Quanzland-Zeitgeschehen

Lange Stille, ein Flagge und neuerliches Flüstern

1 Jahr, drei Monate und drei Tage: Stille …

Zwischenzeitlich sind der 6. und 7. Jahrestag der Gründung Quanzlands vergangen, unbesagt und ungehört vorübergegangen. Nach fast sechs Jahren zuerst manischer, dann gesunder, sodann zunehmend verhaltener zuletzt depressiver Produktivität und Aktivität ist es still geworden in den Gassen und den Hütten, den Gärten, den (Frauen- und) Herrenhäusern sowie auf den Plätzen und Bühnen von Quanzland. Das Leben ging weiter, aber niemand hat davon berichtet, niemand davon Kenntnis genommen.

Zu sagen gibt es unermeßlich viel, hätte es seither unsagbar viele Anlässe gegeben, dennoch habe ich geschwiegen und anderes getan – warum? Nun, dafür gab und gibt es gute wie schlechte Gründe zu Hauf, die hier und jetzt auszubreiten mir müßig erscheint. Also verzichte ich darauf und komme unverzagt zur Sache: Es gibt Neuigkeiten, Quanzland hat sich eine Flagge gegeben, internationale Beziehungen geknüpft und Stellung bezogen.

Wir mögen ein unbedeutender Zwergstaat irgendwo in Europa sein; gleichwohl sind wir nicht kleinbürgerlich oder kleingeistig, denken und handeln wir global, kosmopolitisch und kunterbunt. Vielfalt und Einheit, auf den ersten Blick konträr, stumpf gedacht womöglich sogar unversöhnlich paradox, sind das Epizentrum unseres Wertsystem. Auf den zweiten, den klugen und besonnen Blick hin dürfte dieses moralische Credo jedem echten Demokraten evident sein, trotzdem ist es in all den vielen Spielarten von Demokratie auf unserer großen weiten Erde keineswegs selbstverständlicher Allgemeinplatz, schon gar nicht unumstößliches Fundament. Utopie und Ideologie zugleich, nunmehr sichtbares Zeugnis und offizielles Banner mit zugleich bescheidener Strahlkraft und unbestreitbarer Relevanz.

Was gibt es, was gilt es noch zu sagen? Große Themen, vielmehr bloße Schlagworte blitzen in meinem Geist auf, verschwinden aber ebenso rasch wieder im mentalen Zwielicht: Corona, Ampel, COP26 und einige weitere schließen sich an …

Aber es bleibt dabei, ein erstes Flüstern ist ertönt und möchte überhaupt nicht mehr sein, keinesfalls ein Brüllen, nicht ein Mal ein Raunen – lediglich mehr als Stille.

Mit neuerlichen Grüße und sich schüttelnden, kurz knackenden Fingern, Euer Satorius

Ihr könnt schauen, was ihr wollt, aber: Dark

An Freiheit des Menschen im philosophischen Sinne glaube ich keineswegs. Jeder handelt nicht nur unter äußerem Zwang, sondern auch gemäß innerer Notwendigkeit. Schopenhauers Spruch: ´Ein Mensch kann zwar tun, was er will, aber nicht wollen, was er will`, hat mich seit meiner Jugend lebendig erfüllt und ist mir beim Anblick und beim Erleiden der Härten des Lebens immer ein Trost gewesen und eine unerschöpfliche Quelle der Toleranz […]. Nach dem Sinn oder Zweck des eigenen Daseins sowie des Daseins der Geschöpfe überhaupt zu fragen, ist mir von einem objektiven Standpunkt aus stets sinnlos erschienen. Und doch hat andererseits jeder Mensch gewisse Ideale, die ihm richtunggebend sind für das Streben und für das Urteilen.

Albert Einstein (1879 – 1955), Mein Weltbild, S. 416.


Sanfter Trommelwirbel, ein zögerlicher Tusch und verhaltener Applaus tönen durch den digitalen Äther – Quanzlands lebt noch, ich lebe noch:

Urspünglich wollte ich Schopenhauers aphoristischen Ausspruch zur Willensfreiheit zitieren, musste dann jedoch rasch feststellen, dass dieses Zitat bloß vermeintlich von dem verehrten Philosophen stammt, sondern nachweislich eine Verdichtung Albert Einsteins ist, der darin Schopenhauers Philosophem, wenn auch treffend, zusammenfasst.

Soviel als Auftakt – aber warum komme ich überhaupt darauf und was zur Hölle, oder für die Gottlosen unter Euch: was zum Geier, war denn in letzter Zeit bei mir und mit Quanzland los? Klar ist, dass dieser Blog heftig brach lag, während ich mich zeitgleich in einem intellektuellen Ödland herumgetrieben und wenig bis keinen Text hervorgebracht habe.

Offen gestanden kann ich bisweilen nicht einmal tun, was ich will, noch gar vermag ich, zu wollen, was ich will. So weit, so abstrakt – konkret hätte ich in den letzten zwei Jahren hier gerne hunderte von Artikeln platziert und unterdessen mindestens einen Roman und obendrauf ein Dutzend kleinere Textprojekte vorangebracht und abgeschlossen. Aber das Leben hat so seine Eigendynamik(en) und der Wille – hehren Idealen, schönen Utopien und schnöden Vorsätzen zum Trotz – ist und bleibt ein diffuses, unstetes und sonderbares Wesen. Da kann man sich, kann ich mir noch so viel vorstellen, es gibt Bedingungen und Bewegungen unter, außer und über meinem kleinen Ich, die überwältigend und unterminierend sein können; wobei sich mir hierzu die geläufige Metapher vom Ich als Schiffbrüchigem, geklammert an eine winzige Planke inmitten eines endlos scheinenden Ozeans, assoziativ aufdrängt, den dort die Wogen des Meeres bisweilen stürmisch umtoben, der von der schwarzen Tiefe, unermesslich und unergründlich, bedroht wird, ständig in Angst vor dem Unbekannten unter ihm, stets in Furcht vor dem Ertrinken und Verhungern.

Gründe für meinen literarischen Verzicht, gute wie schlechte, gibt es Legion: Vaterschaft, Lust- und Disziplinlosigkeit, Selbstständigkeit, (Zerstreuungs-)Sucht, ein kürzlicher Umzug und eine unbegreiffliche und manchmal unkontrollierbare Werkangst. In der Summe blieb also wenig Zeit und Lust zum Schreiben, gab es viele Hemmnisse und Widerstände.

In einer solchen Situation verfängt der Schopenhauersche Determinismus, tendenziell fatalistisch, reflexiv natürlich optimal, macht er uns doch etwas freier von der Last der utopischen Verantwortung. Einer Verantwortung für all das, was wir irgendwie wollen, irgendwie aber auch nicht, weil wir aus welchen Gründen auch immer nicht dazu kommen, verhindert und gehemmt sind. Ich stelle mir etwas Zukünftiges, moralisch positiv und logisch auch negativ gemeint, vor, will etwas erreichen oder unterlassen, aber dann kommt es anders.

Nun aber genug vom zutiefst persönlichen Hinter- und Untergrund, zurück zur Oberfläche des vermeintlichen Schopenhauer- letztlich aber doch Einstein-Zitats und dessen seriastischen Kontext. Denn immerhin passiv-rezeptiv bleibt für mich Fiktionales, Literatur und Film bzw. vor allem Serie, gewiss zeitlebens wichtig und alltagsprägend. Kurzum, ich habe neuerlich abermals viele nahezu ausnahmslos gute Serien „gebinged“: Utopia, Game of Thrones, Altered Carbon, The Expanse, 100, Twin Peaks, Westworld, The Witcher, Lost in Space, Haus des Geldes, (Fear) The Walking Dead, Black Mirror, um die Wesentlichen und neuesten zu nennen, und eben auch und nicht zuletzt Dark, dessen dritte und zugleich letzte Staffel verheißungsvoll mit unserem einschlägigen Fehlzitat eröffnet wird.

Diese Serie, ihres Zeichens die erste deutsche Netflix-Produktion, hat mich unterdessen besonders gefesselt. Nicht nur, weil sie ein furioser Genremix aus Mystery, Science-Fiction, Horror und Drama, gewürzt mit einer wohldosierten Prise Soap-Opera, ist, sondern weil sie atmopspährisch immens dicht und zumindest bis in die dritte Staffel hinein rezeptive wie intellektuell durchaus anspruchsvoll daherkommt. Bisweilen übertrieben, krud und verworren, schauspielerisch nicht immer grandios, hatte ich dennoch immer den Gesamteindruck einer gelungenen Erzählung. Trotz aller Unwirtlichkeit und Unwirklichkeit bin ich in Winden, dem fiktionalen Ort der Geschehnisse, heimisch geworden, habe mich mit den vielen Figuren, gleich ob Protagonist, Antagonist oder Nebenfigur – eine Differenzierung zumal, die hier höchst brisant bis interessant ausfällt -, angefreundet. Folge für Folge dringt man tiefer ein in die anfangs undurchdringlich scheinende Dunkelheit, enträtselt dabei ein spannendes Mysterium, lernt eine kuriose bis groteske Stadt und ihre dementsprechenden Bewohner kennen, insbesondere die vier zentralen Familie Kahnwald, Nielsen, Tiedemann und Doppler, und verstrickt sich in einen komplexen Plot voller Wendungen, Blendungen, Tief- und Höhepunkten. Was soeben beinahe wie allglattes Marketing klingt, formuliere ich authentisch und taktisch zugleich, denn mehr zum Inhalt zu sagen, wäre töricht und unangemessen, will ich Euch hiermit doch ermuntern, die Serie so zu schauen, wie es meines Erachtens ideal ist: neugierig, naiv und nichtsahnend.

Also nur Mut, denn 26 Folgen in drei Staffeln mit einer durchschnittlichen Spielzeit von einer Stunde pro Folge bleibt greiffbar und erschlagen selbst Serienmuffel nicht durch allzu viel epische Quantität. Ich jedenfalls kann mir gut vorstellen, dass Dark nach Akte X die zweite Serie überhaupt werden könnte, die ich ein zweites Mal schauen werde. Sofern nicht mein Wille und meine Vorstellungen in Zukunft verwirklicht werden und ich stattdessen schreibe, schreibe und noch mehr schreibe. Ich jedenfalls bin gespannt darauf, denn man weiß ja nie genau worauf – komme also, was da will.

Gefangen in der Mitte zwischen Determinismus und Willensfreiheit grüßt, Euer Satorius

Nüchterne Neuerung

Nach Krisen und Zerwürfnissen in den letzten und insbesondere im letzten Jahr ist es nunmehr offiziell: Die Metatext-Redaktion ist Geschichte. Quanzland ist damit ein Soloprogramm geworden.

Aufmerksame Beobachter hätten dies zuvor bereits ahnen können und haben spätestens mit dem Ausbleiben des feierlichen Blogbeitrags zum 5. Jubiläum, welches sich nunmehr still und bis hierhin wortlos in der Nacht vom 15. auf den 16. Oktober gejährt hat, einen klaren Beleg für diese Ernüchterung erhalten. Nach einer bereits drastischen Reduktion des Mitarbeiterstabes im vorangegangen Jahr waren die Vorstellungen und Ambitionen von mir und meinen ehemaligen Mitstreitern zu unterschiedlich, der weithin produzierte Inhalt zu eindimensional und geringfügig geworden sowie damit die Notwendigkeit einer redaktionellen Betreuung nicht mehr gegeben.

So ist es und so ist es auch gut. Sich unterdessen selbst zu gratulieren oder andere darauf hinzuweisen, dass man Geburtstag hat, ist nicht nur im realen Leben ebenso albern, wie armselig, deshalb wird es von nun an keinerlei seltsame Sentimentalitäten dieser Art mehr geben.

Der Blog wird damit zwar ärmer, weniger bunt und vielfältig, aber keineswegs gegenstandslos, sondern schlicht klarer und gradliniger. Ich schreibe über mich und meine Themen, wie es sich für ein digitales Tagebuch ursprünglich eben gehört. Wenn solche Inhalte anstehen, werde ich sie wie gehabt und gewohnt raushauen und gelobe hier und heute feierlich, gelegentlich auch mal wieder zu alten Interessensgebieten zurückzukehren – wobei ich verstohlen meine Finger überkreuze. Denn derzeit sind mir manche Themen einfach egal geworden oder haben keinen Platz mehr in meinem Leben, was aber nicht ausschließt, dass die altgediente Kulinarik, die neubegründeten Lebensräume wie auch die Wilden Trips wiederkehren könnten. Ebenso erleben die Diskurse der Nacht sowie die Denkwelten derzeit eine merkliche Rezession und insgesamt hat der Blog an Stellwert für mich verloren.

