Spätestens seit Hegels „Phänomenologie des Geistes“ ist klar, dass das Problem des Geistes ein Problem der Sprache ist. Folgerichtig entwickelte sich die Kritik der Hegelschen Philosophie etwa bei Schopenhauer und Nietzsche auch als Sprachphilosophie. Spätestens seit Nietzsche wird Metaphysik als in die Sprache eingeschrieben gedacht. Und das bedeutet die Erkenntnis, dass die Sprache selbst das Hindernis für die sprachliche Überwindung der Metaphysik ist. Nietzsche sowie die metaphysikkritischen Philosophen nach ihm versuchen deshalb, mit unterschiedlichen Strategien, dem Zirkel der Metaphysikkritik zu entkommen. Die Hinwendung zu poetischer Diskursivität findet hier ihre rationale Erklärung. Sie ist nicht nur poetischen Neigungen zu verdanken, sondern ist eine philosophisch motivierte Strategie, den Zirkel der Metaphysikkritik zu durchbrechen.
Peter Engelmann (1947 – ), Jacques Derrida. Die différance: S. 23f. (Einleitung – Semiotik und Metaphysikkritik; 2004)
Kürzlich (Direktlink) sprach ich von Seinslehre (Ontologie) und Erkenntnistheorie (Epistemologie), wies ihnen eine herausragende Stellung im Korpus der philosophischen Disziplinen zu und nun das: Metaphysik und Sprachphilosophie seien die neuralgischen Punkte des verehrten Fachs?
Ja und Nein, äh Jain – möchte ich fast sagen, denn zwischen Metaphysik und Ontologie gibt es keine strikte, und wenn überhaupt dann eine fließende Grenze. Was allerdings die Sprachphilosophie betrifft, da lenke ich gerne reumütig ein und gestehe zu: Sie ist allerdings zentral und hochrelevant, mehr noch, ohne sie ist keine zeitgenössische Philosophie denkbar und damit verständlich.
Neben den erwähnten zweieindrittel Begriffen – Ontologie/Metaphysik und Epistemologie – darf sie im historischen Inventar der modernen philosophischen Trickkiste keinesfalls unterschlagen werden. Ohne einen Sprung auf die Metaebene der Sprache, sei sie Medium oder gar umfassende Grenze von Denken und damit Philosophieren, bliebe ein allzu großer blinder Fleck in der Reflexionslandschaft bestehen.
Dabei sind es typischerweise auch die im vorausgehenden Artikel bedachten (neo-)transzendentalen Ansätze, die seit Kant so ihre liebe Last mit der Sprachlichkeit des Denkens haben. Während die diversen Neukantianer in der Folge des Königsberger Klopses für eine Vermittlung von Geist und Materie eintraten, blieben bei ihnen eben die sprachlichen Strukturen bisweilen noch unterbelichtet. Damit standen sie zwar weiterhin und immerhin zwischen den Fronten eines den Geist überbelichtenden Idealismus und eines diesen sträflich verdunkelnden Materialismus, dennoch war noch ein Stück Denkweg zu gehen bis zum sog. lingustic turn zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
Erwähnens- und anerkennenswerte Trittsteine auf diesem ideengeschichtlichen Weg waren für die philosophische Seite des Diskurses vor allem Ernst Cassirers Philosophie der Symbolischen Formen und Wittgensteins Philosophische Untersuchungen. Dessen vielbeachtetem Frühwerk Tractatus logico-philosophicus verweigere ich hier mal bewusst die Ehrerbietung, auch wenn es sich dem Problem der Sprache für das Denken explizit annimmt – zu explizit und logisch, um noch einer lebendigen Welt angemessen zu sein. Erst recht war noch ein weite Reise zu machen, bis man bei der analytischen Philosophie auf Basis des Pragmatismus und den vielen, mir hochsympathischen Formen von Differenzphilosophie und kritischer Theorie landen würde. Insbesondere Jacques Derridas Dekonstruktion möchte ich hier andeutungsweise hinsichtlich des Text-Fast-Foods erwähnen. Das 21. Jahrhundert also, war noch fern und einige ausgewiesen hässliche Perioden der Menschheitsgeschichte mussten erst noch durchschritten werden, aus denen dann auch die (Sprach-)Philosophie ihre bitteren Lehren zu ziehen hatte.
Hier kommen wir nach dem womöglich etwas ermüdenden, philosophiegeschichtlichen Umweg von einer Ergänzungen zum letzten Denkwelt-Artikel endlich zum eigentlichen Anlass dieses Textes. Bevor hier jedoch der falsche Eindruck von Wissenschaftlichkeit aufkommt, bei all den Anflügen von Struktur, Argument und Chronologie, lasse ich nun Poesie über Sprache sprechen. Damit gewähre ich dem Nachdenken über Sprache seinen ihm gebührenden Platz neben den bereits besagten zwei Teildisziplinen der nicht nur akademischen Philosophie. Dass ich sie zunächst vergessen habe, mag mit der Unheimlichkeit zusammenhängen, die sie und den Sprung auf die Metaebene begleiten, oder einfach mit der Kürze von Zugang und Anspruch. Das zuvor besagte sprachlose X dankt mir die Wiedergutmachen sicherlich ebenso, wie mein schließlich damit wieder zu beschwörender Agnostizismus.
Aus dem Landschaftspark zwischen Philosophie, Poesie und Linguistik grüßt zweifelnd, Euer Satorius
Für Nelly Sachs, die Freundin, die Dichterin, in Verehrung
Ihr Worte, auf, mir nach!,
und sind wir auch schon weiter,
zu weit gegangen, geht’s noch einmal
weiter, zu keinem Ende geht’s.
Es hellt nicht auf.
Das Wort
wird doch nur
andre Worte nach sich ziehn,
Satz den Satz.
So möchte Welt,
endgültig,
sich aufdrängen,
schon gesagt sein.
Sagt sie nicht.
Worte, mir nach,
dass nicht endgültig wird
– nicht diese Wortbegier
und Spruch auf Widerspruch!
Lasst eine Weile jetzt
keins der Gefühle sprechen,
den Muskel Herz sich anders üben.
Lasst, sag ich, lasst.
Ins höchste Ohr nicht,
nichts, sag ich, geflüstert,
zum Tod fall Dir nichts ein,
lass, und mir nach, nicht mild
noch bitterlich,
nicht trostreich,
ohne Trost,
bezeichnend nicht,
so auch nicht zeichenlos –
Und nur nicht dies: das Bild
im Staubgespinst, leeres Geroll
von Silben, Sterbenswörter.
Kein Sterbenswort,
Ihr Worte!
Ingeborg Bachmann (1926 – 1973), Ihr Worte (1961)
Halte mich in deinem Dienst
lebenslang
in dir will ich atmen
Ich dürste nach dir
trinke dich Wort für Wort
mein Quell
Dein zorniges Funkeln
Winterwort
Fliederfein
blühst du in mir
Frühlingswort
Ich folge dir
bis in den Schlaf
buchstabiere deine Träume
Wir verstehen uns aufs Wort
Wir lieben einander
Rose Ausländer (1901 – 1988), Sprache (1976)