Metatext

Lange Stille, ein Flagge und neuerliches Flüstern

1 Jahr, drei Monate und drei Tage: Stille …

Zwischenzeitlich sind der 6. und 7. Jahrestag der Gründung Quanzlands vergangen, unbesagt und ungehört vorübergegangen. Nach fast sechs Jahren zuerst manischer, dann gesunder, sodann zunehmend verhaltener zuletzt depressiver Produktivität und Aktivität ist es still geworden in den Gassen und den Hütten, den Gärten, den (Frauen- und) Herrenhäusern sowie auf den Plätzen und Bühnen von Quanzland. Das Leben ging weiter, aber niemand hat davon berichtet, niemand davon Kenntnis genommen.

Zu sagen gibt es unermeßlich viel, hätte es seither unsagbar viele Anlässe gegeben, dennoch habe ich geschwiegen und anderes getan – warum? Nun, dafür gab und gibt es gute wie schlechte Gründe zu Hauf, die hier und jetzt auszubreiten mir müßig erscheint. Also verzichte ich darauf und komme unverzagt zur Sache: Es gibt Neuigkeiten, Quanzland hat sich eine Flagge gegeben, internationale Beziehungen geknüpft und Stellung bezogen.

Wir mögen ein unbedeutender Zwergstaat irgendwo in Europa sein; gleichwohl sind wir nicht kleinbürgerlich oder kleingeistig, denken und handeln wir global, kosmopolitisch und kunterbunt. Vielfalt und Einheit, auf den ersten Blick konträr, stumpf gedacht womöglich sogar unversöhnlich paradox, sind das Epizentrum unseres Wertsystem. Auf den zweiten, den klugen und besonnen Blick hin dürfte dieses moralische Credo jedem echten Demokraten evident sein, trotzdem ist es in all den vielen Spielarten von Demokratie auf unserer großen weiten Erde keineswegs selbstverständlicher Allgemeinplatz, schon gar nicht unumstößliches Fundament. Utopie und Ideologie zugleich, nunmehr sichtbares Zeugnis und offizielles Banner mit zugleich bescheidener Strahlkraft und unbestreitbarer Relevanz.

Was gibt es, was gilt es noch zu sagen? Große Themen, vielmehr bloße Schlagworte blitzen in meinem Geist auf, verschwinden aber ebenso rasch wieder im mentalen Zwielicht: Corona, Ampel, COP26 und einige weitere schließen sich an …

Aber es bleibt dabei, ein erstes Flüstern ist ertönt und möchte überhaupt nicht mehr sein, keinesfalls ein Brüllen, nicht ein Mal ein Raunen – lediglich mehr als Stille.

Mit neuerlichen Grüße und sich schüttelnden, kurz knackenden Fingern, Euer Satorius

Wochenendlektüren Nr.10 – YY1: S.11-14/~35 [Version 1.2]

Wieder ist eine Woche ins (Quanz-)Land gegangen und ich habe eine neue Portion TSF für die Originale zubereitet. Nachdem ich letzte Woche der Marotte gefrönt habe, meinen eigenen Texten einen interpretatorischen Beipackzettel hinzuzufügen, unterlasse ich das dieses Mal und komme ohne viel Brimborium zum eigentlichen Anlass dieses Artikels: Die nächsten drei Seiten des ersten Kapitels bringen heute gegen Ende den ersten Neuauftritt von Yang mit sich, der nunmehr stilistisch selbstständiger und damit von Yin unterscheidbarer, nämlich bewusstseinsstromlinienförmig umgeschrieben dargestellt wird.

Mit allerbesten Wünschen fürs Lesen und fürs Restwochenende, Euer Satorius


1. Zugang YY – Gor(e)

Trotzdem gibt es einen mehr als kosmetischen Unterschied zwischen den beiden Gruppen: Als Beute haben sie von Anfang an gewusst, was hier gespielt wird, und mussten den letzten Marsch quer durch die tödliche Wildnis schon in der Gewissheit zurücklegen, Eigentum geworden zu sein. Denn sie waren selbstverständlich zuvor schon mit einfachen Implantaten ausgestattet worden und standen seither unter Kontrolle. Mitten durch den Albtraum der Todeszone ging es dann für die neuen Sklaven, hin zu ihren neuen Herren. Die hiesigen Rituale sind nicht nur in dieser Hinsicht ausgewiesen unmenschlich, aber so sieht es die Initiation in Gor Thaunus für Beutemenschen eben vor. Sein Asyl in dieser Stadt und den damit verbundenen Schutz muss man sich zuerst symbolisch verdienen, durch Bereitschaft zum Leiden. Auf diesem ersten Weg im neuen Lebensabschnitt sieht man die rettende Zuflucht beinahe die ganze Strecke über schon in der Ferne liegen, lichterloh strahlen und locken mit ihrem fatal falschen Leuchtturm, dem Thallum Gor. Trotz allem, was zuvor schon passiert sein mochte, sehnt man die Ankunft herbei. Am Ende des Marsches, wenn alles gut gegangen und man es hoffentlich soeben noch im Hellen hierher geschafft hat, ist man regelrecht froh, in seinem zukünftigen Gefängnis angekommen zu sein – pervers, aber wahr. Am Anfang steht der Überfall, mitsamt Gefangennahme und Enteignung, dann die Drohung, mittellos, ohne Waffen und Nahrung, in der Todeszone krepieren zu müssen, nach einer wirkungsvoll langen Bedenkpause zuletzt das ach so großzügige Angebot, kaum eine Wahl zu nennen, und dann der schmerzhafte Eingriff, mit dem die technische Versklavung beginnt: Sicherheit auf Kosten aller Freiheit, unfreies Leben statt sicherem Tod. So ungefähr läuft eine Versklavung in Gor ab, eine ziemlich bittere Angelegenheit. Und nicht nur das, dieses Elend ist nur der einschneidende erste Level eines widerwärtigen Spiels, ist nur der Beginn eines andauerenden Parcours an Überwachung, Disziplinierung, Gehirnwäsche, gelegentlicher Quälerei und alltäglicher Schinderei.

Einzig in dieser Hinsicht geht es also den zunächst noch freiwilligen Flüchtlingen besser, gleich ob sie aus purer Hoffnung oder schierer Verzweiflung Zuflucht hinter den mächtigen Mauern dieser Siedlung suchen: Für sie beginnt das Grauen hier drin nach dem Terror dort draußen etwas später, insgesamt etwas schleichender und angeblich auch nicht immer zwangsläufig. Denn gerüchtehalber kann man, sofern vorhanden, durch Besitz oder Talent bei der Einreise Vorteile für sich sichern, angeblich sogar als Freier in der Berggasse loslegen. Das klingt für mich glaubhaft, denn Gleichheit ist hier nur ein Fremdwort unter vielen anderen vergessenen Idealen, die ich allesamt dank meiner knapp vier Jahre Lebenszeit in wohlbehüteter Freiheit kennengelernt hatte. Hier in Gor Thaunus, als enteignete Sklavin, wird mir dieses Wissen tagtäglich zum Fluch – ich weiß wie es war und wie es sein könnte.

Uns war es schlechter ergangen, denn Yang und ich haben leider die Tortur der Initiation und der ersten Wochen hinter uns gebracht, vielmehr bringen müssen. Wir waren damals vor gut zwei Jahren nicht als Flüchtende hierher gekommen, sondern als Geraubte. Also mussten wir den Ritus der vier Himmel durchmachen, nachdem wie zuvor schon ein Mal durch die Wildnis marschieren mussten. Für diese Fortsetzung der Initiation waren wir nach der Ankunft noch vier weitere Male in der Todeszone ausgesetzt. Daraufhin mussten wir, Gor und den zentralen Turm ständig als einzige verlässliche Orientierung am Horizont, in einem Tagesmarsch unseren Weg zurückfinden. Während dieser schlimmen Tage sind wir zu anderen Menschen geworden, zu gebrochenen, willenlosen Opfern. Beim ersten Mal war es schon hart genug, aber mit jedem weiteren Mal wurde es schlimmer, denn man wusste nun, was einem alles dort draußen drohte, hatte das Leid gesehen und mehrfach gespürt. Kaum eine der Gewaltmärsche durch die Todeszone geht ohne Tote und Verletzte unter uns Sklaven ab. Die dauernde Todesangst sorgt, zumal man ohne Nahrung und Wasser ausgesetzt wird, für unangenehmeste Grenzerfahrungen. Danach weiß man kaum noch, wer man vorher gewesen ist. Genau darum geht es ihnen, diesen Bastarden dort oben in ihren schicken Villen. Je ein Mal aus jeder Himmelsrichtung haben sich die neuen Sklaven in ihrer ersten Woche zurück zum Lager ihrer Meister durchzukämpfen. Besser denke ich nicht weiter darüber nach, es sind schreckliche Erfahrungen gewesen, die ich am liebsten vergessen würde. Das Geschehen der letzten Minuten nötigt mir jedoch die Erinnerung an meine eigene Vergangenheit, meine damalige Rolle in der gleichen grausigen Inszenierung auf. All das liegt zwar lange hinter mir, aber – leider, denn ich kann daran so Garnichts ändern – noch vier weitere Male vor den armen Teufeln dort drüben.

Mitleid steigt in mir auf, verdrängt jeden Vorbehalt und jede Vorsicht. Ich beschließe impulsiv, doch noch einen zweiten Versuch zu wagen, rufe noch lauter als eben schon: „Hey, ihr vier! Keine Angst – kommt einfach zu uns rüber, wann ihr könnt und wenn ihr wollt. Wir rennen sicher nicht weg und freuen uns über Besuch!“

Das ist schlagfertig gewesen, denke ich stolz: Nett, gleichzeitig ehrlich und witzig, aber mehr als das kann und will ich nicht riskieren – jedenfalls nicht in meiner heutigen Stimmung und dieser Situation. Nach einem scheußlichen Tag voller Strapazen und offener Demütigung während einer zermürbenden Arbeitsschicht von regelmäßig 12 Stunden, geht nur noch wenig. Von vier bis vier geht meine aktuelle Schicht, derzeit am Tag bald aber wieder mit Beginn in der Nacht. Mein kompletter Rücken schmerzte so sehr, dass fast jeder Muskel dort verhärtet sein dürfte. Die meisten Gelenke und besonders die beiden Knie tun mir ebenfalls weh. Auch Kopfschmerzen mischen sich unter die restlichen Leiden, fallen jedoch als normaler Dauerzustand kaum ins Gewicht. Das alles ist kein Wunder, so schwer wie wir Sklaven gefordert werden, ohne dass dabei unsere Gesundheit eine große Rolle spielt – Hauptsache: Man arbeitet. Dadurch werden mir sogar die relativ leichten Aufgaben meines Arbeitsdienstes zur Belastungsprobe. Wenn ich mir im Vergleich dazu vorstellte, wie es in den Minen und Manufakturen zur Sache geht, darf ich mich wirklich nicht beklagen. Was Yang und andere Industriesklaven mir manchmal darüber berichteten, ist widerlich und unmenschlich. Das Gefährlichste, was mir passieren kann, ist eine geile Mira oder eine übellaunige Annabelle, von etwas Muskelschmerzen nach harter Hausarbeit mal abgesehen.

Weiterhin geschieht da draußen nichts, immer noch keine Reaktion auf meine doppelte Ansprache. Aber auch dieses Mal erfolgt keine Strafe, kein Schmerz durchzuckt mich, keine Warnung verkündet die Konsequenzen meiner Regelüberschreitung. Wahrscheinlich sind die vier Asylanten heftig traumatisiert und brauchen ihre Zeit, um wieder klarzukommen. Langeweile, Verdruss und neue Abneigung durchströmen mich, trotz aller aufgebotenen Empathie.

Egal jetzt, scheiß drauf – ich muss einfach noch etwas länger abwarten, nur Geduld. Nur noch einige Atemzüge, denn mein Bruder regt sich, erwacht aus seiner stundenlangen Starre. So hat er schon dagelegen, als ich vorhin zurückgekommen bin, kaum zugänglich und reichlich wortkarg – ganz so, als wäre er drauf, alleine und ohne mich. Egal auch das, ich kann mich nun einfach zurücklehnen, entspannen und gespannt zusehen, was passieren wir. Mal ehrlich, ich habe es ernsthaft versucht, mit hohem Einsatz jedoch ohne Erfolg. Abwarten also und schwesterlich auf den Halbstarken aufpassen, mehr brauch ich von hier an nicht mehr zu tun. Gleich wird es passieren, das spüre ich mit unerklärlicher Gewissheit.

Schon schlägt er seine dunkelbraunen Augen auf, lächelt kurz mit ihnen, indem er synchron seinen linken Mundwinkel hebt, und zwinkert mir vertraut zu. Wortlos steht er auf, streckt sich und geht rüber zum Portal unserer Wohnkuppel, das nur deshalb durchsichtiger ist als die Wand, da es eine bloße Lücke ist – offen, nichtig.