Trotzdem bleibt eines ganz gewiss: Quanzland lebt und wird so lange überleben, wie ich Satorius heiße und nicht gänzlich biedermeierisiert und von der Wirklichkeit vereinnahmt worden bin. Das aber steht nicht auf meiner Agenda und entspricht nicht meinem Wille.

Lasst Euch also überraschen, was hier in Zukunft geschehen wird, wie auch ich mich überraschen lasse, was mich neuerlich reizen und zum Schreiben animieren wird. Über eine meiner neusten Leidenschaften – das traditionelle Bogenschießen – vermag ich offen gestanden wenig zu sagen, noch weniger zu schreiben und tue es schlichtweg lieber. Über meinen seit einem Jahr mitunter größten Lebensinhalt – Vaterschaft und Familienfreunden wie -pflichten – wie auch meine tagtäglich Profession, die beide immerhin und wie bei uns allen zeitlich hochanspruchsvoll sind, breite ich weiterhin und strikt den Mantel der digitalen Diskretion, weshalb es derzeit vornehmlich die Fiktionalen Kleinode und dabei die Originale sind, die mutmaßlich auch weiterhin inhaltsstark bleiben werden und damit zum neuen Epizentrum von Quanzland avanciert sind.

So wie das Leben sich wandelt, tut es konsequent auch dieser Blog, der mittlerweile ohne fiktiv-fantastische Romantik, aber auch ohne eitlen Narzissmus primär meinem Leben les- und sichtbaren Ausdruck verleihen soll. Ich bin und bleibe ein Schreiberling, auch wenn sich mir der Verdacht aufdrängt, dass ich für mich und den Internet-Äther alleine schreibe, und, dass das sekundäre Ziel, nachhaltig ins Gespräch mit Euch – imaginierte wie latente Leserschaft – zu kommen, verfehlt worden ist und womöglich wird. Aber sei es drum, jeder Text ist es wert, geschrieben zu werden, selbst wenn ihn niemand ließt.

So viel zunächst und zuletzt zur nüchternen Neuerung, der dezidiert aber keine neuerliche Ernüchterung korrespondiert, denn selbst eine Welt mit nur einem Bewohner, bleibt eine Welt mit einem Bewohner: Hoch lebe Quanzland!

Nüchtern und nächtlich grüßt Euch Bewohner Nr.1, Euer Satorius

Wir sind die Roboter!

Manchmal ist das Alte wertvoll, die Vergangenheit doch nicht so vergänglich und der Blick zurück auf wohlig-warme Weise nostalgisch-sentimental. Diesem Motto getreu gebe ich einem selten gepflegten Konservatisimus Raum und die Ehre, schwelge in der Liebe zur Tradition und ergötze mich an Gewohntem; gebe also formal Gutenberg und seinen Blöcken kurzzeitig den Laufpass und komme inhaltlich sodann rasch zum Gegenstand des heutigen TFF: meinem – wie zuvor anderer Stelle erstmals erwähnten – Lieblingsroman. Diese Trilogie ist eine wahre Schatzkiste voll literarischer Artefakte, bezaubernd in seiner Form und bereichernd in seinen Inhalt, zugleich schöner Schein und wahres Wort.

Illuminatus! kehrt also wieder Mal zurück nach Quanzland, avanciert damit sowohl als Werk zum rezeptiven Rekordhalter, wie auch einer der beiden Co-Autoren, der hochverehrte und vielgelesene Robert Anton Wilson, das als bisher mit Abstand meistzitierter Autor tut.

Das Motiv, vielleicht gar der Archetyp, des Roboters war Anlass für Artikel und rein-recherchierende Relektüre des Romans und führt seinerseits, sticht vielmehr, mehr noch als die vormalige, erste Impression zweifach tief heinein und damit mitten ins Nervenzentrum der Erzählung, trifft zumal ihre neuralgischen Punkte, ihre thematisch-stofflichen Kraftlinien: Mystik und Wissenschaft, fiktional verbunden, versöhnend und verstörend, faktisch und praktisch als Position und Parodie munter changiert, meist als Esoterik zwischen, seltener als Exoterik durch die Zeilen dargeboten.

Im Prinzip ist die latent vermittelte Weisheit so simpel wie potenziell persönlich folgenreich: Wir alle tragen Mechanisches in uns, besitzen, bestehen aus starren Strukturen, die Zeit, Entropie und Zufall trotzen; dabei ist individuell egal, aber prinzipiell nicht trivial, ob wir diese Sedimente des Seins im wilden Strom des Werdens nun als Natur, Kultur, Sprache, Ideologie oder Utopie konkretisiert. Wir alle wählen aus, stanzen aus dem unendlichen All immer nur unseren endlichen, kleinen Schablonen aus, bestimmen und werden bestimmt, konstruieren und sind konstruiert, sind Subjekt und Objekt im Aktiv wie im Passiv. Wenn wir diese Wahrheit von der Relativität der Welt zunächst einmal erfahren und reflektiert haben, ist jedoch nur der erste Schritt getan; denn damit haben wir uns nur die (angelbich für manche, sogar die meisten Menschen verborgene) Prämisse des Daseins erhellt, aus der heraus eine m.E. effektiv-unendliche Folge an weiteren Schritten mündet – Aufklärung eben, als erster Schritt aus der Unmündigkeit. Die weiteren Schritte führen das Individuum immer weiter hinaus aus der Finsternis des homogenen Kreises und hinein ins Licht der heterogenen Linie, Etappe für Etappe näher zum Ziel, Stufe für Stufe hinauf zum höchsten Ideal, der vollkommenen Perfektion, welches mythisch-religöse Nomen oder rational-methodische Substantiv dieses Höchste dann auch immer bezeichnen mag. Nicht nur die Erkenntnis von Gutem und Bösem, sondern die Lust am Fortschritt und die Suche nach (weltlicher) Wahrheit haben die Menschen aus dem Paradies herausgetrieben und angestalchelt, seine eigene(n) Geschichte(n) zu schreiben: Das vormalige Tier, das erst Mensch wurde, will letztlich Gott gleichen; Schöpfer nicht nur seiner Selbst und seiner eigenen Welt sein und bleiben, sondern die wirkliche Welt der Objekte, Daten und informationen verändern – oder in den Worten des TFF, zuerst den inneren Roborter kontrollieren und sodann die äußeren Roboter programmieren.

Fern jeder Robotik, einfach nur wild und lebendig wachsend grüßt, Euer Satorius


Du siehst aus wie ein Roboter, sagte Joe Malik in San Francisco, in einem perspektivisch verzerrten Zimmer, in völlig verdrehter Zeit. Ich meine, du bewegst dich und gehst wie ein Roboter.

 

Bleib dabei, Mister Wabbit, sagte ein junger, bärtiger Mann mit düsterem Lächeln. Manche Tripper sehen sich selbst als Roboter. Andere sehen den Führer als Roboter. Bleib bei dieser Perspektive. Ist es eine Halluzination, oder ist es die Erkenntnis von etwas, das wir normalerweise unterdrücken?

 

Warte, sagte Joe. Ein Teil von dir ist wie ein Roboter. Aber ein anderer Teil von dir ist lebendig, wie etwas Wachsendes, ein Baum oder eine Pflanze…

 

Der junge Mann lächelt, sein Blick gleitet nach oben, zum Mandala, das unter die Decke gemalt ist. Well? fragt er. Glaubst du, das ist eine verständliche, poetische Kurzschrift: dass ein Teil von mir mechanisch ist wie ein Roboter und ein Teil von mir organisch wie ein Rosenbusch? Und was ist der Unterschied zwischen dem Mechanischen und dem Organischen? Ist der Rosenbusch nicht eine Art Maschine, die vom DNS-Kode benutzt wird, um mehr Rosenbüsche zu produzieren?

 

Nein, sagt Joe. Alles ist mechanisch, aber Menschen sind anders. Katzen besitzen eine Anmut, die uns verlorengegangen ist, oder zumindest teilweise verlorenging.

 

Wie glaubst du, haben wir sie verloren ?

 

 

Robert Anton Wilson (1932 – 2007) & Robert Shea (1933 – 1994), Illuminatus! Das Auge in der Pyramide – Band 1 (Der dritte Trip, oder Binah; 1977)


Tage, und George fand sich ohne jede Leidenschaft grübelnd, ohne Hoffnung oder Kummer oder Selbstgefälligkeit oder Schuld; wenn nicht völlig egolos oder in vollem Darshana, so dann doch wenigstens ohne jenes gierige und flammende Ego, das entweder nackten Tatsachen entsprang oder sich vor ihnen zurückzog. Er betrachtete seine Erinnerungen und blieb unbewegt, objektiv, in Frieden. Er dachte an Schwarze und Frauen und ihre subtile Rache gegenüber ihren Meistern; an Sabotageakte, die sich als solche nicht klar zu erkennen gaben, weil sie die Form von Gehorsamsakten annahmen; er dachte an die Shoshone-Indianer und ihre derben Witze, den Witzen und Scherzen unterdrückter Menschen überall so ähnlich; er sah plötzlich die Bedeutung des Aschermittwochs und der Saturnalien sowie der Weihnachtsparty in den Ämtern und den Büros und all die anderen beschränkten, genehmigten, strukturierten Gelegenheiten, bei denen Freuds Wiederkehr des Unterdrückten erlaubt war; er erinnerte sich aller Situationen, in denen er sich gegen einen Professor, einen Vorgesetzten, einen Bürokraten aufgelehnt hatte, oder, noch weiter zurückliegend, gegen seine Eltern, indem er auf die Gelegenheit wartete, in der er, dadurch, daß er haargenau das tat, was ihm aufgetragen wurde, eine mittlere Katastrophe hervorrief. Er sah eine Welt von Robotern, die starr auf den von oben vorbestimmten Pfaden ein-hermarschierten, und jeder Roboter besaß ein Stückchen Leben, war irgendwo ein bißchen menschenähnlich und wartete auf seine Gelegenheit, seinen eigenen Schraubenschlüssel irgendwann einmal in die Maschinerie zu werfen. Er sah schließlich, warum alles in der Welt fehlzuschlagen schien und die Situation Normal so All Fucked Up war. «Hagbard», sagte er langsam. «Ich glaube, ich komme dahinter. Die Genesis verläuft genau rückwärts. All unsere Probleme nahmen ihren Anfang beim Gehorsam, nicht beim Ungehorsam. Und die Menschheit ist noch gar nicht geschaffen worden.»

 

Hagbard, mehr denn je falkengesichtig, sagte sorgsam: «Du näherst dich der Wahrheit. Geh jetzt ganz vorsichtig, George. Die Wahrheit ist nicht, wie Shakespeare es sagen würde, wie ein Hund, den man in seine Hütte prügeln kann. Wahrheit ist ein Tiger. Geh jetzt ganz vorsichtig, George.» Er drehte sich in seinem Stuhl und zog aus der Schublade seines modernen, dänischen, quasi marsianischen Schreibtisches einen Revolver. George sah zu, so kühl und allein wie ein Mann auf dem Gipfel des Mount Everest, wie Hagbard die Trommel öffnete und auf die sechs Kugeln darinnen zeigte. Dann schloß er die Trommel und legte den Revolver vor sich auf die Schreibunterlage. Hagbard sah die Waffe nicht weiter an. Dieselbe Szene wie mit Carlo wiederholte sich da, doch blieb Hagbards Herausforderung unausgesprochen, aphoristisch; sein Blick verriet nicht einmal, daß ein Wettkampf begonnen hatte. Die Waffe glitzerte unheilverkündend; im Flüsterton sprach sie von all der Gewalttätigkeit und Heimlichkeit auf dieser Welt, von Verrat, der von Medici bis Machiavelli unge-träumt geblieben war, von Fallen, die für unschuldige Opfer aufgestellt worden waren; er schien den Raum mit der Aura seiner Gegenwart anzufüllen, und ja, er barg in sich sogar die subtilere Drohung, die von einem Messer ausging, der Waffe der Leisetretenden, oder der Peitsche in den Händen eines Mannes, dessen Lächeln zu sinnlich ist, zu intim, zu wissend; mitten in Georges so absolute Ruhe war sie eingedrungen, unentrinnbar und unerwartet wie eine Klapperschlange im Laufe eines Nachmittags an einem so süßen Frühlingstag in der Welt gepflegtestem und künstlichstem Garten. George konnte das Adrenalin in seinem Blutstrom pulsieren hören; sah das «Aktivationssyndrom» seine Handflächen feucht werden lassen, seinen Herzschlag zunehmen, sein Sphinkter sich um einen Millimeter weiten; und immer noch, high und cool auf seinem Berg, fühlte er: nichts.

 

«Der Roboter», sagte er, und sah dabei Hagbard an, «ist leicht durcheinander.»

