Während ein neues Jahrzehnt angebrochen ist, die Welt sich weiter im Kreise dreht – ich wage nicht zu sagen, ob das Rad der Zeit dabei bergauf oder bergab rollt, uns dem Abgrund näher bringt oder dem Gipfel – blicke ich ein wenig reumütig, ein wenig gleichgültig zurück auf eine Schaffenspause von knapp zwei Monaten. Immerhin, so scheint es aufgrund digitaler Stille, habe ich dadurch wenigstens keinen neugierigen Leser enttäuscht und in Ungeduld ob der angekündigten Fortsetzung der Wochenendlektüren gestürzt – wenn doch: ein motivierender Kommentar ist jederzeit erlaubt. Aber letztlich gilt ungebrochen, dass ich für das Schreiben selbst schreibe und mein Werk vertrauensvoll dem Äther übereigne.
Unterdessen bin ich auf den Fährten großer Literaten unterwegs gewesen und folge ihnen weiterhin; wenn ich auch zunehmend dem Hörbuch verfalle, das sich so viel bequemer in den Alltag integrieren lässt: Zu spülen beispielsweise und währenddem Weltliteratur zu genießen, macht aus einer schnöden Sisyphusarbeit eine erträgliche und einträgliche Zeit. Nach Charles Dickens Geschichte aus zwei Städten, die trotz aller anerkannten Meisterschafft hier in Quanzland wohl keinen Niederschlag mehr haben wird, bin ich nunmehr beim berühmtesten Narren der Literaturgeschichte gelandet: Don Qu. dem wahnwitzigen Hidalgo.
In seiner kritischen Parodie auf die Fantastik von Minne und Rittergeschichten antizipiert Cervantes am Beginn der Moderne durch die Figuren des Don Qujiote (respektive Quixote) und des Sancho Pansa weit mehr als die ambivalente Konkretisierung von wahnhafter Schizophrenie/striktem Idealismus bei Ersterem und tumber Habgier/offenherziger Treue bei Zweitem. Jahrhunderte vor dem Entstehen von Psychatrie und Differenzphilosophie entwirft er in einer literarischen Metaphorik ein originelles Modell menschlicher Subjektivität, das nicht nur zum Schreien komisch sondern auch zum Staunen weise daherkommt. Quasi nebenher dekonstruiert er Formen, Formate und Fabeln menschlicher Welt- und Selbstvergewisserung und er tut das in einer genialen Leichtigkeit und Vieldeutigkeit, die ihresgleichen sucht.
Genug gelobt und (an-)gedeutet, lest selbst und wundert Euch über das illustere Zwiegespräch zwischen Herr und Diener, die bisweilen die Rollen tauschen und dabei beide auf ihre eigene Art prototypisch vor Augen führen, was Ideologie und Idealismus, Wunsch und Wahn zu bewirken, ja, zu bezaubern im Stande sind.
Euer alltagsabsorbierter Gelegenheitsblogger, Satorius
Aber sage mir, Sancho, verwahrst du auch den Helm Mambrins sorgfältig? Ich sah, wie du ihn vom Boden aufhobst, als ihn jener Undankbare zerschmettern wollte und es ihm nicht gelang, woraus man eben die Trefflichkeit seines Metalls ermessen kann.«
Auf dieses antwortete Sancho: »Bei Gott, Herr Ritter von der traurigen Gestalt, alles kann ich nicht ausstehen und in Geduld anhören, was Ihr sagt, und dadurch komme ich manchmal auf den Gedanken, daß alles, was Ihr mir von Ritterschaft vorsprecht und von Königreiche und Kaisertümer gewinnen und Inseln verschenken, und andre Gnaden und Herrlichkeiten auszuteilen, wie es die irrenden Ritter in der Art haben sollen, daß alles das nur Windbeutelei und Lügen sind und alles nur Luftklöße oder Luftschlösser, wie es heißen mag; denn wenn ich Euch sagen höre, daß ein Barbierbecken ein Helm Mambrins sei, und daß Ihr länger als vier Tage in diesem Irrtum beharrt, was soll ich wohl anders denken, als daß dem, der so etwas glaubt und behauptet, im Kopfe etwas losgegangen ist? Das Becken, das voller Beulen ist, habe ich im Beutel hier, bei mir zu Hause will ich’s mir zurechtmachen lassen und mich darin barbieren, wenn Gott mir so gnädig ist, daß ich noch einmal meine Frau und Kinder wiedersehe.«
»Wahrlich, Sancho, bei demselben Gotte, bei dem du vorher geschworen hast«, antwortete Don Quixote, »du hast den allerdümmsten Verstand, den nur jemals noch ein Stallmeister in der ganzen Welt hat oder gehabt hat. Wie ist es möglich, daß du, der du schon so lange in meiner Gesellschaft bist, nicht einsiehst, wie alles, was die irrenden Ritter angeht, nur wie Hirngespinst, Narrheit und Unsinn aussieht und alles verkehrt und wunderlich scheint? Nicht deswegen, weil es sich also befindet, sondern weil immer ein ganzes Regiment von Zauberern hinter uns herläuft, die alle unsere Dinge verändern und verwandeln und sie nach ihrem Gefallen auswechseln, je nachdem sie uns beschützen oder verfolgen, und so scheint, was dir wie ein Barbierbecken aussieht, mir der Helm Mambrins, und ein anderer wird es wieder für etwas anderes ansehen; auch war es eine herrliche Vorsicht des Weisen, der auf meiner Seite ist, es so einzurichten, daß allen das ein Bartbecken scheint, was doch wahrhaftig und in der Tat der Helm Mambrins ist, denn da er von so unermeßlichem Werte ist, würde mich die ganze Welt verfolgen, um ihn nur zu besitzen; da sie ihn aber nur für ein Barbierbecken ansehen, kümmern sie sich nicht sonderlich darum, wie es sich auch bei jenem auswies, der ihn zerbrechen wollte und ihn dann mit Verachtung auf dem Boden liegenließ, wo er ihn wahrlich nicht um alle Welt gelassen hätte, wenn er seine Preislichkeit gekannt. Hebe ihn gut auf, Freund Sancho, denn jetzt brauche ich ihn nicht, sondern ich will im Gegenteile alle diese Waffenstücke ablegen, damit ich so nackt sei, wie ich von Mutterleibe kam, wenn es mir einfällt, in meiner Buße mehr dem Roland als dem Amadis nachzuahmen.«
Miguel de Cervantes Saavedra (1547 – 1616), Leben und Taten des scharfsinnigen Edlen Don Quixote von la Mancha, S. 329f. (1605/15, 1852/53 übersetzt von Ludwig Tieck)