jedoch jemals zum Kochen gebracht werden kann, bleibt bis auf Weiteres der konservativ-trägen Stimmung der kaltblütigen Quanzländer ausgeliefert. Nicht umsonst herrschen hier alle alten System auf einmal ohne etwas Neues hervorzubringen und das seit sehr langer Zeit, womit ein politikwissenschaftliches Mysterium ersten Rangs gleich einem Dorn ins Auge dieser Disziplin sticht.

Aber sogar hier scheint dieser stürmischen Tage kein Wert mehr selbstverständlich, erst recht nicht die höchst unbequeme und bisweilen kostspielige Toleranz. Aus dieser Notdurft kann eine Rückbesinnung auf das zeitlos Allgemeine der guten alten Aufklärung nicht schaden. Viel kritisiert, historisch ausgehöhlt und nur wechselhaft verwirklicht blieb diese Tradition alle Widerständen zum Trotz untergründig vital. Dabei wirkt der angedrohte Blick fast zweieinhalb Jahrhunderte zurück in die Zeit Voltaires, wie ein Beleg für die zeitlose Aktualität der Toleranz-Problematik und zugleich als Apell, wirklich tolerant zu leben, nicht bloß zu denken – Heute, Gestern und Morgen.

Die bedeutsam angedeuteten Fragen bleiben allerdings metaphorisch und bewusst offen: Welcher Kraftquellen bedarf Toleranz notwendig? Welche Quellen stehen dem üblichen Europäer, dem durchschnittlichen Quanzländer, dem spekulativen Weltbürger überhaupt zur Verfügung? Welche dieser Ströme lassen sich mit welchen Turbulenzen oder überhaupt vereinigen? Was tun gegen Dürre und Überschwemmung?

Voltaire, als einen zufällig ausgewürfelten Vertreter der Aufklärung zu lesen und aktiv zu befragen löst diese großen Fragezeichen nicht, ist aber keineswegs, zu keiner Zeit schädlich, im Gegenteil sogar in jedem Fall empfehlenswert. Der gute Mann ist anschlussfähig an fast jedes große Thema unserer komplexen Gegenwart: Voltaire und Grexit, Voltaire und IS/Charlie Hebdo, Voltaire und Pegida, Voltaire und Vertrauen gegenüber Verbündeten, etc. pp.

Hier gilt der Grundsatz jeder praktischen Philosophie und Lebenskunst, in all seiner Marxschen Ernüchterung, dass nämlich Theorie und ihre Antworten, wenn überhaupt gegeben, vor allem einen Arbeitsaufträge für die eigene Existenz beinhalten. Arbeit statt Denken macht die Ethik, laute demgemäß die Devise. Voltaire lesen ist schon mal nicht schlecht, Toleranz im Alltag üben aber letztlich viel besser, dementsprechend auch unendlich viel anspruchsvoller. Wenn man doch nur unerschöpfliche Kraftquellen hätte, aber immer und überall gibt es dieses lästigen Energieprobleme!

In froher Erwartung meiner nächsten beiden Kraftquellen: Genuss und Nahrung; Euer Satorius


Und dies geschah in unseren Tagen; geschah zu einer Zeit, wo die Philosophie solche Fortschritte gemacht; zu einer Zeit, wo hundert Akademien schreiben, um sanfte Sitten einzuflößen! Es scheint, als ob der Fanatismus, aufgebracht über die kleinen Fortschritte der Vernunft, sich mit desto größerer Wut gegen sie auflehnte.

 

Kapitel I

 

Das Recht der Intoleranz ist also ebenso unvernünftig als barbarisch. Es ist das Recht der Tiger; ja noch schrecklicher als dies. Die Tiger zerreißen nur, um ihren Hunger zu stillen; wir vertilgen einander um Paragraphen.

