DS-GVO/Fakt gegen QualityLand/Fiktion – 1:0

Faktische Fiktionen und fiktionale Fakten – Gesetze und Geschichten, temporale und kausale Wirrungen: Wie hätte es gewesen sein können, bevor die Welt geendet sein würde, womit sie sich – genug der temporalen Konsequenz – endgültig zwischen Tragödie oder Komödie entscheiden müsste? Aus und vorbei, der Vorhang fällt! Zivilisatorisch eingefärbt landen wir sogleich beim klassischen Gegensatzpaar von Utopie und Dystopie. Synthetisch nunmehr beides vermischend enden wir im konfusen Komplex aus fiktional entwerfender Literatur und faktisch wirksamer Politik, die so abstrakt und kontrastierend betrachtet, einer rationalen wie zugleich regulatorischen Verschränkung von Fakt und Fiktion gleichkommt. Getreu der lateinischen Wurzeln und sprachpragmatischen angepasst, verstehe ich unter „Fakt“ (Ignorierend die schöpferischen und damit eben künstlichen bis künstlerischen Aspekte, wie auch die kulturell bis intersubjektiv und historisch variablen Anteile) eine feststehende Tatsache im Indikativ und unter „Fiktion“ (Ganz davon zu schweigend, dass Geschichte, Politik, Wirtschaft, Lebensvollzug insgesamt womöglich, ziemlich wirklich sind) eine gestaltete Vorstellung im Konjunktiv – „ist und war so“ trifft auf „hätte, wäre, sei, könnte, sollte, dürfte gewesen sein“.

Möglichkeit und Wirklichkeit prallen in diesen Begriffen, wenn man es darauf anlegt, ambivalent und brisant aufeinander. Ein Phänomen, das unter anderen Vorzeichen kürzlich zur zeitgenössisch beliebten Sportart avanciert, weshalb ich mich hier zu Anfang gleich und gänzlich von der infantilen Debatte um rund um Fake!-News?! distanzieren möchte, mir geht es um etwas anderes, etwas konstruktiveres: Konkret trifft mit und in diesem Artikel der durchweg dystopische, durchaus tragisch-komische Entwurf in Romanform, geschrieben von Marc-Uwe Kling, der wortwitzig bis gegenwartskritisch eine Zukunft Deutschtlands als QualityLand porträtiert, also nicht zufällig auf die durchaus alltagswirksame, geradezu aufdringliche EU-Gesetzgebung namens DSGVO = Datenschutzgrundverordnung.

Wodurch die beiden so unterschiedlichen Textformen wesentlich verbunden werden, wird durch den Anfagnsimpuls, einen Passus aus besagtem Roman, zuerst eindrucksvoll veranschaulicht und damit als Thema maximal konkretisiert: Daten und digitales Leben sowie vor allem die Frage nach der persönlichen Kontrolle über beides. Genau diesen Bereich will der zweite Schreibanlass im Rahmen einer europäischen Gesetzgebung nun endlich umfassend regulieren: Datenschutz respektive Datenautonomie.

Nur ein intimier Kenner von Fakten und Fiktionen könnte ohne dieses Vorwort dem Titel dieses Artikels Sinn entlehnen: Was hat ein in die Kritik geratenes, leider nie so recht vollendetes Staatenkonglomerat wie die EU mit einem Roman zu schaffen, gar zu streiten? Gehört nicht überhaupt die Politik ins Reich der Fakten, wohingegen die Literatur klar dem Dunstkreis der Fiktion angehört? Auf den ersten Blick mag das so erscheinen: fragwürdig, konfus; auf den zweiten Gedanken hin wird die innige Verbundenheit beider Begriffe offenbar: Fakten erzwingen neue Fiktionen, Fiktionen formen neue Fakten, ad infinitum.

Derart miteinander vermittelt sind Fakt und Fiktion rasch abstrakt versöhnt und innig verbunden, kommen wir damit nun langsam wieder zurück zum betitelten Wettstreit, dem konkreten Kontext und vor allem dem Gegenstand des Disputs: Eine EU-Gesetzgebung tritt proaktiv gegen eine (nicht nur legislative) BRD-Dystopie an. Bei dieser witzigen, aber wahnsinnig zugespitzten Zukunftfantasie geht es vor allem um den gemeinsamen Gegenstand: Daten und nochmals: Daten.