 

«Leg deine Hand nicht in dieses Feuer», warnte Hagbard, unbeeindruckt. «Du wirst dich verbrennen.» Er guckte, er wartete; George konnte seinen Blick nicht von diesen Augen lösen, und dann sah er in ihnen jenen belustigten Ausdruck von Howard, dem Delphin, die Verachtung seines Grundschuldirektors («Ein hoher IQ rechtfertigt weder Arroganz noch Ungehorsam»), die verzweifelte Liebe seiner Mutter, die ihn niemals hatte verstehen können; die Einsamkeit Nemos, seines Katers in jenen Kindertagen; die Bedrohung durch Billy Holtz, dem Stärksten seiner Klasse, und die totale Andersartigkeit eines Insekts oder einer Schlange. Mehr noch: er sah das Kind Hagbard, stolz wie er selbst auf seine intellektuelle Überlegenheit und ängstlich wie er selbst vor der Bösartigkeit dümmerer aber stärkerer Klassenkameraden, und dann den ganz alten Hagbard, Jahre von hier, mit Falten am Hals wie ein Reptil, aber noch immer mit dem Ausdruck einer endlosen, suchenden Intelligenz. Das Eis begann zu schmelzen; der Berg stürzte in einem Aufschrei von Protest und Trotz in sich zusammen; und George wurde den Strom hinabgetragen, den Stromschnellen entgegen, wo der Gorilla brüllte und die Maus rasch dahinlief, wo der Saurier seinen Kopf aus tertiärem Blätterwerk hob, wo das Meer schlief und die DNS-Spirale sich rückwärts dem Aufblitzen zudrehte, das jetzt diese Helligkeit, dieses Licht, verursachte, dieses Wüten, das ewige Wüten gegen das schier unmögliche Sterben des Lichts, dieses Sturms und dieser Zentrierung.

 

«Hagbard …» sagte er zum Schluß.

 

«Ich weiß. Ich kann es sehen. Fall jetzt nur nicht in jenes andere Ding zurück. Das ist der Irrtum der Illuminaten.» George lächelte schwach, noch immer nicht völlig in die Welt der Worte zurückgekehrt. «<Esset und ihr werdet sein wie Gott>?» sagte er.

 

«Ich nenne das den Non-Ego-Egotrip. Natürlich ist das der größte Egotrip, den es gibt. Jedermann kann ihn lernen. Ein zwei Monate altes Kind, ein Hund, eine Katze. Aber wenn ein Erwachsener ihn entdeckt, nachdem ihn Gehorsam und Unterwürfigkeit über Jahre oder Jahrzehnte hinweg in ihm ausgelöscht haben, kann das, was sich einstellt, furchtbar wirken. Deshalb sagen die Zen Roshis: <Einer, der erhabene Illumination erlangt, ist wie ein Pfeil, der direkt in die Hölle fliegt.> Vergiß nicht, was ich dir über gebotene Vorsicht gesagt habe, George. Du kannst jeden Moment aufhören. Es ist toll dort oben, und du brauchst ein Mantra, um dich davon fernzuhalten, bis du weißt, wie du dich dort bewegen mußt. Hier ist dein Mantra, und würdest du die Gefahr kennen, in der du dich befindest, würdest du es mit einem Brandeisen brutal in dein Hirn einbrennen, um sicherzugehen, es niemals zu vergessen: Ich bin der Roboter. Wiederhole es.» «Ich bin der Roboter.»

 

Hagbard machte ein Gesicht wie ein Pavian, und George lachte wieder; endlich. «Wenn du mal Zeit hast», sagte Hagbard, «wirf mal einen Blick in mein kleines Buch, Pfeif Nicht, Wenn Du Pißt … Exemplare davon gibt es auf dem ganzen Schiff. Das ist mein Egotrip. Und halt dir immer vor Augen: du bist der Roboter und niemals wirst du etwas anderes sein. Natürlich bist du auch der Programmierer, und sogar der Meta-Programmierer; doch das ist eine andere Lektion, für ein anderes Mal. Jetzt genügt es, daß du dich des Säugetiers, des Roboters erinnerst.» «Ich weiß», sagte George. «Ich habe T. S. Eliot gelesen, und jetzt verstehe ich ihn. <Demut hat kein Ende.>» «Und Menschheit ist erschaffen. Das … andere … ist nicht menschlich.»

 

George sagte dann: «So bin ich also angekommen. Und da ist nichts als ein weiterer Startplatz. Der Anfang eines anderen Trips. Eines härteren Trips.»

 

«Bei Heraklit lautet das so: <Das Ende ist der Anfang.»> Hagbard stand auf und schüttelte sich wie ein Hund. «Ich denke, ich sollte jetzt lieber ein wenig mit FUCKUP arbeiten. Du kannst hierbleiben, wenn du willst, oder in deine eigene Kabine gehen. Eines schlage ich dir jedoch vor, lauf nicht gleich herum und posaune deine neue Erfahrung aus. Auf diese Art und Weise kannst du es zu Tode schwatzen.»

 

 

Robert Anton Wilson (1932 – 2007) & Robert Shea (1933 – 1994), Illuminatus! Der goldene Apfel – Band 2 (Der siebte Trip, oder Netzach; 1978)

#MCE8 @ Tschüss, Dystopia – Hallo, Utopia

So also fühlt sich ein ganzes, langes Quartal in der rauen Wirklichkeit (oder für philsophisch ambitionierte Monisten: Realität) an. Nun reicht es aber damit, genug der Fakten und verkappten Fiktionen; also bin ich heimgekehrt, hier nach Quanzland. Abermals kehre ich solcherart zurück in die technologische Freiheit, flüchte aus Dystopia und begrüße Utopia.

Viel ist unterdessen passiert dort draußen, in der Mitwelt von Quanzland, direkt vor der Haustür, in der nahen und fernen Nachbarschaft sowie in der großen weiten Welt: England scheidet sich, die Türkei und Amerika radikalisieren sich je für sich, Frankreich erfindet sich mal eben neu und die werte EU hofft mitsamt ihrer wachen Bürger auf eine gemeinsame Zukunft. Von Flucht, von Krieg und vom Terrorismus und all deren Folgen für Freiheit und Sicherheit, Leib und Leben zu sprechen, wäre bei meinem Temperament und dem daraus resultierenden Denkstil nur noch zynisch möglich. Denn für einen angemessenen Umgang, also aus sachlicher Distanz differenziert oder mit empathischer Nähe umsorgt, ist hier nicht der Ort; und ist jetzt nicht die Zeit. Deshalb werde ich schlichtweg schweigen. Wo immer wieder Menschen sterben, sollten Worte bisweilen ruhen. Genug also mit Komödie in diesen Belagen, wo selbst Tragödie verblasst und bloßes Wort bleibt. Ebenso hält es übrigens – nur noch soviel – der in Quanzland berühmt und auch ein wenig berüchtigt gewordene, zugleich global total ignorierte Gedankenterrorist: Er schweigt seit Wochen, scheut die Aktion im Zeichen seines sanften, beinahe humanen Terrorismus. Der gemeinsame Begriff, die verbindende Kategorie ist derart blutverschmiert, angstdurchtränkt und hassverfemt, dass Gleichklang unmöglich wird.

So sitze ich nun da, hölzern und starr, hocke am Rande dieses digitalen Raumes und blicke hinaus in eine lebensfeindliche Kraterlandschaft. Mein vielstimmiges, multimediales Sprachrohr säuselt so leise wie es staubbedeckt ist und nur zaghaft getraue ich mich, meine Stimme erneut zu erheben. Es herrschen schwere Zeiten für Spötter wie mich, allemal dort draußen in Dystopia aber auch hier drinnen in Utopia. Die Fenster und Türen zur Welt bleiben bisweilen offen, werden durch mich sogar denkbar weit aufgehalten, denn sonst würde Quanzland zur Einzelhaft in einem Gefängnis names virtueller Eskapismus.

Mit demütig-deprimierter Dissonanz, Euer Satorius


Maurits Cornelis Escher (1898 – 1972), Other World (1947; Lithografie)

#MO1 @ Gottfrieds Gruft

Mystische Orte, dokumentiert und zelebiert durch mysteriöse Datenspuren, künden der Welt von einem modernen Mythos.

Eine chinesische Megaunke mit Eigename Proton (ca. 2,30m Länge bei rund 170kg Gewicht) bewacht eine ganz besondere Süßwasserkaverne Quanzlands, die sich den vielsagenden Namen Gottfrieds Grurft verdient hat. Denn hinter dem im direkten Vergleich relativ kleinen Eingang befindet sich das größte Höhlensystem des Landes. Nach gesicherten Vermessungen erstreckt es sich mit über 17 Kilometern Länge und 5 Kilometern Höhendifferenz vom Stollenberg in Lauterfeld aus in Richtung Nieder-Schlitz. Davon verlaufen 7 Kilometer oberhalb, weitere 10 Kilometer hingegen unterhalb des Wasserspiegels. Was weiter drinnen, also darunter in der Tiefe, jenseits der tiefschwarzen Schlünde der extrem steil nach unten verlaufenden Enden des erkundeten Bereichs des gigantischen Höhlekomplexes noch alles verborgen liegt, wird bis auf weiteres dort im tiefen Schatten, unter dunklem Wasser begraben bleiben. Neben mangelndem Interesse und nicht vorhandener Wertschätzung für aufwendendige, teure Naturforschung, verhindert vor allem eine gruselige Geschichte voller Unfälle, Misserfolge und tödlich verlaufender Expeditionen weitere Erkundungen. Die Bezeichnung als Gruft kommt also nicht von ungefähr. Nicht zuletzt sorgen auch solche unter Naturschutz stehende Monstrositäten, wie oben zu sehen, eindrucksvoll für bürokratische und schlimmer noch vor allem lebensbedrohliche Schwierigkeiten. Möge Gottfried, wer auch immer er gewesen sein mag, in Frieden ruhen und möge Quanzland demütig und stolz sein, im Angesicht eines seiner mystischen Orte.


P.S. der Metatext-Redaktion: Dieses Bild, seine stilistisch bedenkliche und kryptische Unterschrift und der pseudoinformative Beschreibungstext tauchten heute Mittag unvermittelt im Blog auf, ohne das jemand wüsste, woher sie gekommen, noch wer sie verfasst, schon gar nicht warum überhaupt gemacht. Was ist hier bloß los, fragen wir uns, während Satorius dieses überraschende bis dubiose, contentgenerierende Phänomen einfach gelassen hin- und humorvoll annimmt. Er instruierte uns lappidar, den sonderbaren Inhalt zu posten. Damit vereinnahmen wir ihn ganz frech als „MO1“ für unsere Zwecke und publizieren die Daten bis auf dieses P.S. und die vereinnahmende Überschrift unverändert.

Anarchistisches TFF-Potpourri

Mit einer großangelegten multimedialen Terrorperformance hat er zugeschlagen, heftig und unerbittlich, landesweit und vieltausendfach. Als die redlichen Bewohner von Quanzland heute morgen erwachten, erwartete sie so einiges an Subversion und dieser Zustand setzte sich bis in den späten Mittag hinein fort:

Nahezu jedes E-Mailkonto quoll über von anarchistischem TFF, an allen öffentlichen Orten fluteten entsprechende Flugblätter das Bewusstsein der Bürger, Werbeflächen waren über Nacht idealistisch zweckentfremdet, Busse und sogar einige Polizeiwagen überfallartig anarcho-geairbrusht worden. Die Krörung der Aktion und der Kollaps kam persönlich per Tagespost. Ein Einschreiben pro Bewohner brachte nicht nur die Zustelldienste, sondern alle größeren Institutionen, Unternehmen und Einrichutngen mit Poststelle und definierten Tageszielen gehörig ins Wanken. Einzig ausgenommen von diesem postalischen Wahnwitz waren Krankenhäuser und  – verstehe, wer will – biologisch arbeitenden Bauernhöfe mitsamt ihrem Personal.

Inhalt dieser abertausend text-terroristischen Nadelstiche waren Leaks diverser kompromittierender Informationen über Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, insbesondere waren die Mitglieder des Wächterrates betroffen sowie einflussreiche Intellektuelle und populäre Stars. Da diese Enthüllungen und Skandale jedoch jenseits der Grenzen von Quanzland beinahe bedeutungslos sein dürften, habe ich einige der interessanteren Text-Fast-Foods abgetippt. Dieser Tradition war der unbekannte, angebliche Einzeltäter natürlich nicht untreu geworden. So war jedem Textattentat ein kurzes, zumeist anarchistisch angehauchtes Zitat beigefügt.

Wie die Obrigkeit nun noch die Theorie von der Einzeltäterschaft aufrecht erhalten will, bleibt noch abzuwarten. In den um Deeskalation bemühten Pressemitteilungen war noch keine Rede von ernsthaften Inhalten oder gar echten Konsequenzen, diese wurden hektisch vertröstet und auf die nahe Zukunft verdrängt.

In freudiger Erwartung der medialen Nachbeben und vor allem poltitischer Nachwehen, Euer Satorius


 

Wacht auf, denn eure Träume sind schlecht!

