Fiktionale Kleinode

#11/12 – Ein elftes Segment der blutigen Frühgeburt

Der dramaturgische Höhepunkt der Geschichte naht, und ebenso das Ende dieser Exkursion in den Bereich roher und frischer Literaturversuche. Wie es danach weitergehen wird, liegt im ungewissen Dunkel der Zukunft. Durch einen Abgrund aus Zufall, Freiheit und Entscheidung von der Gegenwart, der Präsenz dem unendlich kleinen und kurzen Hier und Jetzt.

Auf einen ordentlichen Klimax und einen angenehmen Ausgang des Wochenendes, Euer Satorius


Die Heimkehr des verspannten Fast-Magisters

Teil 11 von 12: Seiten 31 bis 34.

Ein Wimpernschlag später setzte Xaver – ein prächtiges Exempel des technisch optimierten Neumenschen – dazu an, auf das Drängen der beiden Sicherheitskräfte zu reagieren und würde dies mit kalkulierten 66,6023 Prozent Erfolgswahrscheinlichkeit dafür tun, dass sein geplanter und geübter Vorstoß letztlich erfolgreich sein würde. Als mäßig hoher Wert nicht unbedingt sicher, waren die zu erwägenden Nachteile jedoch in ihrer Wahrscheinlichkeit und Schädlichkeit insgesamt harmlos; also war die notwendige Intervention und anvisierte Bereinigung der Lage vielleicht elegant auf einem diplomatischen Weg machbar; andere Weg blieben dem Fast-Magister auch nicht – wollte er sich nicht selbst ernsthaft in Gefahr bringen. Dies zu vermieden war als eine der prinzipiellen Direktiven der gesamten Arbeit des Konzils vorrangig, stand somit fast außer Frage. Denn das letzte Wort hatte immer das klassische Ich und Xaver glaubte fest an dessen Existenz. Dessen Ränder mögen porös geworden sein, wegen der vielen technischen Erweiterungen und Eingriffe, aber es musste eine stabilen Kern geben; eine in sich veränderliche aber autonome Domäne seines ureigenen Willens. Damit weit mehr als bloß Ich – selbstverständlich war Bewusstsein synergetisch aus mindestens neun weiteren Aspekten zusammengesetzt. Je nach favorisierter Theorie des Bewusstseins, die derzeit anerkannte Mode waren, gab es diesen Minimalkompromiss: Die Bewusstseins-Dekade.

 

Die weitgehend Passivität, welche die beiden anderen Figuren im Zuge dieser Eröffnung bis hierhin an den Tag gelegt hatten, zeugte entweder von Klugheit, Verwirrung oder Unentschiedenheit. Wahrscheinlich war es Klugheit, sonst hätte Frau van Beeger nicht so geistesschnell auf sein Erscheinen reagiert. Sie standen seither gespannt und neugierig daneben, während sie schweigsam dem kommunikativen Schlagabtausch folgten. Bis auf die abgewürgte Begrüßung und eine kleine Geste der Dankbarkeit auf Xavers Nachricht über den Zustand gemeinsamen Sohn hin, hatten sie sich bisher zurückgehalten. Für den weiteren Verlauf stand damit jedenfalls eine gewisse Stabilität zu erwarten; sollten sie also gerne weiter die Ruhe bewahren.

 

„Oh – Demos! Das ist wirklich keine unerhebliche Kleinigkeit mehr, da stimmte ich ihnen natürlich sofort zu“, nahm er der Neuigkeit kompromissbereit und verständnisvoll ihre Schärfe, während er zu seinem Meisterargument fortschritt: „Das wäre für mich sehr traurig und unerwartet zu hören. Als ich während unserer gemeinsamen Reise mit den beiden Angeklagten des Längeren angeregt über meine berufliche Zukunft gesprochen habe, äußerten sie sich glaubhaft und vor allem wohlwollend über die damit unweigerlich verbundenen politischen Aspekte. Sie müssen wissen“, er macht ein bedeutungsvolle Pause, bevor er die rhetorische Rakete zündete, „zwei meiner zukünftigen Auftraggeber begleiten nämlich nicht gerade unbedeutende Positionen innerhalb der kontinentalen Politik. Ich bin derzeit auf dem Weg, um Anstellungen sowohl bei General Tadeusz von Quarz als auch bei Direktorin Eleonora Rether anzutreten. Mehr darf ich allerdings, wie sie sicher leicht nachvollziehen können, aus Gründen der Diskretion und Geheimniswahrung nicht sagen. Diese beiden Namen sollten ihnen aus den höchsten Führungskreisen der großen Sieben bekannt sein. Wenn sie, wie ich unschwer zu erkennen meine, Mitarbeiter der Karlus-Korporation sind, sei es direkt oder indirekt, so können sie sich wohl besser als die meisten vorstellen, dass man über diese beiden prominenten Persönlichkeiten schnell ins Gespräch über die große Politik gerät. Stehen unsere Arbeitgeber nicht sogar in ausgewiesen gutem Verhältnis zueinander?“

 

Während sich erste Reaktionen auf Xavers Aussage bei allen Beteiligten abzuzeichnen begannen, war dieser sehr froh darüber, durch die Finte mit dem Datenschutz, um hinderliche Details herumgekommen zu sein. Hoffentlich würden demütige Verblüffung und vorauseilender Gehorsam verhindern, dass diese Lücken noch sichtbar würden. So hatte er leichter Dings verschweigen können, dass er erst noch eine letzte, persönliche Runde im Auswahlverfahren um die Anstellung zu bestehen hatte und dass er eigentlich letztlich lediglich die Kinder der Mächtigen schulen und optimieren würde. Aber das waren alles andere als offensichtliche Schwächen, denn die Academia unterhielt bekanntlich Verbindungen zu fast allen Spielern im großen, solaren Spiel und offerierte diesen ihre diverse Dienstleistungen. harmlose Anwendung des durchaus gefährlichen Wissens ging, das Xavers Organisation den Mächtigen nicht nur dieser Welt anbot, war in diesem Zusammenhang, ein solches hinderliches Detail. Er blickte aufmerksam und neugierig, aber zugleich ruhig und unaufgeregt in die Runde und registrierte dabei zufrieden die Wirkung, die seine Eröffnung erzielte. Er konnte seine aufkeimende Freude an diesem Spiel in vollen Zügen genießen und wunderte sich während all dessen weiterhin über sich selbst: Früher hätte er nie so selbstbewusst und ausnehmend raffiniert eine derart brenzlige Situation meistern können, geschweige denn hätte er diese Hölle der Emotionen souverän beherrschen und sogar genießen können.

 

Den Eltern von Mauritius sah man bereits verhaltene Erleichterung an und die beiden Wachen verloren spürbar an Autorität im Angesicht solch mächtiger Namen und damit Referenzen, mit denen Xaver sich zu schmücken vermochte. Was, wenn sich herausstellte, dass zwei mehr oder weniger einfache Wachen Freunden oder auch nur Bekannten einer Person, die im Dienst solch erlesener Kreise stand oder stehen würde, Unannehmlichkeiten bereitet hatten; sie womöglich zu Unrecht der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung bezichtigt hatten. Dann riskierten diese einfachen Wachen schlicht Kopf und Kragen. In despotischen Zeiten, in den steile Hierarchien klarer und unversöhnlicher hervortraten als sonst, war man gut beraten, diese zu kennen und sofern möglich für seine Ziele zu nutzen. Nicht immer waren Klugheit und Wissen um Historie oder besser ein Wissen um zeitgenössische Solarpolitik und die dazugehörigen sozialen Zustände so unmittelbar nutzbringend wie in dieser Situation. Xaver jedenfalls war einstweilen sehr zufrieden mit der Entwicklung, ohne dass dafür bestätigende Worte hätten gewechselt werden müssen. Sogar als Wachführer Hofmeister scheinbar entrüstet zu einer Erwiderung ansetzte, blieb sich Xaver seiner machtvollen Verhandlungsposition bewusst und las aus der Haltung, dem Gestus – ja aus der ganzen Erscheinung der beiden Wachen, dass er die Partie so gut wie gewonnen hatte, wenn er seine Karten mitsamt den schlagenden Trümpfe von Quarz und Rether sicher zu Ende spielen würde. Natürlich war diese Gewissheit kein Ergebnis harter Arbeit oder ausgeprägten Talents, sondern wurde abermals von Berechnungen und entsprechenden Folgerungen technischen Ursprungs gestützt. Die aktuelle Prognose der Erfolgswahrscheinlichkeit hatte sich zwischenzeitlich auf stattliche 86,4231 Prozent erhöht – gut so, die Wächter schienen von dem Glanz der puren Macht nachhaltig beeindruckt worden zu sein.

 

„Sie meinen also ihre flüchtige Bekanntschaft mit diesen beiden Subjekten und ihre angebliche Anstellung in höchsten Kreisen, sei Anlass genug, unseren Indizien zu misstrauen? Ziemlich gewagter Einsatz, wenn sie mich fragen,“ hob er an, nur um dann unmittelbar, schon etwas leiser fortzufahren: „Wenn sich ihre Angaben aber tatsächlich als richtig erweisen würden, wären unsere Ambitionen gewiss flexibel. Sie wissen ja – Eine Hand wäscht die andere; wenn sie wirklich für General von Quarz arbeiten sollten, dann wären sie qua ratifiziertem Vertragswerk mein Verbündeter und als solcher annehmbarer Bürge für die Beiden hier.“ Dabei zeigte er auf das schrille Pärchen und fügte nun im Flüsterton noch näher zu Xaver gewandt hinzu: „Unter uns gesagt: Die Indizien sind sowieso nicht allzu stark. Das Ganze lag auch mehr im Ermessen Kirchners und wurde von mir nur geduldet, damit dieser beschäftig ist und unter meiner Führung vielleicht sogar mal was dazulernt. Wie gut der Versuch geklappt hat, haben sie ja hautnah miterlebt und so gekonnt entschärft – Danke dafür! Der Typ ist kaum zu zähmen. Eine der vielen Bestien, die dieser Tage die Welt unsicher machen. In seiner Uniform ist er ein Wolf im Schafspelz, wie man früher wohl gesagt hätte. Aber auf die Wache müssen sie uns noch kurz begleiten, auch wenn ich sie und vielleicht sogar ihre Freunde von dort im günstigen Fall gerne an einem Ziel ihrer Wahl absetze.“

 

Wieder lauter und zu allen Anwesenden gewandt, wollte er seine Entscheidungen verkünden als Kirchner plötzlich auf Herrn van Beeger losging. Er hatte wohl irgendwie mitgehört und sah nun den krönenden Abschluss seiner Schikane in Gefahr geraten. Das in jeder Hinsicht unterlegen Opfer musste sich nach einem gebrüllten: „Scheiß Terroristenschwein, friss das hier!“, einen ziemlich derben Schlag ins Gesicht gefallen lassen, den ihm der im Spurt losgerannte Wüstling gnadenlos mit aller augmentalen Kraft und Wucht gerade zufügte. Daraufhin zu Boden gegangen, trat ihm Kirchner mit einem mächtigen Tritt von der Seite durch die Rippen in den Brustkorb. Zuerst ein vernehmliches Krachen und dann ein widerwärtiges Schmatzen zeugten von katastrophalen Folgen. Der Angriff konnte tödlich enden, wenn nicht jemand einschritt.

 

Zu diesem zu späten Zeitpunkt machte der sichtlich entsetzte und deshalb überforderte Hofmeister gerade noch rechtzeitig von den Privilegien seines höheren Rangs Gebrauch. Der rasende Berserker hielt wie vom Blitz getroffen in seinem Wüten inne. Er hatte gerade seinen blutbeschmierten Stiefel aus der Flanke seines Opfers gezogen und wollte eben neu ansetzten. Seine Visage war noch hässlicher geworden, verzerrt von Zorn, Wut und purem Gewaltrausch. Hofmeister hatte diesen Exzess soeben beendet, indem er den Schinder einfach kurzerhand paralysiert hatte; sonst hätte man vermutlich nach einem nächsten in Richtung der Kopfregion angesetzten Tritt mit dem Schlimmsten rechen müssen. Diese Rettung in aller letzter Sekunde gelang ganz ohne Einsatz der Waffe, die in Hofmeisters Gürtelhalfter ruhte und durchaus auch dazu im Stande gewesen wäre. Er als Wachführer und Unteroffizier hatte gegenüber Untergebenen gewisse disziplinarischen Möglichkeiten, um einen total ausgerasteten, augmental aufgerüsteten Wächtersoldaten technisch in seine Schranken zu weisen – per augmentaler Zwangsorder, die von ihm in Notfällen über Kirchners Cerebralschnittstelle mit Überrang direkt ausgeführt werden konnte: Technischer Zwang hatte rohe Aggression gebändigt.

#10/12 – Das zehnte Segment der blutigen Frühgeburt

Wo sich in dem doch recht meditativ und hintergründig gehaltenen Auftakt der Geschichte, erstmals so etwas wie Aktion und Handlung entwickelt, möchte ich deren Fluss nicht allzu lange unterbrechen. Deswegen gibt es hier und heute bereits Teil 10 von 12. Die Spannung steigt milde, aber sie steigt. Also – wie gesagt, so nun getan – bremse ich sie nun nicht weiter und schreite zur Veröffentlichung.

Vergnügliche Lektüre und insgesamt eine gute Zeit, Euer Satorius


Die Heimkehr des verspannten Fast-Magisters

Teil 10 von 12: Seiten 28 bis 31.

„Guten Tag – angenehm, die Bekanntschaft von zwei so eifrigen Wächtern zu machen. Ich bin Xaver Satorius. Tatsächlich Magister und nicht Mönch, noch gar Möchtegern um das gleich zu Beginn aufzuklären. Danke für ihre Aufmerksamkeit und die Gelegenheit, mich einzubringen. Ich wüsste zunächst gerne, was meinen geschätzten Mitreisenden zur Last gelegt wird, denn ich wäre über eine Verwicklung dieser beiden in verbrecherische Aktivitäten ebenso entsetzt wie sie“, antwortete er erst einmal mit einer Gegenfrage und wandet sich zwinkernden Auges unbemerkt an seine gänzlich uneingeweihten Schützlinge. „Hallo ihr beiden. Eurem Sohn geht es wieder gut. Macht euch wirklich keine Sorgen mehr, ich haben mich gewissenvoll um ihn gekümmert. Er wartet drüben auf uns.“ Ob diese schwache Finte funktionieren würde, war zu bezweifeln, aber den rhetorisch gefahrlosen Versuch war sie auf jeden Fall wert.

