#8/12 – Das achte Fragment der blutigen Erstveröffentlichung

Ein digitales Lebenszeichen: Piep .. Piep .. Piep – wo zuvor nur ein langgezogenes Piiieeeppp zu hören war. Das schöne an einem freien Blog ist; wenn man keine Zeit und kein Bock auf den Blog hat, dann lässt man es eben einfach. Ihr, wenn es Euch denn bereit gibt oder irgendwann geben werdet, verzeiht es mir sicher gerne. Wer ist dieser Tage nicht selbst beschäftigt und findet daher zu wenig Zeit für zu viele Vorhaben?

Mit dem Auftritt von Mauritius van Beeger schließt sich der erste Passant auf Xavers Handlungsreise ins Ungewisse an. Dabei wächst der Fast-Magister über sich hinaus. Weiter geht es also – langsam aber stetig dem Ende der kurzweiligen Erzählung entgegen: Viel Vergnügen mit Teil 8!

Ein wirklich aus seiner tatsächlichen Heimat heimgekehrter Satorius wünscht eine gute Woche!


Die Heimkehr des verspannten Fast-Magisters

Teil 8 von 12: Seiten 21 bis 25.

Wenn er in wenigen Wochen tatsächlich bereits mit der Instruktion und Formung von jungem Bewusstsein sein Auskommen verdienen wollte, dann sollte ihn diese Situation keinesfalls überfordern. War dem Kind erst einmal geholfen, konnte er womöglich im Anschluss sogar doch noch den Eltern beistehen, je nach dem, wie ernst deren Lage dann sein würde. Der Test seiner Überzeugungen kam oder kam eben nicht; unweigerlich und notwendig. Nach seinem Wissensstand ging die örtliche Exekutive schon nicht gerade unter den Prinzipien der Humanität mit ihren widerspenstigen Bürgern um; da wollte er sich gar nicht erst ausmalen, was Fremden Drakonisches drohte. Hoffentlich waren die Gründe für die Verwicklung trivialer Natur und die polizeiliche Willkür würde schlimmstenfalls entwürdigend ausfallen. Dessen Vermeidung konnte aber nötigenfalls ein Fernziel sein, Nahziel musste und sollte ein anderes sein: Die Entscheidung war gefallen, nun galt es diese in die Praxis umzusetzen.

 

Hier auf dem Planeten seiner Geburt, am zweiten Etappenziel seiner noch gut zwei Neu-Wochen dauernden Reise in seine nahende, berufliche wie private Zukunft, wagte er den Sprung. Unter strenger Begleitung durch Matrina versuchte er sich zu Erheiterung des Kleinen an etwas radikal Neuem – Kompromisslosem. Die Eltern führten währenddessen ihr unangenehm investigatives Gespräch einige Meter entfernt, in einem abgeschirmten Konsularbereich und waren dadurch von ihrem Sohn abgeschnitten worden. Wohl eine perfide bis schikanöse Demonstration von Macht, wo doch offensichtlich war, dass dem Kind Zuwendung, Trost und vielleicht sogar Medizin fehlten. All das zu geben, war Privileg und zugleich erstes Bedürfnis sorgender Eltern, wurde diesen hier aber verwehrt. Das noch immer schreiende Kind war damit wohl eher Auslöser, denn Gegenstand der Debatte gewesen.

 