„Ey, ihr Asylanten! Hey – hier drüben, wir sprechen mit euch! Seid ihr schockgefroren, angewurzelt, taubstumm oder ist sonst was Abartiges los mit euch?“

Näher ran, so bringt das doch nichts. Neugierde und Lust treiben mich weiter, auf in den abendlichen Spaß: „Mein süßes Schwesterherz und ich sind zwei krass unterschiedliche Typen, nicht wahr? Aber so dicke, dass wir wirklich fast eins sind, da hat die Kleine schon recht.“

Genug gedöst und nur zugehört, wie Yin sich abmüht, jetzt ist echte Aktion angesagt. Mehr als eine Stunde auf’m Trip und das Soma flasht mich kaum noch, hoffentlich checkt Schwesterchen das nicht. Bob hatte nur eine Dosis, Egoismus voran. Egal, was sie nicht weiß … und jetzt gibt’s ja ein Alternativprogramm: Voll daneben, das Frischfleisch, und total durch mit seiner Umwelt. Eine geile Aufgabe für mich, diese Typen werde ich mal hart aufklären. Scheiß auf die Regeln – Gesetze der sogenannten Herren, pah! – und scheiß drauf, ob die da drüben unsere Sprache sprechen, hier in Gor ist Anpassung gegen den eigenen Willen absolute Devise – also ungeschönt und echt …

„So wie ihr ausseht, checkt ihr gerade zwar eh überhaupt nichts, aber selbst wenn – dann kratzt mich das nicht, ich mach einfach mal munter weiter im Text. Ich helf euch ein wenig auf die Sprünge, vielleicht hilft‘s euch am Ende sogar.“ Lässig an die Wand gelehnt, noch nicht im Schlamm, nicht im Regen, mitten im Eingang, jetzt Ausgang.

„Eins ist von nun an anders und das müsst ihr euch von Anfang an einspeichern: Ihr, wir sind keine Menschen unter Menschen. Wir sind Sklaven unter Herren, unfrei, abhängig, kaum mehr als räudige Streuner. Einen Dreck wert, nicht total wertlos, aber nur eben so viel wie unsere Arbeitskraft. Also integriert das, besser schnell, und fügt euch. Kuscht und buckelt!“

Härter, mehr davon – die werd‘ ich schon weichkochen und wieder zum Leben erwecken. Selbst wenn sie kein Deutsch sprechen, muss meine starke Ansage irgendwie bei ihnen ankommen, sie aufrütteln … wenigstens ein Zwinkern, ein kleines Zucken – kommt schon!

Wochenendlektüren Nr.9 – YY1: S. 8-11/~35 [Version 1.2]

Ein weiteres Wochenende bringt eine weitere Passage final überarbeiteten Text mit sich. Wir erfahren darin mehr über Yin und ihr Leben in der dystopischen Gemeinschaft, die ihre Existenz und Subsistenz einzig durch Sklaverei zu sichern vermag. Zwar bietet Gor Thaunus respektive seine noch farblosen Gründer ihren Bewohnern Schutz vor der menschenfeindlichen Umwelt und ein gesteigertes Maß an Zivilisation in einer verwüsteten Welt, dennoch zahlt die Mehrheit der Sklaven mit ihrer Freiheit und Arbeitskraft den Preis für diese Vorzüge. Mag sein, dass am Ende alle zusammen mehr Wohlstand haben – Stichwort: Trickle-down-Theorie -, aber wird dadurch eine drastische Ungleichheit zugusten der reichen Minderheit und zulasten der arbeiteten Mehrheit legitimiert? Welches Maß an Luxus ist im Angesicht der Armut noch erträglich? Wie viel sind die Hochkultur und der Fortschritt vor diesem Hintergrund noch wert?

Anklänge an die antiken Poleis mit ihrem Sklavenheer sind also ebenso kalkuliert, wie obiger Fragekomplex in die Lektüre inkorporiert und Assoziationen an eine ungleiche Verteilung von Wohlstand und Belastung in unserer globalisierten Lebenswelt inspiriert werden soll. Hiermit will ich – Autorenschaft hin oder her – jedoch weder Interpretationshoheit beanspruchen, noch verhindern, dass jeder Leser seine ganz individuellen Bedeutungen herein- und herauslesen wird. Wie auch, ist doch dieser wie jeder andere Text, und sei es der funktionalste Gebrauchstext, ab dem Moment semantisches Freiwild, in dem er den Geist seines Verfasser verlässt und sich in unserer Welt manifestiert.

Dennoch erlaube ich mir gelegentlich, auf das hinzuweisen, was ich neben Zertreuung und Schreibtraining auszudrücken beabsichtige und was eben nicht: So ist der Themenkomplex Flucht und Gastfreundschaft, mag er auch in der Eröffnungsphase offen anklingen, übrigens bestenfalls sekundär und wird rasch fallengelassen. Dieses zeitgenössische Thema in diesem fiktional-zukünftigen Kontext zu reflektieren ist m.E. nicht nötig. Eventuell hilft solcherart positive wie negative Erläuterung demjenigen, der sich fragt: Was soll das komische Geschreibsel denn eigentlich?!

Mit der doppelten Einladung, Eure Lektüreefrahrungen zu teilen und über unsere Rolle in der Welt zu reflektieren, Euer hoffentlich nicht zu pädagogisch-aufdringlicher Satorius


1. Zugang YY – Gor(e)

Ich stehe ganz oben, sogar weit über Hohenherz. Mir schwindelt und der Wind pfeift heftig. Ich bin auf Soma – Teufelswerk und Ambrosia –, und zwar derb. Wellen aus purer Wonne fluten durch Körper und Geist. Der Grund für beides heißt Mira Zorathule. Die jüngste Tochter der jüngst verstorbenen Helena Zorathule, die wohl die mächtigste Frau in Gor gewesen sein dürfte, hat mich direkt an meinem ersten Arbeitstag bei der Gründerfamilie mit hinauf auf den Thallum Gor genommen, vielmehr dorthin befohlen – ein Privileg, das nur den Eigentümern zusteht, bei mir aber nicht nötig gewesen wäre. Der Trip und der Ausblick trösten mich über alles andere hinweg, versöhnen mich für einen kurzen Augenblick mit der beschissenen Welt dort unten zu meinen Füßen, in der ich tagtäglich überleben muss. Die Siedlung interessiert mich nicht, ich ignoriere sie und blicke in die Ferne. Weit im Westen, auf halbem Weg zum Horizont, erstreckt sich ein ausgedehnter Dschungel. Ein bis hierhin sichtlich bunt gefleckter Pflanzenteppich windet sich dort bergauf durch das raue Hügelland. Sogar einige der unglaublichen Baumriesen sind zu sehen, ragen tausende Meter in die Höhe, bis hinauf in die Wolken und vielleicht sogar darüber hinaus. Unten in den Niederungen der Glasstadt und bei den wenigen Aufenthalten in der Berggasse habe ich nie so weit blicken können. Ich bin verzaubert, obwohl ich genau weiß, um was es sich dabei handelt: Es ist kein märchenhafter Zauberhain, sondern Ergebnis nüchternen Biotechnologie, eine ehemalige Naturlunge – funktional doch wunderschön. Damals und jetzt träume ich davon, wie ich, Simsalabim, aus Gor entkomme und, Abrakadabra, die Todeszone unbeschadet hinter mir lasse, um schließlich noch vor Sonnenuntergang dort anzukommen. Überall um mich herum ist Leben, allerlei Pflanzen und Tiere. Ich begebe mich schnurstracks zu einem der Riesenbäume, beginne mutig und kraftvoll, an seiner borkigen Rinde hinauf bis in die Wolkendecke hinein zu klettern. Dunkelheit und klamme, feuchte Luft umfangen mich und nach dem wundersamen Aufstieg komme ich erleichtert und nur leicht erschöpft mit den orangeroten Strahlen der wärmenden Sonne oberhalb der Wolkendecke an. Eine schier unendliche Wolkenlandschaft, Berge, Ebenen und Schluchten in Weiß, Grau und Schwarz erstrecken sich in alle Himmelsrichtungen. Die Krone des Baums beginnt bald über mir, wirft einen gigantischen Schatten nach Osten. Dort kann ich auf ausladenden Ästen seitwärts wie weiter aufwärts gehen. Voll Freude und mit Zuversicht suche ich nach einer günstigen Stelle, finde sie und blicke ich mich hier oben um, sauge den himmlischen Anblick, der sich mir bietet, tief in mich auf. Ich habe soeben eine überirdische Zauberwelt betreten, sehe nicht nur die anderen Baumkronen, die aus den Wolken ragen, sie überragen und teilweise ineinander übergehen, sondern nun auch glitzernde Luftschlösser, die überall in nah und fern sanft dahingleiten. Voll Freude und mit Zuversicht suche ich nach einer günstigen Stelle, finde sie und blicke ich mich hier oben um, sauge den himmlischen Anblick, der sich mir bietet, tief in mich auf. Ich habe soeben eine überirdische Zauberwelt betreten, sehe nicht nur die anderen Baumkronen, die ineinander übergehen, sondern nun auch glitzernde Luftschlösser überall in nah und fern. Sogar einige Orbitalkanäle winden sich im Hintergrund der Szenerie empor. Auch wenn ich zugleich um deren Existenz und die der Atmosphärenhabitate weiß, kann ich mich der Magie dieses Anblicks nicht entziehen. Ich atme die frische und reine Höhenluft ein, staune und schweige beeindruckt. Die glänzende Schönheit dieser sonnendurchfluteten Zwischenwelt, weit über der festen Erde, jedoch unterhalb der Orbitalstätten im Weltraum gelegen, erfüllt mich. Ich spüre deutlich, hier oben über den Wolken, wartet ein neues, besseres Leben auf mich. Ein Hauch von Frieden und Reichtum, Glück und Gerechtigkeit umgibt die sanft dahingleitenden Wolkenstädte, allesamt dahinhingestreut wie schimmernde Edelsteine in den Farben des Regenbogens. Ich streife auf den Pfaden, welche die meterdicken Äste der Bäume mir bieten, stundenlang umher, nähere mich erst dieser, dann jener Stätte. Währenddessen geht die Sonne unter, der Himmel lodert dabei in gleißendem Feuerschein und sein Azurblau dunkelt langsam auf das satte Schwarzblau des Weltalls ab. Einzig die Orbitalbauten darüber und dazwischen, die wenigen sichtbaren, vom Erdboden aus hinaufführenden Kanäle ebenso wie das erdumspannende Netzwerk an deren Ende, unterbrechen das traumhafte Panorama. Sie sind in kunstloser, metallen-schwarzer Einfachheit gehalten und ihre Positionslichter leuchten sporadisch auf. Die Baustile der vielen fliegenden Städte sind im Gegensatz dazu so vielfältig wie einzigartig, so schön wie sympathisch. All ihre farbenfroh glänzenden Oberflächen und die bunt gemischten Bewohner in ihren Straßen erwachen für mich zum Leben, bezaubern mich. Jede dieser atmosphärischen Heimstätte ist anders, aber alle gleichen sie sich, sind so behaglich, so sauber, so nett und freundlich wie die anderen. Auf paradiesische Art sind sie unwirklich – ich fühle mich im Inneren so, wie damals während und nach den tolldreisten Märchen, die unsere Eltern uns früher einmal zum Einschlafen vorgelesen haben. Abenteuer treffen auf Geborgenheit, Weite und Nähe fallen zusammen, eine Vereinigung von Gegensätzen findet statt – träumend erfasst mich ein Gefühl der Heimat, ja, es erfüllt mich.

Und schon falle ich jäh aus meinem Traumland, mein Wegträumen endet in Wehmut und Verzweiflung: Das waren bessere Zeiten, damals in unserem früheren Leben, in einer unwiederbringlich verlorenen Vergangenheit. So angenehm und tröstlich die damit verwobenen Erinnerungen und dazugehörenden Traumbilder auch sind, so falsch und unwirklich sind sie heute, so dumm und naiv bin ich, wenn ich sie mir vorstelle. Es gibt dort oben über den Wolken in Wirklichkeit genauso wenig Gutes zu finden wie überall da draußen in den Todeszonen. Nur Leid und Tod warten dort, der Rest ist Vergangenheit und bloße Vorstellung. Hinter und über mir liegen Schmerz und Trauer – und vor mir? Was wird wohl alles auf mich zukommen: Eine steile Karriere als Edelsklavin, vielleicht der fast unmögliche Aufstieg, ja Ausstieg, in die Freiheit, erworben durch herausragende Leistungen und Treue im Dienst für Gor Thaunus? Wohl kaum, alberne Vorstellungen spinne ich mir da zurecht, nicht einmal des Träumens wert. Hier unten im Schlamm der Außenstadt, gefangen im Glaskäfig sind Anfang und Ende gleich, ist ein für alle Mal Schluss. Der Höhepunkt, nein, das Ende meines Lebenswegs als Unfreie scheint mit der Anstellung im Haus der Zorathules endgültig erreicht – einmal Sklavin, immer Sklavin.

Diese Gedanken an die verlorene Vergangenheit, die raue Wirklichkeit und die festgelegte Zukunft holen mich unsanft zurück in die Außenwelt. Es regnet ununterbrochen und der allgegenwärtige Schlamm wird dabei zu knöcheltiefem Matsch, stinkt zudem noch abscheulicher als sonst und macht aus jedem Schritt einen Kampf. Der Schlick ist kriechender Vorbote der aggressiven Natur da draußen, die selbst die dicken Schutzwälle nicht aufhalten können, was sie hier bei uns wohl auch gar nicht tun sollen. In den weiter innen und weiter oben liegenden Stadtbezirken ist nichts mehr von all dem zu sehen. Außer an mir und den anderen dort beschäftigten Sklaven gibt es näher zum Zentrum der Stadt kaum noch echten Dreck. Hier jedoch sind alle schmutzig, selbst wenn sie sich um Sauberkeit bemühen. Kaum ist der Schlamm getrocknet und ausgebürstet, kommt ein neuer Arbeitstag und alles beginnt von vorne.