 

„Hi Xaver! Das ist liebenswert von dir, nach unserem Jungen zu schauen. Wir …“, setzte die junge Schönheit, blitzschnell in ihrer Rolle aufgegangen, freudestrahlend zu einer Reaktion auf Xavers Eröffnung an, wurde aber sogleich harsch vom aufbrausenden Kirchner angefahren und damit im Ansatz unterbrochen.

 

„Schnauze, Pack! Ihr hattet eure Gelegenheit und sie, kommen sie zum Punkt – kein Geschwafel, Magister: Was wissen sie, was wir nicht wissen, aber ihrer Meinung nach wissen sollten?“, übernahm leider der unangenehmere Part in seiner rüden Manier die Gesprächsführung, bezeichnender Weise ohne seinerseits eine Art der Vorstellung unternommen zu haben. Kirchner hatte ihn sein Vorgesetzter vorhin genannt, bevor er sich nun zu seinem Einstieg ins Gespräch anschickte.

 

„Dem was Wachsoldat Kirchner gerade so unvergleichlich zum Ausdruck gebracht hat, stimme ich im Kern sogar zu. Ich bin übrigens Wachführer Hofmeister – auch angenehm. Aber wir werden zu laufenden Fällen kaum Jedermann Auskunft erteilen; also verdienen sie sich unser Vertrauen durch eine plausible Erklärung ihrer Anwesenheit und ein paar erhellende Hintergründe.“ Nachdem er damit zu Xavers Freude die Führung wieder übernommen hatte, warf der Vorgesetzte seinem Untergebenen nun im Wechsel mahnende und seltsam flehende Blicke zu. Die weitere Eskalation war damit zunächst verhindert worden, aber nun galt es, rhetorisch vorsichtig und strategisch klug voranzugehen. Sokrates, Xaya und Hoffmann waren hochaktiv, um Xaver bestmöglich zu unterstützen – (aug-)mental und physiologisch, kognitiv und kreativ gleichermaßen.

 

„Nun, wie gesagt, von Verwicklungen der beiden in illegale Aktivitäten oder was auch immer hier so lange besprochen wurde, weiß ich rein Garnichts. Wir haben uns während unseres gemeinsamen Transitaufenthalts in Eluna zufällig kennengelernt und sind schnell ins Gespräch gekommen. In den nächsten Stunden haben wir uns angeregt unterhalten; was wir auch während des Fluges fortführen konnten. Eigentlich bin ich kein besonders offener und gesprächiger Typ, aber die Wellenlänge stimmte bei uns wohl einfach von Anfang an. Jedenfalls habe ich dabei eine rechtschaffene und lautere, wenn auch nach Außen hin unangepasste, junge Familie kennengelernt. An ihrer moralischen Integrität habe ich trotz der zugegeben kurzen Dauer unserer Bekanntschaft keinerlei Zweifel mehr. Denn als Magister Universalis sind Menschen und deren rasche Kenntnis meine professionelle Domäne. Wer ein Bewusstsein optimieren will, ist zu Beginn auf ein möglichst akribische Beschreibung und optimale Beurteilung des Trägers angewiesen, müssen sie wissen. Mit dieser noch immer großen und mächtigen Institution sind sie ja sicher grundsätzlich vertraut?“, begann der Fast-Magister mit gewagt dosierten Übertreibungen und gutmütigen Auslassungen. Er glaubte, damit einen guten Mittelweg zwischen nutzlosen Fakten und sophistischer Fiktion zu gehen, der sich zur Eröffnung seiner Verteidigung anbot. Dieser argumentativ vage und schwache Auftakt seiner Apologie würde zusammen mit der Prahlerei das anschließende Kernstück der Rede ungleich stärker wirken lassen.

 

„Das ich nicht laut losschreie! Pah, Magister …“, setzte Kirchner zu einer scharfen Antwort auf die bloß rhetorisch gemeinte Frage von Xaver an, wurde jedoch herrisch von seinem direkten Vorgesetzten unterbrochen und gestenreich zur Ruhe gewiesen. Dieser ging seinerseits erwartungsgemäß galant über die letzte Spitze von Xaver hinweg und ließ sich inhaltlich auf dessen Eröffnung ein: „Wir sollen also in einer Ermittlung, welche die innere Sicherheit tangiert, auf die unbestrittenen Kompetenzen eines Magister Universalis vertrauen – einfach mal so? Nach unserem bescheidenen Kenntnisstand haben wir hier wahrscheinlich zwei Mitglieder von Demos gestellt. Sicher sind sie mit dieser rapide wachsenden und als illegal und terroristisch geächteten Organisation grundsätzlich vertraut?“ Damit spielte er seinerseits den Ball im Spiel der anregenden Konversation mit einem Mindestmaß an neuer Information zurück, ohne die unter diesen Umständen kein konstruktives Gespräch möglich gewesen wäre. Immerhin wurde Xaver bisher als ebenbürtiger Gesprächspartner – von relevanter, weil vorgesetzter Seite jedenfalls – akzeptiert und respektiert. Die Schwere der eröffneten Hintergründe, mit denen die Festsetzung und das Verhör des Ehepaars van Beeger begründet worden waren, komplizierte die Lage jedoch unglücklich. Glücklicherweise waren Rechtsstaatlichkeit und Dienstbeflissenheit vor Ort keine besonders gefestigten Werte, deswegen entschloss sich Xaver unverzüglich zum Konter und kam damit schneller als anfangs geplant zum Kernstück seiner kommunikativen Strategie – soviel zum Vorsatz, rhetorisch sorgsam vorzugehen. Dennoch stimmte er Sokrates und Xayas psycho-rhetorischer Spontanberatung zu, Kirchner musste sowieso überrumpelt werden und Hofmeister durfte sich gar nicht erst in der Rolle des korrekten Wächters einnisten. Sonst wäre das entscheidende Finale von Xavers Argumentation in seiner Wirkung reduziert und überdies psychologische Komplikationen auf Seiten Hofmeisters nicht ausgeschlossen. Er war zu geschliffen, um ein sicher lesbarer Akteur und damit gewisser Faktor in der Kalkulation zu sein, wenn er sich einmal aus seiner bequemen Lethargie herauslaviert hatte.    

 

Während des Gesprächs wurden selbstverständlich permanent unzählige Daten über dessen Verlauf und das Verhalten aller Beteiligten erhoben und ausgewertet, um darauf aufbauend mögliche Szenarien für die Zukunft, diesbezügliche Optionen und Entscheidungspfade zu generieren. Das Gedankenkonzil war schon eine enorm wertvolle Unterstützung, wie es in Echtzeit die sich flüchtig entziehende Dynamik des Geschehens mit seinen magischen Algorithmen zu bannen vermochte; um diese sodann in nüchterne Statistiken gegossen und in schlichten Prozentwerten und Baumdiagrammen ausgedrückt anzubieten. Je nach Präferenz als Visualisierung im optischen Bereich oder als spontane Bewusstseinsinformation, also auf mentalem Weg zugänglich. Was sehr abstrakt klingt, bedeutete ein bisschen konkreter, dass halbtransparente, im Vergleich zur vollen Aktivität minder farbenfroh kolorierte Erfahrungs- und Wissensbereiche in Xavers Bewusstseinskanälen verankert wurden. So konnte er als Zeichen und Bild darstellbare Informationen optisch als Text und Grafik in seinem Gesichtsfeld wahrnehmen; die vielfältigen anderen Aspekte der Situation konnte er wahlweise in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft mit einer jeweils angepassten Anwahl an beteiligten Sinnen, also auf authentischere, vollere Weise erleben; und schließlich konnten die unerlässlichen Szenario-Übungen in Erfahrungsräumen synchron zu allem absolviert werden – zeitlich parallel und damit neben und während der eigentlichen Gesprächsführung ohne ernstlichen Aufmerksamkeitsverlust, der irgendwie auffällig oder gar einschränkend gewesen wäre; alles auf einmal, mit optimaler Verteilung der individuellen, kognitiven Ressourcen. Sokrates sowie Xaya und Hoffmann befanden sich dafür derzeit in enger Koexistenz mit Xaver und waren dabei auf ihrer je eigene Art unterstützend, beratend und medizierend tätig.

 

Modellierte und simulierte Kognition, Emotion und Aktion waren Grundfunktionen des Gedankenkonzils und wurden sogar noch von den diversen Modulen integriert und addiert, damit funktional ungeahnt potenziert. Da mit diesen Technologien Handlung und Denken weitgehend administrierbare Parameter geworden waren, hatte sich alltägliches Dasein für Menschen wie Xaver radikal verändert. Das zufällige Chaos, die spontane Freiheit und das unvermeidliche Allzumenschliche, welche ohne Augmentate – normaler-, natürlicherweise also die Existenz zu weiten Teilen bestimmten, wurde so zum rationierten, notwendigen Gut. Ohne sie war wenig Kreativität zu haben und vor allem die Menschlichkeit fundamental gefährdet; mit einem nicht regulierten, weil natürlichen Überschuss hingegen waren Effizienz und Harmonie bedroht. Ganz so einfach ließ sich die Existenz des Menschen dann aber doch nicht erklären und anschließend fugenlos technisch beherrschen, wie unter anderen Exempeln auch Xavers Techno-Biografie eindrücklich belegte. Bevor jedoch die historische Situation als existenzielle Belastung hinzugekommen war, waren die damals vorhandenen Augmentate fast problemlos angenommen worden und hatten reibungs- wie tadellos in den Alltag eingefügt werden können. Die pathologischen Fehlentwicklungen, die sich später, vor allem in seinem letzten Lebensabschnitt eingestellt und verschärft hatten, könnten vielleicht eine Reaktion auf individuelle Faktoren sein oder sie waren auf das fast singuläre, zivilisatorische Trauma zurückzuführen; hingen wenigstens irgendwie mit all dem zusammen. Aller technischen Kontrolle und Präzision zum Trotz, blieb also ein kleiner und entscheidender Rest Kontingenz in den Gleichungen erhalten, der aus den Tiefen der Person und von den Rändern deren Lebenswelt her die Existenz bereicherten und damit für Überraschungen aller Art gut blieben. Der metaphysische Albtraum, den frühere Generationen poetisch als Laplaceschen Dämon umschrieben oder nüchterner als Determinismus rationalisiert hatten, war für kleine und mittlere Systeme durchaus zu einer realen und technischen, also physischen Möglichkeit geworden. Der Preis für diesen Grad maximaler technologischer Beherrschung des Bewusstseins fiel zum Glück jedoch derart hoch aus, dass nur Wenige in zu zahlen bereit waren und es für den Rest noch immer genügend rationale wie ideale Gründe gab, ihn nicht zu zahlen, um damit sich selbst und ihrer menschlichen Natur treu zu bleiben.

#9/12 – Das neunte Fragment der blutigen Frühgeburt

Früh am Morgen, verschlafen und wortkarg überreiche ich Euch den nächsten Teil der Geschichte um Xaver und die van Beegers.

Beste Wünsche für den gerade heraufgedämmerten Tag, Euer Satorius


Kapitel 1 – Die Heimkehr des verspannten Fast-Magisters

Teil 9 von 12: Seiten 25 bis 28.

Die Meinungslage im Gedankenkonzil im Vorfeld dieser Entscheidung war uneins gewesen, deshalb war dementsprechend hochkontrovers diskutiert worden. Letztlich hatte sich natürlich klar die Position von Xaver durchgesetzt und ehrlicher Weise hatte er das komplexe Streitgespräch zwischen Xaya, Matrina, Nietzsche und Sokrates manchmal nicht so recht verstanden. Er zweifelte wenig an seiner pragmatische Haltung und war anfänglich nur neugierig auf den Disput gewesen. Im wirklichen Leben hätte er wohl zusammen mit Googol und Hoffmann unbeteiligt dabeigestanden und hätte sich durch seine eigene Initiative selbst zum schweigenden Zuhörer degradiert; ab und zu wohlwollend genickt, dabei interessiert und wissend dreinschauend. Hier aber war er Gott; er klinkte sich also einfach aus und begann seinen pragmatischen Plan endlich in die Tat umzusetzen. Diesem zufolge war der Junge nun abermals mit einer Medizin zu versorgen und sollte durch diese, ohne sein Wissen selbstverständlich, erst ruhiger, dann friedlich und schließlich richtiggehend lammfromm werden. An diesem Punkt angelangt, konnte er über den nächsten Schritt nachdenken. Sofern die Dauer eines Verhörs in einem Verhältnis mit der Schwere des Verdachts oder gar Delikts stand, sah es langsam schlecht für Familie van Beeger aus. Denn mittlerweile waren Herr und Frau van Beeger, nach deren Vornamen hatte Xaver bisher versäumt zu fragen, volle 30 Neu-Minuten in ihr unfreiwilliges Gespräch verwickelt – das waren sie doch noch?

 

„Sie halten das Alles also noch immer für ein riesiges Missverständnis; dann haben sie doch sicher keine Einwände dagegen, noch kurz mit auf die Wache zu kommen, um die Vorwürfe restlos zu zerstreuen?“, drohte der besonnene der beiden Wächter eine nächste Konsequenz an, da er wohl mit dem Verlauf des Gesprächs bis zu diesem Punkt nicht ganz zufrieden gewesen war.

 

„Dreckige Revoluzerbande, ihr gehört sicher zu Demos! Tut nicht so intellektuell, ihr sitzt nämlich zu Recht derb in der Scheiße. Ihr beiden meint wohl, nur weil ihr ein bisschen gebildeter seid als die Meisten und euch geschwollen ausdrücken könnt, wärt ihr was Besseres als Unsereins. Dabei sind nicht wir es, die dem Allgemeinwohl schaden; wir bewahren es sogar – stellt euch das mal vor! Und den ganzen Scheiß hier, nur für so ein paar bescheuerte, total verstiegene Ideale von Vorgestern?“, polterte der kleiner und stämmiger geratene, entschieden weniger besonnene Wächter unwirsch auf die Beiden los – wohl nicht zum ersten Mal. So wie er die Rolle des bösen Wächters ausfüllte, war der Genuss echt, den ihm das Schikanieren der beiden jungen Erwachsensen sichtlich bereitete.