Gold der Moderne nennen sie manche unserer Zeitgenossen vollmundig; ich nenne sie einfach nur Spuren im Speicher. Dasjenige, was wir hinterlassen, auf unseren digitalen (seltener, aber im überwachten Post-Terror-Westen nicht zu vergessen auch: analogen) Wegen, Umwegen und Abwegen. Individuelle Informationen überall, persönliche Daten zuhauf und diese sind jedenfalls in der anonymen Summe und allenfalls auch individuell einiges wert in einer Welt, wo Werbung  und Wissen, Kommunikation und Isolation, reales und digitales Leben als zuvor klare Gegensätze pragmatisch wie wohl auch ontologisch zunehmend verwischen. Wobei hiermit gleichsam die Begriffe der altvorderen Philosophie an ihre Grenzen kommen.

An den neuen Phänomenen, die munter aus der Weltgeschichte auftauchen, sollt ihr Euch messen, sie erklären, ihr lieben Wissensschaffner und -schaftler, womit der Haufen an mehr oder minder zuständigen Wissenschaften (Philosophie, Psychologie, Soziologie, Kultur- und Medienwissenschaft, Informatik, Ökonomie, etc. pp.) gemeint und zur Erkundung, Beoabachtung, Messung, Modellierung sowie schließlich der Bildung und Integration neuer Theorie aufgefordert sein soll. Ob das unterdessen auf interdisziplinärem Weg oder in Konkurrenz zueinander geschieht, mag ich nicht oraklen. Klar ist hingegen jedenfalls, dass eine adäquate und umfassende Aufarbeitung der zivilisatorischen Geschehnisse seit Erfindung der zuletzt vernetzten (Heim-)Computer im Laufe des 20. und noch verstärkt im 21. Jahrhundert noch aussteht. Auch wenn ich ehrlicherweise schon lange in keiner universitären Bibliothek war und ebenso einen Rechereche-Marathon in der einschlägigen Richtung gescheut habe, entdecke ich bisweilen auf meinen Streifzügen durch die Medienlandschaft zumeist nur partikulare und spezifische Fragen nach Einfluss und Modus von (Informations-)Technik. Heim- und Körpertechnologien prägen den modernen Menschen, zunehmend autonomer verändern Algorithmen die Gesellschaft und schreiben die Geschichte der Menschheit weiter, neu und hoffentlich nicht um

Die Cyborgisierung findet definitiv und unlegbar statt; sie rücken uns auf den Leib, kommen immer näher und werden unsere intimsten Weggefährten, all die tollen Maschinen, Rechner, Geräte und smarten Devices: Das Smartphone ist da, wo sonst nur Eros die Regeln schreibt, in der Hand, am Hintern, nahe am Mund. Die Medizintechnologie, die Alchemie der Pharmakologen und allerlei exotische Abartigkeiten (Mikroplastik, Hormone, Phthalate, etc.) tummeln sich, zumal als uneingeladene Gäste in unserem Organismus. Die hoffentlich meisten Technologien erhalten und erleichtern, verbessern und verlängern unser Leben, manche Innovationen hingegen bewirken Gegenteiliges. Unser Dasein ist unterdessen auf nahezu allen Ebenen des Alltags wenigstens semi-artifiziell geworden. Kulturell und damit künstlich bis technisch werden wir modernen Menschen schon von Kindesbeinen an aufgezogen, wenn selbst schon das ungeborene Kind bereits durch Medizintechnologie in vielfältigster Form bearbeitet, gemessen, diagnostiziert und therapiert oder gar erzeugt wird; aber das ist nur eine mögliche Assoziation als kurzer Spontan-Beleg für diese an sich triviale Behauptung, die wohl vielmehr eine allgemein akzeptierte Beschreibung unserer Lebenswelt sein dürfte

