Ein nietzscheanisches Geister-Zwitschern

„Werde der, der Du bist“, sagt Zarathustra. „Verwirklich Dich selbst!“, sagen Therapeuten; in den meisten Fällen haben sie keine Ahnung, was sie damit sagen. Nietzsche hat es gewusst: Du entdeckst Dich selbst als himmellosen Engel, als eine einsame Gestalt, die friedlos und immer unbefriedigt von animalischen Trieben dazu verführt wird, illusionäre Heimaten zu erschaffen.

 

Thomas Hürlimann (1950 – ), Nietzsches Regenschirm


An sich ein schöne Sache, so eine Heimat, sofern man noch eine hat. Für sich aber derezit eine gefährliche Sache, da Heimat als rares Gut begriffen und damit gründlich missverstanden wird. Daraufhin wird sie fatal folgerichtig als ständig bedrohnt erfahren, gar zu schützen versucht. Zuletzt wird sie tapfer verteidgt, mit defensiven bis offensiven, allseits geheiligten Mitteln. Munter und eifrig sind die Wächter der Heimat im Einsatz gegen die gefürchteten Fremden von draußen hinter den Grenzen. Der Gastfreundschaft zum Trotz und Hohn, steht hier, diesseits, das Volk und dort drüben, jenseits, die da, sie da, die anderen halt..

Diese Wanderer und ihre Schatten werfen ein grelles, entlarvend klares Licht. Tiefschwarze Schlagschatten zeichnen sich deutlich gegen den Hintergrund ab, scharf und kalt konturiert – Schwarz gegen Weiß. Während die Bauern mauern, teilen die Könige, Bischöfe und Ritter den Gewinn brav unter sich auf, ziehen munter ideologische Furchen quer durch Freiheit und Öffentlichkeit. Sie alle nutzen als Instrument, was einst war ein echtes Ideal: Europa. Erwacht sind wir allesamt, jäh und unwirsch, vorbei ist der Väter utopischer Traum.

Er herrscht der historisch-furchtbare Zirkel, rund herum geht es geschwind. Jede Runde immer wieder das Gleiche; und noch Mal herum, immer wieder und weiter drehrt sich das ewige Rad. Hinter seinen schnell rotierenden Speichen, fast nicht zu erkennen im Taumel der Zeit, sitzt und wirkt er, lüstern und verschlagen zugleich, ein düsterer Dämon mit unheiligem Namen: Der Wille zur Macht.

Bereit zur Geisterjagd und offen für Gäste, Euer Satorius

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