 

Kapitel VI

 

„Dieser kleine Erdball, der nicht mehr als ein kleiner Punkt ist, dreht sich im Raume so gut als andere Weltkugeln. wir verlieren uns in dieser Unermesslichkeit. Der etwa fünf Schuh hohe Mensch ist gewiss eine Kleinigkeit in der Schöpfung. Eines dieser kleinen unmerklichen Wesen redete einmal einige seiner Nachbarn in Arabien oder auf der Küste der Kaffern [Alle Fremden, der Andere an sich; D.Q.] folgendergestalt an: ‚Hört mir zu, denn der Schöpfer aller dieser Welten hat mich erleuchtet. Es gibt Neunhundertmillionen kleiner Ameisen wie wir auf der Erde; aber Gott liebt nur meinen Ameisenhaufen; alle anderen sind ihm von Ewigkeit her ein Greuel. Mein Ameisenhaufen alleine wird glücklich und alle übrigen werden ewig unglücklich sein.“

Hier wird man mich sogleich unterbrechen und fragen, wer der Narr gewesen ist, der so unvernünftig Zeug geredet hat. Und ich werde mich genötigt sehen, ihnen zu antworten: „Ihr selbst.“

 

Kapitel XXII

 Gebet

Nicht mehr zu den Menschen, zu Dir wende ich mich, Gott aller Wesen und aller Zeiten! Wenn es schwachen Geschöpfen, die sich im Unermesslichen verlieren und von dem übrigen Teile des Weltalls nicht einmal bemerkt werden, erlaubt ist, Dich um etwas zu bitten, Dich, der Du alles gegeben hast, Dich, dessen Gesetze unwandelbar sind und ewig: siehe mitleidsvoll herab auf die Irrtümer unsrer Natur! Laß diese Irrtümer nicht unser Elend werden! Du gabst uns nicht ein Herz, daß wir einander hassen, nicht Hände, daß wir einander erwürgen sollten. Gib, daß wir einander helfen, die Last des kurzen, flüchtigen Lebens zu tragen; daß kleine Verschiedenheiten unter den Bedeckungen unsrer schwachen Körper, unter unsern unvollständigen Sprachen, unter unsern lächerlichen Gebräuchen, unsern mangelhaften Gesetzen, unsern törichten Meinungen, unter allen in unsern Augen so getrennten und vor Dir so gleichen Ständen, daß alle diese kleinen Abweichungen der Atome, die sich Menschen nennen, nicht Losungszeichen des Hasses und der Verfolgung werden! Gib, daß diejenigen, die am hellen Mittage Wachslichter anzünden, um Dich zu ehren, diejenigen ertragen, die mit dem Licht Deiner Sonne zufrieden sind; daß diejenigen, die ihr Kleid mit einer weißen Leinwand bedecken, um zu sagen, daß man Dich lieben muß, diejenigen nicht verabscheuen, die eben dasselbe unter einem Mantel von schwarzer Wolle sagen; daß es einerlei sei, ob man in einer nach einer alten Sprache gebildeten oder in einer neuern Reihe von Worten zu Dir betet! Gib, dass die, deren Kleid rot oder violett gefärbt ist und die über ein kleines Teilchen eines kleinen Haufens dieses Staubkorns herrschen, und die einige abgerundete Stückchen von einem gewissen Metall besitzen, ohne Stolz dessen, was sie Größe und Reichtum nennen, genießen und daß die andern sie nicht beneiden! Denn Du weißt, daß es unter den Eitelkeiten dieses Lebens nichts gibt, was verdiente, einander darum zu beneiden und stolz darauf zu sein.

Möchten doch alle Menschen sich erinnern, daß sie Brüder sind! Möchten sie doch alle Tyrannei über die Seele ebenso wie den Straßenraub verabscheuen, der ihnen die Früchte ihrer Arbeit und ihres ruhigen Fleißes nimmt! Wenn die Plagen des Krieges unvermeidlich sind, so laß uns doch im Schoße des Friedens einander nicht hassen und zerreißen! Laß uns den Augenblick unsers Daseins anwenden auf gleiche Weise, in tausend andern, verschiednen Sprachen, von Siam bis Kalifornien Deine Güte zu preisen, die uns diesen Augenblick gegeben hat!

Kapitel XXIII

François Marie Arouet de Voltaire (1694 – 1778), Über die Toleranz: veranlaßt durch die Hinrichtung des Johann Calas, im Jahre 1762 (Direktlink zur Digitalisierung): Passim (1763)

Ein (Gedanken-)Terrorist, seine Wünsche und Emotionen

Art 146

Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.

 

Parlamentarischer Rat (1948-1949), Grundgesetz der BRD

 

[Ist der letzte Artikel dieser (Übergangs-)Verfassung nicht ein grandioses Finale; Logisches Ende und historisierender Sargnagel zugleich? Damit erspüre ich ein einladend geöffnetes Tor in die konstitutionelle Zukunft! Worauf warten wir noch, warum fordern wir keine derartige Offenheit für unsere Heimat? Hier bei uns wäre nämlich alles besser als der Status quo, besonders ein solch offenes, lernfähiges Provisorium wie dort. Dieser Zustand und die ihm innewohnende Diskrepanz erfüllen mich phasenweise mit Neid, Scham oder Ärger – manchmal sogar alles zeitgleich zusammen; D.Q.]