Während Xaver entschiedenen Schrittes und optimal vorbereitet auf den unruhig umherlaufenden Jungen zuging, schickte er sich gerade an, seine bestmögliche Umsetzung einer gewagten Interventionstaktik zu inszenieren: Erschrecken und Verblüffen! Eindrucksvoll war für die dutzenden Zuschauer sicher der absurde Kontrast eines zunächst bieder daherschlurfenden Magisters in der puristischen Ordenstracht, der sich abrupt, ohne jede Ankündigung und in sekundenschnellem Übergang farbensprühend in einen clownesken Paradiesvogel verwandelte. Farblich gingen nüchternes Grauweis und tristes Alltagsgrau über in die schrillsten nur vorstellbaren Tönungen und Kombinationen aller Regenbogenfarben. Klanglich wurde diese gutmütige Attacke untermalt von einer, nur eng gebündelt in Richtung des Kindes wahrnehmbaren, akustischen Bühne: Auf einen quäkenden Alarmton folgte ein Tusch und daraufhin amüsante Zirkus-Musik, die einem ohne das man sie eigentlich so recht mochte, trotzdem einfach ein Lächeln aufs Gesicht gezaubert hätte. Olfaktorisch und haptisch wurde dem Jungen eine konfuse Abfolge von angenehmen Gerüchen und wohligen Gefühlen bereitet, soweit das telemanipulativ eben möglich war. Leider konnte er den Geschmackssinn nicht ansprechen – noch nicht, wenn das dann überhaupt noch nötig sein sollte. Er hatte einen kurzen Sketch mit Elementen aus Pantomime und Slapstick in den Netzen gefunden, den er dank Xayas kinetisch-mimischer Kompetenzen schon perfekt beherrschte. Als Lohn für seinen couragierten Einsatz erntete er auch prompt einiges an verkniffenem Lachen und sogar etwas ersticktes Prusten von den vorbeieilenden Passanten; zu klatschen traute sich aber keiner und glücklicherweise nahm niemand Anstoß an der ungewöhnlichen Aktion. Ansonsten sorgte der Einsatz, der fabelhaften Technologie sei Dank, für erstaunlich wenig Aufsehen und vor allem für den gewollten Effekt. Der Junge hielt sofort erschrocken inne und schaute erst einmal nur verdutzt drein. Seine Aufmerksamkeit war nun absolut bei Xaver, vergessen aller Verdruss von zuvor; absorbiert von der Magie des Augenblicks, stand er einfach nur ungerührt da. Während er der Darbietung mit fast allen Sinnen folgen konnte, hob sich seine Stimmung sichtlich und gegen Ende der kleinen Show lachte er sogar herzlich und strahlte fast wieder so, wie noch vor der Landung in seinem Spiel und bei seinen Eltern.

 

„Es freut mich wirklich, dass meine kleine Einlage dich erheitern konnte“, wandte sich Xaver, nach seiner letzten Drehung noch außer Atem und leicht schnaubend, an sein Publikum – den nun wieder fröhlichen und neugierig zu ihm aufschauenden Jungen.

 

„Das war einfach spitze! Wie hast du das gemacht – bist du ein Zauberer?“, war die kindlich direkte Antwort mit der unweigerlichen Anschlussfrage.

 

„Danke und sehr gerne geschehen. Mein Name ist Xaver Satorius und nein – ich bin kein Zauberer, aber so etwas Ähnliches vielleicht schon“, stellte er sich kurz vor und erklärte dann: „Das eben waren bloß ein paar teuere, technische Spielereien. Ein Wunder, dass die noch nicht eingerostet waren.“ Ohne diese Spielereien hätte er nicht einmal mit dem Kleinen reden können. Denn dieser sprach sicherlich kein Neo-Latein, was aber auch nicht nötig war. Er besaß mit Googol nämlich einen sehr potenten Simultanübersetzer und seit der Auswertung der sensorischen Protokolle wusste er mit hoher Wahrscheinlichkeit, dass die Familie sich in Deutsch unterhalten hatte.

 

„Hallo. Ich bin der Mauritius van Beeger und eigentlich darf ich gar nicht mit dir sprechen. Soll nämlich nicht mit Unbekannten sprechen. Du warst aber so lustig und lieb, da mache ich eine klitzekleine Ausnahme. Aber bloß nichts der Mama sagen – pssst!“

 

„Wir sind doch schon zusammen in der Fähre gewesen. Also sind wir sogar nicht einmal wirklich Unbekannte. Ich saß nur ein paar Reihen hinter euch, aber in meiner Ordensrobe bin ich weit weniger auffällig, als jetzt gerade.“ Daran erinnert, wie exzentrisch bunt er noch immer dastand, deaktivierte er das Körperfeld. Sofort erlangte er seine alte Erscheinung zurück – mal abgesehen von den psychedelischen Verzerrungen, die den Übergang notwendig begleiteten. Nun unterhielt sich ein unscheinbarer, erst auf den zweiten, genauen Blick hin eindrucksvoller Mann mit schwarzen, schulterlang und glatt herunterhängenden Haaren, deren Grauanteile unverkennbar waren, mit einem Halbwüchsigen, der blass und pausbäckig dastand, mit seinem rot-blonden Lockenkopf. Dort standen ein 1,90m Riese und ein 1,20m Zwerg beisammen und sprachen trotzdem auf Augenhöhe. Unterdessen wurde der Riese innerlich von seinen Elfen Xaya und Matrina und den Kobolden Sokrates und Hoffmann mehr oder weniger frenetisch bejubelt und zu seinem Erfolg beglückwünscht.

 

Der Junge überlegte erst angestrengt, kam aber dann rasch zu dem Ergebnis: „Ich kann mich wirklich nicht an dich erinnern Herr Satorius. Aber ist ja nicht schlimm – die Ausnahme!“ Er zwinkerte Xaver kess zu und begann sich fragend umzusehen.