Bleibt wach, weil das Entsetzliche näher kommt.

Nein, schlaft nicht, während die Ordner der Welt geschäftig sind!

Seid mißtrauisch gegen ihre Macht, die sie vorgeben für euch erwerben zu müssen!

Wacht darüber, daß eure Herzen nicht leer sind, wenn mit der Leere eurer Herzen gerechnet wird!

Tut das Unnütze, singt Lieder, die man aus eurem Mund nicht erwartet!

Seid unbequem, seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt!

Günther Eich


Das Verläßlichste sind Naturschönheiten. Dann Bücher; dann Braten mit Sauerkraut.

 

Es ist nichts so absurd, daß Gläubige es nicht glaubten. Oder Beamte täten.

 

Nur die Phantasielosen
flüchten in die Realität;
und zerschellen dann, wie
billich, dran.

Arno Schmidt


Um heute Künstler zu sein, muß man auch Philosoph sein, nicht in dem Sinne, daß man Platon oder Aristoteles gelesen haben muß, sondern insofern, als man sich die Frage nach dem Einsatz zu stellen hat: Was macht man da eigentlich?

Jean-François Lyotard


Aufgabe von Kunst ist es heute, Chaos in die Ordnung zu treiben.

 Theodor W. Adorno


Dadaismus ist eine Strategie, wie der Künstler dem Bürger etwas von seiner inneren Unruhe, die ihn nie in Gewohnheit einschlafen läßt, mitteilen, wie er den Erstarrten durch äußere Beunruhigung zu neuem Leben aufrütteln will, um ihm den Mangel an innerer Not und Bewegung zu ersetzen.

Udo Rukser


Ich sehe meine Lebensaufgabe im wesentlichen darin, eine Art Reizmittel zu sein – nicht etwas wirklich Destruktives, sondern einer der beunruhigt, der desorientiert. Einer, der den Alltagstrott gerade insoweit unterbricht, daß das Opfer auf den Gedanken kommt, es könnte vielleicht mehr geben, als die bloße Langeweile des Daseins.

Elvis Costello


Zugleich hoffe ich auf die Bereitstellung eines universalen Sozialhaushaltes, so daß jeder Mensch über die Mittel verfügt, die er benötigt, um so zu leben, wie er möchte. In diesem Verlangen nach Utopia bin ich Anarchist. Die einzige Herrschaft, der ich traue, ist meine eigene Selbstbeherrschung.

John Cage


Revolution ist die Bewegung zwischen zwei Zuständlichkeiten. Hierbei stelle man sich nicht das Bild einer sich langsam drehenden Rolle vor, sondern eines ausbrechenden Vulkans… Alle Revolution ist aktiv, singulär, plötzlich und ihre Ursachen entwurzelnd. Revolution entsteht, wenn ein Zustand unhaltbar geworden ist: mag dieser Zustand in den politischen oder sozialen Verhältnissen eines Landes, in einer geistigen oder religiösen Kultur oder in den Eigenschaften eines Individuums stabilisiert sein. Die treibenden Kräfte der Revolution sind Überdruß und Sehnsucht, ihr Ausdruck ist Zerstörung und Aufrichtung. Zerstörung und Aufrichtung sind in der Revolution identisch. Alle zerstörende Lust ist eine schöpferische Lust (Bakunin). Einige Formen der Revolution: Tyrannenmord, Absetzung einer Herrschergewalt, Etablierung einer Religion, Zerbrechen alter Tafeln (in Konvention und Kunst), Schaffen eines Kunstwerks; der Geschlechtsakt. Einige Synonyma für Revolution: Gott, Leben, Brunst, Rausch, Chaos.

Laßt uns chaotisch sein!

Erich Mühsam

Schwermütiger Lyrik-Alarm

Ich mag Nietzsche, stillistisch fast durchweg, inhaltlich in Teilen, aber die Verse an die Melancholie fühlen sich nicht nur unangenehm an, sondern sie klingen ebenso, holpern und schlingern in weiten Passagen. Ob das gewollte Formvollendung oder ungewollter Textunfall ist, bleibt offen für tiefere Analyse und läd ein zur Interpretation. Ich jedenfalls vertiefe nur, was mich zu fesseln vermag und das ist nicht Nietzsches Hymnus an die düstere Göttin des Schwermuts aus dem Jahr 1871.

Dieses schwerfällige Gedicht eines ansonsten herausragenden Formenschmieds stand im Zentrum eines der sehr rar gewordenen Gedankenanschläge des weiterhin unbekannten Text-Terroristen. Dieser scheint den Willen zum Widerstand entweder verloren oder in andere (noch) unsichtbare Bahnen gelenkt zu haben. Quanzland hat nunmehr derart brisante innen- wie außenpolitische Probleme zu meistern, da konnte der zuvor so präsente Rebell kaum noch mit öffentlichem Interesse für seine Subversionen rechnen, zumal seine Protest-Aktionen zuvor schon seltener und insgesamt unambitionierter geworden waren.

Ich bezweifle nachdrücklich, dass er mit dieser Textauswahl ernstzunehmende Leserzahlen oder gar überzeugte Anhänger gewinnen wird, gebe ihm in meiner Rolle als Multiplikator aber gerne die Chance dazu. Denn wer weiß schon, was im perversen Hirn eines Staatsfeindes Abstruses vorgeht, nachdem er eine pubilizistische Pleite nach der anderen zu verarbeiten hatte, hat und haben wird: Wird er zukünftig wieder neuen Mut schöpfen und wie erfolgreich wird er mit was zurückkehren? Hat er sich unterdessen radikalisiert und neigt deshalb erstmalig zu physischer Gewalt statt wie bisher nur zu psychischer Penetranz? Was soll das Ganze eigentlich bringen, sind das nicht vergebliche Mühen in einem Land wie unserem? Warum nicht mal was populäreres, was auch der kleine Mann verstehen kann?

Mit einer Reihe Fragezeichen zum Abschied winkend, Euer Satorius


An die Melancholie

 

Verarge mir es nicht, Melancholie,
Daß ich die Feder, dich zu preisen, spitze,
Und daß ich nicht, den Kopf gebeugt zum Knie,
Einsiedlerisch auf einem Baumstumpf sitze.

 

So sahst du oft mich, gestern noch zumal,
In heißer Sonne morgendlichem Strahle:
Begehrlich schrie der Geyer in das Thal,
Er träumt vom todten Aas auf todtem Pfahle.

 

Du irrtest, wüster Vogel, ob ich gleich
So mumienhaft auf meinem Klotze ruhte!
Du sahst das Auge nicht, das wonnenreich
Noch hin und her rollt, stolz und hochgemuthe.

 

Und wenn es nicht zu deinen Höhen schlich,
Erstorben für die fernsten Wolkenwellen,
So sank es um so tiefer, um in sich
Des Daseins Abgrund blitzend aufzuhellen.

 

So saß ich oft, in tiefer Wüstenei
Unschön gekrümmt, gleich opfernden Barbaren,
Und Deiner eingedenk, Melancholei,
Ein Büßer, ob in jugendlichen Jahren!

 

So sitzend freut‘ ich mich des Geyer-Flugs,
Des Donnerlaufs der rollenden Lawinen,
Du sprachst zu mir, unfähig Menschentrugs,
Wahrhaftig, doch mit schrecklich strengen Mienen.

 

Du herbe Göttin wilder Felsnatur,
Du Freundin liebst es nah mir zu erscheinen;
Du zeigst mir drohend dann des Geyers Spur
Und der Lawine Lust, mich zu verneinen.

 

Rings athmet zähnefletschend Mordgelüst:
Qualvolle Gier, sich Leben zu erzwingen!
Verführerisch auf starrem Felsgerüst
Sehnt sich die Blume dort nach Schmetterlingen.

 

Dies Alles bin ich – schaudernd fühl‘ ich’s nach –
Verführter Schmetterling, einsame Blume,
Der Geyer und der jähe Eisesbach,
Des Sturmes Stöhnen – alles dir zum Ruhme,

 

Du grimme Göttin, der ich tief gebückt,
Den Kopf am Knie, ein schaurig Loblied ächze,
Nur dir zum Ruhme, daß ich unverrückt
Nach Leben, Leben, Leben lechze!

 

Verarge mir es, böse Gottheit, nicht,
Daß ich mit Reimen zierlich dich umflechte.
Der zittert, dem du nahst, ein Schreckgesicht,
Der zuckt, dem du sie reichst, die böse Rechte.

 

Und zitternd stammle ich hier Lied auf Lied,
Und zucke auf in rhythmischem Gestalten:
Die Tinte fleußt, die spitze Feder sprüht –
Nun Göttin, Göttin laß mich – laß mich schalten!

 

Friedrich Nietzsche (1844 – 1900), Gimmelwald (Melnacholie), in: Fragmente 1869-1874 (Band 1 – Kapitel 15; 1871)

Terroristenversteher oder Verschwörungstheoretiker?

Leere Drohungen an der »roten Linie«

 

Die syrische Tragödie unterscheidet sich grundsätzlich von den anderen Tumulten der Arabellion. Das Wort Arabischer Frühling mag man schon gar nicht mehr hören. In Tunesien war es tatsächlich zu einer spontanen Explosion gegen das Zwangsregime Ben Alis gekommen. In Kairo konnte man allenfalls – im Hintergrund der freiheitlichen Tahrir-Revolution – die geheime Manipulation der Mukhabarat [~Nachrichtendienst; D.Q.], der Geheimdienste und vor allem der Armee vermuten. In Libyen waren die USA recht zögerlich zur Hilfestellung für die dortigen Thuwar [~Rebellen; D.Q.] angetreten. In Benghazi, wo angeblich das Volk sich erhoben hatte, um Demokratie und Meinungsfreiheit zu fordern, galt es zu verhindern, daß die wenig zimperliche Streitmacht Qadhafis in der Cyrenaika ein grausames Gemetzel veranstaltete.

 

In Syrien lagen die Dinge ganz anders. Die USA – im Verbund mit Saudi-Arabien und Israel – hatten nicht die ersten Protestdemonstrationen von Deraa gegen die Diktatur Bashar el-Assads und seiner alawitisch dominierten Baath-Partei abgewartet, um die Grundlagen des Staates zu unterwühlen. Schon lange vorher hatte eine hemmungslose Kampagne, eine systematische Hetze in den amerikanischen und europäischen Medien gegen diese Arabische Republik eingesetzt, die – bei aller Brutalität, die auch sie zu praktizieren pflegt – das einzige säkulare Staatswesen im gesamten arabischen Raum darstellt. Verglichen mit den Vorzugsverbündeten des Westens – seien es nun Saudi-Arabien, Qatar, die Vereinigten Emirate oder Kuwait –, bot die Hauptstadt Damaskus ein Bild religiöser Toleranz und eines fast westlichen Lebensstils, seit Bashar el-Assad das Erbe seines unerbittlichen Vaters Hafez el-Assad angetreten hatte.

 

Irgendwo, an geheimen Kommandostellen, in diskreten Fabriken der Desinformation, die von angelsächsischen Meinungsmanipulatoren meisterhaft bedient wurden, war die Losung ausgegangen, daß Syrien sich den amerikanischen Vorstellungen einer trügerischen Neuordnung im Nahen und Mittleren Osten zu unterwerfen habe. Bei einer Medienveranstaltung der ARD in Berlin erwähnte ich diese allumfassende propagandistische Irreführung der breiten Öffentlichkeit, der sich – in Deutschland zumal – weder die linksliberalen noch die erzkonservativen Printmedien und Fernsehsender zu entziehen wußten. Der frühere Intendant des WDR, Fritz Pleitgen, und der arabische Journalist Suliman, der sein Amt als Korrespondent der TV-Station von Qatar, El Jazeera, quittiert hatte, weil er dessen Nachrichtenverfälschung nicht mehr ertrug, stimmten mir spontan zu. Die subtile, perfide Unterwanderung und Täuschung globalen Ausmaßes, denen die Medien ausgeliefert sind, bedarf einer ebenso schonungslosen Aufdeckung wie die hemmungslose Überwachungstätigkeit der National Security Agency. Gerüchteweise hatte ich vernommen, daß sich in North Carolina eine solche Zentrale der gezielten Fälschung befände, was die Existenz ähnlicher Institute in den USA, in Großbritannien und in Israel keineswegs ausschließt.