 

Seine Opfer waren soweit man das sagen konnte athletisch gebaut, wirkten jung und gesund und in ihrem exzentrischen Auftreten durchaus attraktiv. Die Beiden waren Xaver bereits in der planetaren Fähre aufgefallen und dabei gleich sympathisch gewesen. Bis auf wenige, routinierte Gesten und Phrasen während Ein- und Ausstieg, waren sie einander nicht wirklich begegnet; dennoch waren das Paar zusammen mit ihrem quirligen Spross die einzigen Menschen an Bord der Fähre gewesen, denen Xaver mehr als nur gutmütige Ignoranz geschenkt hatte. Frau van Beeger war mit ihren exakt vermessenen 1,70m in einen olivenfarbenen, militärisch wirkenden Parker gekleidet, unter dem recht provokant ein pinke Skintex-Strumpfhose ihren Ausgang über die reizvollen Beine nahm, bis sie in neontürkiese Highheels mündete; das seidenglatte, wasserstoffhelle Haar mit den aufgetupften Farbakzenten in Pink, Türkis und Olive trug sie zu drei losen Zöpfen gebunden, dabei halb unter einer ziemlich gewagten, türkisen Fellmütze verborgen. Sie wirkte im Angesicht der hör- und spürbaren Brisanz ihrer Lage enorm selbstsicher und noch immer recht gefasst. Ihr fein geschnittenes Gesicht mit den hohen Wangenknochen, der kleinen spitzen Nase und den großen grünen Mandelaugen eingebettet in ein Antlitz hellen, fast blassen Teints hatte Etwas bezauberndes an sich, wurde scheinbar von innen beleuchtet und dabei kaum durch düstere Emotionen getrübt. Ihr mindestens einen Kopf größerer Partner war in so gut wie jeder Hinsicht eintöniger, aber eben nicht weniger eigenwillig gekleidet; wie er im Moment, fast Schutz suchend, halb schräg hinter ihr stand, in seinen kniehohen schwarzen Militärstiefeln; der derben, weißen Jeans, gefolgt von einem pechschwarzen Kapuzenpulli, auf dem ein seltsam stilisiertes „A“ in weißem Kontrast prangte, dessen Bedeutung Xaver Googol bereits recherchieren ließ. Über seinem unauffälligen, schwarzen Haar trug er einen um so auffälligeren Zylinder, in klassischem Schwarz gehalten mit dem passenden weißen Band, auf dem etwas Unleserliches geschrieben stand. Abgerundet wurde sein Farbthema konsequent von weißen Handschuhen und einer in Weiß verspiegelten Sonnenbrille. Er war keineswegs von Angst gezeichnet, wirkte im Gegensatz zu seiner Gefährtin aber weit weniger zufrieden mit Stand und Lage der Dinge. Intuitiv betrachtet zeigte er damit sogar die plausiblere Reaktion auf die ungewöhnliche Situation. Der Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation bezichtigt zu werden, war nicht eben eine Bagatelle.

 

Die zwei ungleich großen, beide jedoch auf ihre Art bulligen Wächter schienen Mauritius Eltern im Verhör ziemlich hart bearbeitet zu haben. So ertrugen sie wohl schon eine ganze Weile ein wechselnd kühles bis impulsives Kreuzverhör, während sich das Gespräch nun einem entscheidenden Wendepunkt zu nähern schien. Sollte er nun direkt, buchstäblich noch planlos und damit ungewohnt spontan eingreifen? Nein – er musste in aller Schnelle eine instantane Krisensitzung des Konzils einberufen, um ein erfolgversprechendes Szenario auf Basis der bekannten Informationen auszuarbeiten. Den Jungen hatte er zur allseitigen Sicherheit lieber doch nicht mitgenommen. Er war nun besänftigt genug, um guten Gewissens wieder alleine gelassen werden zu können; jedoch sicherlich nicht friedfertig genug um den Peinigern seiner geliebten Eltern ruhig und zurückhaltend gegenüberzutreten.

 

Der entscheidente Hinweis kam wie so häufig vom streitlustigen, aber sehr produktiven Gespann SokratesNietzsche und basierte auf der Annahme, dass die Persönlichkeit der beiden Wächter leicht beeindruckt werden konnten. Der entscheidende Trumpf in diesem Plan waren zwei zukünftige Gelegenheiten, deretwegen Xaver die notwendig gewordene Umsiedlung nach Zentraleuropa unternahm. Seine Hilfe durfte er nun keinesfalls mehr versagen, sonst würden die Armen auf der Wache womöglich weit schlimmeres Übel zu erdulden haben, als wie bisher nur angeschrien und kurzzeitig ihrer Freiheit beraubt zu werden. Eine hypothetische Spekulation von Googol, auf Basis statistischer Auswertungen breit angelegter Netzrecherchen zu Sittlichkeit und Humanität in den Sicherheitsapparaten in Frankfurt Rhein/Main, deren weitere Details teilweise sehr unappetitlich gewesen waren, kaum zu dem ernüchternden Ergebnis: „Die teilprivatisierten Polizeidienste und teilweise autonomen Milizverbände, durch welche die öffentliche Ordnung hier und im Einflussbereich der großen Sieben so gut es geht aufrecht erhalten wird, sind im Grunde noch illegitimer und korrupter als es ihre Auftrageber schon sind. Ethische Normen und moralische Richtigkeit sind reine Glückssache, aber durchschnittlich sehr schwach ausgeprägt.“ Keine gute Prognose also leider für die Eltern des jungen Mauritius; deswegen wurde der sofortige Beistand nun tatsächlich zur moralischen Pflicht. Da ließ der ethische Rigorist Xaver Satorius nicht mit sich reden, jedoch bedurfte es zur Umsetzung dieser klaren Leitlinien der Hilfe und Unterstützung einiger Module.

 

„Moment mal bitte! Darf ich mich kurz einmischen? – Vielleicht kann ich einige Unklarheiten beseitigen“, griff Xaver eventuell gerade noch rechtzeitig verbal in die Situation ein, bevor der aktuelle Aggressionsausbruch des impulsiven Schlägertypen sich vielleicht hätte weiterentwickeln können. Im Verlauf der anfänglich mitgehörten Hasstriade hatte der sich mittlerweile nämlich derart in Rage geredet, dass er jederzeit die Kontrolle restlos zu verlieren drohte. Sein Kollege wirkte trotz aller ihm eigenen Sachlichkeit und entgegen der Dominanz, die ihm sein höherer Rang einräumte, überfordert mit der rohen Emotion seines Partners und hätte wohl irgendwann bequem weggeschaut und so den Konflikt gelöst. So sah man ihm die Erleichterung an, als er die angebotene Einmischung dankend zum Anlass nahm. Von neuem Mut beseelt, stand er Xaver unverhofft und blitzschnell zur Seite: „Halt Kirchner! Lass die Kleinen bitte noch eine Weile in Ruhe – vor allem nicht hier, in aller Öffentlichkeit. Mann!“ gebot er und fragte an Xaver gewandt, „Wer sind sie denn? Sie haben hoffentlich Hilfreiches zum Sachverhalt beizutragen?“

 

„Macht doch alle mal halblang – boah, was’n Dreck! Diese Gören haben sich ihre Tracht Prügel redlich verdient. Die ganze verdammte Menschheit ist am Abkratzen und die haben nichts Besseres zu tun, als in ihrer vielen Freizeit Rebellion zu spielen. Seid froh, dass ihr hier so viele Schutzengel habt und wir nicht alleine unter sechs Augen sind. Wer kommt denn da zur Hilfe: Magister, Mönch oder Möchtegerndiplomat? Was willst du dich denn hier einmischen Alter; jeden Tag eine gute Tat, oder was?“, wurde nun auch Xaver standesgemäß aber erwartbar begrüßt. Wer lässt sich schon freudig die Befriedigung archaischer Triebregungen versagen? Sicher kein Barbar mit Dienstbefugnissen; mögen diese auch noch so gering ausfallen.

#7/12 – Das siebte Fragment der mutigen Erstveröffentlichung (Die Zweite)

Seltsames passiert: Dieser Beitrag war zum chronologisch richtigen Zeitpunkt, vor #8/12 veröffentlicht worden und ist nunmehr verschwunden gewesen. Also liefere ich schnell den Ersatz; denn falls jemand lesen sollte, wird damit ein arges Ärgernis behoben.

Viel Spaß, Euer Satorius


 

Die Heimkehr des verspannten Fast-Magisters

Teil 7 von 12: Seiten 18 bis 21.

„Der praktische Unterschied zwischen technologisch verbesserten Übermenschen wie uns und den zurückgebliebenen reinen Organikern, also den meisten anderen, ist im Alltag dermaßen groß, dass deren erbärmlicher Zustand fast als Fanal eines mit aller Überzeugung gelebten Idealismus der Reinheit durchgehen könnte. Aber das nehm ich ihnen einfach nicht ab, diesen Schwächlingen“, kommentierte Nietzsche gewohnt bissig und übertrieben geschliffen und langatmig, was ihm direkt die gewöhnliche Rüge von Sokrates einbrachte: „Denk doch erst mal – nur beispielsweise! – über die Frage nach, was mit Xavers Mensch-Sein, beeinflusst durch die Technik, in den letzten Jahrzehnten so alles passiert ist; gerade sogar weiterhin passiert, just während wir mit ihm zusammen denken und vor uns hin existieren. Oder frage dich besser gleich auch noch, ob die meisten anderen überhaupt die Wahl haben, sich technologisch zu verändern oder nicht – und ich sage bewusst verändern und spreche nicht vorschnell von Weiterentwicklung oder unreflektiert von Verbesserung. Geborgte Macht ist es vor allem, die unseren Anfragen Gewicht verleiht. Nur ein paar Fragen, Spekulationen und eine Perspektive – schnell aus dem diskursiven Stegreif. Bereits mit deren oberflächlicher Auseinandersetzung könnte dein krudes Weltbild gründlich erschüttert werden!“ Wie stets mischten sich die anderen Module selten in die intellektuell anspruchsvollen, aber gleichzeitig ziemlich provokativ geführten Kontroversen der beiden ältesten Mitglieder des Gedankenkonzils ein. Nietzsche beließ es in diesem Fall überraschend kleinlaut bei der anfänglichen Spitze und reagierte nicht auf die starke Eröffnung seines Kontrahenten. Er wusste wohl wann Schweigen Macht war, nämlich wenn er so verdammt schlechte Karten in einem Disput hatte, wie hier mit der unbedachten Polemik, die ihrem tatsächlichen historischen Vorläufer alle Ehre gemacht hatte. Ein paar dieser reinen Organiker fielen derzeit unangenehm auf. Die zuvor noch so beschauliche Familie fiel nun sogar ihm auf und damit den meisten anderen Passanten und Passagieren sicher schon lange zur Last. Den Kontext würde er sich mithilfe der Umweltprotokolle schnell rekonstruieren lassen müssen und was sich über den Hintergründe noch herausfinden ließ war der notwendige nächste Schritt.

 

Nach einem Bruchteil eines Augenblicks hatte er mit Hilfe von Googol und unter kurzen Kommentaren von Sokrates und Nietzsche den Verlauf der Ereignisse nachvollzogen und steckte nun mitten in den Auswertungen und vor allem bereits in spekulativen Projektionen. Der während der Passage so verzückte und verzückende Spross war seit der unruhigen Landung außer sich geraten, sodass die sorgenden Eltern sich letztlich nach einem längeren, anfangs verdeckt geführten, zuletzt in aller Öffentlichkeit lautstark beendeten Grundsatzstreit doch dazu durchgerungen hatten, die pharmazeutische Hilfe einer der vielen, in diesen melancholischen Tagen gängig gewordenen, vollautomatischen Medizinalstationen in Anspruch nehmen zu wollen. Allerdings hatte an dieser Stelle der Ereigniskette das Schalmassel begonnen. Vielleicht war mit dem Aufenthalts- oder Sicherheitsstatus der beiden Erwachsenen etwas nicht in Ordnung oder deren Bonität bereitete unerwartete Unannehmlichkeiten; eventuell nur ein unglücklicher Zufallsvektor. Was genau los war, das war bisher nicht plausibel zu bestimmen gewesen und sprach damit allen Analysen und Beratungen Hohn. Die Faktenlage bis zum Eintreffen der zwei momentanen Gesprächspartner der Eltern war glassklar, ohne Hintergründe über den persönlichen Status waren all die die Prognosen und Szenarien des Gedankenkonzils praktisch wertlos. Zwar deutete man die Lage einhellig im Sinne subtile sichtbarer Tendenzen hin zu einer möglichen, langsamen Eskalation der Lage, aber das waren müßige, stochastische Spekulationen.

 

Was auch immer wirklich zur aktuellen Lage der beiden geführt hatte, war also im Grunde völlig unklar; was immer sich ereignen würde bahnte sich jedoch gerade vor Xavers sehenden Augen an. Das Vorhaben des Vaters, die ideologisch scheinbar verteufelte Medizinaltechnik zur Beruhigung seines Sohns in Anspruch zu nehmen, war folgenreich gescheitert. Nach der rückwirkenden Verhaltensanalyse war ein Verhaltensprimat, möglichst wenig Aufmerksamkeit auf sich zu wissen und unbehelligt voranzukommen. Letztlich war dieser Vorsatz kapital schiefgegangen; denn die Vorfälle hatten sie zu allem Überfluss nicht nur in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit gebracht. Andere Mächte waren erwacht, sodass die Eltern nur restlos ihrer auffälligen Unauffälligkeit beraubt worden waren. Sie waren seit kurzem in Konfrontation mit den hiesigen Ordnungsmächten geraten und sprachen mit zwei unbehaglich aussehenden Schergen, vermutlich Mitarbeiter der Karlus-Korporation. Da sich die anschließende Diskussion gerade zu entwickeln begann, waren die Nöte des Kleinen auf einmal zweitrangig geworden.