Bevor ich nun ernsthaft damit anfange, mich über meinen Arbeitsdienst zu beschweren, oder mich am Ende sogar noch über die neue Stelle zu freuen, will ich mich doch lieber wieder mit den Gegebenheiten um mich herum beschäftigen: Die vier Wanderer dort draußen müssen sich zuvor mühsam durch die hiesige Todeszone mit ihren Tonnen an Dreck und Horden von Ungeziefer geschlagen haben – vom tödlichen Rest ganz zu schweigen –, da bin ich mir absolut sicher, auch wenn ich seit Jahren nicht mehr hinter dem Wall gewesen bin. Unterwegs müssen sie sich ständig gefürchtet haben, von irgendetwas angegriffen und verletzt, wenn nicht sogar getötet zu werden. Alles andere wäre Verdrängung oder Dummheit gewesen, denn niemand bei klarem Verstand unterschätzt die Gefahren dort draußen. Vielleicht hatten sie Glück, sind gute durchgekommen, das aber ändert nichts an der instinktiven Angst vor der Todeszone, die ihren Namen verdient hat.

Ob diese abgerissenen Figuren frische Jagdbeute oder verzweifelte Flüchtlinge sind, weiß ich nicht, am Ende ist das im Ergebnis sowieso gleich. Alle sind sie Opfer und verlieren spätestens in dem Moment ihre Freiheit und ihre Würde endgültig, in dem sie ihren Fuß in diese verfluchte Stadt setzen und dann nichts weiter anzubieten haben als ihr nacktes Leben, ihre wertlosen Hoffnungen und Träume.

Nüchterne Neuerung

Nach Krisen und Zerwürfnissen in den letzten und insbesondere im letzten Jahr ist es nunmehr offiziell: Die Metatext-Redaktion ist Geschichte. Quanzland ist damit ein Soloprogramm geworden.

Aufmerksame Beobachter hätten dies zuvor bereits ahnen können und haben spätestens mit dem Ausbleiben des feierlichen Blogbeitrags zum 5. Jubiläum, welches sich nunmehr still und bis hierhin wortlos in der Nacht vom 15. auf den 16. Oktober gejährt hat, einen klaren Beleg für diese Ernüchterung erhalten. Nach einer bereits drastischen Reduktion des Mitarbeiterstabes im vorangegangen Jahr waren die Vorstellungen und Ambitionen von mir und meinen ehemaligen Mitstreitern zu unterschiedlich, der weithin produzierte Inhalt zu eindimensional und geringfügig geworden sowie damit die Notwendigkeit einer redaktionellen Betreuung nicht mehr gegeben.

So ist es und so ist es auch gut. Sich unterdessen selbst zu gratulieren oder andere darauf hinzuweisen, dass man Geburtstag hat, ist nicht nur im realen Leben ebenso albern, wie armselig, deshalb wird es von nun an keinerlei seltsame Sentimentalitäten dieser Art mehr geben.

Der Blog wird damit zwar ärmer, weniger bunt und vielfältig, aber keineswegs gegenstandslos, sondern schlicht klarer und gradliniger. Ich schreibe über mich und meine Themen, wie es sich für ein digitales Tagebuch ursprünglich eben gehört. Wenn solche Inhalte anstehen, werde ich sie wie gehabt und gewohnt raushauen und gelobe hier und heute feierlich, gelegentlich auch mal wieder zu alten Interessensgebieten zurückzukehren – wobei ich verstohlen meine Finger überkreuze. Denn derzeit sind mir manche Themen einfach egal geworden oder haben keinen Platz mehr in meinem Leben, was aber nicht ausschließt, dass die altgediente Kulinarik, die neubegründeten Lebensräume wie auch die Wilden Trips wiederkehren könnten. Ebenso erleben die Diskurse der Nacht sowie die Denkwelten derzeit eine merkliche Rezession und insgesamt hat der Blog an Stellwert für mich verloren.

Trotzdem bleibt eines ganz gewiss: Quanzland lebt und wird so lange überleben, wie ich Satorius heiße und nicht gänzlich biedermeierisiert und von der Wirklichkeit vereinnahmt worden bin. Das aber steht nicht auf meiner Agenda und entspricht nicht meinem Wille.

Lasst Euch also überraschen, was hier in Zukunft geschehen wird, wie auch ich mich überraschen lasse, was mich neuerlich reizen und zum Schreiben animieren wird. Über eine meiner neusten Leidenschaften – das traditionelle Bogenschießen – vermag ich offen gestanden wenig zu sagen, noch weniger zu schreiben und tue es schlichtweg lieber. Über meinen seit einem Jahr mitunter größten Lebensinhalt – Vaterschaft und Familienfreunden wie -pflichten – wie auch meine tagtäglich Profession, die beide immerhin und wie bei uns allen zeitlich hochanspruchsvoll sind, breite ich weiterhin und strikt den Mantel der digitalen Diskretion, weshalb es derzeit vornehmlich die Fiktionalen Kleinode und dabei die Originale sind, die mutmaßlich auch weiterhin inhaltsstark bleiben werden und damit zum neuen Epizentrum von Quanzland avanciert sind.

So wie das Leben sich wandelt, tut es konsequent auch dieser Blog, der mittlerweile ohne fiktiv-fantastische Romantik, aber auch ohne eitlen Narzissmus primär meinem Leben les- und sichtbaren Ausdruck verleihen soll. Ich bin und bleibe ein Schreiberling, auch wenn sich mir der Verdacht aufdrängt, dass ich für mich und den Internet-Äther alleine schreibe, und, dass das sekundäre Ziel, nachhaltig ins Gespräch mit Euch – imaginierte wie latente Leserschaft – zu kommen, verfehlt worden ist und womöglich wird. Aber sei es drum, jeder Text ist es wert, geschrieben zu werden, selbst wenn ihn niemand ließt.

So viel zunächst und zuletzt zur nüchternen Neuerung, der dezidiert aber keine neuerliche Ernüchterung korrespondiert, denn selbst eine Welt mit nur einem Bewohner, bleibt eine Welt mit einem Bewohner: Hoch lebe Quanzland!

Nüchtern und nächtlich grüßt Euch Bewohner Nr.1, Euer Satorius

Wochenendlektüren Nr.8 – YY1: S. 5-8/~34 [Version 1.2]

Wohl erholt zurück aus dem einzigen offiziellen Jahresurlaub bin ich so frei und präsentiere das nächste Häppchen von YY1 als TSF ganz unumwunden, jedoch eingleitet mit diesem Monster-Satz, der für sich so inhaltsleer ist, dass ich ihn mir an sich hätte sparen können, was mir aber erst jetzt auffällt und zugleich so schwerfällt, dass ich ihn sein lasse, wie er geworden ist.

Seht es mir freundlich nach und wendet Euch dem nachfolgenden freudig zu, Euer Satorius


1. Zugang YY – Gor(e)

Während das Krachen des schweren Panzertors noch dumpf aus der Ferne widerhallt, rücken die beruhigenden Geräusche des prasselnden Regens von Neuem in den Vordergrund meiner Wahrnehmung: rhythmisch, wohltuend, beruhigend und angenehm einschläfernd. All die düsteren Gedanken an Kontamination, Revolution und die ganze Scheiße hier in Gor verstummen. Neugierde unterliegt unterdessen Müdigkeit und der wohlverdienten Unlust, mich noch ernsthaft mit der beschissenen Außenwelt zu beschäftigen. Vor allem dann, wenn sie sich so widrig gibt, so widerwärtig ist wie das Flüchtlingspack da drüben, das mich ignoriert und trotzdem interessiert. Dabei habe ich sie doch nur gebührend hier bei uns begrüßen wollen. Nach dem Fegefeuer der Todeszone sind sie nun im äußersten Kreis der Hölle angekommen – wow, erst Marxisten, nun Katholiken, es ist wohl mein Tag der Nostalgie. Neben den alten Sprachen kehren aktuell auch die alten Religionen und diverse obskure Weltbilder zurück, so auch das Christentum. Aber ich bin gefeit gegen solche Märchen. Wie dankbar bin ich in diesen Moment mal wieder dafür, vor all dem hier klassisch und kritisch von meinen Eltern ausgebildeten worden zu sein. Sonst erginge es mir wie den meisten anderen hier unten im Schlamm, sei er auch noch so nanohygienisch rein, und ich wäre wie sie blind, taub und verschlossen gegen die wirklichen Zustände im Sonnensystem. Würde mich vielleicht sogar in ideologische Illusionen flüchten. Dabei muss ich meinen Bruder leider mit einschließen, der intellektuell nie so viel Lust und Talent gezeigt hat wie ich und deshalb jetzt die eine oder andere recht eigenwillige Ansicht über unsere Lebenswelt vertritt. Zum Glück hat er für meine Erklärungen und Einflüsterungen meistens ein offenes Ohr, wenn auch ein stures Gedächtnis, das schnell vergisst.

Ach was solls, der Funke Neugier reicht doch dafür aus, mich wieder nach außen zu wenden. Regen und Nebel, das typische Scheißwetter bei uns eben, verhindern eine gute Sicht raus der Kuppel rüber zu den Fremden. Ich stehe also auf und gehe soweit zum Ausgang vor, dass ich nicht nass werde, und schaue genauer hin: Die vier dreckigen, kleingewachsenen Gestalten lungern still und unbewegt auf dem ebenfalls dreckigen, über und über mit Schlamm bedeckten Boden des Platzes direkt vor dem rostig-grünen Südosttor herum. Es sind lebendige Menschen, trotzdem wirken sie wie versteinert. Meine Gefühle ihnen gegenüber sind gemischt, immerhin, bin ich doch dank meiner Eltern als Humanistin erzogen worden und habe mir Reste dessen selbst hier erhalten können. Aber die Gesamtsituation des Sklavendaseins und die fortgesetzt dummdreiste Arglosigkeit der sogenannten Wachen gehen mir an die überreizten Nerven. Ich habe echt Angst vor dem, was wirklich da draußen hinter den Mauern lauert, und von dort kommen sie. Idealerweise sollte ich die Neuen, wie vorhin versucht, offen und freundlich begrüßen. Sollte sie keinesfalls grundsätzlich fürchten, mir besser selbst ein Bild von ihnen machen. Dabei sollte ich nicht auf die Absicherung durch Wachen und Waffen hoffen. Aber ich werde tatsächlich zunehmend unruhiger – nicht, dass die Gerüchte doch wahr und wir in Gor nun auch an der Reihe sind. Denn dann wäre es doppelt dämlich und selbstmörderisch, jetzt offenherzig und neugierig dort rüberzugehen, „Hallo“ zu sagen und auf gute Miene zu machen. Ach was, ich spinne schon wieder rum, werde wohl selbst langsam hysterisch. Es hat hier in den letzten Jahren kaum Zwischenfälle gegeben, ein paar gestörte Psychos, ja, aber die wurden schnell zur Vernunft gebracht oder wieder ausgesondert. Mehr Sicherheitsrisiken sind nicht von dort draußen zu uns hereingedrungen. Alles andere sind hausgemachte Probleme gewesen.

Dennoch das ist eh egal, jetzt dort raus und näher ranzugehen, traue ich mich nicht. Mein notorischer Drogenkonsum, all das elendige Soma, das verschnittene Amphetamin und der primitive Alkohol, sind relativ geduldete Regelverstöße. Sie bringen mir vermutlich einen Strich in irgendeiner langen Liste ein und führen ganz selten zu einem strafenden Schmerzreiz – wann genau und warum so selten versteht keiner von den vielen Junkies unter uns Sklaven. Das also ist eine Sache, aber ein direkter Kontakt zu Flüchtlingen ist ein ganz anderes Level! Außerdem bin ich gerade schon mutig genug gewesen, bin beim Regelsurfen ein ernstes Risiko eingegangen, als ich die Neuankömmlinge frei heraus angesprochen habe. Bevor die Wachen nicht ihre Sicherheitsshow abgezogen haben, ist uns sogar das Sprechen mit Heimatlosen untersagt, mit Freien oder Herren übrigens sowieso. Keine dieser vielen Regeln ist irgendwo aufgeschrieben, alles ungewiss. Wir lernen sie zufällig voneinander und nachträglich durch Bestrafung, seltener durch Nicht-Belohnung oder eine direkte Weisung von oben. Es gibt hierzu entsprechend viele Theorien und noch mehr Gerüchte, aber die wichtigsten Alltagsregeln sind noch jedem früher oder später schmerzlich klar geworden. Nach meinem Wagnis von eben, zumal es vermeintlich ungestraft bleibt, sollte ich mich nun wohl besser zurückhalten. Ich will heute sicher keinen mittelgradigen Regelbruch mehr riskieren. Yang könnte jetzt ruhig mal stolz auf mich sein, wo er mich ständig als ängstliches Hühnchen betitelt, wenn der Penner denn überhaupt mal seine Augen auf und seine Zähne auseinanderbekäme. Ich habe jedenfalls vorerst genug, genug provoziert und getan – und überhaupt, so heftig wie Yang genieße ich das Adrenalin beim Surfen dann auch nicht.