 

Peter Scholl-Latour (1924 – 2014), Der Fluch der bösen Tat. Das Scheitern des Westens im Orient: S. 158 (2014)


In Erinnerung an einen kürzlich verstorbenen großen Förderer des interkulturellen, kritischen Verständnisses und ohne diesbezüglich, wie überhaupt pietätlos sein zu wollen, muss der Artikel so beginnen:

Jaaah er lebt noch, ja er lebt noch, wer hätt‘ das noch gedacht … – der ideologische Unruhestifter [D.Q. nennt er sich weiterhin ominös verkürzt; Anmerkung der Metatext-Redaktion] aus den frühen Tagen dieser digitalen Welt hat dieser Tage zu medialer Wirksamkeit zurückgefunden. Er war seit geraumer Zeit nicht mehr so präsent wie noch zuvor, was aber einerseits an der intellektuellen wie redaktionellen Konjunktur beim Text-Fast-Food – ziemliche Depression dieser Tage – sowie andererseits darin begründet liegt, dass ich und auch große Teile der quanzländischen Öffentlichkeit, die Metatext-Redaktion inklusive, seiner überdrüssig geworden sind. Im Effekt schenken wir ihm also kaum noch nennenswerte Aufmerksamkeit geschweige denn Öffentlichkeit, zumal die Bonus-Kampagne des Wächterates und der Regierung ein großer Erfolg war. Gehetzt von ökonomisch zusätzlich motivierten Bürgern – böse Zungen würden schlichter sagen: gierigen Denunzianten – und von den Medien totgeschwiegen fristet der Text-Terrorist ein tristes Dasein im Dunklen und traut sich nur noch gelegentlich heraus aus seiner Terrorklause.

Kürzlich war es Mal wieder soweit: Mit zwei groß angelegten Flugblatt-Aktionen [»Terroristische Anschläge« im offiziellen Sprachgebrauch, deren zwei Original-Texte, von uns für Sie methodisch sauber transkribiert, ober- und unterhalb zu finden sind – gewesen sind und gewesen sein werden, für Tempus-Fans; Anmerkung der Metatext-Redaktion] wies er auf eklatante Verwirrung in der Außenpolitik und den darüber berichtenden Medien hin. Mit vielen Worten, aber ohne eigene Stellungnahme, die über die bloße Auswahl an Zitaten und deren Montage hinausginge, hat er sich mit den zwei angezapften Quellen wieder zurück in die Debatte gebracht. Dass er auch in seinen neuerlichen Text-Bomben konsequent auf inländische Medien und Autoren verzichtet, also nur solche aus wirklichen Staaten benutzt, werte ich an sich bereits als starkes Statement gegen die mediale Vereinnahmung durch ausländische Meinungsfabrikanten und -spekulanten. Hier in den zwei thematisch verschränkten Auszügen wird dieser medienkritische Ansatz (leit-)motivisch explizit ausgesprochen, tritt aber hinter die politisch so wichtige, beinahe metaphysisch übersteigerte Frage zurück: Wer ist hier eigentlich der Terrorist – … (IS)IS, Al-Qaida, Hisbollah, Al-Nusra, da ist man sich sicher, … Kim Jong-un, Orban, Assad, die kern-arabischen Herrscherdynastien, klar oder waren das bloß Diktatoren … mittlerweile womöglich Putin oder Erdogan, große Teile Afrikas gewiss, meint man zu wissen, soweit gehen die Meisten wohl auch noch mit … wer aber bietet mehr, Xi, Obama, Merkel vielleicht? Hohe Wettquoten garantiert!

Auch mir geht es heute um die Ziehung einer Roten Linie, wenn auch mit verbale milderen Mitteln als einer ernstlichen Drohung. Wenn ich beim Herangehen an Historie und Zeitgeschichte, wie es die Textanlässe herausfordern, die Wahl habe, entweder als »Terroristenversteher« oder als »Verschwörungstheoretiker« beschimpft zu werden, – und die habe ich genau jetzt in diesem Moment, denn schweigend »Ja und Amen« zu sagen, kommt nicht in Frage – dann ist meine Antwort klar und eindeutig: Ich wähle den Weg verwerflichen Verstehenwollens gegenüber Terroristen und genauer noch terroristischen Regimen und ihren Präsidenten im Besonderen. Damit erteile ich dem epistemischen Wahnsinn der Verschwörungstheorie nach dem Gusto: Sie gegen die Wahrheit eine Absage – keine Lügenpresse, kein Komplott der Mächtigen, das Kapital, die Juden, die Illuminaten oder sonst ein monistisch-okkulter Firlefanz, der seinerseits die intellektuellen Unkräuter Allgemeinplatz und Dogma zu neuer Blüte bringt.

Terror ist real! Weltgeschehen ist plural. Ereignisse sind komplex und lassen sich nicht ein- oder zwei-, auch selten dreidimensional vereinfachen. Internationale Politk und multinationaler Konflikt sind nicht nur ein Bühnenspiel von bestenfalls einer Handvoll mächtiger Puppenspielern. Diese lenken des Weiteren die Medienwelt nicht derart durchdringend, dass konventionelle Informationsquellen per se unglaubhaft sind. Schluss damit, Kinder der Kritik! Das mit den wahren, wirklichen oder echten Verschwörungen, die im ganz großen, globalen Maßstab die Welt (v)erklären, ist ein, wenn nicht der moderne Modus mythischer Welterklärung; sogar (noch) primitiver als bei den ordentlichen (Welt-)Religionen, möchte ich fast spotten, wage mich aber nicht. All diese leider zu häufig mit allzu viel Gewissheit gesegneten Perspektiven auf unsere schöne alte Welt haben ihre Wunder, ihre Zeichen der Offenbarung, so auch hier. Die Verschwörungstheorie beruht prosaischer gesprochen auf Indizien und entbehrt sogar nicht gänzlich der kalten Logik, nur an der Dialektik mangelt es ihr gewaltig. Wie häufig am eigenen Geist erlebt, landen falsch dargestellte Nachrichten oder schlecht manipulierten Meldungen, Widersprüche und Lügen allenthalben in unserem medialen Buffet. Erst entdeckt, laden sie verführerisch grinsend zum Zweifeln ein; das zu Recht allerdings, denn Propaganda ist zeitgenössisch so real wie global. Aber, und das ist der springende Punkt, die Desinformation und Machtverteilung auf der Welt ist unendlich komplexer und viel dynamischer als jedes im Grunde ziemlich starre und widerwärtig kritikresistente Wahngebilde namens »XY-Wahrheit über Z,A,B bis n« [Satorius meint damit wohl weiterhin nur die schwersten Kaliber der Verschwörungstheorie, wie Holocaustleugner, Hohlweltler und Konsorten, glauben sie ruhig weiter an den Weihnachtsmann, Nessie, Big Foot und Co. oder an Ufo’s (tut der werte Autor übrigens unterstellter Weise); Anmerkung der Metatext-Redaktion]. Soviel plakativ und kurz zur These, die nur so aussieht, als wäre sie selbst der Glaubensgrundsatz eines totalen, kugelrund geschlossenen Weltbilds, das ähnlich immun gegenüber Kritik, nur eben auf anderer Ebene daherkommt. Überheblich buchstäblich, aber komplett ausgebreitet – keine Angst das passiert hier und jetzt nicht – erschiene es jedoch so offen und radikal, wie nur denkbar, dabei weder ein Relativismus, noch Nihilismus, noch (»Neuer«) Realismus oder gar Empirismus, schon gar nicht Spiritismus, Poly- oder Monotheimus. Ich würde ein Hohelied singen auf ein pures Zwischen, dessen Kraft zum Sprengstoff für Semantik, Syntax und Grammatik taugt. Versprochen ist versprochen – also: Schluss!

Oder ich kompensiere das Lechzen nach Gedankenranken anderweitig, umwegig auf ein scheinbar anderes Ziel hingleitend. Ja, nach so vielen anturnenden Ismen folgt jetzt unweigerlich ein Quickie wilder wie wahllos willenloser Philosophie, nur ein paar wenige Absätze, in denen ich eine Kritik eindeutiger Welterklärung vom Stapel lassen möchte. Es wird eventuell textuell passenweise hart, aber immerhin nur eine Handvoll Absätze und die nur mit gutem argumentativem Zweck, das sei vorab abermals versichert.

Es gibt seit Äonen Myriaden möglicher Einzelphänomene in unserer gemeinsamen Welt. Da draußen waren, werden sein und vor allem sind unendliche viele wahrnehmbare und kommunizierbare Sachverhalte, Dinge und Ideen. Jeder von uns bekommt davon in einer unendlich kleinen Gegenwart und den anschließenden Rückbezügen nur wenige davon wirklich selbst mit. So nimmt jeder aus seiner raumzeitlichen und subjektiver Perspektive anderes anders wahr und selten teilt somit eine größere Gruppe einen Phänomenhorizont, womit eine Menge an synchron erlebten Phänomenen gemeint sind, die streng ausgelegt in möglichst analoger, kohärenter Relation zu den beteiligten Subjekten stehen sollten.

Damit schnell weg von der Außenwelt, gehen wir endlich nach innen: Wie die vielen Individuen die wenigen gemeinsamen Erfahrungen mit den geteilten Bruchstücken der Außenwelt dann jeweils beurteilen, macht die Sache erst so richtig vertrackt, ganz zu schweigen von den unmöglichen Zumutungen der fundamentalten Sprachlichkeit ihres Austauschs, über ihre Erfahrungen, Meinungen, Urteile, sowie, wenn vorhanden, über ihren grundsätzlichen Glauben, ihr Weltbild. Ihre Bildung, ihre Biografie, eines jeden Biologie und noch einige Faktoren, die sich nicht so schön alliterieren lassen, sorgen kraftvoll dafür, dass eine kaum vergleichbarer Phänomenhorizont, wenn er Wahrnehmung und Bewusstseinsinhalt geworden, noch unvergleichlicher, schier unendlich individuell geworden ist.

Dann kommt zum Glück der Diskurs, das Gespräch aller mit allen. Innenwelt und Innenwelt kommen über die Außenwelt und auf sich selbst zu Sprechen. Durch sprachliche Darstellung formen Personen und Gruppen aus dem wirren Chaos da draußen einen schön miteinander verbundenen Bewusstseins-Text, der vielfältig teilbar ist. Dabei sind Meinung und Überzeugung möglich, auch wenn man nicht dabei war, auch wenn man nicht identisch ist mit dem oder den ersten Bedenkern des originalen Phänomenkomplexes. Soweit, so abstrakt – man nehme also einen Korb voll Einzelphänomene, einen Bund Subjektivität, einen guten Doppel-Schlag Kognition/Reflexion, garniere alles mit Glauben, Liebe, Hoffnung und vergesse zuletzt nicht eine Prise Zufall, schon hat man den Salat. Das ist unglaublich toll, macht enormen Spaß und schafft bestenfalls am Ende große Kulturgüter, aber dadurch wird dennoch nicht alles das real, was wir uns dabei so vorstellen und worüber wir sprechen wollen und können. Ich denke also bin ich, aber was ich denke, ist nicht zugleich die Welt, es bleibt meine Welt. Ontologische Differenz, nennt diesen Graben zwischen Essenz und Existenz manch ein Philosoph.

Differenzen lauern also überall. Auch lassen sich zwischen den diversen Aussagen über die Welt enorme Unterschiede hinsichtlich Qualität, Angemessenheit, Anspruch attestieren. Wie operationalisierbar eine solche Messung sein kann oder wer überhaupt wen messen darf, ist mir hierbei herzlich egal; mir geht es lediglich darum, dass neben aller fundamentalen Skepsis ein lernfähiger Maßstab des Denkens vorstellbar bleiben muss. Ohne einen solchen bleibt jedes Denken hilflos, jedoch kommt es auf die Art des Maßstabes und die Weise des Maßnehmens an. Hierin, so viel sei zusammengefasst und zugleich angedeutet, liegt der überschriftenfähige Unterschied zwischen »Verschwörungstheoretikern« (Dogmatiker, Positivisten und Mon(-othe-)isten frecherweise inklusive) und »Terroristenverstehern«: Auf der gemeinsamen Basis einer kritisch hinterfragten Außenwelt findet eine unterschiedliche Auseinandersetzung mit der Innenwelt statt.