 

So verblieb der Filius ebenso alleine in seinem bedauerlichen Zustand, wie er seine Umwelt umgekehrt lautstark hören und zur Belustigung der wenigen, verstohlen schauenden Schaulustigen auch spüren ließ. Für die vielleicht ernsten Gründe seiner Eltern hatte das verstörte Kind in seiner definitiv ernsten Hilflosigkeit kaum etwas übrig. Außerdem schien derzeit Niemand couragiert genug zu helfen – kein Wunder bei der systemweit herrschenden politischen Neuorientierungsphase. Zivilcourage hatte es ohne Zivilgesellschaft besonders schwer. Nicht nur hier vor Ort in Zentraleuropa war die politische Atmosphäre frostiger geworden. „Du hast sicher Recht mit deiner Überlegung, dass brutale Zeiten brutale Zustände auf den Plan rufen, aber einzig und allein Gutes zu tun kann daran etwas ändern eventuell mit Glück sogar verbessern“, ermunterte ihn ein gemeinsamer Ratschlag von Xaya und Matrina. Diese beiden Module waren sogar zusammen nicht einmal annähernd so lange bei oder besser mit Xaver, wie Sokrates oder Nietzsche jeweils für sich alleine es gewesen waren, genossen aber hier und jetzt aufgrund der ihnen eigenen Kompetenz- und Zuständigkeitsbereiche eine höhere Priorität in den Beratungen des Konzils. Zumal sie für die Zukunft von so entscheidender Bedeutung waren, dass ihnen effizientere Einflussnahmen möglich waren – ein Privileg, das Xaver ohne Weiteres annullieren konnte, aber aus guten, weil gesunden Gründen nicht für ratsam hielt.  

 

Den Verlauf der Ereignisse bis hier hin hatte er sich also fluchs aus den Protokolldaten seines Umweltsensoriums, einmal auf alles aufmerksam geworden, rekonstruieren können und nun waren Entscheidungen zu fällen. Von der Situation ergriffen und angetrieben von den Impulsen der nur zufällig einzigen beiden weiblichen Modulen aus der Lähmung durch seinen hyperrealen Äther aufgeschreckt, wurde er sich der unerwarteten Wendung und des damit drohenden Finales der anfangs noch so tröstlichen Familiengeschichte gewahr – förmlich von der Komödie zur Tragödie – und konnte nicht anders, als sich entgegen seiner kompletten Gewohnheit und gegen jede Erwartung stärker zu interessieren. Sollte er sich nun wirklich einmischen, vielleicht wenigstens dem Kind zur Hilfe kommen, wenn schon nicht den Eltern zur Seite zu stehen. Wer aktiv leben wollte, musste handeln – und nun hatte er mutig einen weiteren Schritt in dieses aktive Leben zu gehen.

 

Nur wie – und ob wirklich in letzter Konsequenz –, das musste nun zunächst entschieden und dann noch theoretisch ersonnen werden, um überhaupt je praktisch bewerkstelligt werden zu können. Es galt einiges aus verschiedenen Bereichen gegeneinander abzuwägen. Die beiden stämmigen Kerle zu aller erst, die sahen reichlich ungemütlich aus, in ihren robusten, in mattem Blauschwarz schimmernden Körperpanzern, mit all den Indizien latenter Aggression und steter Gewaltbereitschaft. Problematisch war die professionelle Befugnis Beidem nach eigenem Ermessen Ausdruck verleihen zu können und zu dürfen. Besorgnis erregten in dieser Richtung besonders die ersten zögerlichen Anzeichen kaum gebändigter Impulsivität, die bei dem kleineren der beiden Ordnungshüter just aufkeimten; auch wenn sein größerer Kumpane so wirkte, als brächte er das nötige Übermaß an Ruhe und Besonnenheit mit, um hier mit seiner Präsenz einen Ausgleich zu schaffen.

 

Aus historischer Erfahrung wusste Xaver, dass das Verhalten von Menschen, die am unteren, ausführenden Ende ungerechter und ungerechtfertigter Hierarchien ihren Platz gefunden hatten, unberechenbar sein konnte und einer fatalen, charakterlich-enthemmenden Dynamik unterworfen war. Das unwürdige Nebeneinander von demütig-feigem Desinteresse einerseits und gehorsamer bis geheuchelter Empörung andererseits, das eine kurze Sondierung der sozialen Dynamik ergab, rief in ihm Erinnerungen an Ausflüge in Erfahrungs- und Wissensnetze wach. Leider waren es Inhalte aus dunkelsten Kapiteln der Menschheitsgeschichte gewesen. Sah man gutmütig von der historisch zufälligen Fortschrittlichkeit der Oberflächen ab, hatte man ein immer gleiches, stereotypes Szenenbild einer im Kern faschistoiden und inhumanen Zwangsgesellschaft und ihrer typischen Rollenmuster vor sich. Menschen übernahmen dabei nach Zahl und Temperament die ihnen gemäße Rolle im System: Opfer, Täter, MitläuferHeld oder Märtyrer? Worum es hier ging war Verantwortung, nicht bloß eine Frage der Konformität also, sondern eine von ehernen Prinzipien höchsten Rangs – in Fragen von Ethik und Moral brauchte Xaver keine Beratung; von Niemandem. Die wohl fundierten Überzeugungen jedoch zum unbedingten Gesetz des Willens zu machen, hätte zu viel des Guten für den Anfang bedeutet. „Glücklicherweise muss jede Moral gewordene ethische Überzeugung, ein ihr entsprechendes Können vorfinden, um zur moralischen Pflicht zu werden. Klassisch gesprochen: Sollen impliziert Können“, gab Matrina die Eröffnung. „Die Kerle können und dürfen weit mehr als wir, also leg dich bloß nicht dummdreist, außerdem schlecht aufgewärmt direkt mit den Platzhirschen an!“, führte Xaya den Gedanken wie zufällig und auf ihre eigene, schnoddrige Art zu einem Ende.

 

Ein Heiternis gegen die öffentliche Moral

Heute biete ich zur Abwechslung einen Text anderer Qualität; mal wieder in einer anderen Rubrik erscheinend. Der Ausschnitt stammt aus meinem persönlichen Lieblingsbuch – ja, ich getraue mich diesen Superlativ zu gebrauchen. Denn diese Trilogie mit dem klangvollen Obertitel Illuminatus! hat meinen Lebensweg entscheidend geprägt. Nur soviel sei gesagt an dieser Stelle, zu dieser Zeit.

Gespenstisch und sympathisch zugleich, wie häufig der Terrorist auch mit diesem neuerlichen Text-Fast-Food wieder meinen Geschmack getroffen hat. Es war ruhig geworden in der Anschlagsserie gegen die „Stabilität der öffentlichen Moral“ (Wächterrat von Quanzland – Zensor Silvan Teebau, Monatliches Schwarzbuch subversiver Tendenzen – Januar 2015: S. 1;S. 3; S. 6; Passim und ff.); doch jetzt fand ich auf meinen Wegen wieder einmal ein neues Exemplar – dieses mal aus der Gruppe der ausgewiesen kurzweiligen Heiternisse.

Der hochverehrte Autor hatte bereits einen Auftritt mit einer anderen Trilogie, weswegen ich Euch und mir erneute Huldigungen und Lobpreisung erspare. Dieses Meisterwerk – soviel sei mir erlaubt – entstammt einer Kooperation von Robert Anton Wilson und Robert Shea. Seine drei Bände warten mit den Untertiteln Das Auge in der Pyramide, Der goldene Apfel und Leviathan auf. Sehr skurrile Episoden mit noch skurrileren Charakteren parodieren die Weltgeschichte und spinnen nebenbei wilde Fiktionen, die ihrerseits untergründig miteinander verschränkt sind. Ein wenig Liebe zu einer teilweise manierierten Diktion, ziemlich derbem Humor und satirisch-schonungsloser Offenheit vorausgesetzt, steht dem heiteren Leseereignis nichts im Wege. Nun aber genug angedeutet und kurz an-rezensiert, hier der kürzlich gefundene Texthappen.

Gute Nacht und liebe Grüße, Euer Satorius


Er liebte es, stundenlang damit zuzubringen, über das wilde, mit Kakteen bestandene Ödland zu starren, obgleich er nicht wusste, warum. Hätte man ihm erzählt, dass er der Menschheit symbolisch den Rücken zukehrte, würde er es nicht verstehen, noch würde er sich beleidigt fühlen; die Bemerkung wäre für ihn vollkommen irrelevant. Hätte man hinzugefügt, er sei selbst eine Kreatur der Wüste, wie etwa das Gilamonster oder die Klapperschlange, würde es ihn höchstens langweilen, und er würde einen als Narren bezeichnen. Für Carmel waren die meisten Menschen auf der Welt Narren, die ständig bedeutungslose Fragen stellten und sich bei Nebensächlichkeiten aufhielten; nur ein paar wenige, und er war einer von ihnen, hatten entdeckt, was wirklich wichtig war – Geld – und dem jagte er unbeirrt und skrupellos nach. 

Robert Anton Wilson (1932 – 2007) & Robert Shea (1933 – 1994), Illuminatus! – Das Auge in der Pyramide (Band 1): S. 23 (Der erste Trip, oder Kether; 1977)

#8/12 – Das achte Fragment der blutigen Erstveröffentlichung

Ein digitales Lebenszeichen: Piep .. Piep .. Piep – wo zuvor nur ein langgezogenes Piiieeeppp zu hören war. Das schöne an einem freien Blog ist; wenn man keine Zeit und kein Bock auf den Blog hat, dann lässt man es eben einfach. Ihr, wenn es Euch denn bereit gibt oder irgendwann geben werdet, verzeiht es mir sicher gerne. Wer ist dieser Tage nicht selbst beschäftigt und findet daher zu wenig Zeit für zu viele Vorhaben?

Mit dem Auftritt von Mauritius van Beeger schließt sich der erste Passant auf Xavers Handlungsreise ins Ungewisse an. Dabei wächst der Fast-Magister über sich hinaus. Weiter geht es also – langsam aber stetig dem Ende der kurzweiligen Erzählung entgegen: Viel Vergnügen mit Teil 8!

Ein wirklich aus seiner tatsächlichen Heimat heimgekehrter Satorius wünscht eine gute Woche!


Die Heimkehr des verspannten Fast-Magisters

Teil 8 von 12: Seiten 21 bis 25.

Wenn er in wenigen Wochen tatsächlich bereits mit der Instruktion und Formung von jungem Bewusstsein sein Auskommen verdienen wollte, dann sollte ihn diese Situation keinesfalls überfordern. War dem Kind erst einmal geholfen, konnte er womöglich im Anschluss sogar doch noch den Eltern beistehen, je nach dem, wie ernst deren Lage dann sein würde. Der Test seiner Überzeugungen kam oder kam eben nicht; unweigerlich und notwendig. Nach seinem Wissensstand ging die örtliche Exekutive schon nicht gerade unter den Prinzipien der Humanität mit ihren widerspenstigen Bürgern um; da wollte er sich gar nicht erst ausmalen, was Fremden Drakonisches drohte. Hoffentlich waren die Gründe für die Verwicklung trivialer Natur und die polizeiliche Willkür würde schlimmstenfalls entwürdigend ausfallen. Dessen Vermeidung konnte aber nötigenfalls ein Fernziel sein, Nahziel musste und sollte ein anderes sein: Die Entscheidung war gefallen, nun galt es diese in die Praxis umzusetzen.

 

Hier auf dem Planeten seiner Geburt, am zweiten Etappenziel seiner noch gut zwei Neu-Wochen dauernden Reise in seine nahende, berufliche wie private Zukunft, wagte er den Sprung. Unter strenger Begleitung durch Matrina versuchte er sich zu Erheiterung des Kleinen an etwas radikal Neuem – Kompromisslosem. Die Eltern führten währenddessen ihr unangenehm investigatives Gespräch einige Meter entfernt, in einem abgeschirmten Konsularbereich und waren dadurch von ihrem Sohn abgeschnitten worden. Wohl eine perfide bis schikanöse Demonstration von Macht, wo doch offensichtlich war, dass dem Kind Zuwendung, Trost und vielleicht sogar Medizin fehlten. All das zu geben, war Privileg und zugleich erstes Bedürfnis sorgender Eltern, wurde diesen hier aber verwehrt. Das noch immer schreiende Kind war damit wohl eher Auslöser, denn Gegenstand der Debatte gewesen.

 

Während Xaver entschiedenen Schrittes und optimal vorbereitet auf den unruhig umherlaufenden Jungen zuging, schickte er sich gerade an, seine bestmögliche Umsetzung einer gewagten Interventionstaktik zu inszenieren: Erschrecken und Verblüffen! Eindrucksvoll war für die dutzenden Zuschauer sicher der absurde Kontrast eines zunächst bieder daherschlurfenden Magisters in der puristischen Ordenstracht, der sich abrupt, ohne jede Ankündigung und in sekundenschnellem Übergang farbensprühend in einen clownesken Paradiesvogel verwandelte. Farblich gingen nüchternes Grauweis und tristes Alltagsgrau über in die schrillsten nur vorstellbaren Tönungen und Kombinationen aller Regenbogenfarben. Klanglich wurde diese gutmütige Attacke untermalt von einer, nur eng gebündelt in Richtung des Kindes wahrnehmbaren, akustischen Bühne: Auf einen quäkenden Alarmton folgte ein Tusch und daraufhin amüsante Zirkus-Musik, die einem ohne das man sie eigentlich so recht mochte, trotzdem einfach ein Lächeln aufs Gesicht gezaubert hätte. Olfaktorisch und haptisch wurde dem Jungen eine konfuse Abfolge von angenehmen Gerüchen und wohligen Gefühlen bereitet, soweit das telemanipulativ eben möglich war. Leider konnte er den Geschmackssinn nicht ansprechen – noch nicht, wenn das dann überhaupt noch nötig sein sollte. Er hatte einen kurzen Sketch mit Elementen aus Pantomime und Slapstick in den Netzen gefunden, den er dank Xayas kinetisch-mimischer Kompetenzen schon perfekt beherrschte. Als Lohn für seinen couragierten Einsatz erntete er auch prompt einiges an verkniffenem Lachen und sogar etwas ersticktes Prusten von den vorbeieilenden Passanten; zu klatschen traute sich aber keiner und glücklicherweise nahm niemand Anstoß an der ungewöhnlichen Aktion. Ansonsten sorgte der Einsatz, der fabelhaften Technologie sei Dank, für erstaunlich wenig Aufsehen und vor allem für den gewollten Effekt. Der Junge hielt sofort erschrocken inne und schaute erst einmal nur verdutzt drein. Seine Aufmerksamkeit war nun absolut bei Xaver, vergessen aller Verdruss von zuvor; absorbiert von der Magie des Augenblicks, stand er einfach nur ungerührt da. Während er der Darbietung mit fast allen Sinnen folgen konnte, hob sich seine Stimmung sichtlich und gegen Ende der kleinen Show lachte er sogar herzlich und strahlte fast wieder so, wie noch vor der Landung in seinem Spiel und bei seinen Eltern.