Wenn ich doch nur irgendwas zum Flashen hätte, wäre alles leichter – aber nein, es herrscht seit Tagen Flaute auf dem Schwarzmarkt. Bald reichts mir, dann trinke ich allen Ernstes wohl mal wieder den verfluchten Schnaps, den man, Nebenwirkungen hin oder her, leicht und sogar legal bekommen kann. Heute müsste ich, wenn ich mich vorhin nicht doch sträflich versurft habe, wieder eine Dosis von dem Dreckszeug zugeteilt bekommen. Irgendwann in den Abendstunden könnte das passieren, aber wann genau und ob überhaupt liegt nicht in meiner Hand, nur der Ort ist gewiss: Beim Lebensmarkt 5. Zwischenzeitlich kehre ich die wenigen Schritte vom Eingang zurück und wir ruhen wieder beide in den aktuell zu Sitzsäcken umfunktionierten Allzweckmöbeln in unserer transparenten Wohnkuppel mit der neongelben Nummer 423 über ihrem Eingangsportal.

Wie zu erwarten ist keine der Wachen aufmerksam geworden und da eine direkte Bestrafung auch ausgeblieben ist, lasse ich meinen Gedanken nun freien Lauf und sie laufen wie meist sehr weit weg von hier. Hier in der tristen Wirklichkeit des Sklavenlagers gibt es halt nicht viel Gutes zu holen, daher bekommt man rasch Übung im Weg-Denken. Und sowieso, was auch immer passieren will, wird auchff9200 ohne mich passieren, wie es eben geschehen wird, will oder soll oder womöglich sogar muss – ach, was weiß ich kleine Sklavin schon vom Schicksal und dem Lauf der Dinge, noch über den Gang der Zeit und die Zukunft!

Eines aber weiß ich ganz sicher: Ich will hier weg, raus aus dem Schlamm der Glasstadt, am besten ganz weg aus Gor oder doch wenigstens nach oben in die besseren Stadtteile. Ich habe lange gehofft, dass ich mich an das Sklavendasein gewöhnen könnte, dass mich der kleine Aufstieg, der uns möglich ist und den ich begonnen habe, vertrösten könnte. Aber ehrlicherweise halte ich die Scheiße des Alltags nur einigermaßen aus, wenn ich irgendwie flüchte, irgendwie verdränge. Solange ich nicht auf Droge sein kann, ist meine Phantasie der einzige Ausweg, ein geheimer Schlüssel zum Reich der Freiheit. Meine Vorstellungsgabe ist ein verborgener Pfad aus der Stadt heraus in die weite Welt hinaus. Der wirkliche Fernblick über die umliegende Todeszone in Richtung Horizont taugt kaum zum Tagträumen, ist aber der Anfang jedes mentalen Trips. Könnte man jetzt über die Streuner hinweg und durch den äußersten, sieben Meter hohen Schutzwall hindurchschauen, könnte man vor allem jenseits aber auch innerhalb der Ruinenfelder versteckt sehenswerte Plätze entdecken, wildromantische Kulissen, einer Hyperschnulze, wie sie Mama einst geliebt hat, würdig. Aber besonders die Erinnerungen an früher liefern mir den Stoff, meine Phantasie macht dann den Rest. So weiß ich mich perfekt zu erinnern, denn man prägt sich die schönen Dinge, die es im hässlichen Lagerleben kaum noch gibt, am besten gründlich und ganz tief ein. Ohne solche unschätzbar wertvollen Erinnerungen fehlen einem Rückzugsorte für Geist und Seele, ohne solche Schatzkammern des Glücks bleiben einem halt nur Drogen, legale wie illegale. Oder man ergeht sich eben in teils bedenklichen Hobbys wie dem Regelsurfing. Ansonsten verliert man schnell die Lust am Leben, am zermürbenden Alltag des 24/7-Sklavendaseins und am Ende versucht man lange und zunächst häufig erfolglos, sich das Leben zu nehmen. Denn trotz der diversen hochtechnologischen Sicherheitsvorkehrungen sterben die meisten Sklaven letztlich doch durch Freitod, nicht durch Krankheit, Unfall oder mordlüsterne Dritte. Nichts für mich, ich will wenigstens geistig gesund bleiben und da keine ordentlichen Drogen zu Hand sind, lehne ich mich nun komplett zurück, räkel mich bequem in den weichen Kunststoff unter mir und schließe meine Augen endgültig fest. Ich ergehe mich in einer längst überfälligen Tagträumerei, einer der wenigen Episoden, deren Ursprung nach meiner Enteignung liegt. Dieses Erlebnis ist noch frisch, ist kaum eine Woche vergangen:

Wochenendlektüren Nr.6 – YY1: S. 2-5/~34 [Version 1.2]

Pflicht oder Lust, was sollte das Schreiben, ja mehr noch, das Leben anleiten? Ist eine Handlung authentischer, womöglich sogar moralischer, die aus positiver Neigung alá „Ja, darauf habe ich richtig Bock!“ getan wird oder eher diejenige, welche innerhalb eines vernünftigen Wertesystems erwogen und abschließend pflichtbewusst getroffen wird, wenn nötig im Unterschied zu erstgenanntem Hedonismus auch negativ alá „Wäre zwar geil, ist aber unklug oder gar ungerecht – also: Nein!“ bzw. „Eigentlich keine Lust, aber muss halt, deshalb: Ja!“?

Dieser Fragekomplex klingt nicht nur groß, er ist philosophiegeschichtlich epochal und auch psychologisch noch unabgeschlossen, wenn nicht unabschließbar. Ich komme darauf und drehe mich darum, weil ich in puncto Blog für sich und Schreiben an sich häufig zu trägem Hedonismus neige. Hierbei und ganz im Gegensatz zu anderen Bereichen des Lebens, die weniger ästhetisch und fakultativ sind, vermag ich kaum eine Pflichtethik anzuerkennen und anzuwenden. Warum auch, geht es hierbei, hierin doch weder um den potentiell leidenden Anderen, das größere Glück des Kollektivs oder um Fortschritt und Perfektion …

Und schon beginne ich meine zuerst so klare Trennung zwischen Lust und Kunst auf der einen sowie Ernst und ökonomischer Politik auf der anderen Seite des ethischen Terrains anzuzweifeln. Wahrscheinlich zurecht, ist doch ein naiver Hedonismus selten ein guter, weil erfolgreicher Lebensberater – trotzdem, begehre ich sodann wieder auf und beharre zuletzt: Ich schreibe nur, wenn ich Zeit und Lust, Muße und Muse habe.

Jetzt ist ein solcher Moment, heute ein solcher Tag. Also macht euch auf ein paar frische Inhalte gefasst. Den Anfang macht altbewährtes und neu überarbeitetes Material vom literarischen Dilettanten in mir. Es geht dabei heute zunächst weiter mit Yin & Yang (YY) in der zukünftigen Sklavenhalterstadt Gor Thaunus; währendessen wartet Xaver S. (XS) weiterhin im Erdorbit auf seine Landung und damit Fortsetzung; Alice Aqanda (AA) harrt gelassen im Grünen ihrer lange überfälligen Aktualisierung; von der noch ausstehenden Bekanntschaft mit Kjotho (KJ), dem tierischen Trio Trudie, Valerian und Balthazar (TVB), den Psychedeelern (PD) und dem noch namenlosen Vektoren (V8) nicht ganz konsequent geschwiegen.

In dieser Richtung kann also, das wollte ich oben just mal angedeutet haben, noch viel passieren; weswegen das Format Originale und die verbundenen Formate und Themen im Gegensatz zu manch anderem Aspekt von Quanzland und trotz aller hedonistischen Latenz und Leere eine rosige Zukunft haben. Am schlimmsten steht es dabei derweil um die „Kulinarik“ und die „Wilden Trips“ – erstere siecht modrig dahin, zweitere warten weiterhin auf Wachstum.

Nun also zum nächsten Streich, der mit Lust geführt und mit Grüßen komplettiert wird, Euer Satorius


1. Zugang YY – Gor(e)

Mit Yang ist heute kaum was anzufangen, der döst schon eine ganze Weile nur so vor sich hin oder tut jedenfalls erfolgreich so als ob – vielleicht nur, um mir im richtigen Moment dazwischenfunken und damit die Show stehlen zu können. Ich kenne mein Bruderherz nur zu gut, aber hier gibt es erstmal nichts zu stehlen. Mit meiner Eröffnung will ich auch üben, so cool, schlagfertig und selbstsicher zu wirken, wie er es ist und ich es nicht wirklich bin. Wie auch, in die Rolle einer Sache gezwungen, bloßes Eigentum, ist sowas wie echtes Selbstbewusstsein ein krasses Kunststück. Erst recht fällt es mir heute Abend schwer, eine Stunde nach dem Ende meiner erst achten Tagschicht in allerhöchstem Hause. Nach der ersten Woche in meiner neuen Funktion als Hausdienerin bin ich offen gestanden reichlich daneben, ziemlich übellaunig und noch fertiger mit der Außenwelt als schon zuvor – weit mehr und auf eine andere Art, als ich anfangs gedacht habe. Ich komme mir klein und wertlos vor, nichtig.

Außerdem sind die erbärmlichen Gestalten dort drüben kein allzu geiles Publikum für meine Ego-Show. Wenn sie mich überhaupt verstehen können, stutze ich, weil mir erst jetzt klar wird, dass hier keinesfalls jeder die Sprache der Gründer – Deutsch – spricht. Vielleicht sprechen sie Neolatein, Englisch oder sogar Solar, wobei all die anderen alten Sprachen und besonders die frühere Einheitssprache hier strikt verboten sind. Da ich keine weitere Runde Regelsurfing starten will und das Glückspiel Welche Sprache ist die richtige? einer bescheuerten Lotterie gleichkommt, bleibe ich still. Dank meines früheren Lebens spreche ich immerhin einige Sprachen, zumindest oberflächlich. Doch gibt es neuerlich wieder so viele verschiedene Sprachen, denn jeder popelige Zwergstaat will seine eigene haben. Auch wenn Deutsch die gängige Sprache in Gor und Umgebung ist, wer weiß schon, von woher die vier Typen gekommen sind. Die Fluchtwege sind bekanntlich lang und haben solares Ausmaß – fast jeder will auf die Erde zurück und dort in einer der Lebenszonen unterkommen. Wir sind zwar nur ein kleiner Vorposten irgendwo in der Wildnis, liegen aber so nahe an einer der Großen Sieben, dass hier reger Durchgangsverkehr herrscht. Auch hätten die verdammten Jägertrupps ihre Reviere mittlerweile weit nach Westen, sogar bis jenseits des Rheins ausgedehnt, so munkelt es zumindest die brühwarme Gerüchteküche in der Glasstadt, und zwar strikt auf Deutsch. Hunger drängt sich abermals auf, mein Magen knurrt vernehmlich.

Woran es auch immer liegen mag, verdränge ich meinen Körper nochmals, ob sie mich nicht verstehen können, anderweitig kaputt oder sonst irgendwie daneben sind, ich ernte weiterhin keine Reaktion auf meine tolle Ansprache. Nicht Mal die kleinste Regung dort drüben, überhaupt gar nichts. Wie die vier Gestalten in ihren sichtlich versifften Klamotten da herumlungern, gilt es hier wirklich weder jemanden zu beeindrucken, noch gibt es irgendwas zu gewinnen. Inzwischen verharren sie seit über fünf Minuten unbewegt im Eingangsbereich unseres Lagers, nachdem sich zuvor das schwere Panzertor mit einem unheilvollen Krachen fest und unwiderruflich hinter ihnen verschlossen hat. Davor war es wie immer geräuschvoll aber träge zur Seite und ebenso auch wieder zugeglitten, minutenlang in gähnender Langsamkeit und mit einem widerwärtigen Knarzen und Knirschen – nervig und spannend. Irgendeiner von den ach so tollen BeatBoyz musste zuvor also wenigstens so viel Aufmerksamkeit aufgebracht haben, das Tor zu öffnen und sie damit zu uns reinzulassen. Einfach mal so, frei nach dem Motto: Scheiß auf die Sicherheit der Wertlosen. Unsere Sicherheit bedeutet ihnen kaum etwas – das ist echt typisch. Den Rest der üblichen Prozedur, die man gelegentlich sogar mal miterleben darf, scheint man in der aktuellen Schicht kurzerhand und bequemerweise vergessen zu haben. Das ist so bezeichnend für das verstrahlte Pack.

Ich beginne nochmals herumzuspinnen, mache mir wieder allerlei Sorgen: Wer weiß schon, was die Neulinge uns hier gerade einschleppen. Myrte aus Kuppel 67 hat mir heute Morgen erst wieder grausige Gerüchte über die angeblich gebrochene Kontaminationsgrenze nicht weit im Westen direkt am Mittelrhein erzählt. Seitdem wären die bisher schon lebensgefährlichen Todeszonen noch tödlichere Orte geworden – wenn das halt stimmt, was sie berichtet hat. Es klang schon hart übertrieben und unglaublich. Yang hält Myrte, wie viele andere auch, für eine Spinnerin. Solche Gerüchte sind für ihn nur hysterisches Geschwätz von Dummköpfen oder sogar schlimmstenfalls konterrevolutionäre Propaganda.