6 subversive Glückskekse und 1 glaubhaftes Plädoyer

Der zufriedene Mensch, wenn auch arm, ist glücklich, der unzufriedene Mensch, wenn auch reich, ist traurig.

 

Gier macht den Menschen im Leben arm, denn die Fülle dieser Welt macht ihn nicht reich. Glücklich ist wer ohne Krankheit, reich wer ohne Schulden.

 

Wenn du auch zehntausend Felder hast, kannst du nur ein Maß Reis am Tag essen; wenn auch dein Haus tausend Zimmer enthält, kannst du nur acht Fuß Raum brauchen bei Nacht.

 

Fürchte dich nicht vor dem langsamen Vorwärtsgehen, fürchte dich nur vor dem Stehenbleiben.

 

Solange du dem Anderen [Funktionär, Mitglied, Rat, Minister, Meister, Abt, Lehrer, Vater, Mutter, etc., uvm.; D.Q.] sein Anderssein nicht verzeihen kannst, bist du noch weit ab vom Wege zur Weisheit.

 

Ist eine Sache am Geschehen, dann rede nicht darüber, es ist schwer verschüttetes Wasser wieder zu sammeln.

 

Chinas kollektives Bewusstsein (grob 1485 v.Chr. – ), Quellen chinesischer Weisheit (Selektiert und arrangiert; D.Q.)


Subversion aus dem Glückskeks war das Motto dieses neuen, großangelegten Gedanken-Anschlags. Mehrere tausend Flugblätter, überall angeschlagen und in alle Winde verstreut, boten oben lesend zu bestaunende Neuerung.

Eine brandneue Art Text-Fast-Food wird damit also heute serviert: Der thematische Zitat-Freistil, hier als Sechsgang-Menü erlesenster Klassiker Asiens. Sechs für sich harmlose Fragmente der reichen Weisheitslehre Chinas bekommen durch Auswahl und Reihenfolge eine zusätzliche Bedeutungsebene. Unser Lieblings-Terrorist fühlt sich zudem wohl genötigt für die Bürger Quanzlands mit dem kommentierenden Zaunpfahl zu winken. Insgesamt zeigt sich der ominöse D.Q. neuerdings öfter, neinahe aufdringlich zwischen den Zeilen seiner Zitate.

So werden hier weite historische Bezüge sichtbar gemacht und zugleich illustre Schlaglichter nicht nur auf die vergangene Politik Chinas geworfen. Freilich treffen mehr Aspekte des Zaunpfahl-Subtextes, als uns liebe sein dürfte, auf Quanzland zu; und mehr oder weniger auch die meisten anderen Staatswesen, die gewesen sind und derzeit wesen – weltweit ihr Unwesen treiben.

Allerdings möchte ich trotz aller Sympathie für den Terroristen und entgegen aller gemachten Andeutung von allem Möglichen eines hier und jetzt endgültig klarstellen: Anarchie und Kommunismus, wie auch Utopien/Dystopien im Allgemeinen, sind keine ernstzunehmende Alternative, für einfach gar überhaupt nichts. Alles ist gut hier in Quanzland und sicher auch anderswo, alles ist gut genug, besser geht’s einfach nicht! Nicht, dass mich hier jemand falsch missverständlich missinterpretiert, indem er mir wenigstens Verharmlosung von intellektuellem – nein, ideologischem – Terrorismus unterstellt oder mich sogar am Ende noch dessen untergründiger Unterstützung bezichtigt.

Metatext-Redaktion: Diese Beteuerungen stimmen wirklich, sind also ganz bestimmt keine Ironie! Ebenso sicher ist das alles hier über uns ein lahmer Versuch, sich vor dem zugesagten Start der neuen Rubrik zu drücken. Nicht nur wahllos Themen sammeln, sondern auch mal darüber schreiben. Fleiß und Pünktlichkeit wären nach und neben Loyalität, Sittlichkeit und Anstand zwei weitere Tugend, die zukünftig mehr Beachtung verdient hätten!