Bei einer an unendlich grenzenden Fülle an Phänomenen, wissend, dass das Kaleidoskop des Bewusstseins in der Zeit ein verschwindendes Quantum davon herausbricht und eigenwillig neu verbindet, braucht man schon ganz schön viel Glauben, um eine Erklärung, ein Modell, eine Meinung für einzig alleine wahr zu halten. In einer technisch-modernen Welt massen- und multimedial verschränkter globaler Wissennetze wird dieser Zustand praktisch erst richtig komplex, wo er doch schon metaphysisch und epistemisch prekär ist. All die groben und feinen Unterschiede verwischen dadurch noch weiter, die Grenzen zwischen den Kategorien bröckeln, die Zäune um die Worte halten nicht mehr stand, kaum noch kann klar getrennt werden, es vermischt sich konfus zwischen Wissen, Fiktion und Information. Die Literatur und ihr Modus der erzählerischen Fiktion; der Journalismus in all seinen Schattierungen und Abarten, seinerseits zwischen Literatur und faktisch-hartem Sachtext, schwankend, grob mittig situiert und im Umgang mit Weltbezug und Erfahrungswert schon auf diese verpflichtet, insgesamt idealerweise informierend; nicht geadelt wie zuletzt die heiligen Hallen der Wissenschaft, wo drei der edleren Kinder der Wahrheit, Erkenntnis, Objektivität und Evidenz, ihr Exil auf Erden gefunden haben. Aber trotzdem, es bleibt dabei, ist das berechtigte Zweifeln keine Legitimation für generellen, überall und nirgendwo Verschwörung witternden Aber-Glauben, der letztlich an Relativismus und Nihilismus gleichermaßen grenzt, der sich schlimmer und plumper noch als die im Vergleich komplexen wie traditionsreicheren Religionen am menschlichen Bewusstsein versündigt. Positive Simplifizierung, das ist die Anklage, die ich feierlich erhebe. Mit Glück teilt ein mit (Un-)Glauben überfüllter Geist wenigstens binär, beispielsweise zwischen wahr und falsch, gut und böse, faktisch und fantastisch, aber auch Dinge wie ich und du, wir und sie, Freund und Feind; damit sind immerhin verblüffende 50% vs. 50% der Welt differenziert worden – Glückwunsch!

Ontologisch unterkomplex und -determiniert, alles in allem ungenügend bis unbefriedigend, schließe ich fremd- wie selbstkritisch urteilend den philosophischen Anfall beinahe wieder ab. Wer glaubt sich selbst, irgendetwas wirklich restlos verstanden zu haben? Ein paar Wissensgebiete, ein paar Hobbys und natürlich der Beruf, dabei kommt Ottonormalbürger unter 10% Differenzierung bzw. 90% Verständnis, wie ein freimütiger Onto-Epistemologe mathematisch-allegorisch zu überschlagen wagt. Mal ehrlich, mehr als 25%=1/4 Begriffstunterscheidungen in einem beliebigen Phänomenbereich oder an guten Tagen in lichten Momenten dort und natürlich bei Steckenpferden 12,5%=1/8 Differenzierung trau ich mir selbst nicht zu – aber etwas mehr als so manche (Welt-)Religion das in vielen Lebensbereichen tut, habe ich und haben wir damit immerhin schon mal geschafft. Bevor ich, in spiegelnder Wasseroberfläche mich verlierend, den roten Faden, an dem der Textgegenstand angebunden sein sollte, verliere: Husch, husch zurück zum Argumentationsgang.

Statischtisch betrachtet, soviel dient hier wirklich die Mathematik als Zugang, werden solche Existenzerklärungsmodelle an Genauigkeit und Fehlertoleranz nur von reinem Wahnsinn (0%=0 und 100%=1) über- oder unterboten – was jeweils perspektivisch gefällt, denn Wahnsinn hat auch so seine Potenziale. Ich jedenfalls weiß nicht, Gott bewahre, allerdings glaube ich zum Teufel noch mal, dass die Welt (noch) nicht so leicht zu kontrollieren ist, wie das die typischen Verschwörungstheorien impliziert. Nur in der Literatur funktioniert das so schön und reibungslos, das nennt sich Plot, Story oder Handlung. Solchermaßen glatt, genial und gleichförmig wie die pyramidalen Machtstrukturen der Welterklärung aufgebaut sind, die Verschwörungstheorie und Monotheismen gleichermaßen gerne für sich und ihre Anhänger konstruieren, ist die Welt nicht, geschieht der Leben nicht. Mit solchen kontrastreichen, schönen Weltbildern schützt sich der selbstverliebte und ängstliche Geist vor der Entropie dort draußen in der Wildnis der Existenz, wo sich Sein und Werden mischen. Letztlich sind alle Weltsichten die Innen- und Außenwelt, respektive die in Frage stehenden Phänomenmengen der Welt auf weniger als 33%=1/3 Begriffe hin unterscheiden und diese allseitig anerkennen, dubios. Sie sind eine einfache und bequeme epistemische Option oder lustiger formuliert, eine Wette auf die Wahrheit der eigenen Sache. Alles oder Nichts! Sinn und Bedeutung sind möglich, das muss ich abermals betonen, sonst missversteht man mich am Ende noch falsch. Wäre dem nicht so, was wollte ich sagen außer: nein, aber, nicht, kein, zu wenig? Abstrakt und philosophisch zusammenfassend ausgedrückt gilt es, ohne ungebührliche (>33%=Begriffsdifferenzierung der Phänomenmenge) Vereinfachung die Vieldimensionalität der Existenz (Sein+Werden+Bewusstsein) anzuerkennen.

Damit kehre ich ausdrücklich zurück auf den konkreten Gegenstand, den ich am Ende des roten Fadens soeben hinter dem philosophischen Bombast wiederentdeckt habe. Nun löse ich endgültig das zuvor nach der nun wohl erwiesenermaßen berechtigten  Warnung gegebene Versprechen wirklich ein und beende den notwendigen Exkurs wider die Einfältigkeit.

Ich behaupte anschaulich und gelegentlich aus dramaturgischen Gründen etwas derb: Es sind so verdammt viele unterschiedliche Akteure mit verflucht vielen unterschiedlichen Interessen im Spiel um Welt involviert, dass hier einfache Wahrheiten pures Gift für den Geist sind. Die Weltpolitik im medialen Zerrspiegel erblicken zu wollen und zu können, ohne Verschwörungstheorien zu erliegen, ist Bürgerpflicht. Auf die Masse an poltischen Wettkämpfern kommen immer mehr Bürger, die aufpassen könnten, auch wenn letztlich die großen Wettbüros allesamt gleichermaßen über den Tisch ziehen. Zudem treten sie alle in unterschiedlichsten Disziplinen auf wechselndem Spielplatz gegen- und miteinander an. Es gibt stärkere und schwächere Kontrahenten, das zwar, aber weder klare Regeln, noch genug effektive Schiedsrichter, nicht einmal der Einsatz und der Gewinn sind kalkulierbare Größen. Bei solchen nur vagen Voraussetzungen wage ich für meinen Teil keine Wette mit dem gefühlten Einsatz von Leben und Seelenheil, selbst wenn Recht, Gott und Wahrheit als Hauptpreise locken.

Schließlich schließt sich der Bogen zum Beginn und zum rahmende Text-Fast-Food mit einem langen und breiten Umweg über meine wildphilosophische Weigerung, mich als »Verschwörungstheoretiker« beschimpfen lassen zu wollen. Stattdessen habe ich den Weg des »Terroristenverstehers« gewählt. Der bisher verschwiegene und laue dritte Weg, der über die breit ausgetretenen Pfade politischer Korrektheit, bequemer Naivität und purer Ignoranz führt, stand für mich außer Frage. Er behagte mir trotz entgangener Lockungen wie kumpelhaftes Schulterklopfen, gütiges Kopfnicken und Unmengen Likes noch nie und nicht im Geringsten.

Also führt die Route auf den steinigen Rundkurs des Verstehenwollen ohne Hoffnung auf absolutes Verständnis, dabei hin und her, vom Sender zum Empfänger und wieder zurück, immer mit Rückblick auf die Strukturen der beteiligten (Mutter-)Sprachen, getragen von Respekt, Offenheit und Neugierde. Solche (Dis-)Kurse führen notgedrungen auf die Aussagen des anderen, verpflichten sich auf aktives Zuhören und eine Auseinandersetzung mit dem Gegenüber, je primärer, desto besser; je reicher an Quellen, desto besser. Unser Text-Attentäter und in ich in seinem Gefolge begnügen uns zunächst mit lediglich zwei Zugänge zur prekären Frage nach dem Terrorismus. Nun sind wir fast angelangt am zweiten Text-Fast-Food, dem angekündigten Primärmaterial.

Medienkritik spielt hier weiterhin eine wichtige Rolle, ist jedoch neben einer expliziten Stelle eher impliziter Metatext zum Interview. Geführt wurde es mit einem möglichen Terroristen, der wiederum gegen viele andere Terroristen kämpft, durch einen Vertreter aus der Rige des sog. Qualitätsjournalismus. Die Zeilen machen einen anderen Blick auf den Terror möglich, zeigen, durch die rhetorische Brechung des westlichen Journalisten hindurch, einen geschickt wie zynisch argumentierenden Diktator mit Terrortendenz. Dieser ist zuvor, oben im ersten Bezugstext medienkritisch relativiert und als Opfer manipulativer Verunglimpfung und weltpolitischer Schachzüge in Schutz genommen worden. Lesen oder hören wir nun also selbst frisches Denkmaterial für potenzielle Terroristenversteher. Es wurde lediglich übersetzt und wird nur ein bisschen zur Selbstinszenierung missbraucht.

Wie das Pamphlet gegen Verschwörer praktisch ausgelegt gebietet, dürfen Menschen und Kollektive weder als Teile eines unilateralen Puppenspiels, noch per se als die Bösen, nein Wilden, bloße Tiere oder grausame Monster betrachtet werden. Den Versuch, das zu vermeiden, wage ich immer wieder gerne. Beim Projekt, ein Verstehen von Baschar el-Assad voranzutreiben, stößt man bei gründlichem Hinhören auf zwar überspitzte, aber im Grunde überhaupt nicht so unzivilisiert und bestialisch klingende Bekundungen. Wie viel Ehrlichkeit diese Aussagen begleitet, bleibt – so ist es halt – medial-verworren und damit ungewiss, es sei denn, sie haben einen Augenzeugen oder Experten ihrer Wahl zur Hand, der zutiefst vertrauenswürdig, unbestechlich und unabhängig ist. Inwieweit diese Person existiert, hängt von der Wahl des Weltbildes bzw. des Existenzmodells ab, sie muss jedenfalls phänomenal umfassend im Bilde sein.

Neugier, Neutralität und Nachdenken – in dieser Reihenfolge versuche ich das Verstehenwollen von Terroristen und -anwärtern zu betreiben. Wenn Ereignisse nicht einfach und erst recht nicht leicht sind und also nicht elegant verklärt werden können, dann muss man, dann sollte man, dann darf man sich selbst erkundigen. Aufklärung tut Not, so viel wissen wir seit Jahrhunderten, aber ist das Motiv genug, sich wirklich selbst darum zu bemühen. Den wohlverdienten Feierabend für Recherche und Lektüre zu nutzen, anstatt es sich einfach gut gehen zu lassen, unterscheidet zwar nicht vom Verschwörungstheoretiker, macht aber noch lange keinen Terroristenversteher. Was also ist nötig und vor allem ist das irgendwie gefährlich?

Ja und viel, lauten die Antworten in Kurzform. Kurz und knapp ausgeführt ist die Langform: Gewissheiten und kostet der Schritt jeden, Zweifel gibt es dafür zuhauf, simpler Trost und manche behagliche Fantasie gehen einem verloren, bisweilen entfernen sich bei redseligen Gemütern sogar Freunde und insbesondere Verwandte sind betroffen, Kunden und Chefs mögen solcherlei Querelen auch nicht unbedingt. Aus pragmatischer Hinsicht sind also ein mental bis sozial dickes Fell und vor allem die Fähigkeiten der Diplomatie, der selektiven Heuchelei und der rhetorischen Blendung ein notwendiges Rüstzeug für die Reise in die Welt jenseits von Gut und Böse. Fantasie und Freizügigkeit, Furchtlosigkeit und Frechheit kommen beim Spielen, Spekulieren, Kritisieren und Reflektieren auf kognitiver Ebene zum Einsatz. Besonderes Merkmal dieser Haltung ist die stete Dynamik, die sie dem Verstehensaspiranten gnadenlos abfordert, denn gedanklich stillzustehen, an- und innezuhalten und sich bequem mit einer schmackhaften Erkenntnis oder einer deftigen Negation labend auszuruhen, ist verpönt. Fremd- und Selbstkritik folgen einander im raschen Wechsel. Frage, Einwand und Argument sind beherrschende Funktion der Sprache, Differenz, Wurzel und Wahrscheinlichkeit ständige Operationen. Wo Empathie und Zynismus sich noch zögerlich die Hände reichen, umarmen sich Ethik der Menschlichekit und Zerstörungswut fremden Gedankeneigentums bereits innig und Spott, Trost, Streit sowie Versöhnung kopulieren wild. Willkommen in der wunderbaren Welt abstrakt-öbszöner Idealisierungen.

Aber auch hier lockt erstrebenswerter Gewinn und sicherlich noch der ein oder andere Kollateralnutzen: Freiheit des Geistes plus Offenheit des Bewusstseins multipliziert mit mentalem Zirkeltraining minus Vorurteil, Intoleranz und Narzissmus, zuletzt geteilt durch Gewaltverzicht, Geduld und Gastfreundschaft. Terroristenversteher neigen aus augenfälligen Gründen auch dem Verständnis für Flüchtlinge, Verräter und dem x-beliebigen Sünder im Allgemeinen zu.