Dass mein Bruder derartig abstrakte Idee denken und solch heftige Worte aussprechen kann, verblüfft mich immer wieder aufs Neue. Seit er mit den selbsternannten Marxisten abhängt, überrascht er mich häufiger mit schrägen Idee aus der europäischen Vorgeschichte, die aber meist gar nicht mal so daneben sind. Dabei bin ich von uns beiden für Denken und Wissen zuständig und er, ja er, ist eher praktisch veranlagt – ein kleines, halbstarkes Männchen eben. Wow, denke ich selbstzufrieden, meine Überheblichkeit fühlt sich gut an, wäre das doch nur immer so.

Wahrscheinlich träumt mein starkes Brüderchen gerade von einem weiteren, nutzlosen Aufstand der Sklaven. Diktatur des Proletariats, wie es seine neuen Freunde nennen müssten, wenn sie mehr als nur den Namen Marx und ein paar Schlagworte irgendwo aufgeschnappt hätten. Ich kenne diese Leute in Wirklichkeit überhaupt nicht persönlich, sehe sie nur aus der Ferne und höre von ihnen aus Yangs Erzählungen. Nachdem er vor ein paar Monaten in den Minen angefangen hatte, lernte er in seiner Schicht zwei Typen – Mike und Bob – kennen und fing an, mit ihnen und ihrer Clique abzuhängen. Wie auch immer man sich freiwillig für so bescheuerte Namen entscheiden kann, ist mir rätselhaft, wo doch die Wahl des Namens eine der wenigen Freiheiten ist, die wir Sklaven hier haben. Nach allem, was ich bisher mitbekommen habe, traue ich diesen Pseudorevolutionären kaum mehr als Halbwissen über die tatsächlichen Hintergründe zu. Aber wenn man so schwer schuften muss, wie diese Typen das unter Tage, auf den Feldern und in den Schwitzbuden tun müssen, dann braucht man wohl den Irrglauben an Widerstand als eine Art der Überlebensstrategie. Sollen sie nur weiterreden und vor sich hinträumen, solang sie und damit vor allen mein Bruder Yang nicht irgendwann wieder was handfest Dämliches versuchen. Das letzte Mal war eine derbe Sauerei mit viel Geschrei, Gewalt und zu vielen Toten gewesen. Als die letzten Möchtegernrebelen es vor ein paar Jahren, nur ein paar Monate nach unserer Ankunft, mit einem Aufstand versucht hatten, haben wir am Ende ziemlich viel Platz und auf einmal sogar größere Rationen bekommen – dann doch lieber Regelsurfing, denke ich mir und horche auf.

Auf ein Neues: Hallo Gutenberg, hallo Gegenwart!

Was ist denn hier passiert, frage ich mich als müde gewordener, bisweilen verzagter Blogaspirant nach einer trägen Phase? Gutenberg bringt mich auf Trab, macht nicht nur alles anders, sondern auch vieles neu bei uns in Quanzland! Beispielsweise und konkret ist die ehemalige Formatierung von Text-Fast-Food im Detail unmöglich geworden und vermutlich auch die Form vieler anderer Formate. Deshalb heißt nun die Devise: Nicht zwanghaft am Alten kleben, lieber frei heraus das Neue erschaffen.

Block für Block entsteht hier und heute aus Anlass eines gelesenen Textes, der zuvor gefunden und für relevant oder wenigstens witzig befunden wurde, die neue Konvention für zukünftiges TFF. Mal sehen und abwarten, was hier in wenigen Sekunden erzählter Erzählzeit erscheint und wie lange die wirkliche Arbeitszeit auf dem Weg aus dem soliden Hardcover in meinen Händen heraus hinein in die hiesige Blogsphäre braucht.


Der Philosophie, der Religion und der Wissenschaft läuft die Zeit davon. Die Menschen diskutieren seit Jahrtausenden über den Sinn des Lebens. Wir können diese Debatte nicht endlos fortsetzen. Die sich anbahnende ökologische Krise, die wachsende Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen und das Aufkommen neuer, disruptiver Technologien werden das nicht erlauben. Wichtiger noch: Künstliche Intelligenz und Biotechnologie verschaffen der Menschheit die Macht das Leben zu verändern und zu manipulieren. Schon sehr bald wird irgendjemand entscheiden müssen, wie wir diese Macht nutzen – und zwar auf der Basis irgendeiner impliziten oder expliziten Erzählung über den Sinn des Lebens. Philosophen sind sehr geduldige Menschen, doch Ingenieure sind weit weniger geduldig, und am allerwenigsten Geduld haben Investoren. Wenn wir nicht wissen, was wir mit der Macht, Leben zu manipulieren, anfangen sollen, werden die Marktkräfte nicht ein Jahrtausend lang warten, bis wir eine Antwort darauf gefunden haben. Die unsichtbare Hand des Marktes wird uns ihre eigene, blinde Antwort aufzwingen.

Yuval Noah Harari (1976 – ), 21 Lektionen für das 21. Jahrhundert, S. 17 (Einleitung)


Et voilà – ohne die Minuten tatsächlich gezählt zu haben, ist es zwischenzeitlich passiert: Das neue Gewand für den schnellen Texthappen von Heute und Morgen ist fertig geschneidert. Vor allem aber ist ein Bann gebrochen, bin ich wieder frei von Lese-/Schreibunlust und lustig auf Lese-/Schreibgenuss. Auf den Regress folgt nun wieder der Progress – so und soweit zumindest das aktuelle Credo!

Damit zurück zum Wesentlichen: Dem Text und dem Text über den Text, was nicht zufällig an Derridas Bild der Spur der Spur bei simultanem Verlöschen der Spur gemahnt. Hararis Spuren zu folgen, wie sie sich im Staub der Geschichte abzeichnen und durch den Sand der fließenden Zeit winden, immer mit Blick auf das Zukommende orientiert, erfüllt mich mit Vorfreude. Denn schon nach nur kurzer Aufwärm-Recherche, wenigen Seiten der Einleitung und der ursprünglich durch persönliches Gespräch geweckten Neugierde auf diesen Autoren, verspüre ich eine Sympathie für Hararis Denkstil und Werte. Wenn auch der literarische Stil bisher eher karg und nüchtern ausgefallen ist, so tut das der Relevanz der Themen und vermuteten Brillanz des Historikers keinen Abbruch.

Er unternimmt Großes, will vieles auf einmal und wagt große Schritte und Würfe. In seiner dritten Monographie nach Eine kurze Geschichte der Menschheit (2011) und Homo Deus. Eine Geschichte von Morgen (2015) setzt er sich dennoch bisweilen demütig das ambitionierte Ziel, die wichtigsten Entwicklungsstränge der Gegenwart zu entwirren. Nach der Schnellvariante der Menschheitsgeschichte, also aus der beruflichen Domäne heraus mit Blick auf die Vergangenheit, gefolgt von dem inspirierenden Exkurs in die Zukunft, wagt er sich nun also an das Zeitgeschehen und nimmt die Gegenwart in den Fokus seiner Betrachtung. Es geht ihm damit ausdrücklich um den undenkbar schmalen Grat namens Präsens, das zwischen den beiden (Un-)Endlichkeiten Futur und Präteritum fristet, eingekeilt, flüchtig dahineilt, noch keine Erinnerung, kein Dokument, nicht mehr Erwartung, fern der Prognose, stattdessen ereignet sich bloßes, nacktes Geschehen – feucht, heiß, glitschig und mysteriös.

Ob es dem Historiker auf dem Weg durch gefährlichste der drei Zeitebenen abermals gelingt, klare, kritische und konstruktive Begriffe zu entwerfen, um die jüngsten Entwicklungen und Ereignisse stattlich einzukleiden und so gesellschaftsfähig, also verständlich und zumutbar zu machen, bleibt abzuwarten. Die nächsten Wochen werden mich jedenfalls durch die 21 Lektionen führen, soweit ich eben bereit bin, mich belehren zu lassen und gelehrig zu bleiben. Der Lehrer hinterlässt bei mir allenfalls und zunächst einen guten ersten Eindruck – mach‘ was daraus, Yuval!

Euer optimistischer Denk-/Lese- und Schreib-Re­ha­bi­li­tand, Satorius

Der 4. Geburtstag – aber: nachträglich!

Die Chronisten streiten zwar weiterhin höchst kontrovers, ob es vor gut vier Jahren der 15.10 oder doch eher 16.10 war, als Quanzland sich erstmalig in der Raumzeit des Internets manifestierte. Heute jedenfalls ist eindeutig der 23., womit der gesamte Artikel und die damit verbundenen Glückwünsche durch uns, die Metatext-Redaktion, unter einem negativen Attribut: „nachträglich“!

Das ist ein bewusst kalkulierter Affront gegen Satorius, der seine Kopfgeburt, unseren gemeinsamen Zögling zunehmend und mittlerweile schändlich vernachlässigt. Nicht nur mangelt es uns als Textverarbeitern im schimpflichen Maße an Inhalten, Interesse und Initiative durch den werten Herren Autoren, sondern wir wurden auch noch Opfer von inhumaner Rationalisierung: Aus 12 Mann mach 7 – einfach so, über Nacht, ohne jede Kündigungsfrist mal eben so 5 Menschen, Freunde und Mitstreiter sogar, auf dem Feldzug für das freie, freudige Wort gefeuert, entlassen, gekündigt. Gepaart mit Null- und Kurzarbeit im letzten Jahr, gibt es somit gute, schlechte Gründe für miese Laune in der Redaktion.

Trotzdem, so viel Ehre muss sein, soll trotz allem sein; auch wenn es hier nur noch langsam wächst, zunehmend unserer Unterstützung weniger bedarf, so bleiben wir unserer Aufgabe – Quanzland eine Form zu geben – treu ergeben. Wir, die sieben Rest-Redakteuere, gratulieren ausdrücklich dem Werk, weniger seinem Autor, recht herzlich zu seinem 4. Jahrestag:


Herzlichen Glückwunsch zum 4. Geburtstag Quanzland!

wünscht die geschrumpfte Metatext-Redaktion


Obwohl wir also schmollen und deshalb nur das nötigste an Aufwand für diesen, exklusiv uns überlassenen Geburtstagstext aufwenden, wollen wir heute erstmalig einen Blick in die mittelferne und sodann, traditionell rudimentär statistisch, in die nahe Vergangenheit unseres Blogs werfen. Unser anfangs so anklagender Befund wird hierbei leider eindeutig bestätigt. Dass die vierjährige Geschichte Quanzlands derweil eine Chronik des Niedergangs beschreibt, ist somit zugleich ein hartes aber ebendrum auch ein gerechtes und insbesondere von großer Sorge getragenes Urteil.

Ging es noch im ersten Jahr (99) mit knapp Hundert seinerzeit ehrlicherweise „sog.“ Artikeln, zumeist kürzeste und so gut wie immer unoriginelle Beiträge, insgesamt noch heftig zur Sache; wurde es im zweiten Jahr (+59) erwartbar etwas gediegener; gefolgt, und hier wurde es erstmals spannend, von einem dann leider fortgesetzt und somit bezeichnenden Negativtrend in Jahr Nr. 3 (+29) und wird nunmehr im vierten Jahr (+14) zuletzt gekrönt durch ein halbes Jahr Arbeitslosigkeit und sich daran anschließende Kurzarbeit. Die erfreuliche Addition zweier Themenbereiche und eines neuen Formates im vergangenen Jahr wurde akut wieder konterkariert; abermals sorgte die rüde, mehrwöchige Unterbrechung der zuvor initiierten Wochenendlektüren bei uns für Verdruss. Mit dieser folglich neuen Phase der Nullarbeit schließt sich der Kreis des letzten Jahres und Quanzlands Geschichte mündet trist wieder in unsere Gegenwart ein.

Es geht also quantitativ stark bergab und qualitativ, wenn auch die Texte den Namen „Artikel“ derweil eher verdienen, nicht im ausgleichenden Maße wieder bergauf – Talfahrt allenthalben also. Wir langweilen uns dabei definitiv und kommen deshalb zunehmend auf skurrile Gedanken sowie abwegige Ideen. Statt in dieser Richtung weiterzugehen, wollen wir jedoch einer der wenigen wirklichen Konstanten hier in Quanzland ihren entsprechenden Raum geben und der Tradition die Ehre erweisen.

„Quanzland in Zahlen“ sieht für dieses Lebensjahr derzeit so aus:


Thema (+2)       Anzahl der Beiträge: 199 (+14)       Format  (+1)

Fiktionale Kleinode   101 (+5)

Text-Fast-Food   95 (+11)

Denkwelten   52 (+3)

Lichtrausch   45 (+5)

Diskurse der Nacht   33 (+5)

Originale   28 (+6)

Kulinarik 22 (+1)

Quanzland-Zeitgeschehen   18 (+0)

Lyrik-Alarm   18 (+4)

Text-Slow-Food   6 (+4)

Metatext   14 (+4)

NEU: Bilderfolgen   5 (+5)

NEU: Wilde Trips   2 (+2)

NEU: Lebensräume   2 (+2)

Rätsel-Runde   1 (0)


Wir hoffen also, nächstes Jahr noch Teil von Quanzland sein zu dürfen, und vor allem, dass Satorius unsere Anklagen und Bitten ernst nimmt und sich nicht weiterhin ständig selbst demotiviert. Deshalb wiederholen wir auch hier unsere häufig getätigte Einschätzung der Lage: Ja, es gibt faktisch kaum bis keine Leser und definitiv keine anregenden Gespräche; auch ja, es gibt bequemere Zeitvertreibe, als einen Blog zu betreiben; zuletzt abermals ja, es gibt viele alltäglich nötige Konkurrenten um die notwendige Schreib- und Denkzeit. Denn nein, öffentliches Schreiben kultiviert den Geist, ermöglicht bessere Kommunikation, kann zu einer Kunst veredelt werden und ermöglicht Partizipation, Selbstausdruck und Demonstration.