Breiter und etwas tiefer gedacht sind die Wunder und Abgründe der Informationstechnologie in unserem heutigen Alltag nur die Spitzen vieler verborgener, historischer Eisberge, bloß ein neues Kapitel im Buch der menschlichen Zivilisationsgeschichte, nunmehr gespickt mit perfekt animierten Bildern und effektvoll dargestellt mit den subtilsten sowie den krassesten Mitteln. Gleichwohl bleibt die Kulturgeschichte der Technisierung von Leib, Gesellschaft und Alltag, die Umgestaltung der Natur durch die Kultur eine Konstante in der menschlichen Zivilisation. Wobei wir trotzdem von einer qualitativen Konstante sprechen, die aber quantitativ historisch keineswegs immer konstant geblieben ist. Es gab Stillstand und Rückschrittee, aber heute geht es stetig voran, bergauf und dabei ereignet sich alles immer schneller: Kultur, Wissenschaft, Wirtschaft, Politik beschleunigen, multiplizieren, potenzieren sich. Eine an sich unendliche Welt wird nochmals komplizierter und nicht nur in diesem anthropologisch-epochalen Kontext hängen, hinken Wissenschaftler, Manager, Politiker somit epistemisch wie praktisch, tragisch und unentrinnbar zugleich, dem Sprint der globalisierten Zivilisation hinterher.

Der Künstler hingegen freut sich über diesen Zustand der Überforderung, kommt somit doch der Literatur mit ihren fantastischen Möglichkeiten der Spekulation und Illustration eine Abart von Mitverantwortung dafür zu, zu zeigen, was sein kann, zu verwerfen, was nicht sein soll, zu entwerfen wie es besser, gerechter, schöner sein könnte. Je schneller und heftiger die Zukunft die Gegenwart mit Möglichkeiten bombardiert, desto eher versagen die Mittel und Medien der Vergangenheit von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft.

Das Tagteam macht’s m.E.! Denn im besten Fall vermählen sich Fakt und Fiktion dergestalt, dass viele ausgefeilte Fiktionen späterhin neue Fakten hervorbringen. Denn nur so handelt der Mensch perspektivisch, planvoll und samit politisch, indem er Faktisches beschreibt und modelliert, um daraufhin zu verändern, zu prognostizieren und zu projizieren, zu fantasieren und zu selbsterfüllend zu fabrizieren, sich die (zukünftige) Welt – wie Marx in der Folge Hegels, betonte – durch Arbeit anzueigenen.

Abstraktionsgefahr – STOP! Um also abrupt anzuhalten und da aufzuhören, wo es unschön untief wird, somit einen viel zu komplexe Diskurs gnädig wieder ruhen zu lassen und ihn damit nur insoweit für Euch anzudenken, Euch nur soweit anzuregen wie gerade nötig, komme ich zum Anfang und damit dem Gegenstand des Artikels zurück: Den Effekten und Verwerfungen der allerneusten Heraus- und vielleicht Überforderung des Menschengeschlechts durch seine ungezügelte Technikfreude: Die polternden, allzu neugierigen Geister, die wir gerufen haben und nun nicht mehr gebannt bekommen. Zuallererst denke ich hierbei selbstredend an Facebook, Google, Amazon, Paypal; aber auch DB, Post, AOK, BRD sind nicht ohne; letztlich sind REWE, McDonalds, Aral und selbstverständlich Payback gemeint. Überall werden Daten gesammelt und manipuliert, wobei sich wohl nur die wenigsten von uns sich fürsorglich um ihre diesbezüglichen Daten kümmern, wer verwischt schon seine Spuren gründlich genug, um nicht tagtäglich einem nicht nur hellen, sondern gleichsam grellen Licht in der Infomationsmatrix der Datenströme zu gleichen.

Genau deshalb, zum Schutz der tumben Europäer vor sich selbst und ihren Unternehmen des Vertrauens, hat die auch dafür vielgescholtene EU einen Meilenstein geworfen und reagiert mit politischen Fakten, geschaffen und manifestiert durch die DSGVO, auf all die kritischen Fragen nach dem Datenschutz, wie sie beispielsweise besagte literarische Fiktion namens QualityLand in der Breite, unterhaltsam bis anschaulich stellt. Ob die tatsächlichen Motive der Gesetzgeber tiefer und weiter gehen, zumal die ubiquitäre Videoüberwachung keineswegs direkt davon betroffen zu sein scheint, lasse ich hier ebenso offen, wie ein ausführliches ästhetisches Urteil über die literarische Fiktion, auf die alszweites sogleich die legislativen Fakten folgen.

Ich jedenfalls habe viel gelacht über die Erzählung und fühle mich zunächst sympathisch angesprochen durch die oberflächlich so gut-gemeinte Stoßrichtung des Gesetzestextes. Alles weitere wird uns die Geschichte in Form von Fakten und Fiktionen zukünftig erweisen – Spannung, Spannung, (Kinder-)Überraschung also! Derzeit steht es erstmal 1:0 für den Datenschutz unseres Datenschatzes.