 

„Du fragst dich sicher, wo deine Eltern sind, oder?“, nahm Xaver erstaunlich feinfühlig den situativen Faden auf.

 

„Oh ja, da kamen vorhin so zwei dumme Kerle und haben sich aufgespielt. Dann haben sie Mama und Papa einfach mitgenommen und zu mir gesagt, ich soll hier warten und ruhig sein. Doof waren die! Besonders der Kleine war richtig fies!“, schloss er und schnitt eine unflätige Grimasse.

 

„Geht es dir denn gesundheitlich soweit wieder gut genug, um deine Eltern suchen gehen zu können oder soll ich dir erst etwas Medizin machen – ihr wolltet doch gerade Medizin holen als ihr vorhin unterbrochen wurdet?“, erkundigte er sich daraufhin neugierig und zugleich sorgenvoll bei Mauritius. Er hatte den Jungen auf Anhieb gemocht und war bis hierhin selbst von seiner Extraversion und dem ziemlich erfolgreichen Einstand überrascht – technische Unterstützung hin oder her, er war gut.

 

„Jetzt, wo ich mich wieder beruhigt habe – mir ist schon noch ein bisschen komisch im Bauch und Kopf-Aua hab ich auch noch ganzschön dolle. Aber gar nicht so schlimm, wie ich vorhin noch gedacht habe. Blöde Fähre, blöde Landung!“

 

„Warte kurz und vertraue mir. Ich habe immer eine Art Medizinschrank – oder besser noch eine Art Apotheker bei mir und da hol ich dir jetzt schnell deine Medizin her“, bot Xaver freimütig an und erteilte zeitgleich Hoffmann den Auftrag, ein nebenwirkungsfreies Universalpräparat gegen leichte Übelkeit und Kopfschmerzen mit saurem Zitrone-Ingwer-Aroma herzustellen.

 

„Das wäre toll. So was kannst du auch noch? Sei ehrlich – du bist doch ein Magier oder sogar eine Art Superheld“, erstaunte sich der Junge als Xaver unter seinem Gewandt ein daumengroßes, intensiv gelbes Bonbon hervorholte und ihm auffordernd hinhielt. „Her damit – mhh, lecker!“, schmatzte der Kleine munter vor sich hin und genoss seine leckere Medizin sichtlich.

 

Dass diese Medizin ein hochwirksames Erzeugnis erlesenster Hochtechnologie war, zeigte sich bereits wenig Momente später. Zu Mauritius wiedergewonnener Heiterkeit gesellte sich nun eine körperliche Spontangenesung, was bei Kindern diesen Alters und von vergleichbarem Temperament leicht zu Überschwang frühen konnte und zu Xavers Leidwesen in den folgenden 10 Neu-Minuten auch führte. Anfangs wurde er nur etwas lauter und wortreicher, dann zunehmend unruhig und schließlich hibbelig, frech und vorlaut. Mit der Begründung, eine zweite Medizin wäre trotz allem doch noch von Nöten, sollte dieser unschöne Verlauf nun jedoch subtil gedämpft werden. Er tat zwar insgesamt Gutes, aber diese Zwangsmaßnahme gegenüber dem Bewusstsein des Jungen hielten einer ethischen Prüfung kaum stand; selbst konsequent folge-ethisch bewertet, war sein Verhalten gegenüber Mauritius bestenfalls eine Gratwanderung und das finale Urteil hing noch von der Zukunft und schlechterdings dabei von Glück ab. Er zögerte den anstehenden Gang zu den Eltern nicht nur deshalb heraus, weil er sich vor ihm und seinen Gefahren scheute, sondern weil der Junge vor seinen Augen zu einem eklatanten Sicherheitsrisiko mutiert war. Hätte er den kleinen Raufbold nicht in Zaum gehalten, so wäre der wohl schnurstracks zu den beiden Ordnungshütern gegangen; dort hätte er sich dann theatralisch aufgebaut und seinem Unmut schonungslos Luft gemacht. Mit seinem quäkenden Stimmchen und in Worte, die seinem Alter alle Ehre gemacht hätten, wäre er für das Recht auf Eltern ungleich mutiger gewesen, als es Xaver sich gerade selbst zutraute. Wahrheit und Direktheit standen derzeit jedoch nicht überall hoch im Kurs. Ein, wie er nunmehr wusste, Fünfjähriger konnte den Ernst der Lage gründlich missverstehen. Besonders dann, wenn es ihm zu gut ging und er weiterhin derart sehnlich sein Eltern vermisste. So galt es abzuwägen, zwischen der Freiheit des Kindes und der Sicherheit aller Beteiligten inklusive eines leidenden Kindes.

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