 

„Es freut mich wirklich, dass meine kleine Einlage dich erheitern konnte“, wandte sich Xaver, nach seiner letzten Drehung noch außer Atem und leicht schnaubend, an sein Publikum – den nun wieder fröhlichen und neugierig zu ihm aufschauenden Jungen.

 

„Das war einfach spitze! Wie hast du das gemacht – bist du ein Zauberer?“, war die kindlich direkte Antwort mit der unweigerlichen Anschlussfrage.

 

„Danke und sehr gerne geschehen. Mein Name ist Xaver Satorius und nein – ich bin kein Zauberer, aber so etwas Ähnliches vielleicht schon“, stellte er sich kurz vor und erklärte dann: „Das eben waren bloß ein paar teuere, technische Spielereien. Ein Wunder, dass die noch nicht eingerostet waren.“ Ohne diese Spielereien hätte er nicht einmal mit dem Kleinen reden können. Denn dieser sprach sicherlich kein Neo-Latein, was aber auch nicht nötig war. Er besaß mit Googol nämlich einen sehr potenten Simultanübersetzer und seit der Auswertung der sensorischen Protokolle wusste er mit hoher Wahrscheinlichkeit, dass die Familie sich in Deutsch unterhalten hatte.

 

„Hallo. Ich bin der Mauritius van Beeger und eigentlich darf ich gar nicht mit dir sprechen. Soll nämlich nicht mit Unbekannten sprechen. Du warst aber so lustig und lieb, da mache ich eine klitzekleine Ausnahme. Aber bloß nichts der Mama sagen – pssst!“

 

„Wir sind doch schon zusammen in der Fähre gewesen. Also sind wir sogar nicht einmal wirklich Unbekannte. Ich saß nur ein paar Reihen hinter euch, aber in meiner Ordensrobe bin ich weit weniger auffällig, als jetzt gerade.“ Daran erinnert, wie exzentrisch bunt er noch immer dastand, deaktivierte er das Körperfeld. Sofort erlangte er seine alte Erscheinung zurück – mal abgesehen von den psychedelischen Verzerrungen, die den Übergang notwendig begleiteten. Nun unterhielt sich ein unscheinbarer, erst auf den zweiten, genauen Blick hin eindrucksvoller Mann mit schwarzen, schulterlang und glatt herunterhängenden Haaren, deren Grauanteile unverkennbar waren, mit einem Halbwüchsigen, der blass und pausbäckig dastand, mit seinem rot-blonden Lockenkopf. Dort standen ein 1,90m Riese und ein 1,20m Zwerg beisammen und sprachen trotzdem auf Augenhöhe. Unterdessen wurde der Riese innerlich von seinen Elfen Xaya und Matrina und den Kobolden Sokrates und Hoffmann mehr oder weniger frenetisch bejubelt und zu seinem Erfolg beglückwünscht.

 

Der Junge überlegte erst angestrengt, kam aber dann rasch zu dem Ergebnis: „Ich kann mich wirklich nicht an dich erinnern Herr Satorius. Aber ist ja nicht schlimm – die Ausnahme!“ Er zwinkerte Xaver kess zu und begann sich fragend umzusehen.

 

„Du fragst dich sicher, wo deine Eltern sind, oder?“, nahm Xaver erstaunlich feinfühlig den situativen Faden auf.

 

„Oh ja, da kamen vorhin so zwei dumme Kerle und haben sich aufgespielt. Dann haben sie Mama und Papa einfach mitgenommen und zu mir gesagt, ich soll hier warten und ruhig sein. Doof waren die! Besonders der Kleine war richtig fies!“, schloss er und schnitt eine unflätige Grimasse.

 

„Geht es dir denn gesundheitlich soweit wieder gut genug, um deine Eltern suchen gehen zu können oder soll ich dir erst etwas Medizin machen – ihr wolltet doch gerade Medizin holen als ihr vorhin unterbrochen wurdet?“, erkundigte er sich daraufhin neugierig und zugleich sorgenvoll bei Mauritius. Er hatte den Jungen auf Anhieb gemocht und war bis hierhin selbst von seiner Extraversion und dem ziemlich erfolgreichen Einstand überrascht – technische Unterstützung hin oder her, er war gut.

 

„Jetzt, wo ich mich wieder beruhigt habe – mir ist schon noch ein bisschen komisch im Bauch und Kopf-Aua hab ich auch noch ganzschön dolle. Aber gar nicht so schlimm, wie ich vorhin noch gedacht habe. Blöde Fähre, blöde Landung!“

 

„Warte kurz und vertraue mir. Ich habe immer eine Art Medizinschrank – oder besser noch eine Art Apotheker bei mir und da hol ich dir jetzt schnell deine Medizin her“, bot Xaver freimütig an und erteilte zeitgleich Hoffmann den Auftrag, ein nebenwirkungsfreies Universalpräparat gegen leichte Übelkeit und Kopfschmerzen mit saurem Zitrone-Ingwer-Aroma herzustellen.

 

„Das wäre toll. So was kannst du auch noch? Sei ehrlich – du bist doch ein Magier oder sogar eine Art Superheld“, erstaunte sich der Junge als Xaver unter seinem Gewandt ein daumengroßes, intensiv gelbes Bonbon hervorholte und ihm auffordernd hinhielt. „Her damit – mhh, lecker!“, schmatzte der Kleine munter vor sich hin und genoss seine leckere Medizin sichtlich.

 

Dass diese Medizin ein hochwirksames Erzeugnis erlesenster Hochtechnologie war, zeigte sich bereits wenig Momente später. Zu Mauritius wiedergewonnener Heiterkeit gesellte sich nun eine körperliche Spontangenesung, was bei Kindern diesen Alters und von vergleichbarem Temperament leicht zu Überschwang frühen konnte und zu Xavers Leidwesen in den folgenden 10 Neu-Minuten auch führte. Anfangs wurde er nur etwas lauter und wortreicher, dann zunehmend unruhig und schließlich hibbelig, frech und vorlaut. Mit der Begründung, eine zweite Medizin wäre trotz allem doch noch von Nöten, sollte dieser unschöne Verlauf nun jedoch subtil gedämpft werden. Er tat zwar insgesamt Gutes, aber diese Zwangsmaßnahme gegenüber dem Bewusstsein des Jungen hielten einer ethischen Prüfung kaum stand; selbst konsequent folge-ethisch bewertet, war sein Verhalten gegenüber Mauritius bestenfalls eine Gratwanderung und das finale Urteil hing noch von der Zukunft und schlechterdings dabei von Glück ab. Er zögerte den anstehenden Gang zu den Eltern nicht nur deshalb heraus, weil er sich vor ihm und seinen Gefahren scheute, sondern weil der Junge vor seinen Augen zu einem eklatanten Sicherheitsrisiko mutiert war. Hätte er den kleinen Raufbold nicht in Zaum gehalten, so wäre der wohl schnurstracks zu den beiden Ordnungshütern gegangen; dort hätte er sich dann theatralisch aufgebaut und seinem Unmut schonungslos Luft gemacht. Mit seinem quäkenden Stimmchen und in Worte, die seinem Alter alle Ehre gemacht hätten, wäre er für das Recht auf Eltern ungleich mutiger gewesen, als es Xaver sich gerade selbst zutraute. Wahrheit und Direktheit standen derzeit jedoch nicht überall hoch im Kurs. Ein, wie er nunmehr wusste, Fünfjähriger konnte den Ernst der Lage gründlich missverstehen. Besonders dann, wenn es ihm zu gut ging und er weiterhin derart sehnlich sein Eltern vermisste. So galt es abzuwägen, zwischen der Freiheit des Kindes und der Sicherheit aller Beteiligten inklusive eines leidenden Kindes.

#6/12 – Horcht auf: Der Frischling darf beschaut werden

Ernüchtert vom Karneval und frei nach dem Motto: „Viele Zeichen publizieren, wenige selbst fabrizieren“, geht es ohne allzu viele Umschweife weiter mit Teil 6. Der Blick wandert dabei weiter von innen nach außen; von der Vorstellung zur Welt; von der Vergangenheit in die Gegenwart – schließlich langsam von der Meditation zur Aktion. Es entsteht also, wenn auch nur zaghaft so etwas wie erste Bewegung und damit der Anfang einer Handlung.


Die Heimkehr des verspannten Fast-Magisters

Teil 6 von 12: Seiten 16 bis 18.

So auch hier in Frankfurt Rhein/Main einem der größten aktiven Raumknoten in Zentraleuropa, inmitten einer der größeren Lebenszonen, die es derzeit im alten Europa noch oder besser – bereits wieder gab. Der Blick nach Osten wurde vom erdrückenden Anblick der hiesigen Orbitalanbindung unweigerlich aufgehalten. Obwohl diese organisch-stählernen Ungetüme aus der Ferne betrachtet wie elegant geschwungene, lässig aus dem losen Spinnennetz der Orbitalstationen heruntergelassene Kabelstränge wirken, stellten sie aus der Nähe besehen das Gegenteil von Lässigkeit und Eleganz dar. Mehr als 120° des Panoramas, mehr als eine ganze Himmelsrichtung also, waren hier verschwunden, verdeckt durch einen Transportkanal mit einem Durchmesser von gut drei Kilometern. Seine düstere Bedrohlichkeit, verstärkt durch die vielen Anbauten, die aussahen wie Auswüchse, wurde aus der Nähe durch die vielen Lichter, die schimmernden Sphären und den Flugverkehr gemildert. Diese gigantischen und lebensspendenden Bauwerke beeinflussten sichtlich sogar das Wetter. Im Bereich des künstlichen Massivs bildeten sich lokale Abregnungszonen, sodass es im Kerngebiet Frankfurts fast ständig regnete. Technisch als zusätzliche Kühlung einkalkuliert, wurde dieses Phänomen dieser verlustreichen Tage zu einem noch gewichtigeren Faktor in der Geopolitik als jemals zuvor. Wasser konnte zwar natürlich noch immer künstlich erzeugt werden, aber nur zu Energiekosten, die seine Eigenenergie um ein Vielfaches überstiegen – ergo war Energie mehr als Geld und damit derzeit wertvollste Ressource. Für die Bewohner Frankfurts bedeutete dieser Umstand aller ökonomischen Vorteile zum Trotz ganz konkret, ziemlich miserables Wetter.

 

Aus der Ferne besehen hatte der Dauerregen eine atemberaubend schönen Nebeneffekt: Lokal derart stark begrenzt bilden sich in den Übergangszonen Myriaden vielgestaltiger Formationen von Regenbögen. Diese veränderten sich ständig, verblassten und tauchten überraschend wieder auf – tanzten beinahe einen spielerischen Reigen. Neben dem Regen war nämlich eine unruhige Thermik und entsprechende Winddynamik weitere meteorologische Nebeneffekte des tiefen Eingriffs in das chaotische System Wetter. Wollte so wundersam, wie wunderschön und zugleich symbolträchtig inszenierte Hoffnung für finstere Propagandazwecke instrumentalisieren, so hätte man diese Anblicke konservieren sollen. So oder so ähnliche Phänomene boten sich vermutlich weltweit im Anflug auf die Lebenszonen dar, welche sich wie viele andere um die intakt gebliebenen Transportkanäle herum gebildet hatten. Das angedeutete Schattenphänomen rundete das spektakuläre Panorama noch ab, indem es dem utopisch schönen Farbenspiel der Lichtseite die triste Unwetterdüsternis der Schattenseite entgegensetzte. Der Gesamteindruck wäre in einer ästhetischen Beurteilung bestenfalls als kitschig weggekommen, war aber in seiner Unwirklichkeit berauschend. In Gegenrichtung zur aufgehenden Sonne und wurden die westlich liegenden Bereiche der Metropolregion in künstliche Dunkelheit getaucht. In solchen Schattenbereichen, wie dem hier im Westen von Frankfurt, funkelten derzeit nur die sporadisch gestreuten Lichtfunken der Lebenszonen, dort wo früher einfach alles lebendig und fast immer hell gewesen war; alles ständig im Glanz der künstlichen Sonnen vor Leben pulsiert hatte. Heute hingegen lebten die unter den Überlebenden, welche Zivilisation und damit Sicherheit schätzten, in ausgewählten und abgegrenzten Bereichen innerhalb der Ruinen des einstigen planetaren Utopias. Global betrachtet lagen aber wenige der diversen Schutzzonen im Bereich eines der wandernden Schlagschatten, aber so nah am Zentrum einer Macht, wie hier in Frankfurt Rhein/Main, war man spendabler mit den raren Ressourcen.