Bevor wir nun aber restlos ins Pädagogische abgleiten, verbleiben wir mit erhobenen Zeigefinger der rechten Hand in Richtung Satorius und winkend mit der linken Hand in Richtung der (wenigen) Leser sowie einem offenen Blick in unsere Zukunft.

Bis bei einer nächsten Gelegenheit und spätestens bis in einem knappen Jahr beim 5. Jahrestag, Ihre Metatext-Redaktion

Die erste Bilderfolge Quanzlands: K(l)eine Utopien in „Bone“ oder Neo-Bied feat. NRx


Nein, wie schön, alles so grün und vital – von wegen!

Dieses prächtige und authentisch-verwackelte Amateur-Video, vermutlich aufgenommen in der Heimstatt besagten Amateurs, wurde mir über die Metatext-Redaktion anonym zugespielt. Es ist daraufhin Anlass geworden, für diesen allusionsreichen, aber letztlich argumentativ viel zu anfänglichen Artikel über eine politisch-pikante Polarität. Dieses Spannungsfeld versteckt sich als reflexiver Abgrund unter und hinter der zunächst beschaulichen bis erbaulichen Fassade eines Terraristik-Heim-Videos; es verbirgt sich eine politisch-brisante Problematik hinter der konkreten Oberfläche. Eine vemeintlich zyklisch wiederkehrende Systematik historischen Ausmaßes kündigt sich schlussendlich an: Rückzug trifft Reaktion!

Beginnen wir am Anfang am Ende, zunächst also auf der schönen Oberfläche: Mit der allzu positiven und allzu unvermittelten Einladung einer hörbar wohlbehaltenen Stimme, die für ein unbestimmtes „Uns“ spricht und den Zuschauer einlädt, einen vermeintlichen realexistierenden Ort namens „Bone“ zu besuchen, was nuschelinduziert an „Bonn“ oder auch „Baun“ erinnern könnte, aber tatsächlich ungewiss bleibt, endet das ansonsten vermeintlich selbstevidente Video.

Das Ganze hier ist, nebenbei und metatextuell bemerkt, der erste Auftritt bewegter Bilder innerhalb der neuerlich auch katergoriell wieder sanft expandierenden Grenzen Quanzlands. Ein neues Medium manifestiert sich damit in unserer bunten und vielfältigen Zwischenwelt und bildet damit den Ursprung für eine neue Unterform des Formats Lichtrausch: die Bilderfolgen. Nicht einzelne, fokussierte Motive, sondern großzahlige Folgen von ca. dreißig, nicht bewusst wahrgenommenen Bildern pro wahrgenommener Sekunde Lebenszeit malgenommen mit der Länge der jeweiligen Folge laden ziemlich hochzahlig zu einer rasanten Serien-Variante des bisher so kontemplativen Lichtrausches ein.

Von diesem singulären, finalen Satz aus also, vielmehr von seinem einzigen semantisch-markanten Wort aus, von diesem Leuchtturm des Sinns her, lässt sich das komplette und inhaltlich sonst unterkomplex scheinende Stück erhellen, durchleuchten und damit in seinen letztlich zutiefst politischen Konsequenzen überhaupt erst verstehen: „Bone“ (Man beachte: kursiv & „Ausrufung“) bezeichnet hierbei in meiner Lesart gewissermaßen nur grammatikalisch-lexikalisch einen echten Ort. Denn dieser profunde Nicht-Ort existiert exakterweise in Form einer virtuellen Utopie und ist damit ontologisch-redaktionell gesehen bloß ein fiktionales Fragment von Quanzland; ein gebrochener Splitter reinster Hyperrealität herausgesprungen aus einer spährischen Blase von Lebenswelt; in der nunmehr ein obskures Cyberkonstrukt seine kristallinen Strukturen chronologisch in die Höhe zu schrauben, zu stapeln beginnt.

Vor allem aber bietet dieses ominöse bis mysteriöse „Bone“ ziemlich viel Leben einiges an Raum, schafft Lebensräume, so viel steht neben aller unötiger Posie ganz faktisch fest und ist für alles Weitere der leitende Impuls. Natur wird dort in diversen Lebensräumen kultiviert, gleichsam geschützt und gehegt, augenscheinlich umfassend umsorgt. Vermutlich von einem gütigen Hausherren, man könnte ihn einen Mäzen des Lebens nennen. Er herrscht, regiert und reguliert das pflanzliche und tierische Leben dort gemäß seiner Gesetze, zugleich stehend unter den komplementären Kategorien, den Idealen von Ökologie wie Ökonomie, wohl immerdar versuchend, eine optimale Synthese aus beidem zu erreichen. Dort in „Bone“ hat er ein echtes Idyll, ein Kleinod von Heimlichkeit und Heiterkeit geschaffen und dafür schlussendlich nüchtern-rhetorisch betrachtet schlicht einen echten Neologismus geprägt. Soweit meine erst aufwärmende An-Interpretation des Videos.

[Kommentar @ Metatext-Redaktion: Vorsicht und Verzeihung lieber Leser! – fortgesetzte Lesegefährdung durch den folgenden Nerd-Absatz nach bereits wiederholt erfolgter Prosa-Poesie-Attacke, die wir schon beinahe als „Lyrik-Alarm!“ klassifiziert hätten]

Für Freunde der lateinischen Sprache und neugierig Etymologen sei nebenbei hinzugefügt, dass es sich prinzipiell um den semantisch unmöglichen Lokativ des substantivierten Adjektivs „bonus“=“gut“ handelt. Soweit der Latein-Bedeutungs-Noob, der aber immerhin ein respektabler Kenner der grammatischen Strukturen ist; der vokablegestählte Bedeutungsforscher hingegen differenziert tiefergehend und entdeckt dabei erstaunt, dass „bouns“ nicht bloß adjektivsch schlicht „gut“ sondern vielmehr auch „brav, gütig, tauglich, tüchtig, nützlich, ehrenhaft etc. pp.“ bedeutet und überdies substantivisch noch soviel meint wie „Ehrenmann, Herr, Kavalier, reichere Leute“, also im Prinzip die Pratrizier im alten Rom bezeichnet haben dürfte.

Es geht also, etymologisch hinter den Neologismus geschaut, um einen kosmopolitisch organisierten Ort, der von guten Gesetzen, geschaffen von einem unsichtbaren Philosophen-König, weise und klug, regiert wird; überdies um eine Welt der natürlichen Tüchtigkeit und der Lebensleistung, wo Taugliche und Untaugliche in kleinen Habitaten artgerecht eingepfercht, wettkämpfend dort gehalten und gezüchtet werden. Einen Förderer des Lebens scheinen wir vor uns zu haben, stillt er doch jedenfalls die Grundbedürfnisse seiner Schutzbefohlenen und lässt überdies der Natur nur wo nötig und dann nur technisch, nach Gusto und Gutdünken ihren sonst so freien Lauf. Mal wird er wohl in seinem Handeln liberal sein, mal paternalistisch, immer irgendwie idealistisch und am Überleben des Habitats und seiner (Primär-)Bewohner interessiert. Gott gewordenen Gutmensch oder terraristschen Spießer könnte man ihn somit auch nennen. Genaueres wissen wir ja derzeit nicht über den Urheber des Videos, die unsichtbaren Hand, die an die Glasgefäße und die Play-Taste gelegt wurde. Wir kennen ja nur ihr Werk und können dabei ihre Präsenz bloß durch Schatten und Schöpfung hindurch, also höchst indirekt erahnen; müssen somit notwendig spekulieren, zum wem die Hand wohl gehört und welche Attribute dem Besitzer der Hand wohl zukommen, welche Ideale womöglich in seinem Kopf herumspucken und wodurch sein Handeln letztlich also beeinflusst wird. Viel Raum trifft auf wenig Substanz.

Theologisch gesprochen suchen wir die Eigenschaften Gottes; hoffen wir, dass wir beim Finden keinem Terrarien-Teufel auf dem Leim gegangen sein werden. Die Klassiker von Allmacht und Allwissen jedenfalls können wir schon mal demütig von der Liste der Attribute streichen. Dennoch kommt dem Halter von Heimtieren, insbesondere bezogen auf die Bewohnern solcher Habitate, eine derart große Macht zu, dass er praktisch relativ nah an Allmacht herankommt. Für die Geschöpfe, die arglos in ihren gläsernen Gefängnissen sitzen, spielt der Protagonist der Bilderfolge eine herausragende, lebensbestimmende Rolle. Er ist gewiss kein Gott, aber etwas konkret sehr Ähnliches ist er schon, eine Art transzendentes Wesen, das jenseits der Lebenswelt der Heimtiere wohnt, Wunder wirkt und seinen Schützlingen willkürlich gewährt und wieder entzieht.

Sollen wir hier netterweise, weil seine Schöpfung ja so hübsch anzuschauen ist, von einem kompetenten Herrscher, einem „tüchtigen Ehrenmann“ der Terraristik ausgehen? Ja das könnten wir, oder nein, das lassen wir, hinterfragen lieber kurz den thematischen Zusammenhang des Videos: Die Haltung (exotischer) Tiere und Pflanzen zu Hause. Denn wie kann sich ein tieferes, gar analytisches Verständnis unseres bewegten, bebilderten „Textes“ entfalten, ohne dass zuvor seine Inhalte thematisch erhellt wurden. Ohne ein wenigstens grundlegendes Vorwissen über die zu beurteilende Materie, das was der Fall ist also, kein legitimes Urteil. Ohne Verfahren und Beweise erscheinen weder Richter noch Angeklagter, noch Zeugen und Anwälte oder gar Polizisten und Henker auf unserer Bühne. Ohne einen vernünftigen Maßstab gibt es hier wie überall keinerlei Gut – ein fataler Eindruck, der tunlichst vermieden werden soll; weil banalerweise das Gute nur dann logisch überhaupt möglich ist, solange Hoffnung und Handlung auf Verbesserung zielen könnten.

Ist unser Halb-Gott mit Kamera nun „gut“ oder „böse“, ein Förderer des Lebens oder bloß ein machtbessener Teufel? Was verbirgt sicht unter der kitschig dekorativen Oberfläche dieser hübschen Heimtier-Oase; was also sind nun eigentlich Ideale und Werte einer „guten“ Terraristik; was also ist nötig, um solche schönen und sogenannten „Becken“ am Leben zu erhalten? Fragen, von deren Beantwortung her erst das nächste im Text verständlich werden wird. Denn die Sprungstelle zur hintergründigen, noch herbeizuführenden Politikdimension des zunächst harmlosen Hobbys erhellt sich argumentative erst ganz allmählich. Der Name des neuen Seiten-Themas deutet die dabei Problematik auch bestenfalls vage an: Lebensräume.

Glücklicherweise, und im Angesicht der Situation ein geradezu kosmisch-komischer Zufall, bin ich selbst Heimtierhalter von allerfrühesten Kindesbeinen an bis heute. Als langjähriger Pfleger von Säugetieren, Reptilien, Amphibien, Insekten und als Züchter diverser Algen, Bakterien, Pilzen und Pflanzen, vermag ich einiges zur Thematik beizusteuern, halte mich aber gerade deshalb maßvoll zurück – versprochen!

Meine Tiere und Pflanzen (dem Stil zuliebe diskriminiere ich den Rest der biologischen Systematik im Folgenden – Tschüss: Algen, Bakterien und insbesondere ihr armen Pilze!) ihrer nirgendwo verbrieften Persönlichkeitsrechte zu berauben, fiele mir persönlich zwar trotzdem nicht ein; ich danke dem Regisseur jedoch dafür, dass er sich für uns seine ethischen Fingerchen schmutzig gemacht hat. Dank ihm bekam ich den Anstoß zu diesem Artikel und beiläufig die Gelegenheit mich zu outen: Ja ich halte Heimtiere, betreibe und beherrsche selbst Lebensräume!

Das Prinzip eines Lebensraumes ist hierbei denkbar simple, wenn auch die Praxis schwierig; für jede Gattung, jede Art und Weise der Haltung beginnt sie mit einer z.T. sehr steilen Lernkurve (Aquaristik war zunächst z.B. meine Nemesis). Es geht also um viel Lebenszeit und Arbeitkraft in Form von Lektüre, Planung, handwerklicher Umsetzung, Wartung und Optimierung. Letztlich zählt dabei immer die einfache Formel: Kenne die Bedürfnisse deiner Pfleglinge, die primären wie Raum, Licht, Wärme, Luft, Nahrung, Wasserqualität ebenso wie die sekundären Bedürfnisse, die sehr teilweise sehr divers sein können, und erfülle sie immerdar bestmöglich. Das klar formulierte Ideal hierbei lautet: Immer mindestens so artgerecht wie nötig und maximal so wie ökonomisch und ökologisch möglich; denn jedes Haus hat begrenzten Raum und jeder Mensch ein limitiertes Budget. Daraus folgt für die Praxis, dass der Schwierigkeitsgrad eines jeden spezifischen Lebensraumes von den technischen und methodischen Anforderungen abhängt, die nötig sind, um seine Bewohner bedürfnis-zu-befriedigen. Der Schimmelpilz (Ha, getrickst!) unter’m Klo beispielsweise lebt Leichterhand, fast wie von selbst; das Multi-Habitat-Gesellschaftsbecken mit 10 Primärbewohnern, die von circa 20 weiteren Tierarten und ebensovielen Pflanzenarten begleitet werden, hingegen erfordert ein hohes Maß an Wissen und Wartung, einen ganzen Technikpark und jahrelange Erfahrung, zudem viel Baumaterial und im Betrieb Unmengen Subsistenzmittel und einiges an Energie. Vor allem aber wird es immer wieder vorkommen, dass harte Entscheidungen über Leben und Tod rational erwogen und emotional vor dem eigenen Gewissen verantwortet werden müssen. Es geht um Leben und Tod.