Primaten und ihrer Abarten

Die meisten Primaten markieren ihre Territorien mit Exkrementen; domestizierte Primaten [wir, die sog. Menschen; D.Q.] markieren ihre Territorien mit Tintenexkrementen auf Papier (Verträge, Rechtstitel usw.). Aus biologischer Sicht ist jede nationale Grenze in Europa Mahnmal für ein Gebiet, auf dem zwei rivalisierende Banden von domestizierten Primaten bis zur Erschöpfung gekämpft und dann ihre territoriale Markierung hinterlassen haben.

 

Dank der einzigartigen Fähigkeit domestizierter Primaten (zu denen übrigens neueren Untersuchungen zufolge auch Schimpansen zählen), neurosemantische Systeme (Kodes, Sprachen) zu lernen, können diese unvergleichlichen Säugetiere ebenso wie natürliche Reviere auch symbo­lische Reviere beanspruchen (oder glauben, sie beanspruchen zu dür­fen). Solche symbolischen Reviere sind im allgemeinen unter dem Be­griff »Ideologien« oder »Glaubenssysteme« bekannt – wir bevorzugen hier den Terminus »Realitätstunnel«.

 

Robert Anton Wilson (1932 – 2007), Die neue Inquisition: S. 36 (1992)

Krieg den Märkten, Friede den Utopien

Es gibt heute sehr starke Vorbehalte, sich auf eine Definition der von uns erstrebten Güter festzulegen, sogar Bedenken, einen Vortrag über das gute Leben als solches zu halten. Wir leben in liberalen Gesellschaften, die ihre Vorstellung vom Guten „vor die Tür gesetzt“ haben. Warum? Zunächst weil wir den Dissens fürchten, den das Aufeinanderprallen von notwendigerweise konkurrierenden Vorstellungen hervorrufen könnte. Und schließlich weil wir Angst haben, dass die Mehrheit ihre Vorstellung vom guten Leben denen aufzwingen könnte, die sie nicht teilen. Das sind durchaus legitime Befürchtungen. Aber ich sehe keinen anderen Ausweg, als sich der Schwierigkeit zu stellen. Sonst werden wir den Angriffen des Marktes keine substanziellen Argumente [geschweige denn, Aktionen; D.Q.] entgegensetzen können.

 

[…]

 

Der Markt erschien uns als neutraler und sehr nützlicher Bewertungsmechanismus, der uns die Mühe schwieriger Kontroversen über das beste Mittel für die Bewertung eines Gutes ersparte. Gleichzeitig bemühten sich die liberalen Philosophen, die öffentliche Vernunft so stark wie möglich einzudämmen. Seitdem begannen wir zu verstehen, dass man die öffentliche Debatte nicht komplett auslagern darf. Denn das überlässt dem Markt immer mehr Bereiche des gesellschaftlichen Lebens und bringt uns in einen Zustand gesellschaftlicher Abgestumpftheit. Unsere Kultur überhitzt sich, denn sie ist im Wesentlichen sinnentleert, ohne einen moralischen oder geistigen Inhalt [, frei von Utopischem; D.Q.]

 

Michael J. Sandel (1953 – ), Gespräch unter dem Titel „Wir haben Angst vor dem guten Leben“, in: Philosophie Magazin Nr. 03/2015 (April/Mai), S. 73


Nirgendwann und Nirgendwo der Marktförmigkeit vieler Lebensbereiche den Spiegel vorzuhalten, ist aus der Mode gekommen. Dazu bedarf es in Quanzland nicht einmal mehr der Aktionen unseres werten Gedankenterroristen, und trotzdem verdanken wir ihm diese Schlaglichter auf zwei aktuelle Stimmen der Kritik. Ihr Gegner ist der Zeitgeist, der durch Quanzland weht.

Der anonyme Täter, den wir seit Anbeginn unserer Reise begleitet haben, bleibt dennoch eine Ausnahmeerscheinung in der Öffentlichkeit. Er ist wahrlich nicht alleine in seiner Opposition, wohl aber durch die Wahl seiner Mittel und Methoden gefährdet. Als Terrorist geächtet, steht er mit dem Rücken zum Hintergrund einer Meinungsmaschinerie, die Kritik gut portioniert und inszeniert geschehen lässt. Dass er angesichts seiner brisanten Lage nunmehr beginnt, seltsame Signaturen in die Text-Attentate einzuschreiben, erregt mein Interesse ebenso wie die neuerliche Aktualität der verwendeten Quellen.

Hier alsonnoch ein zweites Exempel seiner subversiven Aktivitäte der letzten Wochen, konsumierbar in einer marktfreien Light-Variante.