 

Dies alles aber nahm Xaver nicht sehenden Auges wahr, sondern höchstens als ein Datum unter vielen in einer Reihe von, stark gefilterten, kategorisierten, insgesamt zugerichteten und verarbeiteten Informationen. Neben der Freude über die Schönheit, hätte er sicher einiges an Wissenswertem zur Geschichte dieser Region beigetragen, aus dem Fundus an Fakten, die er sich in seinen ausschweifenden Vorabrecherche angeeignet hatte. Zur düsteren Monotonie der globalen Vogelperspektive und der ambivalent-kitschigen Note der Fernsicht hätte sich letztlich unweigerlich doch wieder bittere Depressivität gemischt. Gespeist aus sich unvermeidlich aufdrängender, historischer Einsicht, beim schonungslosen Blick auf den aktuellen Zustand des nackt und geschunden daliegenden Planeten. Ein Vergleich zum Status von vor gerade einmal 10 Sonnen-Jahren ergäbe, dass dieser Planet in großen Teilen buchstäblich ausgestorben und ruiniert war. 150 Sonnen-Jahre Entwicklung und Fortschritt, in denen und durch die das Antlitz der Erde von einer radikalen Urbanisierung ebenso radikal umgestaltet – nein weitergestaltet worden war. Die Entwicklung von der Klein- zur Großstadt, weiter zur Metropole und schließlich zur Metropolregion ohne klare Grenzen zueinander, folgte einer schlichten, weil räumlichen Logik. Dass natürliche Zwischenräume, einem Reservat nicht unähnlich, hierbei ausgespart wurden, folgte einer ebenso schlichten ökologischen Überlebensstrategie. Die einst als Utopie ersten Ranges gehandelte globale Homöostase hatte sich tatsächlich wieder herbeiführen lassen und konnte sogar über Dekaden hin stabilisiert werden. Damit wurde ein Gleichgewichtszustand aller beteiligten Systeme ohne gleichzeitige Stasis derselben konserviert – hier konkret und grob die Balance zwischen technisierter Menschheit und konsumierter Umwelt. Dieser traumhaft scheinende, wohl aber in Wirklichkeit rigide gelenkte und aufwendig optimierte Zustand war abrupt implodiert. Mental endeten die Überlegungen wie notwendig wieder an dieser Zäsur im nachdrücklichsten Sinn dieses Substantivs – immer wieder beim solaren Kollaps.

 

Unterdessen gelang es auch der spektakulären, bunten Vielfalt und ausnehmenden Hektik der näheren Umgebung mit ihren Holofenstern, öffentlichen Netz-Schnittstellen, Terminals und Gates für Transportröhren und Fähren nicht, Xavers Aufmerksamkeit im Außen zu binden. Nach den vielen Jahren des Rückzugs schenkte den ungewohnten Massen an Mitmenschen, die um ihn herum geschäftig vorüber eilten, ein erschreckend geringes Maß an Zuwendung, welcher Art auch immer. Damit schlug er mehrfache die überzeugend und sensibel vorgetragene Ermunterung Matrinas aus, sich auf ein Gespräch oder wenigstens irgendeine Art der Konfrontation mit einem menschlichen Gegenüber einzulassen. Sogar die vielen, attraktiv aufbereiteten und reizvoll dargebotenen Waren und Dienstleistungen, die hochkarätigen Erfahrungs- und Wissensangebote, die ein zentraler, dynamischer Ort wie dieser so hervor- und mit sich brachte, nahm er nicht ihrer öffentlichen, physischen Gestalt wahr. Denn er war seit der Landung hyperreal absorbiert, durch eine persönlich getroffenen derselben Informationsquellen – blind für die reale Welt, geblendet durch die unermesslichen Möglichkeiten seiner diversen Körpertechnologien. Er hatte sich durch deren Hilfe die Situation seinen individuellen Bedürfnissen entsprechend schön zurechtgeschnitten, sich nur das für ihn relevante an Daten aus der Umwelt zugemutet und vor allem aus den nun verfügbar gewordenen Netzen geschöpft. Diesen fein verlesenen Anteile an und Perspektiven auf die Realität hatte er sich, abgeschirmt durch den Reisekokon, im Gedankenkonzil dann auf seine ganz persönliche Art und Weise in seine selbst konfektionierten hyperrealen Welt geholt und dort gefügig und beherrschbar gemacht. Kaum noch etwas Fremdes war noch an ihr; alles war wohlig fabriziert.

 

Derzeit standen weitere Datenakquise und primär die Integration der gewonnen Erkenntnisse in die weitere Reiseplanung sowie eine abschließende Diskussion der Analyseergebnisse an. Das große Quanten an Arbeitszeit und kognitivem Potenzial auf verstiegene Fragekomplexe und deren unnötige Vertiefung hin verschwendet wurde, die aktuell im augmentalen Fokus lagen, fiel bei den vorhandenen Kapazitäten erstaunlich wenig ins Gewicht. Denn die sechs Module waren nun allesamt erwacht und das Konzil insgesamt funktionierte somit nun wieder tadellos. Für die übrigen Augmentate galten, nach sorgfältiger Prüfung durch den nicht gerade wortgewandten, wohl deshalb meist sehr schweigsamen Hoffmann volle Funktionsfähigkeit und uneingeschränkte Einsatzbereitschaft: „Läuft! Alles klar SchiffChef, äh, Xaver…“, lautete der logisch etwas verunglückte Missbrauch einer alten Redewendung durch das Modul. Die anderen Module nahmen wie häufig wenig Rücksicht auf die Befindlichkeit des schüchternen, sozial unsicheren Praktikers, als sie sich ob seiner verbalen Entgleisung je nach Charakter, Temperament und Sympathie mit oder über ihn amüsierten. Am Ende geboten die nüchtern-effiziente Xaya und der genervte innere Avatar von Xaver dieser heiter-peinlichen Episode Einhalt. Das was man gewöhnlich Ich nannte, wurde innerhalb der hyperrealen Existenz des Gedankenkonzils durch eine frei gestaltbare Selbstrepräsentation – einen inneren Avatar bezeichnet; ebenso übrigens, wie die semiautonomen Module, die ihr Aussehen innerhalb gewisser von Xaver definierter Grenzen selbst bestimmten. Was hierbei an Skurrilem zu Tage trat, war oftmals unbeschreiblich – wie vermutlich überhaupt das Erleben hyperrealer Daseinsformen teils neuer Gestalten der Sprache bedurfte. Da reichte selbst das semantisch hochpotente Neo-Latein nicht annähernd aus. Die bürokratischen Formalitäten der nomadischen Ankunft jedoch, die im Normalfall vielleicht höchst nervenaufreibend gewesen wären, glichen einer Selbstverständlichkeit. Er konnte sich ihrer aller mit nur wenigen vorab abgelegten Gedankenpaketen und einer simplen, terminierten Datenroutinen, buchstäblich also im Vorübergehen, entledigen. Wobei die enthaltenen Signaturen zweier seiner potenziellen Klienten wohl eine wesentliche Rolle gespielt haben dürfte.

#5/12 – Horcht auf: Ein Frischling darf beschaut werden

Während sich der Männerschnupfen nach drei Tagen endlich zurückzuziehen beginnt, steigt die Vorfreude auf Rosenmontag. Zeit für Teil 6 der Serie bleibt aber auf jeden Fall. Falls es jemanden wundert, dass die Serie nun auf einmal 12 Teile und 35 Seiten hat: Mein Freund gab mir heute ein erweitertes Ende. Ich jedenfalls habe gegen eine wundersame Text-Vermehrung nichts einzuwenden.

Einen weiterhin rauschenden Karneval oder einen erholsamen Nicht-Fasching (Die Karnevalisten haben aber mindestens einen freien Tag mehr nächste Woche ätsch), Euer Satorius


Die Heimkehr des verspannten Fast-Magisters

Teil 5 von 12: Seiten 13 bis 15.

Vor 10 Sonnen-Jahren aber, da war aus seinem Makel quasi über Nacht und auf einen perversen Schlag hin eine Art Stärke geworden. Er war emotional ungebunden und zugleich praktisch unabhängig, ohne jede ernsthafte Anhaftung. So konnte er schneller und effizienter als die meisten reagieren und den Starschuss geben: zu seiner ersten, letztlich erfolgreichen Flucht! Er blieb von dem milliardenfachen Verlust geliebter Angehöriger in seiner abrupten, ja brutalen Direktheit verschont und hatte sich seelisch gesünder über die ersten Jahre retten können. Insgesamt hatte sich der Einzelgänger Xaver Satorius auf einmal besser zu behaupten vermocht. Der zu höchster Abstraktion befähigte Magier in ihm und insbesondere die ebenso stark ausgebildete Fähigkeit des Narren, sich in verstiegene Illusionen und Para-Realitäten zu flüchten und über diese die tatsächlichen Nöte des wahren Sonnensystems zu verschleiern, waren aufgewertet worden. Hätte er doch damals bereits geahnt, wohin ihn die zweite Flucht über Jahre hinweg führen würde: ins selbst gewählte Exil eines bestenfalls selten noch technologisch-sozialen Daseins; von der wirklichen Lebenskompetenz zur bloßen Text- und Informationskompetenz; ins hyperreale Elysium des Gedankenkonzils.

 

Macht und Militär, Misstrauen und Mord hatten seit dem solaren Kollaps das Regiment in großen Teilen dessen übernommen, was zuvor so unwahrscheinlich lange gewährt hatte. Eine in globalem, mehr noch solaren Maßstab herrschende Phase dauerhaften, institutionalisierten Friedens war jäh zu ihrem Ende gekommen. Es hatte zwar immer Interessenkonflikte, Differenzen und unterschiedliche Visionen der eigenen Zukunft gegeben, aber diese waren politisch ausgeglichen und nutzbringend kanalisiert worden. Keineswegs waren Harmonie oder Einheit dabei die leitenden Ideale gewesen, sondern Respekt, Pluralität – nicht bloß Pluralismus – und Klugheit. Nicht paradiesisch also war dieser Abschnitt der Menschheitsgeschichte verfasst gewesen, aber derart politisch organisiert und durch Traditionen gebunden, dass die solare Menschheit eine zivilisatorische Blütezeit ungeahnten Ausmaßes hatte hervorbringen können. Die krassen Unterschiede in technologischer, infrastruktureller und sozialer Hinsicht, welche in der Mitte des 21. Jahrhunderts als unüberwindlich gegolten hatten, waren in der anschließenden Epoche nachhaltig und welt-, ja systemweit ausgeglichen worden. Für einen Intellektuellen seines Ranges mag all dies gleichermaßen plakativ wie schöngefärbt klingen, aber in den verblassenden Erinnerungen an sein früheres Leben hatte die politische Dimension zeitlebens im krassen Gegensatz zu seinen persönlichen Nöten und existenziellen Miseren gestanden – Glorie neben Elend. Es war eine solare Öffentlichkeit entstanden, innerhalb derer ein politischer Diskurs sorgsam kultiviert worden war, dessen politische Konsequenzen daraufhin das Angesicht der politischen Kultur für immer verändert zu haben schienen. Die im Folgenden gegründeten supraplanetaren Institutionen hatten umfassende Legitimität ideal mit konstitutioneller Unabhängigkeit gegenüber den unvermeidlichen, anderen Machtfaktoren vereint; gegenüber den unzähligen föderal organisierten planetaren, kontinentalen, nationalen, regionalen Akteuren und auch gegenüber privat-wirtschaftlichen, ideologischen und religiösen Fraktionen. Die unweigerlich weiterhin vorhandenen Interessenskonflikte waren auf kleinstmöglicher Ebene und mit dem geringsten Maß an Vorteil und Schaden auf allen Seiten geschlichtet worden. Dieses heillos komplexe, gleichwohl stabile Vielebenensystem war nach mehr als einem Sonnen-Jahrhundert plötzlich kollabiert und hatte nicht nur tiefe Gräben, sondern schiere Abgründe zwischen den diversen Interessengruppen, Machtblöcken und Ideologien innerhalb des kolonial erschlossenen Sonnensystems freigelegt. Dass ein eigensinniger Partikularismus entstanden war, war nicht zu leugnen gewesen, wurde er doch sogar unter dem unverhofften Wertepaar von Pluralität und Differenz immer als Stärke wahrgenommen und als solche kultiviert. Ob die epochale Errungenschaft eines Verzichts auf Universalismen mittelfristig mit zu ihrem eigenen Untergang geführt hatte, war weiterhin historisch und faktisch ebenso unklar wie es ein sehr bitter-ironisches Ende einer glorreichen Ära gewesen wäre.

 

„Hör endlich auf damit, das ist ja vielfach widerwärtig! Am Ende singst du noch das Lied der Philosophia perennis oder sprichst von Moderne, Neuzeit, goldenen Dingen und weiteren historisch unzulänglichen Selbstüberschätzungen, um von deinen wissenschaftlichen Mängeln in der Darstellung der sog. goldenen Epoche gar nicht erst anzufangen. Pah! Hör endlich auf damit und komm in die Gegenwart zurück!“, hämmerte es auf einmal in seine verstiegenen, historischen Träumereien hinein. Wenn bei dieser polemischen Attacke nicht hauptsächlich Nietzsche federführend gewesen war, musste er sich doch ziemlich täuschen.

 

Die planetare Fähre eines der vielen mächtigen und mächtigeren Akteure hatte dem einsamen Wanderer den Weg durch die oberen Schichten der Erdatmosphäre gebahnt. Währenddessen saß dieser entgegen seinem Verhaltenscredo und trotz der sporadischen Impulse seiner augmentalen Begleiter weiterhin in schwelgerischer, abstrakter Nostalgie versunken da; in einem von Fusionszellen betriebenen Meisterstück menschlich-technischer Fertigungskunst, dessen neuartigen Triebwerke Schwerkraftneutralisation mit Pulsation optimal kombinierten. Wären nicht die chronischen Folgen von solarem Kollaps und die akuten Auswirkungen der interplanetaren Kriege gewesen, so wäre die anstehende Landung wohl ohne jede Turbulenz und Unbequemlichkeit für die Passagiere abgegangen. So aber mussten die Reisende die eine oder andere Schwerkraftspitze nebst der schon erwähnten Technikstörungen erdulden. Aber sogar die vergaß er im Laufe einer neuerlichen Eskapade und realisierte während der kurzen Landung kaum den nunmehr wegen der unangenehmen Landeturbulenzen schluchzend weinenden Jungen. Letztlich brachte das Eigentum der einflussreichen Karlus-Korporation ihn, den verspannten Fast-Magister, aber absolut sicher und so wohlbehalten wie möglich auf die geschundene und ausgeblutete Mutter Erde zurück.