Zukunftszugewandt grüßt Euch, Euer faktisch fiktionenverliebter Satorius


»Herr Arbeitsloser«, sagt Julia Nonne und versucht die Kontrolle über ihre Sendung zurückzugewinnen. »Sie behaupten, Ihr Profil sei falsch. Aber wie kann das sein?«

»Maschinen machen keine Fehler«, sagt Zeppola.

»Ihre Algorithmen«, beginnt Peter, »präsentieren uns Inhalte, basierend auf unseren Interessen.«

»Ja«, sagt der Pressesprecher von TheShop. »Es ist wirklich toll.«

»Was aber, wenn diese angeblichen Interessen gar nicht meine Interessen sind?«

»Natürlich sind das Ihre Interessen«, sagt Charles. »Ihre Interessen wurden durch zuvor aufgerufene Inhalte ermittelt.«

»Zuvor aufgerufene Inhalte, die ich nur deshalb aufgerufen habe, weil sie mir als zu meinen angeblichen Interessen passend vorgeschlagen worden waren.«

»Ja, aber diese Interessen sind doch durch zuvor von Ihnen aufgerufene Inhalte ermittelt worden«, sagt Charles.

»Inhalte, die ich nur deshalb aufgerufen habe, weil …« Peter bricht ab. »Sie nehmen mir die Möglichkeit, mich zu verändern, weil meine Vergangenheit festschreibt, was mir in Zukunft zur Verfügung steht!«

»Ich bin Level 9«, sagt Peter.

»Das tut mir leid für Sie.«

»Ein Nutzloser …«, sagt Charles.

»Ganz genau! Ein Nutzloser, dem nur der Weg eines Nutzlosen angeboten wird. Meine Möglichkeiten gleichen einem Fächer, den sie mit jedem meiner Klicks immer weiter zuklappen, bis ich nur noch in eine Richtung gehen kann. Sie rauben meiner Persönlichkeit alle Ecken und Kanten! Sie nehmen meinem Lebensweg die Abzweigungen!«

»Das haben Sie aber schön auswendig gelernt«, sagt Erik Dentist.

»81,92 Prozent unserer Nutzer treffen ungern große Entscheidungen«, hört man Zeppolas Stimme.

»Aber dass man etwas nur ungern tut«, ruft Peter, »heißt doch nicht, dass man darauf verzichten kann! Ihre Algorithmen schaffen um jeden von uns eine Blase, und in diese Blase pumpen Sie immer mehr vom Gleichen. Sehen Sie darin wirklich kein Problem?«

»Nicht, wenn jeder dadurch bekommt, was er möchte«, sagt Patricia.

»Aber vielleicht möchte ich lieber etwas anderes.«

»Niemand zwingt Sie, unsere Angebote zu nutzen oder sich an unsere Vorschläge zu halten«, sagt Erik.

Peter muss lächeln. »Niemand«, murmelt er. »Genau. Niemand zwingt mich. Ist das nicht so, Zeppola? Niemand zwingt mich.«

Zeppola antwortet nicht. Und Niemand [@Satorius: Sein sog. persönlicher Assistent, eine Art digitaler Freund und Helfer] bleibt stumm.

Peter steht auf. Und plötzlich ist es nicht mehr Kikis Plan, dass er hier ist. Es sind nicht mehr die Gedanken des Alten, die er ausspricht. Es ist sein Plan. Es sind seine Gedanken.

»Schon immer«, sagt er, »haben Menschen dadurch gelernt, und nur dadurch, dass sie mit anderen Meinungen, anderen Ideen, anderen Weltbildern in Kontakt kamen.«

»Worauf wollen Sie hinaus?«, fragt Julia.