Mit anerkennendem Gruß an alle Nichthändler, Euer Satorius


 

Da muss ich widersprechen. Hinter dieser Haltung [Wir seien alle Kinder Mammons und als solche zur Vernunft befähigt; D.Q.] steht letztlich ein Rousseau’scher Ursprungsmythos, dass wir im Kern alle gut sind und es nur die Gesellschaft – oder die Zivilisation – ist, die uns verdirbt. […] Das lässt sich philosophisch auch als Frage nach dem Humanismus formulieren:

 

[…]

 

Haben wir ein Gemeinsames – ob man es jetzt biologisch oder theologisch definieren mag? Ich würde eher fragen: Wohin wollen wir? Das ist eine sowohl politische als auch philosophische Frage, die viel zu wenig gestellt wird, weil wir in einer Gesellschaft leben, die wenig Zukunftsemphase hat, sondern allenfalls, dass alles in zehn Jahren noch nicht gänzlich katastrophal sein wird.

 

Armen Avanessian (1974 – ), Gespräch unter dem Titel „Freund oder Feind?“, in: Philosophie Magazin Nr. 03/2015 (April/Mai), S. 63f.

 

Ein halbes Jahr Quanzland – Evaluation und Perspektive

Ein gutes halbes Jahr ist es her. Damals entstand das hier. Aus dem ersten Anschlag wurde ein erstes Zeichen, daraus sodann ein erstes Wort, (zu) viele davon bildeten den ersten Satz, der schlussendlich wahllos vervielfacht den ersten Text von junger, noch zweifelhafter Qualität hervorbrachte. Von diesen ersten eigenen und einigen fremden Texten gibt es nunmehr unzählige; womit wir die aktuelle Marke von 48 Beiträgen und vier Seiten wirklich nicht maßlos übertreiben wollen.

Ein klein wenig Evaluation zu Beginn und etwas Perspektivarbeit zum Abschluss stehen heute an – und ja, hier spricht die Metatext-Redaktion, nicht Satorius. Da wir seit der Eröffnung nur sporadisch in Erscheinung getreten sind, sollte dieser Fakt früh betont werden. Unser Hauptaugenmerk lag zwischenzeitlich auf Schulung sowie Motivationsarbeit mit Satorius und galt  hauptsächlich einer Schwerstfehler-Korrektur seiner Sünden und Vergehen  gegenüber Text und Sprache.   Bei unseren überfallartigen Redaktionssitzungen ging es uns ehrlicherweise vorrangig darum, seine ausgeprägte Gastfreundschaft zu strapazieren und die dadurch eröffneten Vorräte an Genussmitteln auszuradieren. Daraus resultierte häufig ein rauschendes, für Quanzland jedoch unproduktives Gelage.

Wie hat sich die am Reisbrett erdachte inhaltliche Struktur der Seite entwickelt? Decken sich die Kategorien, mitsamt der Themen und Formate, aus denen sie zusammengesetzt sind, einigermaßen mit dem launischen Schreibinteresse unseres Autorengesellen? Diese zwei Fragen können wir fast restlos mit einem Blick in die Kategorien-Statistik erwägen:

Thema       Anzahl der Beiträge: 48       Format 

Denkwelten   25

Text-Fast-Food   21

Rätsel-Runde   1

Fiktionale Kleinode   24

Lichtrausch   4

Quanzland-Zeitgeschehen   10

Kulinarik   7

(Metatext   5)

Diskurse der Nacht   2

Damit wird bei 48 Beiträgen recht schnell einsichtig, dass im Normalfall ein Thema und ein Format pro Beitrag zugeordnet wurden. Es hat also nur wenige Beiträge mit vielfachen Kategorien gegeben. Dieser Aspekt und die Rückmeldung von Satorius, er habe immer eine gut passende Kategorie gefunden, stimmen positiv, wie auch die überraschende Quantität und Kontinuität der Beiträge. Die sanft ansteigende Qualität der Texte soll auch nicht unerwähnt bleiben.