So weit, so klar, aber was tun, wenn die Komplexität der Lebensraum-Parameter zunimmt, die potentiellen Lösungsstrategien für immer wieder auftauchende Herausforderungen kontrovers sind oder es schlicht keine greifbare Evidenz oder profunde Vorerfahrung gibt – die prognostische Qualität bröckelt manchmal einfach dahin. Gute Entscheidungen jedoch berücksichtigen nicht nur alle relevanten Fakten und die Interessen der betroffenen Lebensform, vor allem müssen sie die Zukunft in den Blick nehmen und kalkulierbar, kontrollierbar machen. Dabei hilft und orientiert ein wenig die Vergangenheit, hilft ein wenig die Erfahrung, aber ein lebensbedrohliches Risiko bleibt notwendig ständig bestehen. Leben ist also bedroht.

Das Offene und Unbestimmte des Werdens lässt sich also weder beim Betreiben häuslicher Lebensräume aufheben, tendenzielle Laborbedingung hin oder her; noch vermag selbst ein idealer Betrieb des großen, menschlichen Lebensraumes, einer ganzen Gesellschaft gar oder sogar das globale Treiben der Menschheit dieses konstitutive Merkmal von Herrschaft und Politik aufzuheben. Ob eine dbzgl. Entscheidung also „gut“ oder nur „richtig“ ist, kann bisweilen bloß retrospektiv und somit selten eindeutig aus der Gegenwart heraus entscheiden werden. Zumal sich Werte und Emotionen, ideologische Blockaden und partielle Interessen als weitere Zumutungen in die sprachliche Gleichung einschreiben. Im Übergang vom Kleinen zum Großen, vom Hobby zur Politik, potenzieren sich die Widerstände und Komplexitäten. Denn wo sich die Heimtiere und Pflanzen in relativ geschlossenen Räumen effizient und diktatorisch regulieren lassen, da ist der mündige Mensch und ist die weite Welt eine unvergleichlich andere Herausforderung an Lebensraum-Politik, an Biomacht, um mit Foucault zu sprechen. Beiden Formen der Herrschaft geht es zuallererst um eine günstige und bestenfalls gütige Regulation von Lebensräumen und ihren Lebewesen, um das Über-Leben beider zu sichern. Hier wie dort ist Präzedenz in der Entscheidung eine seltene Angelegenheit, sind Fakten häufig nicht zweifelsfrei objektiv und Fiktionen nicht einheitlich intersubjektiv vermittelbar. Deshalb, trotz aller konkreten Differenz in Qualität und vor allem Quantität, taugen Terrarium, Aquarium, Paludarium und dergleichen mehr als Miniatur-Modelle für  bio-politische Dynamiken und deren Konzeption. Fortpflanzung, Nahrungsaufnahme, Gesundheit sind in beiden Kontexten bedeutsame (Be-)Handlungsfelder, die es zu kontrollieren und zu prognostizieren gilt, will man hierbei erfolgreich sein. Jedoch reicht die Analogiebildung nicht allzu weit, sprengen also bereits nur wenig höhere und zivilisatorisch feinere Domänen von Politik wie z.B. Wirtschaft, Wissenschaft und Diplomatie den Vergleich der beiden Welten.

Dennoch: Wer als terraristischer Autokrat auf der einen oder als wenig bis stark demokratisch legitimierter Souverän (Führer, König, Kanzler, Parteivorsitzender, Minister, Präsident oder wie auch immer betitelt) auf der anderen Seite die Leitung eines Lebensraumes übernimmt, muss Macht auf Lebewesen ausüben. Schlimmstenfalls bedeutet dies, in die Rolle eines hoffentlich immerhin utilitaristisch motivierten Massenmörders zu schlüpfen. Dann werden Leichterhand der Stabilität oder schlimmer noch der Bequemlichkeit wegen invasive Lebensformen dezimiert oder ganz eliminiert, werden schweren Herzens sekundäre Bewohner zugunsten von primären geopfert und letztlich wird als Ultima Ratio sogar die gutwillige Zerstörung und freiwillige Neuerschaffung eines Lebensraumes, die Apokalypse einer ganzen Welt billigend in Kauf genommen. Frei nach dem kalten reuelosen Optimierungscredo: Schluss jetzt damit; und nochmal von vorne – jetzt aber bitte richtig!

Biopolitik also, das weiß ich als leidgeprüfter Patron von Heimtieren und -pflanzen, ist ein schmutziges Geschäft, wobei Ethik und Edelmut gleichzeitig von Effektivität und Effizienz sowie von Eitelkeit und Eigensinn eingeschränkt werden. In jedem Fall findet eine Form der bewussten oder natürlich-blinden Selektion statt, werden die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen geworfen. Denn auch im gutbürgerlichen Glasskasten tobt, aller Rundumversorgung zum Hohn, eine selektive Schlacht ums Überleben.

Inwieweit nun die Lebensräume im einschlägigen Bewegtbild diesen Idealen genügen oder nicht, kann ich zwar so besehen nur erahnen, glaube aber, den Anspruch der Artgerechtheit erblickt zu haben. Ob und wie weit dieser Anspruch tagtäglich erfüllt und somit geheiligt wird, weiß nur der biopolitische Lebensraum-Halbgott selbst zu sagen; wenn das überhaupt jemand exakt zu sagen vermag. Denn nur wenn Natur und ihre Systematik vollständig verstanden und modellierte worden sind, werden die Kriterien und Bedingungen einer total artgerechten Natursimulation zweifelsfrei ermessen worden sein. So lange das aussteht, bleibt dem ambitionierten Biopolitiker dreierlei zu tun übrig: stete Wachsamkeit, kompetente Pflichterfüllung und besonnenes Eingreifen.

Lebensräume bedürfen, wie jedes andere Hobby, wie jede Form existenzieller Praxis überhaupt, vor allem auch dreierlei: Investition, Aufmerksamkeit und insbesondere Zeit. Womit wir uns nach dem ersten politisch-finsteren Tal der Biopolitik einem zweiten Polit-Abgrund nähern: dem Rückzug ins private Idyll oder der sog. Politikverdrossenheit.

Frustriert von der Komplexität des Systems, der empfundenen Ineffektivität politischer Teilhabe und dem Mär vom alternativlosen Automatismus der Tagespolitk zieht man sich sich sukzessive aus der politischen Öffentlichkeit zurück, man diskutiert und demonstriert nicht mehr, deliberiert und  debattiert nicht mehr und überlässt das tunlichst und gefälligst den Anderen, schlimmestenfalls den bösen Politikern. Wenn sich solcherart die Bürger in ihrem alltäglichen Leben nicht mehr für ihre politischen Belange, die gesamte Gesellschaft und die sie formierenden Regeln und Prozesse interessieren, wird aus vermittelter Selbstherrrschaft zunehmend Fremdherrschaft; aus einer ursprünglichen Demokratie ein andere „…-kratie“.

Ein vermeintlich ewig wiederkehrender Kreislauf vollzieht sich, das Rad der politischen Zeit beginnt sich von neuem zu drehen und historische Veränderungen liegen in der Luft. Klassischerweise dargestellt bei Aristoteles, dem Urvater der politischen Philosophie (erweitert um sein modernes Google/Wiki-Simulakrum), klingt die Reflexion auf dieses Phänomen dergestalt an:

Anzahl der Herrscher Gemeinwohl Eigennutz
Einer(-Wenige) Monarchie Tyrannis
Einige(-Viele) Aristokratie Oligarchie
Alle Politie Demokratie

Derzeit herrscht wohl lokal irgendwas in Richtung von Oligarichie/Demokratie bzw. Aristokratie/Politie, je nach dem, ob Optimismus oder Pessimismus beim einem vorherrschen; oder in ein paar anderen, moderner klingenden Worten: Technokratie, Infokratie und Bürokratie, alles gründlich ökonomisch („kapitalistisch“) eingefärbt. Ganz offiziell besteht eine freiheitlich-demokratische und soziale, rechtsstaatliche und föderale „Bundesrepublik“. Viele Worte, aber wer kennt sie alle schon ganz und gar, weiß exakt, was sie bedeuten sollen; selbst nach Schule und Studium der Materie bleibt ein großer Gedankenraum für Subjektivität übrig. Zumal global gesehen  sowieso die absonderlichsten Permutationen regieren. Es herrschen „X-Kratien“. 

Hinzu kommt, dass laut Aristoteles und vieler seiner namenhaften Fans in der historischen Rezeption, also quer und längs durch in Epochen und Traditoinen der Geistesgeschichte Geschichte an sich als zyklisch gedacht wurde und wird. Es dreht sich also das Rad der Regierungsformen munter und unablässig weiter, ohne dabei je etwas wirklich anderes, so etwas wie echten historischen Fortschritt hervorzubringen – so die Denkart. Eine erzkonservative Vorstellung, die der Pendellogik der meisten modernen Demokratien mit ihrem effektiven Zweiersystem (Links gegen Rechts, bürgerliches Lager vs. sozial(istisch)e Partei, konservative contra progressive Politik) auf fatale Art zu ähneln scheint. Hier ändert die Regierungspartei/-koalititon binär ihren Namen, dort gibt es echte, aber systematische enge Abwechslung; hier scheinbar nur den Wechsel zwischen 0 oder 1 – böse Zugen sprechen sogar aus diversen Gründen (ewige Mitte, politische Ökonomie, wahlfixierter Aktionismus etc.) von dauerhaftem 0,5 -, dort klar klassifizierte Wertebereiche zwischen 0 und 1. Genug der metaphorischen Zahlenanalogie, denn wie dem im analytischen Detail auch immer sei, auch Geschichte lebt: Überall enstehen neue Formen und Varianten des Neuen aus dem Alten, passen sich Mensch und System jeweils veränderten Bedingungen an.

Klar ist: Geschichte permutiert ständig und eventuell gibt es dabei gewisse Grundtypen oder Muster, eine Art politischer Attraktor. Die Zeit jedenfalls ist im Fluß; und wir schwimmen darin oder sitzen bestenfalls mit anderen zusammen in einem kleineren oder größeren Boot; suchen Halt und gründen Familien, Dörfer, Länder bilden Rudel, Herden, Nationen und erfinden Religionen, Ideologien, Strukturen; letztlich vermischt sich sowies wieder alles und mündet in das harmlose Abstraktum: Gesellschaft. Die meisten von uns sitzen also durch Geburt zufällig in dem einen oder anderen der Boote, sind Teil der einen ode anderen Gesellschaft, je nach Charakter und Situation um die Strömungen und Turbulenzen der Historie wissend oder sie geflissentliche ignorierend. Aber jedes Boot, externe Strömungsdynamik hin oder her, wird gesteuert. Es bewegt willentlich, ändert seine Position in einem schwierigen Terrain; weiß nicht, was kommt, was hinter der nächsten Biegung, des Flußes seiner nächsten Eng-, Sprung- und/oder Flachstelle auf ihn zukommt. Fluß oder Ozean, Werden oder Sein, in jedem Fall wird navigiert und das tun immer: Der Menschen.

Denn die tolldreiste, simple-reduzierende Metaphern-Genealogie der sozial-historischen Wirklichkeit führt uns zum Wesenskern der Bildfolgen-Analyse zuück; zur politischen Praxis und der ganz konkreten Frage: Reagieren oder relaxen, ein unklares Verhältnis, ein bisschen von beidem, oder keines – wie die Logik uns gnadenlos und klar gebietet. Oder nicht?!

Bevor ich hier am Ende der Analyse eines schönden Heimvideos, des davon ausgelösten, assoziativ-argumentativen Roadtrips unter die Oberfläche des Phänomens, hin zur Oberfläche der (Bio-)Politik, nun auch noch anfange spekulativ frei zu drehen, zu sinnieren, zu fabulieren, zu explodieren, beende ich die Gedankenkette lieber abrupt mit einem doppelten Text-Fast-Food hinter dessen wiederum eigener Oberfläche sich ganz eigene Abgründe auftun würden.

Das Lager des Reagierens vertritt hierbei historisch konkret eine obskure Ideologie, die sog. Neoreaction oder NRx. Primär im Angelsächsischen verwurzelt ähnelt dieses Amalgam aus Monarchie, Markt und Science-Fiction der Art der Regierungsführung bei unseren lieben Lebensräumen. Mit Hilfe von Technik reguliert ein guter Vater, KI und/oder CEO, den Lebensraum optimal und effizient – Qualityland!