»Etwas lernen kann man nur, wenn man auf etwas stößt, was man noch nicht kennt. Das müsste doch selbstverständlich sein! Und jetzt kommen Sie und sagen mir, es ist kein Problem, wenn Menschen nur noch mit ihrer eigenen Meinung bombardiert werden?« Peter wendet sich zum Studiopublikum. »Alles, was jeder von uns hört, ist nur noch ein Echo dessen, was er in die Welt hinausgerufen hat.«

»Schon vor dem Internet«, sagt Erik, »haben die Menschen Medien bevorzugt, die ihre eigene Meinung widerspiegelten.«

»Ja, aber da wussten die Menschen immerhin noch, dass ihnen die Welt durch eine bestimmte Brille präsentiert wurde. Sie aber geben Objektivität vor, wo gar keine ist!«

»Unsere Modelle sind objektiv«, hört man Zeppola sagen. »Kein Mensch macht sich an unseren Zahlen zu schaffen.«

»Pah«, sagt Peter. »Modelle sind auch nur Meinungen, die sich als Mathematik verkleidet haben!«

»Ich verstehe sein Problem einfach nicht«, sagt Patricia. »Wir machen doch nichts Falsches. Wir bringen Körperbewusste mit Körperbewussten zusammen, Gläubige mit Gläubigen, Workaholics mit Workaholics …«

»Und Rassisten mit Rassisten!«, ruft Peter.

»Ja und? Auch Rassisten brauchen Liebe! Wahrscheinlich brauchen sogar gerade Rassisten Liebe.«

»Wow. Mir wird ganz warm ums Herz. Zum Glück gibt es Ihre Unternehmen. Sonst wäre es für Rassisten sicherlich viel schwieriger, sich zu befreunden und zu vernetzen.«

»Jeder braucht Freunde«, sagt Patricia.

»Und Ihre Algorithmen tragen netterweise sogar noch dafür Sorge, dass das Weltbild dieser Rassisten nicht mehr in Frage gestellt wird! Vielmehr wird es konstant bestätigt. Zum Beispiel durch zu rassistischen Interessen passender Nachrichtenselektion.«

»Wir sind kein Medienunternehmen«, wirft Erik ein. »Für die Nachrichten können Sie uns nicht verantwortlich machen!«

»Durch Empfehlungen für patriotische Musik oder Filme«, fährt Peter fort. »Sogar durch Produktvorschläge! Kunden, die diesen Baseballschläger gekauft haben, kauften auch diesen Brandbeschleuniger! Ihre Personalisierungs-Algorithmen verpassen jedem eine Gehirnwäsche durch eine ungesunde Dosis seiner eigenen Meinung!«

»Das ist Ihre Meinung«, sagt Patricia.

»Zudem glauben die Bewohner dieser Meinungsinseln irrigerweise, dass ihre Meinung der Meinung der Mehrheit entspricht, weil ja alle, die sie kennen, so denken! Also ist es auch okay, Hasskommentare zu schreiben, weil ja alle, die sie kennen, Hasskommentare schreiben. Und es ist okay, Ausländer zu verprügeln, weil alle, die sie kennen, davon reden, Ausländer verprügeln zu wollen.«

Patricia Teamleiterin lacht. »Das ist jetzt aber alles sehr hypothetisch.«

»Hypothetisch?«, fragt Peter. »In Ihrer Filterblase geht es anscheinend nur um Einhörner, Regenbögen und Katzenfotos!«

»Was haben Sie denn gegen Katzenfotos?«, fragt Patricia pikiert. Auch Teile des Publikums sind empört.

»Was verlangen Sie eigentlich?«, fragt Erik. »Haben Sie eine Idee, was passieren würde, wenn wir die Algorithmen abschalten? Das totale Chaos wäre die Folge. Es gibt so viel Content. Kein Mensch ist fähig, diese Masse zu überschauen.«

»Ich verlange nicht, dass Sie alles abschalten«, sagt Peter. »Aber Sie sollten uns Kontrollmöglichkeiten geben! Ich will, dass ich die Algorithmen steuere, und nicht, dass die Algorithmen mich steuern! Ich will mein Profil einsehen können, und ich will es korrigieren können. Ich will nachvollziehen können, was mir warum vorgeschlagen oder vorenthalten wird.«

»Das ist unmöglich«, sagt Zeppola. »Der Aufbau unserer Algorithmen ist ein Geschäftsgeheimnis.«

»Na klar, wie praktisch.«

»Unsere Produkte …«, beginnt Erik.

»Ich!«, ruft Peter aufgebracht. »Ich bin Ihr Produkt!«

»Sie – sind unser Kunde«, sagt Erik.