 

Er hatte sich während des Fluges, soweit das kognitiv eben möglich gewesen war, viel Gutes für die nahe Zukunft vorgenommen; zu viel jedoch, um es alles auf einmal ernst- und damit wirklich in Angriff nehmen zu können. Nachdem er derart überfordert unmittelbar nach der erfolgten Landung sofort fluchtartig die Startroutinen seines Gedankenkonzils initiiert hatte, war die Welt um ihn herum sofort hinter einem vielfarbigen, holografisch-schönen Schleier und wie in einem existenziellen Schwerefeld versunken und daraufhin wirklich an ihm vorbeigerauscht. Der lieb gewonnene Reisekokon und die wiedererwachte Gesellschaft banden seine Aufmerksamkeit beinahe vollständig nach innen. Auch während des anschließenden Transports über das gigantische Areal der unzähligen Landefelder hinweg, hinein in den Bauch eines kolossalen Tetraeders, der den architektonisch atemberaubenden Zentralkomplex des Raumknotens darstellte, hatte er kaum Sinne für die wirkliche Umgebung und deren Einzigartigkeit gehabt. Nicht einmal die singuläre Situation der Heimkehr des Exilanten, der eine archetypische Kraft innewohnte, vermochte ihm die Augen und Ohren zu öffnen. So drangen weder die fabrizierten Geruchsteppiche, noch die exakt kontrollierten Temperatur-, Schwerkraft- und Druckverhältnisse und auch nicht all die anderen in technischer Perfektion gehaltenen Umweltvariabeln erlebnisfähig zu ihm durch. Ebenso verzichtete er auf den verstörend-schönen Ausblick, der sich ihm in fast allen Himmelsrichtungen dargeboten hätte:

 

Ein bis zum Horizont reichendes Meer an menschgemachter, künstlicher Stadtlandschaft, durchkreuzt von den unterschiedlichsten Klassen an fliegender Technologie. Dieser fast planetenumspannende urbane Moloch verschlang durch seine durchweg dunklen Farbenabstufungen, die den optischen Eigenschaften der handelsüblichen Legierungen und Baustoffe geschuldet waren, sogar noch das wenige Licht, das Mutter Sonne so früh am Morgen spendete und die verbliebene Scharr ihrer künstlichen Kinder zusätzlich verbreiteten. Bei Letzteren handelte es sich um die vielen, global eingesetzten Kunstsonnen, die man ohne Übertreibung als technologischen Segen hätte bezeichnen können, von denen aber nur noch ein Bruchteil betrieben werden konnte und musste. Über einem pilzartigen Geflecht an solchen beinahe nahtlos miteinander verbundenen Metropolregionen wölbte sich, einem wahrlosen Spinnennetz gleich, ein Netzwerk an Orbitalstationen, von denen die Mehrzahl durch kilometerbreiter Transportkanäle mit Knotenpunkten auf der planetaren Oberfläche verbunden waren. Dass damit riesige Schlagschatten und künstliche geschaffene Schattenzonen entstanden, die zudem auch noch ständig wanderten, war ebenso folgerichtig wie folgenreich. Aber mit der technischen Licht insgesamt und insbesondre dem lebensspenden Licht der Kunstsonnen, kam das Leben in den Schatten zurück. Nahrung konnte deshalb nunmehr in der Vertikale variabel in subterranen bis orbitalen Lagen erzeugt werden, den vielen Kunstsonnen in den hydroponischen Farmen sei Dank.

#4/12 – Hört, hört: Ein Frischling darf beschaut werden

Alle Welt bereitet sich bereits innerlich entweder auf Karneval oder dessen konsequente Verweigerung vor. Mir wurde währenddessen aus heiterem Himmel ein seltener Fall von fatalem Männerschnupfen zuteil. Die relative Seltenheit vergleichbarer Zustände bei mir ist Fluch und Segen zugleich. Selten benötigt und damit miserabel trainiert, muss sich die verkümmerte Leidensfähigkeit einer kolossalen Herausforderung stellen – selten, aber umso leidvoller. Kranksein an sich ist ärgerlich, das Ganze hingegen einen Tag vor Weiberfasnacht hinnehmen zu müssen, ist bestenfalls noch hundsgemein zu nennen. Naja, wat soll’s, et is wie et is, sonst wärs ja anerscht – bis Montag sind einige Tage für Genesung reserviert, also genug gejammert.

Kommen wir schonend wie geschwind zum Kern der Sache. Ohne das ich je den Anspruch auf angemessene Einleitung oder hinführenden Bezug zwischen den Absätze erhoben oder gar zufällig realisiert hätte, präsentiere ich freudig-verschnupft einen Kerl, der definitiv schlimmer dran sein dürfte als meiner einer: Xaver Satorius im historisch-holprigen Anflug auf die allseits so beliebte Mutter Erde.

Einen rauschenden Karneval oder einen erholsamen Nicht-Fasching, Euer Satorius


Die Heimkehr des verspannten Fast-Magisters

Teil 4 von 12: Seiten 10 bis 13.

„Wir werden in nur wenigen Aktuell-Minuten den Boden des Planeten Erde berühren und bedanken uns deshalb schon einmal vorab für das uns von Ihnen entgegengebrachte Vertrauen“, säuselte es da schon sanft weiter. „Da sich die solare Sicherheitslage auf unserer Reiseroute wider Erwarten entschärft hat, konnten wir die Reisedauer beträchtlich reduzieren. Wir werden also insgesamt 50 Aktuell-Minuten früher als zum avisierten Zeitpunkt landen. Die Meisten unter Ihnen werden höhere Augmentate wie Netzports, Cerebral-Schnittstellen, Bewusstseinserweiterungen, Muskelverstärker, Fernoptiken, Nahrungs- oder Nachschubreplikatoren und dergleichen besitzen; diese bitten wir bis zur vollständig abgeschlossenen Landung weiterhin deaktiviert zu lassen. In Verbindung mit unserer Antriebstechnologie und aktuellen, astronomischen Phänomenen kam es leider mehrfach zu Störungen und sogar einigen bedauerlichen Zwischenfällen. Überdies wird es aufgrundessen sehr wahrscheinlich kurze Turbulenzen und kleinere Erschütterungen geben. Dabei handelt es sich um leider unvermeidliche Unbequemlichkeiten, durch welche die technische Sicherheit in keiner Weise gefährdet wird und deren Auslöser weit außerhalb unseres Einflussbereichs liegen – Verzeihung dennoch, sofern überhaupt von Nöten. Wir wünschen ihnen eine gute, störungsfreie Ankunft im Zentralknoten Frankfurt Rhein/Main, einen erfüllenden Aufenthalt in Zentraleuropa sowie den Transitgästen eine sichere Weiterreise – Ihr Team von Karlus-Raumflug, einer Marke der Karlus-Korporation.

 

Empfehlen sie uns später gerne in Ihren Gruppen weiter, sofern Sie mit unserer Dienstleistung so zufrieden waren, wie es unser stetes Anliegen und innigster Wunsch ist. Beachten sie ferner die vielen kombinierbaren Unterhaltungs- und Kulturangebote, die wir ihnen in unserer Heimatregion exklusiv offerieren. Für weitere Details und diesbezügliche Buchungen helfen die leicht zu findenden, öffentlichen Schnittstellen weiter; am besten nutzen sie die direkte Verbindung über unsere Präsenzen im Zeichennetz; am allerbesten tauchen sie sogar in die Welten unserer Erfahrungsnetze ein: Hier bieten wir ihnen die vielfältige Warenwelt der Karlus-Korporation hautnah und gefühlsecht zum Erleben und ausprobieren an. Überzeugen sie sich je nach Medium von unseren Qualitäten, denn bei uns gilt traditionell seit Generationen das einfache Unternehmensmotto: Qualität geht über Quantität!“

 

Der anfänglichen Dankbarkeit entgegen, erzeugten derart viel geheuchelte Normalität und inszenierte Hochzivilisation, wie sie in dieser Botschaft zum Ausdruck gekommen waren, eine sehr unangenehme Kombination an Emotionen bei Xaver. Die subtilen Zwischentöne der Botschaft taten ein Übriges. So spürte er derzeit sowohl in der Magengegend den Druck, sich vor Ekel angesichts solchen Zynismus übergeben zu müssen, als auch im Bereich des Halses den Drang, seine Wut über diese freche und beinahe pietätlose Realitätsverleugnung in die kleine Welt ihrer 30-Mann-Maschine herauszubrüllen. Selbstverständlich tat er nichts dergleichen und machte sich stattdessen daran, sein aufgewühltes Gemüt mit Hilfe wenig routinierter Atem- und Imaginationstechniken zu besänftigen, da er derzeit nicht einfach das Konzil und seine Mittel als bequeme Abkürzung zum gewünschten Zustand des Bewusstseins hatte verwenden können. Das war ihm zu seiner eigenen Überraschung bereits gelungen, als die angekündigten 90 Sekunden verstrichen waren und er rücksichtsvoll aber bestimmt von unsichtbarer Hand in seinen ergonomisch auf seine Statur angepassten Schalensitz gepresst wurde. Der Landeanflug hatte nun endlich begonnen und der Moment seiner ganz persönlichen Rückkehr auf den Schicksalsplaneten der Menschheit stand unmittelbar bevor. Ob diese übertrieben klingende Rede von Schicksal und Menschheit überhaupt eine Zukunft haben würde, stand Spuren gleich in den Sternen geschrieben.

 

„Vielleicht wird das Ende der Geschichte doch nicht nur zu langsam abgewickelt, sondern birgt wider Erwartung und Gefühl den Keim einer womöglich sogar besseren Zukunft in sich!“ Dass Matrinas erbauender Impuls trotz der vorgenommenen Deaktivierung und durch die Störung hindurch so klar in sein Denken hinein tönen konnte, verwunderte ihn ebenso sehr, wie es ihm milde Zuversicht und vielleicht bereits wieder erste Funken von Hoffnung spendete. Er jedenfalls, der Gelehrte in den angeblich besten Jahren, dem erste und zweite Flucht sowie Überleben im Exil aufgrund seiner privilegierten Herkunft und der Ausbildung in der Academia ohne Weiteres offen gestanden hatten, blickte ungewiss in die Zukunft. Er wandte sich in seinem Sitz neugierig soweit um, wie es Stabilisierungsfeld und Nackenschmerz noch eben zuließen. Ein leicht schmerzerfüllter, nur flüchtiger Blick ins Antlitz seiner Mitreisenden, zeigte ihm jedoch nur Ernüchterndes. Der Anblick bot kaum Anlass zu glauben, dass positive Emotionen es aktuell leicht hatten. Allen anderen voran waren Hoffnung, Freude, Genuss und insgesamt Glück rare Güter im Sonnensystem geworden.

 

„Graue, starre und maskenhafte Trauerfratzen überall, die Leichenarmeen des psycho-kulturellen Niedergangs, der sich an den Tag der großen Asymmetrie angeschlossen hatte und seither in den Seelen der meisten Menschen wütete.“ Diese krude Poetisierung des Unaussprechlichen erschien ihm, trotz ihrer befremdlichen Aufgesetztheit als eine reizvolle Bewusstseinstechnik, um zukünftig weiter verfeinert zu werden. Sie versprach ihm nicht nur dann Hilfe, sobald mal wieder eine Fehlfunktion oder gar komplette Deaktivierung des Konzils zu überstehen war, sondern war als mentale Technik insgesamt seiner Kompetenz und Profession als Bewusstseinsformer zugehörig.

Die fast hermetische Kunst der Magister Universalis war seine Wissenschaft und sein Handwerk. Ihr ging es im Allgemeinen darum, eigenes wie fremdes Bewusstsein nach Maßgaben zu formen und wunschgemäß zu bilden; es kontinuierlich zu trainieren und zu erweitern, um ihm im Ergebnis ebenso vielfältigen, wie in seiner Effizienz atemberaubenden Nutzen abgewinnen zu können. Die Grundlagen dieser Disziplin hatte er gründlich erlernt und sich, zumal mit eigenen Vertiefungen, in langjähriger, vornehmlich theoretischer Forschung zu eigen gemacht. Dass Pharmazeutik und Körper- sowie Geistestechnologien hierbei seit weit über einem Jahrhunderten munter eingesetz wurden und mittlerweile alltäglich erprobte Hilfsmittel waren, war Xaver am eigenen Leib mehrfach zu Gute gekommen. Er trug eine ganze Reihe der sog. Augmentate an und in sich. Mittlerweile kannte er jedoch Licht und Schatten dieser Artefakte. Entgegen aller derzeit heraufziehenden Geistesfeindlichkeit, waren die Ausbildung, mehr noch deren technologische Mitgift seine zur Zeit wertvollsten Güter. Sein trotz kleiner Verfehlungen guter Leumund und besonders die mitgeführten Referenzen waren viel wert, aber ohne einen optimalen Einsatz all seiner Fähigkeiten und Mittel würde er den geplanten Quereinstieg in die Praxis, und zwar direkt auf Meisterniveau, nicht schaffen.

 

Dankenswerter Weise hatte es während des ansonsten miserablen Fluges in der allgemeinen, umfassenden Tristesse der graubraun eingerichteten Passagierkabine eine einzige positive Ausnahme gegeben: Ein erstaunlich junges, sichtlich noch immer frisch verliebtes Paar mit einem bereits halbwüchsigen Sohn. Pausenlos hatte der Junge seine Eltern aufgeregt und begierig nach allerlei Sinn und vermutlich viel Unsinn gefragt. Nachdem er darauf geduldige Antwort erhalten hatte, war er befriedigt wieder ins Spielen zurückgekehrt, nur um bald darauf abermals fragenden Blickes in Richtung seiner Eltern zu laufen. Ein Schauspiel, das trotz der sicher bisweilen tiefschürfenden Kinder-Fragen, einer Komödie gleich, ohne die überall lauernde Tragik auszukommen schien.