Die Adepten des Relaxens enden schließlich exemplarisch im Neo-Biedermeier, betrieben die extravagantesten Freizeitkativitäten, zerstreuen und optimieren sich unsterschiedlichst: bloggen, bauen Lebensräume, erlernen alte und erfinden neue Handwerke, betreiben krasse Sportarten und reisen pauschal bis abenteuerlich individuell, ernähren sich bewusst vegan bis ohnmächtig industriell. Neo-Bied ist überall und droht, in der wirklichen Lebenswelt noch weniger, wie es in der digitalen Technik-Blase mit ihren autistischen Tendenzen lockt – Stichwort: MEINE Virtualität. Umgeben sind wir von einem Wirr-Warr an Produkten und Dienstleistungen, Netzwerken und Plattformen, Freunden und Folllowern. Wir leben dort, wo sich permanent alles Mögliche ereignet, und existieren dann, wann sich mit nur einem Klick respektive Tap alles permanent warenförmig verwirklichen lässt – hierbei rhetorisch-polemisch mal eine perverse bis paradoxe Ressourcenvielfalt angenommen: Viel hart erarbeitetes Gehalt ausgeben in einer zugleich und zeitgleich stattfindenden, üppigen wie erholsamen Freizeit. Ein klassisches Dilemma wiederholt sich: Leben um zu arbeiten und arbeiten um zu leben.

Fatal wäre es definitiv, nicht das dies auf breiter Front drohte, würden politikverdrossener Freizeitjünger und (progressiv-)reaktionärer Technonerd politisch zusammenkommen. Den einen interessiert die Politik nicht, der andere sieht die Geschicke der Gesellschaft gern in den Händen einer guten Hierarchie, den Fängen eines weisen Oberhauptes demütig übereignet. Viel Spaß also mit: Neo-Bied feat. NRx!

Your high-quantity, divers-quality Content-Blogger, Satorius


Neo-Bied (Neo-Biedermeier)

Gerne bezeichnet man das aktuelle Zeitalter als Neo-Biedermeier, was auch zutrifft, beschränkt man den Begriff auf einen Rückzug ins Private. Doch die Zeitgenossen des historischen Biedermeier waren immerhin nur Untertanen, die sich ins erzwungene Schweigen schickten und Blumenbilder malten, statt Bajonette gegen die Paläste zu richten. Die jetzigen Biedermeier dagegen sitzen mit in den Palastkanzleien, verwalten die Unterdrückung und spekulieren darauf, ihren Clan dort zu halten, wenn sie Blumenbilder ins iPad malen. Die historischen Biedermeier versuchten auch nicht, sich durch Charity-Spenden und organische Produktion von ihrer Mitschuld freizukaufen. Sie hatten ihre irren Despoten wenigstens nicht gewählt, sondern waren ihnen ausgeliefert.

Leo Fischer (1981 – ), Neo-Biedermeier (https://www.neues-deutschland.de/artikel/1050869.neo-biedermeier.html, zuletzt: 18.06.18)


NRx (Neo-Reaction)

Reading Moldbug is like listening to somebody who informs you of his plan to take care of the termites by burning his mansion down and then starts romanticizing life in a log cabin despite never having lived in one.

But then Moldbug, unlike a lot of his followers, doesn’t want to move into the log cabin, even if he’d take it over his current digs. So what’s the actual prescription?

It’s this: Democratic governments will be replaced with sovereign joint-stock corporations, their shares to be owned perhaps but not necessarily by property holders or residents of the realm. The shareholders will elect an executive, who will have plenary authority to rule as he wishes, kill as he wishes, enslave as he wishes, etc. But he won’t do such nasty things, because it would be simply incompetent. The corporation gets its income from property taxes; subjects of the realm may leave whenever they wish; and so genocide will be terrible for business. Should the executive prove to be incompetent, the shareholders may string him up at will and replace him with someone abler.

Jason Lee Steorts, Politics & Policy: Against Mencius Moldbug’s ‘Neoreaction’ (June 5, 2017; https://www.nationalreview.com/2017/06/problems-mencius-moldbug-neoreaction/, zuletzt: 18.06.18)


Link-Sammlung zu Neo-Bied:

  1. https://de.wikipedia.org/wiki/Biedermeier (Übersicht zur namensgebenden, historischen Epoche)
  2. http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/gesellschaft-rueckkehr-des-biedermeier-138495.html (Zeitdiagnostisches Exempel, zufällig dem sog. Qualitätsjournalismus entnommen)
  3. https://www.pinterest.de/pin/362539838727116043/ (Bunte Vielfalt eines biederen bis paternalistischen Hobbys)

Link-Sammlung zu NRx:

  1. http://neoreaction.net/ (Primäre Plattform der brisanten Bewegung)
  2. http://unqualified-reservations.blogspot.com/ (Kontext des TFF und somit programmatischer Primärtext)
  3. http://slatestarcodex.com/2013/10/20/the-anti-reactionary-faq/ (Sekundärer Überblick, der beginnende Viralität belegt)

#MO2-4 @ The former-walking/never-ending/now-cycling blog

Wie würde wohl ein untoter Blog klingen, der gerade zu seinem unerwarteten Nachleben erwacht ist, nachdem er fast ein Jahr lang scheinbar tot gewesen, vor sich hin verweste und dabei regungslos nur so dalag? „Wrahh“, „Ouuhhh“, „Mrahhh“ kommen wohl nicht in Frage, was aber dann? „Klick, Klack, Hack, Hack“, eventuell, oder „100100 10001110 100010 11 0“, womöglich sogar: „%#*&7!!“ – wer mag, außer mir, darüber spekulieren: niemand?!

Jedenfalls und damit zum allenfalls vorhandenen Wesenskern dieses Textes, finde ich schreibend nach Quanzland zurück; das zwar weit jenseits des Zeitpunktes, an dem die Metatext-Redaktion noch Hoffnung hierauf hatte, dennoch und immerhin: es geschieht! Gerade jetzt und genau hier passiert es: die Wiedererweckung eines stillgestellten und totgeglaubten Textes; die Fortsetzung einer abgebrochenen Spur im Urschlamm; die Rückkehr in ein Reich von Schein und Schemen, wo Chimären sich von neuem erheben und Netz und Nerven durchwabern!

Klingt absurd, ist somit folglich als Wiedereinstieg absolut angemessen, entspricht aber in mehrfacher Hinsicht keineswegs der (digitalen) Wirklichkeit: Der Blog war definitiv still, aber Quanzland deshalb nicht tot; hinter der stillen Oberfläche tobte eine Krieg von Bots und Skripten, wurden zum Erstaunen aller inhaltlich wie ästhetisch vermutlich desintereessierte Benutzer registriert; das Leben aller wie mein Leben pulsierte und schoss wilde Triebe; auch ohne hiesige Dokumentation wurde (Welt-)Geschichte geschrieben, aufwendig und prompt manipuliert und letztlich doch wieder plump vergessen.

Wohlwissend, dass DSGVO hin oder her das Netz nicht vergisst, möchte ich, fragmentarisch wie eh und fabulierend wie je, wieder aufmerken und aufmerksam machen. „Auf was und/oder über was?“, mögt ihr fragen, werte aber fiktive wie loyale Leserschaft: Inhalte, Inhalte und nochmals Inhalte! Wild, wahllos, wahrlos und willkürlich zuglich werden sie sein, banal bis trivial, zufällig und ephemer – ach, wie freu ich mich hierrauf! Bestenfalls werden die Beiträge wieder bedeutungslos, im Unfall vielleicht auch mal gut, schön und vielleicht sogar gelegentlich wahr; philosophisch, ästhetisch, politisch und kulinarisch sowie bisweilen sogar touristisch wirds allemal.

Nun, bevor ich uns perverserweise auf einen chronologisch geraden oder systematisch runden Weg durch textlose Vergangenheit, die nahe Gegenwart oder gar die kommende Zukunft begebe, gibt es lieber einen würdigen Quer-Einstieg: Ein einst gegründetes, aber qua Textscheintot nie weiter tradiertes Format verdient es, den ersten Schuss auf Euer Bewusstsein abgeben zu dürfen.

Willkommen zurück in Quanzland mit einem Trip-Tychon. Drei Radreisen, drei Bilder, damit ein relativ neues und erstes der quanzlandgefährdenden Hobbys: Das Fahrradfahren bzw. -wandern (und fotografieren der dabei gemachten Funde)!


Große Dhünn(-talsperre) nahe Kürten. Breitengrad: 51.074834 & Längengrad: 7.234914 [Mai 2018]

Die Siegauen zwischen Bonn und Troisdorf. Breitengrad: 50.77322 & Längengrad: 7.115907 [April 2018]

Steinbruch bei Rodges nahe Fulda. Breitengrad: 50.560808 & Längengrad: 9.603582 [Mai 2018]


Womöglich bekommt das ganze Thema „(Fahrrad-)Abenteuer“ irgendwann eine eigene und damit neue Kategorie bzw. genauer ein Thema, ähnlich wie Literatur und bildende Kunst, Philosophie und Wissenschaft, Politik oder Kochen das bereits kryptisch betitelt vorgemacht haben; zunächt jedoch floriert und firmiert es im Format Lichtrausch unter dem Banner der sogenannten Mystischen Orte. Nach einem vagen namentlichen Einstieg vor Äonen und in einer Phase des Siechtums nehme ich diese Serie nun wieder auf und belebe sie mit Bildern besonderer Orte.

Prächtige Plätze werden bebildert und gelegentlich beschrieben, Orte, mystische Szenen, aus einer fernen und doch so nahen Welt, deren Namen bedeutungslose Erfindungen bedeutsamer Menschen zu sein vorgeben und viele Geister verwirren. Die Welt war, ist und wird sein; die Länder und die Geschichte(n) sind nur menschengemachte Etiketten – schwarz auf weiß, auf flüchtigem Thermopapier gedruckt und schnell vergessen, verschoben, verdrängt, verändert, verbessert. Kommet und staunet ihr Jünger der herrlichen Heimat (= „Nahe Welt, die schön ist“ – nicht mehr, gern weniger) und huldigt der nationalen (= „Geografischer Herkunftsbereich der Bilderzeugnisse“) Naturschönheit!

Mit abenteuerlich-ästhehtischen Grüßen aus dem former-walking/never-ending/now-cycling blog, Euer Satorius


P.S. @ Metatext-Redaktion (auch wir leben noch, allen Widrigkeiten zum Trotz!): Ähnlich wie im Eröffnungsartikel „Gottfrieds Gruft“ stehen mit „#MO2-4“ Bilder wirklicher Begebenheiten und Plätze im Fokus der Beiträge. Das sind soweit die harten Fakten, wobei deren Dokumente unbestritten bloße Abbilder (und bald auch, Zitat Satorius: „Ab-bewegt-Bilder“, Ab-Videos sein werden) sind und lediglich der Einladung dienen, sich selbst ein Bild zu machen. GPS, Ortsnamen und Zeitstempel sollten den potentiellen Gast außreichend orientieren.

Unähnlich zum Eröffnungsartikel ist hingegen der Stil und wird das auch weiterhin bleiben: divers, different, diffus, debil, dilettantisch. Denn die weiche Fiktion, der metatextuelle Rahmen also, in dem die Mystischen Orte (#MO) ihre Auftritte zelebrieren, bleibt notwendig ein offener; weswegen eine thematische Festlegung für das Format auch konsequent unterbleibt.

Thematisch offen zum einen und hinsichtlich der Formate klar ist zum zweiten: #MO gehört zum Ober-Format Lichtrausch und liegt quer zum Format Originale – lebendiger Sinn, kaum durch Strukturen zu faßen. Da es sich hier nämlich immer um eigene Inhalte dreht, gilt das Motto: Raritäten der Orginalität bestenfalls, Nichtverletzung des Urheberrechts wenigstenfalls.

In dieser zweiten, gleich dreifachen Ausgabe von Lichtrausch feat. Mystische Orte war der (himmelschreiend unrpoduktive) Klient, nach langer Pause (sog. „low-quantity period„) mal wieder ansehnliche Quelle der Inhalte (sog. „highquality content„) in Form von Bild und Text. Über die Qualität des Wiedereinstiegs möge das Publikum urteilen, wir sagen auf jeden Fall lauthals und verbindlich: „Spitze Satorius, weiter so! Wir freuen uns auf Massen zu managenden high-quantity & long-period, high-quality content (sog. „Inhalt„).“

Für diesen ersten von Satorius neuen Lebenszeit-Konkurrenten zu Quanzland und damit den Dingen, die er uns und ihnen, werter Qualitätsleser und werte Qualitätsleserin, neuerdings bei weitem vorzieht, gilt überdies, dass wir in Zukunft von der hier für das Format nur zufälligen Thematik „Wilde Trips“ angeblich noch einiges hören werden. Ebenso soll mit „Lebensräume“, also der Beschäftigung mit Vivarien (Aquarium, Terrarium, Paludarium etc.), eine weitere der vielfältigen Einfältigkeiten unseres Autors thematischer Teil dieses Blogs werden.

Unser thematisch buntes und divers formatiertes Quanzland nimmt diese zwei neuen Facetten gewiss gerne in sein Kaleidoskop an Sinn, Unsinn und Irrsinn auf. Weiteres in allen diesen angedeuteten Richtung folgt bisweilen und in Abhängigkeit von Satorius Produktivität.

Demütigst und vorfreudigst grüßt Sie, Ihre Metatext-Redaktion