Nun also, auf, auf! Die Gedankenpraxis steht klar im Vordergrund aller Verständnisambitionen, deren Ausübung sollte durch mich nicht länger textend hinausgezögert werden. Leset also, wie sich der Präsident Syriens öffentlich rechtfertigt, der seit gut 5 Jahren Krieg gegen sein eigenes Volk führt oder wie er sich ausdrückt, gegen die Teile der Bevölkerung, die zu Terroristen geworden seien und deren ausländische Unterstützer. Gemeinsames Ziel dieser Allianz sei es, auf dem Weg eines instrumentellen Terrorismus wandelnd die Verfassung des Staats Syrien nicht nur zu bedrohen, sondern nach ihrem Willen umzugestalten oder zur Not zu vernichten. Was er wohl ist, der Herr Präsident: Verschwörungstheoretiker, Terroristenversteher, Terrorist oder etwas ganz anderes, wie eventuell Alawit, Zahnarzt, Vater oder Mensch?

Nacht-diskursiv ermüdet und medial ver(un)sichert, Euer Satorius


ARD: Nehmen wir einmal an, Herr Präsident, ich wäre nicht ein Terrorist vom IS und der Al-Nusra-Front, sondern ein Aufständischer der Freien Syrischen Armee: Was sollte ich tun, damit Sie mich wieder als syrischen Zivilisten akzeptieren?

 

Assad: Legen Sie einfach die Waffen nieder – ob Sie nun am politischen Prozess teilnehmen möchten oder sich für diesen gar nicht interessieren, ob Sie überhaupt keine politische Agenda verfolgen – das spielt keine Rolle. Das Wichtigste für mich ist aus rechtlicher und verfassungsrechtlicher Sicht und im Hinblick auf das Interesse des syrischen Volkes und die in jedwedem Staat geltenden Grundsätze, dass Sie als Bürger nicht das Recht haben, mit Maschinengewehren herumzulaufen und diese gegen Menschen und deren Besitz zu richten. Mehr verlangen wir nicht. Wir verlangen überhaupt nichts. Wie schon gesagt, bekommen Sie eine uneingeschränkte Amnestie, und das ist auch schon der Fall gewesen. Sie sind der syrischen Armee beigetreten, und einige von ihnen auch dem politischen Leben.

 

[…]

 

ARD: Warum kann die syrische Regierung nicht akzeptieren, dass man es mit zwei verschiedenen Gruppen zu tun hat: Auf der einen Seite mit den Terroristen vom IS und der Al-Nusra-Front und auf der anderen Seite mit den Aufständischen, die, sagen wir, ziviler sind? Warum sagen Sie immer, Sie bekämpften lediglich Terroristen?

 

Assad: Wer bewaffnet gegen Zivilisten oder gegen privates oder öffentliches Eigentum vorgeht, ist von Rechts wegen ein Terrorist. Ich glaube, das ist bei uns nicht anders als in Ihrem Land. Sie akzeptieren bei Ihnen auch nicht, was man Aufständische nennt. Sie haben zwar eine Opposition, akzeptieren jedoch nicht, dass eine sogenannte „gemäßigte Opposition“ sich bewaffnet, um ihre Ziele zu erreichen. Das wird in keinem Land geduldet. Soweit ein Aspekt ihrer Frage.

 

Nun der andere: Wir bezeichnen nicht jeden Militanten als Extremisten. Es ist die Mehrheit derer, die über das Terrain die Kontrolle übernommen haben – das sind ausschließlich diese extremistischen Gruppen. Der andere Teil, den man als gemäßigt hervorgehoben hat, ist irrelevant und ohne Bedeutung. Sie haben gar keinen Einfluss vor Ort, so dass dort die meisten sich den Extremisten anschließen müssen – nicht weil diese Extremisten sind, eher vielleicht aus Angst oder wegen des Geldes oder eines Soldes. Daher sagen wir, dass wir die Extremisten bekämpfen, da der wahre Feind, nämlich der Terrorismus, aus diesen terroristischen Gruppen besteht – vorwiegend IS und al-Nusra aber auch Ahrar al-Sham sowie Jaish al-Islam.

 

[…]

 

ARD: Ich war im Jahre 2012 hier, als die ersten Parlamentswahlen stattfanden. Wie können Sie in Zeiten des Bürgerkrieges Wahlen abhalten?

 

Assad: Zunächst einmal gibt es keinen Bürgerkrieg, da die Definition nicht stimmt. In einem Bürgerkrieg sind gewisse Linien zu erkennen, gesellschaftliche Linien je nach religiöser oder ethnischer Zugehörigkeit, oder andere, vergleichbare Linien. Diese haben wir derzeit jedoch nicht, da in den durch die Regierung kontrollierten Gebieten das gesamte Spektrum der syrischen Gesellschaft in all seiner Farbenvielfalt abgebildet ist. Mit der Definition „Bürgerkrieg“ liegen Sie daher nicht richtig. Tatsächlich muss es heißen „die Terroristen gegen den Rest“.

 

Zweitens zu den Wahlen: Die sind ja zunächst einmal keine Freizeitbeschäftigung und folgen nicht aus der Auffassung des Präsidenten oder aus der Stimmung in der Regierung. Damit haben sie gar nichts zu tun, sondern sie sind Ausdruck der Verfassung. In unserem Krieg geht es um die Unabhängigkeit unseres Landes, denn man – das heißt andere Länder und vor allem der Westen, Saudi Arabien und Katar – will die Regierung und den Präsidenten absetzen.

 

Man will den Staat zerstören und aus Syrien ein nach Religionen geteiltes Land wie den Libanon und vielleicht den Irak machen. Die Verfassung ist heute ein Symbol der Einheit und der Souveränität, und das Symbol für ein unabhängiges Land. Wir müssen uns an die Verfassung halten. Verfassung ist jedoch nicht das, was auf dem Papier steht, sondern die Art, wie man damit umgeht. Dazu gehören auch die Wahlen, und diese sind kein Recht der Regierung sondern das Recht jedes einzelnen syrischen Bürgers. Die Bürger entscheiden darüber, ob sie Wahlen wollen oder nicht. Und egal, welchen Syrer Sie fragen – sie alle wünschen sich ein neues Parlament.

 

[…]

 

ARD: Die überwältigende Mehrheit der Länder und der Organisationen in aller Welt sagen, es werde womöglich keine Lösung für Syrien geben, solange Sie an der Macht sind. Sind Sie zum Rücktritt bereit?

 

Assad: Für die genannten Länder und Offiziellen? Nein, natürlich nicht, denn das geht sie gar nichts an. Deswegen habe ich darauf nie reagiert. Wir hören diese Dinge jetzt seit fünf Jahren und es ist uns egal, was von dort kommt. Das ist nur unsere Sache, die Sache Syriens. Nur die syrischen Bürger haben das Recht zu befinden, wer ihr Präsident sein soll. Als Deutscher lassen Sie sich auch nicht von mir oder von wem auch immer sagen, wer bei Ihnen Kanzler sein soll und welches politische System Sie wollen. Das akzeptieren Sie nicht und das akzeptieren auch wir nicht. Also noch einmal: Nein – was immer von denen zu hören ist – mein politisches Schicksal hat nur mit dem Willen des syrischen Volkes zu tun.
… aber wenn es das syrische Volk will

 

ARD: Aber allgemein gefragt: Wären die Bedingungen so, dass das syrische Volk Ihren Rücktritt will – wären Sie dann dazu bereit?

 

Assad: Ja natürlich, keine Frage. Wenn das syrische Volk will, dass ich diesen Platz räume, dann habe ich das sofort und ohne Zögern zu tun. Wollen Sie als Offizieller, als Präsident, als gewählter Regierungschef oder was auch immer erfolgreich sein, dann brauchen sie die Unterstützung der Öffentlichkeit. Ohne diese erreichen sie gar nichts. Was könnten sie dann überhaupt anfangen? Die Dinge sind also eng verknüpft – der Wille der Bevölkerung und ihre Aussichten, etwas zu Stande zu bringen – beziehungsweise erfolgreich zu sein.

 

[…]

 

ARD: Hätte Deutschland – allgemein gesprochen – bezüglich der gesamten Syrien-Frage eine besondere Rolle zu spielen, oder ist es lediglich ein weiteres Land wie die USA und Saudi Arabien?

 

Assad: Wir hoffen, dass jedes Land eine Rolle spielen kann, insbesondere die Länder Europas und die wichtigsten Länder in der EU wie Deutschland mit der stärksten Wirtschaft, das vermutlich in der EU nicht nur wirtschaftlich sondern auch politisch die führende Rolle spielt. Praktisch gesprochen sehen wir eine solche Rolle allerdings noch nicht, da dies den entsprechenden Willen voraussetzt und der Wille mit Unabhängigkeit zu tun hat

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Es stellt sich die Frage, wie viele europäische Politiker von der Haltung der USA unabhängig sind. Was wir bisher erkennen können, ist nicht mehr als die Kopie dessen, was amerikanische Politiker sagen – und dessen was sie tun. Das ist alles, was wir erkennen können. Ich kann also nichts zu einer möglichen Rolle sagen, wenn die Unabhängigkeit fehlt.

 

[…]

 

ARD: Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen sagt, im Jahre 2015 seien 94 Krankenhäuser mit staatlicher Hilfe bombardiert worden. Wie ist so etwas möglich? Sie können doch nicht behaupten, dass all diese, sagen wir einmal, Kriegsverbrechen lediglich durch die US-geführte Koalition verübt wurden. Einen Anteil daran hatten doch auch Russland und Syrien.

 

Assad: Tatsächlich wissen wir bei dem einen, insbesondere bei diesem besonderen Zwischenfall nicht, wer verantwortlich war. Aber wenn wir das wollten, hätten wir schon lange die Gelegenheit dazu gehabt. Wir sind doch hier und hätten das immer schon machen können. Es gab für uns keinen Grund, ein Krankenhaus anzugreifen.

 

Natürlich ist das, was Sie als Verbrechen erwähnen, ein Verbrechen, aber es kommt darauf an, von welchen Kriterien man diese Definition abhängig macht. Nach unseren Kriterien handelt es sich um ein Verbrechen. Nicht jedoch nach den Kriterien des Westens, und dies aus einem einfachen Grund: Der Westen hat bisher den Krieg gegen den Irak im Jahr 2003, während dessen mehr als eineinhalb Million Menschen umgebracht wurden, zu keinem Zeitpunkt als Kriegsverbrechen eingestuft. Ebenso wenig hat man das im Jemen getan, wo die Saudis Gräueltaten begangen haben. Und auch nicht in Syrien: Wenn die Aufständischen Tausende von Unschuldigen mit Granaten und Selbstmordattentätern umbringen, dann spricht man dort offen gesagt auch nicht von Verbrechen. Es ist also eine Frage der Kriterien. Nach unseren Kriterien ist jeder ein Verbrecher, der solche Taten verübt.

 

ARD: Zur Klarstellung – die meisten Kriegsbeobachter sagen, die syrische Armee und die russische Luftwaffe seien dafür verantwortlich – und zwar nicht als Kollateralschaden, denn das Bombardieren von Schulen und Krankenhäusern sei Teil ihrer Kriegsstrategie. Lastet da nicht ein hohes Gewicht auf Ihren Schultern?

 

Assad: Angesichts eines solchen Diskurses müssen Sie sich eine einfache Frage stellen: Was würde uns das bringen? Welches Interesse könnten wir daran haben? Aber ganz unabhängig davon und wenn wir Werte und Prinzipien einmal bei Seite lassen, so müssen wir doch erkennen, dass der Staat diese Gebäude errichtet hat und dass er sie für die Menschen und für sich selbst benötigt. Wenn er die Menschen auf seiner Seite wissen will, dann muss er ihnen ein Minimum an Infrastruktur und an Dienstleistungen bieten. So einfach ist das. Aber unabhängig davon bleibt doch die Frage, was uns das bringen würde. Wir würden nur verlieren und gar nichts gewinnen. Wir haben also keinerlei Interesse an einem derartigen Vorgehen.

 

[…]

 

ARD: Schauen wir fünf Jahre zurück in die Zeit, als die Aufstände in der arabischen Welt begannen, und zwar auch in Daraa im Süden Syriens und an der Grenze zu Jordanien. Wir haben den Eindruck, dass dort ein paar übermütige Jugendliche Graffitis an eine Mauer sprühten und dafür inhaftiert wurden. Als ihre Eltern sie zurückhaben wollten, haben die Sicherheitskräfte mit äußerster Härte zurückgeschlagen. War es klug, derartige Verrücktheiten von jungen Menschen so hart zu bekämpfen und damit den Startschuss für den Bürgerkrieg zu geben?