Die thematische Ungleichverteilung der Beiträge zu Lasten von bildender Kunst (Lichtrausch) und Politik (Diskurse der Nacht) sowie das frühe Absterben der Rätsel-Runde aufgrund von Mangel an Kontrahenten wegen einer generellen Besucherknappheit sind die negativen Entwicklungen. Von denen stimmt uns vor allem letztere nachdenklich. Immerhin 12 Abonnenten, einen Gefolgsmann („Follower“) konnte Satorius bisher interessieren, aber leider nur einen sinnhaften Kommentar herauskitzeln. Stattliche 1092 Mal wurden die Pforten von Quanzland in Summe geöffnet, grob gerundet sind das also stattliche Fünfeinhalb Besucher pro Tag. Diese letzten zwei Zahlen taucht nur deshalb in diesem Absatz auf, da die meisten Besuche lange zurückliegen und das aktuelle Interesse sehr bescheiden ausfällt. Zwei Werbeaktionen in Satorius Umfeld waren wohl Auslöser eines frühen Strohfeuers gewesen, dem aber keine Resonanz folgte, denn so gut wie keiner dieser Menschen findet sich unter den Abonnenten.

Deshalb ein umso größeres Dankeschön an die interessierten Fremden. Satorius schreibt sowieso weiter, der ist da hartnäckig und asketisch, aber wir freuen uns für ihn mit. Daneben ist aller Anfang bekanntlich schwer. Nicht zuletzt sind die von uns gestiftete und kultivierte, intrinsische Motivation sowie sein brennende Leidenschaft für bessere Texte unerschütterliche Ressourcen für ihn. Trotzdem hofft Satorius auf mehr Kommentarfreude und wartet sehnlichst – das würde er nie offen gestehen, außer gegen Ende besagter, exzessiver Redaktions-Gelage – auf eine erste persönliche Reaktion seitens seines Umfelds.

Was war besonders, überraschend, irritierend und wie soll es nach dem Ende der Heimreise und der Ankunft in Quanzland nun weitergehen?

Sesshaft geworden und mit einer gewissem Trägheit geschlagen, tut sich in punkto Quanzland-Zeitgeschehen wohl nur wenig. Wenigstens war Satorius nach Überzeugungsarbeit bereit, sich ein neues Format vorzunehmen, das mit den Diskursen der Nacht eng verbunden sein wird. Dort sollen in enthüllender Manier zeitgenössische Ärgernisse angeprangert werden, bestenfalls in wöchentlichem Turnus.

Ob Satorius unsere Abgabefristen und Strukturvorgaben allerdings einhält, steht unter starkem Zweifel. Er hat unsere redaktionelle Arbeit in planerischer Hinsicht sabotiert und unterminiert, wie ein Meister in diesen Disziplinen. Es kam in der Summe weit mehr Text als al je erwartet, aber nie zu den erwarteten Zeiten und ohne kalkulierbare Kategorie. So haben wir ihn erfolglos zur Politik zu peitschen versucht und wurden im Gegenzug von Zitaten und Unmengen eigener Texte überhäuft. Mit Kulinarik ist er zudem mittelschwer überfällig: Je nach Schätzung liegen beim ihm sechs bis zehn Zutatenlisten für neue Rezepte herum. Und dort warten sie und vermehren sich, anstatt abgetippt zu werden. Die Gerichte, deren Zubereitung damit schon Monate zurückliegen könnte, sind notwendig auf Satorius Gedächtnis angewiesen, da er die Anleitung und deren Feinheiten immer nur aus der Erinnerung heraus formuliert. Nicht nur in dieser Hinsicht eigensinnig und unbelehrbar, ist auf Satorius Gedächtnis nicht immer Verlass. Aber ansonsten sind wir positiv überrascht und zugleich milde irritiert über die Textkanonaden, die er uns im letzten Quartal um die Ohren gehauen hat. Noch roh und ungeschliffen mag mit Ausdauer und  Disziplin, Passion und Muse ein echter Geschichtenerzähler heranreifen. Warten wir es ab und lächeln weiter über den angeblichen Kollegen aus unserer Mitte.

Bevor nun unser Einsatz ausartet, kommen wir gemächlich zum Ende dieser kleinen Bilanz, dem ersten kollektiven Resümee der Metatext-Redaktion. Wir hoffen allesamt inständig, dass Satorius seine kategorische  Absage an Zensur auch einhält. Die finalen Sätze in den Absätzen n minus zwei, n minus eins und n minus fünf sind drei bewusste Lackmustests hierfür – werter (Nicht-)Zensor in spe.

Bis irgendwann liebe Leserschaft und in gespannter Erwartung auf unseren nächsten Text, Ihre immer Feedback-hungrige Metatext-Redaktion (Metatext-Redaktion@quanzland.info)