 

Ein solches familiäres Idyll war ihm in seinem akuten, labilen Zustand ein größerer Trost gewesen, als er je für möglich gehalten hätte. Er, der notorische Einzelgänger, der sein Leben nur seinen Passionen, also im Grunde nur sich selbst, gewidmet hatte, entdeckte während dieses Raumflugs eine bisher verschüttete Seite an sich. Obwohl Xaver von den Gesprächen der entfernt sitzenden Familie bestenfalls wenige Fragmente aufgeschnappt hatte und deshalb vor allem auf die Deutung des Mienenspiels im lebendigen Miteinander angewiesen war, traute er sich diese Einschätzung gelassen zu. Dabei half ihm ein weiterer Vorzug seiner Ausbildung: Die Schulung in diversen Methoden der Verhaltensanalyse, welche zur optimalen Lernkonfektionierung unerlässlich waren. Den entscheidenden Schritt von der theoretischen Gewissheit zur praktischen, noch gar gelebten Empathie allerdings, ging er keineswegs derart gelassen und im Alltag nur mit technologischer Beihilfe. Für seine Verhältnisse also erstaunlich sensibel registrierte er einen auffälligen Umstand: Wenn das Kind kurz mit sich selbst und die Eltern infolgedessen miteinander beschäftigt gewesen waren, hatte sich deren freudiges Strahlen schon mäßig abgedunkelt und in den Phasen kurzer Einsamkeit war es dann sogar beinahe erloschen. Dann glichen die Liebenden der grauen Meute um sie herum; glichen vermutlich auch ihm selbst, wie er im Auge eines unsichtbaren Betrachters, vorzugsweise Lesers erschienen wäre.

 

Familie bot in diesen schrecklichen Zeiten scheinbar eine ganz eigene, besondere Form von Heimat – viel echter, erfüllender und ernster als dies dem technisch optimierten Individuum, und sei es noch so gut vernetzt und hochgerüstet, zur Verfügung gestanden hätte. Es gab in seinem besonderen Fall zwar das Konzil, aber was bedeutete das den in der Bilanz: Dass Nietzsche in dieser Hinsicht ein Trost hätte sein können Stand kaum zu erwarten; Sokrates vielleicht ein wenig; Googol und Hoffmann waren zu verschroben respektive zu wortkarg; höchstens half die motivierende Xaya und sicher kümmerte sich nur die per se seelsorgende Matrina. Nicht aber jetzt und nicht schon immer. Eine intime, vertraute Art der Zusammengehörigkeit, der Xaver Zeit seines Lebens höchstens wenige Male und dann auch nur nahe gekommen war, nur um sie sodann wieder und wieder zu verlieren. Es war wohl schlicht und einfach dasjenige was seit Jahrtausenden als Liebe fassbar gemacht werden sollte und für Xaver bisweilen wie ein blosses Wort ohne tiefen Sinn wirkte. Daraufhin hatte er irgendwann beschlossen, sich mit einem Panzer aus Weisheit, einem aus Gelehrigkeit geschmiedeten Schild und waffenfähigen Klinge an Mundwerk und Verstand auszustatten. Dafür wurde er mit Triumphen im wissenschaftlichen Disput belohnt, genau so wie er unweigerlich durch Niederlagen im politischen Schacher um Posten und Portale bestraft wurde. Dass kaum Jemand den unnahbaren Eigenbrötler besonders gut und lange leiden konnte, lag dabei vor allem an seinem offensichtlichen Desinteresse für die soziale Lebenswelt. Die ersten Jahre mit dem Gedankenkonzil vertieften die vorhandenen Gräben zu den anderen sogar noch einmal merklich.

#3/12 – Hört, hört: Ein Frischling kann beschaut werden

Zum Ausklang der alten Woche und als Einstieg in die beginnende Neue folgt hier Teil drei unserer zwölftteiligen Serie. Der kleine Text-Frischling beginnt verhalten und nachdenklich, wobei sich bereits ein gewisse aug-mentale Vielfältigkeit angedeutet hat; so geht es zunächst auch weiter. Allerdings macht sich doch erstmals die äußere Welt bemerkbar, aber lest unten einfach selbst.

Einen guten Start in die Woche, Euer Satorius


Die Heimkehr des verspannten Fast-Magisters

Teil 3 von 12: Seiten 7 bis 9.

Plötzlich kamen ihm die beiden Weltkriege des fernen 20. Jahrhunderts mit ebenso anschaulichen wie grausamen Informationen und Illustrationen in den Sinn. Wie die zuvor zum Glück nur harmlos erinnerten Seuchen, mittlerweile kaum noch Gegenstand eines allgemeinen Wissens, sondern vielmehr dem Wirken von Meinung, Macht und Mythos übereignet – so hatte er damit wider Erwarten doch historisch relativ ähnliche und damit vielleicht vergleichbare Ereignisse mit eventuell analogen psychokulturellen Konsequenzen gefunden. Zwei der letzten wirklich großen Kriege der modernen Menschheit, vor einer langen Phase politisch stabilen, aber kulturellen und lebensweltlichen Auseinanderdriftens in solarem Frieden und vermeintlicher Harmonie. Es hatte in der Folge seinerzeit nachweislich eine traumatisierte Generation gegeben. Die damals gerade im Entstehen begriffenen Schulen der Psychotherapie hatte in vielen dieser Menschen ihr Klientel gefunden und entwickelte ihre Methoden und Begriffe damit unter dem Eindruck besagter Weltkriege weiter. Ebenso konzipierten spätere Generationen ihre Wissenschaft unter dem Phänomenhorizont der seeleischen Deformierungen, die der Menschheit durch den sog. Spätkapitalismus zugefügt worden waren.

 

„Stop!“, beendete er diese ungewollte, unerquicklich Abschweifung abrupt mit einem mentalen Befehl. Er driftete zunehmend in einen Zustand ungezügelter Nostalgie ab, wobei er wahrscheinlich durch die Fehlfunktion seines Konzils negativ beeinflusst wurde und deshalb immer wieder kurz Klarheit und Initiative verlor. Das musste unbedingt wieder aufhören: diese teils psychedelischen Zustände, durchsetzt von Fakten, Einfällen und Impressionen, bei deren Entstehung die gestörten Module sicher mit im Spiel waren und auf verstörende Weise einwirkten. Eben im letzten Flash waren das wohl weniger Sokrates oder Nietzsche, sondern eher Googol oder vielleicht auch Xaya, keinesfalls jedoch Matrina oder Hoffman gewesen. Aus der kurzweiligen Abwechslung durch die unerwartete Aktivität der Mitglieder entwickeltes sich langsam ein weiterer Stressor, der sich zu der bekannten Reihe an Belastungen gesellte.

 

Diese kurios-vielfältige Persönlichkeitsstruktur markierte jedoch, da technologischen Ursprungs, keinen generellen Unterschied zwischen Xaver Satorius – dem Fast-Magister – und seinen durchschnittlichen Zeitgenossen. Aber das wenige, zumal konfuse Faktenwissen über Vergangenes belegte bereits eine markante Differenz: er war tatsächlich einer von derzeit wohl nur wenigen Millionen, die noch so etwas wie ein angemessenes Bild der Menschheitsgeschichte besaßen. Vor allem aber unterschied ihn sein vitales, fast manisches Interesse an der historischen Perspektive und der Glaube an deren unabdingbaren Wert von den meisten seiner verbliebenen Mitmenschen. Auch wenn die wenigsten eine so leistungsstarke und bisweilen sogar unterhaltsame Erweiterung ihres Bewusstseins ihr Eigen nennen konnten, wie das im Fall von Xaver und seinem Gedankenkonzil der Fall war, blieben die Lust auf Bildung und die Wahl der Interessen noch immer Fragen der persönlichen Verantwortung. Leider zu aller erst eine Frage der persönlichen, existenziellen Möglichkeiten, in einer Zeit, in der sehr grob geschätzt die Hälfte, der im Sonnensystem lebenden, noch gut 8 Milliarden Menschen, kein gesichertes Überleben mehr hatten.

 

Trotz aller qualitativen Ähnlichkeit dieser beiden historischen Katastrophen blieb schließlich noch der planetenweite quantitative Unterschied zwischen den Weltkriegen 1. und 2. auf der einen sowie dem solaren Kollaps auf der anderen Seite. Dieser absolute Unterschied fiel derart überwältigend aus, dass doch von einer anderen Qualität zu sprechen ebenso unlogisch wie reizvoll war. „Uns wird damit nun historisch die bittere Aufgabe zuteil, die Tatsache zu akzeptieren und irgendwie irgendwann einmal emotional zu integrieren, dass es einzig menschliche Freiheit war, innerhalb welcher die kosmische Katastrophe stattgefunden hat. Die Last der damit verbundenen, ja unwiderruflich, aufgebürdeten Verantwortung wird und sollte in Anbetracht der angedeuteten Quantität mehr als nur 2 bis 3 Generationen auf den Schultern lasten!“, folgerte irgendetwas mit bestechender Klarheit in die kurze, geistige Stille hinein, zugleich aber ohne den kleinsten Funken Trost. Ein Bewertung des psychosozialen Zustands, welcher wohl bis auf Nietzsche und Matrina alle übrigen Module des Gedankenkonzils zuneigten, aber wie sollten er als ewig-nörgelndes Kontramodul und sie als selbstsorgendes und allbehütendes Mutterethos das auch tun können.

 

Also blieben ihm in seiner ganz persönlichen Version dieses Zustands bisweilen weiterhin nur möglichst kluge Spekulationen und ein paar psychomanipulative Tricks als Auswege aus dem Jammertal der Gegenwart; bald aber hoffentlich auch wieder der reguläre Einsatz seines Gedankenkonzils. Es gab in dieser Hinsicht jedoch das alte Problem mit dem irregulären Missbrauch der Möglichkeiten der Technik, besonders mithilfe der hyperreallen Erfahrungswelten und Zeichennetze. Dieses brisante Verhaltensmuster galt es weiter einzudämmen, denn er wurde ihm trotz all seinem Wissen um Bewusstseinsveränderung und -formung noch nicht so recht Herr: Komplex aus Sucht, Nostalgie und Gelehrsamkeit. Dadurch angetrieben nutzte er das Gedankenkonzil als Instrument einer mehr als akribischen und sehr weitschweifigen Lektüre. Diese häufig virtuell aufwendig gestaltet Lesereisen führten ihn längs und quer durch die Vergangenheit des menschlichen Geistes, mit sporadischen Schwerpunkten in den Disziplinen Psychologie, Philosophie, Pädagogik, Politik sowie besonders Geschichte und Soziologie. Eindeutig zu vieldeutig im Anspruch an sich selbst und gerade in den bisher verschwiegenen, teils exzessiven Aus- und Abschweifungen eine Phase der verderblichsten Allianz mit seinem Gedankenkonzil, der dessen Mitglieder kaum Einhalt geboten hatten. Bis dann zuerst Matrina vor einem Sonnen-Jahr und daraufhin Xaya vor wenigen Neu-Monaten als therapeutisch angeratene Module hinzugefügt worden waren. Mit deren Hilfe war er letztlich überhaupt erst schrittweise in den mentalen und charakterlichen Zustand versetzt worden, der ihn nun zu diesem damals undenkbaren Schritt befähigt hatte; einem Schritt heraus aus der digitalen, reizüberfluteten Isolation wieder hinein in ein leidendes, tätiges Leben. Wobei er nun bald auch noch die beruflichen Herausforderungen und Alltäglichkeiten als heilsame Neuerung hinzugewinnen würde und bereits die schneidende Tatsächlichkeit einer Reise ohne Rückkehr als Arznei hatte. Dass er die bisherige Reise weitestgehend im Modus Reisekokon verbracht hatte, war hierbei symptomatisches Erbe. Wer, wenn nicht er, war für solche intellektuellen Formen der Eskapade prädestiniert. So war er doch über 20 volle Sonnen-Jahre in der Disziplin der Disziplinen ausgebildet und dabei mit neuster Köper- und vornehmlich Geistestechnologie ausgestattet worden, kurz bevor Armageddon-Light dann seine zugegeben schon etwas überfällige Finalakkreditierung endgültig vereitelt hatte.

 

„Nun also mit Humor als Mittel zum Zweck der Maskierung und somit als Medium der Verdrängungsarbeit; besser jedenfalls, als tödlich zu resignieren, wie das ungeahnte Prozente der solaren Bevölkerung in der Zwischenzeit getan hatten“, versuchte ein verirrter, eventuell von Xaya oder Nietzsche geprägter Impuls ihn erfolglos zu irritieren. Sich in diesem Zusammenhang zu den anteilig gefassten Statistiken, die er vor einigen Standard-Monaten noch vor Augen gehabt hatte, absolute Zahlen vorzustellen, besonders bei der Kategorie Suizid und suizidanaloge Todesfälle, wagte er nicht einmal ansatzweise. 15,76% von einst noch rund 10 Milliarden, die selbst wiederum nur die Überlebenden von dereinst beinahe 35 Milliarden Menschen im Sonnensystem gewesen waren. Nicht einmal das vermeintlich Meisterargument, noch am Leben zu sein, lebeding zu sein und noch hoffen zu können, half bei dieser unbegreiflichen Dimension des Leids weiter.

 

„Wie kompliziert Datierung heutzutage geworden ist, seit kaum noch astronomische Stabilität gewährleistet ist und nicht mehr nur jeder Himmelskörper an sich seine relativen Eigenzeiten hat, sondern diese sogar noch jeweils für sich dynamisch geworden sind“, dacht er in dem kläglichen, sermonartigen Versuch, seine Gedanken wieder in die jetzt sogar sympathisch erscheinenden Bahnen seiner anfänglichen Rechenneurose zurückzulenken.

„Bitte aktivieren sie Ihr schützendes Stabilisierungsfeld! Falls dies nicht ihrerseits geschieht, übernimmt es die Automatik 90 Neu-Sekunden nach dem Ende dieser Mitteilung für sie“, flüsterte eine sonore und etwas laszive Frauenstimme scheinbar direkt und mitten in seinem Kopf. Er hatte sie zu Beginn seines sehr unbequemen, da schwerkraftinstabilen Flugs vom Mond zur Erde selbst eingestellt. Anstatt wie die meisten Reisenden über ein lokales Eingabefeld am Sitzplatz, war dies bei ihm über eine Eingabemaske und die Kanäle des Konzils geschehen. Er gratulierte sich jetzt entschieden zu diesem Entschluss; zudem bedankte er sich still in metaphysischer Richtung für den gütigen Zufall, dass die Ablenkung der Sicherheitswarnung ihn erfolgreich von seinen mehr als unerfreulichen Grübeleien befreit hatte. Zumal er damit abermals sein zuvor bestärktes Verhaltens-Credo, keine Zuflucht in Erinnerungen an die alte Zeit zu suchen, tendenziell wieder einmal zu unterlaufen begonnen hatte; von der kalten, fast zynischen Abstraktion unermesslichen Leids mal ganz zu schweigen.