 

 

Assad: Zunächst einmal hat es die ganze Geschichte gar nicht gegeben. Sie ist einfach nicht passiert, sondern war reine Propaganda. Wir haben davon gehört, aber nie auch nur eines dieser Kinder gesehen, die ins Gefängnis gekommen sind. Es war eine Lügengeschichte. Angenommen, das nicht Geschehene sei geschehen – vergleichen wir es dann doch einmal mit den Ereignissen in den USA im vergangenen Jahr, wo alle über die Tötung vieler Schwarzer durch die Polizei diskutierten, die in den USA von sehr vielen Menschen verurteilt wird.

 

 

Hat da etwa irgendjemand den Leuten gesagt, sie sollten sich Maschinengewehre besorgen und andere Menschen umbringen, nur weil der Polizeibeamte einen Fehler begangen hat? Das ist natürlich keine Entschuldigung. Also – geschehen ist das Erwähnte nicht, wäre es jedoch geschehen, so wäre es kein Vorwand für irgendjemanden, sich zu bewaffnen, gegen die Regierung zu kämpfen und unschuldige Zivilisten zu töten.

 

 

Und die nächste Frage, welche Gegenmaßnahmen würden Sie ergreifen, wenn auf Ihren Straßen Menschen andere Menschen umbringen und sich an fremdem Besitz vergreifen. Sagen Sie denen: „Macht, was ihr wollt. Wir sind offen für alles. Und reagieren werden wir auch nicht“? Das wäre nicht in Ordnung. Wir haben da keine Wahl: Wir müssen ihnen Einhalt gebieten und sie am weiteren Töten hindern. Andererseits kommen sie mit Maschinengewehren, und da können wir sie nicht mit Luftballons bekämpfen. Gegen diese militanten Kräfte können wir nur mit unseren eigenen Waffen angehen. Eine Alternative hatten wir seinerzeit nicht.

 

 

Auszüge aus dem ARD-Interview von Thomas Aders mit Baschar al-Assad am 28.02.2016 in Damaskus (Direktlink zur Quelle)

Quanzland + Terror-TFF & ein (fast viel) zu langes P.S.

Was ist eigentlich aus dem nicht ganz namenlosen [D.Q.] Gedanken-Terrorist geworden, der zu Beginn unserer Reise so präsent war: mundtot, verbittert, geschnappt, gar tot oder sogar zur Staatstreue bekehrt?

Seine Aktionen jedenfalls haben im letzten Jahr für ernstliche Aufregung in Quanzlands Öffentlichkeit gesorgt, soviel ist gewiss; jedoch ist er in den letzten Monaten zurückhaltender geworden, soviel steht ebenso sicher fest. Vielleicht nutzt sich sein Medium ab, werden die Menschen in ihrem Trott durch Textbomben nicht mehr aufgerüttelt, weder irritiert, noch inspiriert, eventuell haben sich die Bürger sattgegessen am kritisch zu verdauenden Text-Fast-Food oder sie wurden zuerst nur von dessen Neuheit wie modisch angezogen, letztlich dann aber von der politisch-existenziellen Note der Textauswahl abgeschreckt – man und besonders ich weiß es nicht.  

Mit seinen subversiven Zitaten hatte D.Q. fast im Alleingang die anfänglich boomende Kategorie des Text-Fast-Foods gefüllt. Ich wurde beinahe täglich von Texten angesprungen, die überall im Alltag auf willige und unwillige Passanten lauerten: in den Straßen, den Orten des öffentlichen Lebens, in Dokumenten und Sendungen, auf Bildern und Plakaten, besonders aber im digitalen Dschungel des Internets. Überall traff man auf Gedankenbomben, unweigerlich fast; aber dann, nach der ersten Furore legte sich Schritt für Schritt das Interesse und die Aufmerksamkeit, jeweils einen Schritt dannach fuhr der Terrorist – so die offizielle Sprachregelung – sein Engagement zurück. Zunächst subtil und qualitativ, dann merklich und quantitativ. Schwacher, schlechter und weniger – in dieser Reihenfolge geschah der Rückzug der Textfragmente und ihres Urhebers aus dem öffentlichen Raum.

Die staatlichen Organe gehen derzeit mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon aus, dass es sich um einen Einzeltäter handelt; oder, um es mit einem Zitat von einem Regierungssprecher zu sagen, das zweifach eindrücklich ist, sowohl für die öffentliche Atmosspähre in meiner neuen, alten Heimat als auch für die weitere Geschichte unseres inoffiziellen Mitarbeiters, der soviel Text zu dieser Seite beigetragen hat, dass ich ihn mit aller staatsbürgerlich-ironischen Distanz so betiteln möchte. : 

Sehr geehrte Mitbürger von Quanzland,

 

Unsere gründlichen und großangelegten Ermittlungen weisen zweifelsfrei auf eine Einzeltäterschaft des Terroristen hin. Eine rasch eingesetzte Terror-Sondereinheit aus den fähigsten Mitarbeitern von Wächterpolizei und Administration hat unermüdlich im Geheimen für unsere Sicherheit gearbeitet und erst kürzlich ihren neuesten Ermittlungsbericht in Auszügen vorgelegt. Neben den Fakten, die eine Einzeltäterschaft beweisen, finden sich darin beruhigende Terror-Zahlen und ein erfreulicher Terror-Trend: weniger Anschläge durch den Täter und weniger Akzeptanz seiner verqueren Meinungen durch die Bürger. Dafür liefern die letzten Ausgaben des Faktenbuchs zur Lage der öffentlichen Meinung, welches vom Statistikkonzil in Zusammenarbeit mit dem Bereirat zur Pfelge der Meinungslandschaft vierteljährlich herausgegeben wird, weitere eindrucksvolle Belege

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Eingeschüchtert durch die Brillianz unseres Ermittlungs- und Regierungsapparates und vor allem frustriert durch die Zuversicht und Loyalität der Bevölkerung unseres starken Landes, zieht sich der rücksichtslose Terrorist feige und verschlagen wieder in die dunklen Winkel zurück, aus denen er vor gut neun Monaten gekrochen kam. Ohne die unzählbar vielen und unschätzbar wertvollen Hinweise, die Beweismittel und Aktionen besogter Quanzländer wäre diese Bedrohung der staatlichen Sicherheit nicht so beherzt abgewendet worden. Deswegen möchten sich die gesamte Administration und alle Mitarbeiter der Wächterpolizei ausdrücklich bei den Unmengen ziviler Helfern bedanken.

 

Der einzige Wermutstropfen in dieser Hinsicht bleibt trotz aller Erfolge der letzten Monate weiterhin die ungeklärte Täterschaft. Zöge sich der Terrorist sich nicht zurück, wäre zwar auch das sicher nur noch eine Frage von Wochen, aber er droht allen Ernstes ungestraft davonzukommen. Leider konnte daher bisher auch Niemand in den Genuss der großzügigen Belohnung kommen. In weiser Voraussicht hatte unsere großartige Administration, geheim beraten durch die Terror-Sonderkommision, zackig ausgeführt durch die Wächterpolizei, einen Bonus auf das individuelle Jahresgrundeinkommen als Terror-Kopfgeld ausgesetzt.

 

Nun, da trotz einer dankenswerten Flut an Meldungen und Anzeigen von Ihnen allen da draußen, ein leidlich geschickter Einzeltäter uns alle weiterhin narrt, hat sich die Administration heute überraschend dazu entschlossen, ihren Dank gegenüber den wachsamen Mitbürgern auch finanziell auszudrücken. Im Rahmen ein staatlichen Lotterie können Drei der 50 hilfreichsten Beiträge einen 20%-Bonus für ihr nächstes Jahrsgrundeinkommen erwarten. Aber nicht nur das, allen 50 wird ein sicherer Bonus von 5,23% zugebilligt. Denn Sie, geliebte Mitbürger sind das Volk, das mit seiner Treue und seinem Engagement Quanzland zu einem so guten und schönen Ort machen.

 

Ein Hoch auf uns, ein Hoch auf Quanzland!

 

Regierungsproklamator Klaus-Eduard von Doberstädten (1968 – ), Transskript der Regierungserklärung vom 19.09.2015 [Die ähm, wie sie wissen, sozusagen, quasi, etc.-Schleifen wurden gegenüber dem tatsäclichen Vortrag im Transskript gutmütig zugunsten von Leserschaft und Lesbarkeit entfernt – es war wirklich grausam, ehrlich!]

Das, lasse ich – zunächst sprachlich nichtsagend innehaltend – kurz ausklingen – und kommentiere es dann auch nicht weiter, denn es spricht für sich selbst, klar und deutlich. Zudem verlöre der Kontrast zum Folgenden noch weiter an rhetorischem Glanz, zögerte ich ihn noch länger heraus.

In sproadisch wiedererwachter Quanzland-Perspektive präsentiere ich eine der rar gewordenen Gelegenheiten. Sie läuft dem sogenannten erfeulichen Terror-Trend zuwider. Sie ist ein prächtiges Exemplar von terroristischem Text-Fast-Food alá Anonymus – endlich wieder bissig wie früher, klar im Ausdruck und in der Form, ein ungleicher, aber gleichsam kritischen Dialog zwischen utopischen Weitdenkern:


 

Unsere Postulate waren also falsch, man müsste alles ganz von vorne beginnen. Doch wir leiden an einem schrecklichen Mangel an Vorstellungskraft. Es fällt uns immer schwerer, für uns andere Lebensmöglichkeiten in Betracht zu ziehen. Wir sind gleichsam geistig paralysiert. […] Wir lassen unsere kostbarste Ressource verkümmern: nämlich die Fähigkeit der Seele, von einer Idee verwandelt und vervollkommnet zu werden.

 

[…]

 

Die Perspektive einer Welt ohne Politik ist Träumerei. Es ist für uns eine Notwendigkeit, uns in politischen Gemeinwesen zu organisieren. Meine Sorge ist es nicht, der Politik zu entkommen, sondern zu ihr zurückzukommen, in einem Moment, in dem Europa dazu tendiert, sie aufzugeben.

 

Pierre Manent (1949 – ), Gespräch unter dem Titel „Wer hat Angst vorm Fortschritt?“ In: Philosophie Magazin Nr. 01/2015 (Dezember/Januar), S. 36f.


Ich bin sehr skeptisch hinsichtlich der Idee der Bildung neuer politischer Gemeinwesen als Ausweg für die Globalisierung. Zunächst, weil ich nicht glaube, dass man der Globalisierung entkommen kann. Dann, weil mir Politik nicht als ein Ausweg erscheint.

 

[…]

 

Wenn der Staat verschwindet, kommt möglicherweise der Kannibalismus wieder in Mode. Ich bin mir nicht sicher, aber möglich wäre es. Um den Kannibalismus zu verhüten, reicht allerdings ein minimaler Staat. Ich billige ihnen zu, dass nicht alle staatlichen Organe Unheil bringen, doch die Gefahr ist größer, wenn sie einen gigantischen Staat haben. Wenn sie in Frankreich den Staat von 55 Prozent des Bruttoinlandsproduktes auf 15 Prozent reduzieren würden wie in Singapur, wäre das bereits ein großer Fortschritt. Von 15 auf 0 Prozent zu gehen wie in Somalia, wäre ein Fehler. Es ist alleine eine Frage des Maßes!

 

[…]

 

Es kommt mir so vor, als gab es zumindest am Ursprung des Projekts der Moderne eine sehr klare Vision von der Zweckbestimmtheit des Fortschritts. […] Im Vergleich dazu würde unser derzeitiger Geisteszustand eher in den Bereich „epikureischen Hedonismus“ fallen: Wir glauben, dass alles untergehen wird, und wir wollen bloß essen, trinken und fröhlich sein vor dem Ende der Welt. 

 

Peter Thiel (1967 – ), Gespräch unter dem Titel „Wer hat Angst vorm Fortschritt?“, in: Philosophie Magazin Nr. 01/2015 (Dezember/Januar), S. 37ff.

P.S.: Falls sich jemand darüber wundert, hier keine Erwähnung des einjährigen Jubiläums [Impressum vom 15.10.14 & erster Beitrag am 16.10.14] zu finden, das überlasse ich der derzeit ungewiss verschollenen Metatext-Redaktion. Diese seltenen Feierlichkeiten sind üblicherweise ihre Plattform und der unglückliche Unfall war sicher nicht ihre Schuld. Ja, richtig gehört, ein Unfall – die armen Teufel waren auf ihrem Betriebsausflug mit einem Kreuzfahrschiff unterwegs und havarierten während sie in Bermuda-Shorts und Hawaiihemd ihren Urlaub genossen. Von der Karibik, durch den Panamakanal, hinein in den Pazifik sollte die Reise gehen; sie endete tatsächlich bereits vorher. Bevor ich das PS endgültig entehre, der langen Geschichte zu kurzes Ende: Die Rettung ist so gut wie gewiss, die Rückkehr ebenso, aber ungewiss.