»Nein«, sagt Peter. »Ihre Kunden sind die Konzerne, die Versicherungen, die Parteien, die Lobbygruppen, an die Sie meine Aufmerksamkeit und meine Daten verscherbeln. Ich bin nicht Ihr Kunde. Ich bin nur das Produkt, mit dessen Verkauf Sie Ihr Geld verdienen! Es wäre ja alles nur halb so schlimm, wenn ich tatsächlich Ihr Kunde sein dürfte. Es wird Zeit, dass Sie sich eingestehen, dass Ihre Jagd nach immer noch mehr Werbeeinnahmen längst das ganze Netz vergiftet hat! Ihre Art von gratis kommt uns alle teuer zu stehen!«

»Ich bin mir sicher«, sagt Patricia, »dass die meisten Menschen froh darüber sind, unsere Services kostenlos …«

»Ich will mein Profil löschen können, wenn es mir beliebt!«, wirft Peter ein. »Das ist mein Leben. Meine Daten! Sie haben kein Recht daran.«

»Das ist nicht korrekt«, sagt Zeppola. »Die Verordnung 65 536 – mit absoluter Mehrheit vom Parlament bestätigt – gibt uns sehr wohl das Recht an deinen Daten. Schließlich haben wir sie gesammelt. Nicht du.«

»Das ist doch alles Quatsch hier«, ruft Charles Designer. »Der Typ hat ja noch nicht mal einen Beweis vorgelegt, dass sein Profil tatsächlich nicht stimmt!«

Peter holt einen rosafarbenen Vibrator in Delfinform aus seinem Rucksack und knallt ihn auf den Tisch.

Marc-Uwe Kling (1982 – ), QualityLand (2017; Die Beschwerde)


Datenschutz-Prinzipien der DSGVO

  1. Verarbeitung „nach Treu und Glauben“
    Anders formuliert: Handeln Sie nach gesundem Menschenverstand. Jemand anderes sollte nachvollziehen können, warum Sie unter den gegebenen Umständen so gehandelt haben. Fragen Sie sich, ob jemand anderes ihr Handeln als zuverlässig, aufrichtig und rücksichtsvoll beschreiben würde.
  2. Transparenz
    Handeln Sie nicht heimlich und ohne Wissen derjenigen, deren Daten Sie verarbeiten. Ihre Datenschutzerklärung muss klar darlegen, wie und zu welchem Zweck Ihr Unternehmen Daten verarbeitet.
  3. Zweckbindung
    Sie dürfen personenbezogene Daten nur für klar und eindeutig festgelegte, legitime Zwecke erheben – das heißt nicht „auf Vorrat“, frei nach dem Motto „falls wir sie irgendwann mal brauchen“.
  4. Datenminimierung
    Grundsätzlich sollten Sie möglichst wenig personenbezogene Daten sammeln, also nur genau in dem Umfang, der notwendig ist, um sie zweckgemäß zu verarbeiten.
  5. Richtigkeit
    Personenbezogene Daten sollten sachlich richtig und ggf. aktuell sein. Wenn Sie wissen, dass bestimmte personenbezogene Daten falsch oder nicht mehr aktuell sind, sind Sie verpflichtet, diese unverzüglich zu korrigieren oder zu löschen.
  6. Speicherbegrenzung
    Personenbezogene Daten müssen so gespeichert werden, dass die betroffene Person nur solange mittels dieser Daten identifiziert werden kann, wie nötig. Das heißt, nur solange diese Daten wirklich gebraucht werden.
  7. Integrität und Vertraulichkeit
    Personenbezogene Daten müssen sicher gespeichert werden. Das bedeutet zum Beispiel, dass nur diejenigen Zugriff auf sie erhalten, die diesen Zugriff wirklich benötigen. Darüber hinaus muss sichergestellt sein, dass keine Daten verloren gehen oder aus Versehen weitergegeben werden. Ihr Unternehmen ist in der Pflicht, geeignete Vorkehrungen zu treffen, um dies zu verhindern.
  8. Rechenschaftspflicht
    Ihr Unternehmen ist nicht bloß zur Einhaltung dieser Grundsätze verpflichtet. Sie müssen auch jederzeit gegenüber Kunden, Behörden und Mitarbeitern nachweisen können, dass Sie diese Grundsätze einhalten.

Die Europäische Union (1951 – ), VERORDNUNG (EU) 2016/679 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung; Direktlink zum offiziellen Dokument)

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