Kaum entstanden, bis eben sogar noch singulär, und jetzt bereits im Wandel; das neue Format Text-Slow-Food ist quirlig. Aber nur so kann dieses Format seinen Inhalten, seinem neuen Inhalt gerecht werden. Denn ein Werk wie Ernst Blochs in drei Bänden erschienenes opus magnum Das Prinzip Hoffnung in einen einzigen Artikel packen zu wollen – sei er so slow, wie das nur denk- bzw. dehnbar ist -, wäre nur eines: schierer Unsinn! Alleine die Lektüre dieser schweren Kost wird Jahre dauern, immer wieder zu Verdauungsproblemen führen und bietet sich deshalb bestens für eine sporadisch fortzusetzende Serie an Text-Slow-Food-Artikeln an, die dann irgendwie verdächtig regressiv als Text-Fast-Food daherkommen. Die Schwere des Gegenstands sowie dessen logischer bis thematischer Zusammenhang und nicht zuletzt die prinzipielle (Text-Format-)evolutionäre Varianz und meine dementsprechende Toleranz sagen dennoch schlussendlich ganz klar: Das ist Text-Slow-Food! Nur eben eine kleine Variation des Ur-Typus (mit einer kleinen Neuerung):
0. Titel: #Autoren-KürzelBeitragsnummer(.Seriennummer) @ Beitragstitel
1. Ein markantes Beitrags-Bild zum Text (Umschlagbild, Faksimile, etc.) macht den Anfang und läd optisch in den Artikel ein.
2. Sodann macht ein Happen Text-Fast-Food Appetit auf mehr und sorgt so für einen sanften Lese-Einstieg in das Werk des jeweiligen Autoren.
3. In einer (Kurz-)Besprechung des vorgestellten Textes entwerfe ich (m)einen Zugang zum Text gewohnt essayistisch-verquer, mit dem Ziel einer Art Mini-Rezension.
4. Der Metadaten-Mix, also eine übersichtlich Zusammenstellung objektiver Informationen (auf Basis der Kataloge von Deutscher Nationalbibliothek und WorldCat) und subjektiver Wertungen, liefert kompakte Daten für Bibliografie- und Zahlenjunkies.
5. In einem Essenzsatz versuche ich mich an der semantisch-stilistisch beinahe unmöglichen Aufgabe, das ganze Werk angemessen in einem einzigen Satzgefüge auszudrücken – wohl an denn!
6. Die fortlaufenden Zitate aus dem Primärtext und ihre Zusammenstellung liefern überhaupt erst den Anlass für das alles hier und bilden somit den Kern des Ganzen. (Bei größeren Werken kann dieser Punkt auch auf eine Artikelserie ausgedehnt und dadurch ausgelagert werden.)
7. Kursorische Kontexte geben dem Werk des Autoren einen breiteren Rahmen und stillen damit den ersten, eklektischen Lesehunger des idealen Lesers, der am Ende des ausgedehnten Text-Slow-Foods noch Lust auf zukünftige Lektüre hat.
Zudem erfolgt am Ende dieser wahrscheinlich letztlich mehrjährigen Serie konsequent noch die vollständige Umsetzung des (erweiterten) Ideals für die Zubereitung von Text-Slow-Food. Damit ändert sich bei und mit diesem zweiten Exemplar der neuen Gattung lediglich der Schritt Nr. 6, also der formatprägende Zitatkorpus, indem dieser Punkt zeitlich ausgedehnt und somit in ein Vielfaches an Artikeln eingeschrieben in eine TSF-Serie ausgelagert wird: #EB1.x @ Unendliche Utopieforschung (wobei ich für „x“ keinen Definitionsbereich anzugeben wage).
Lassen wir also in angeblich so düsteren Zeiten das warme Licht der Hoffnung in unser Bewusstsein hineinstrahlen, denn mit nichts weniger hat sich Ernst Bloch in seinem Prinzip Hoffnung beschäftigt. Er wollte in Erfahrung bringen, spekulieren, analysieren, räsonieren und also philosophisch verstehen, was Werden und Willen verbindet, Subjekt und Objekt vermittelt, Mensch und Welt vereint. Sein Werk kreist folglich in weiten Spiralbahnen um große Fragen: Was gibt unserem Leben Sinn und Richtung? Was treibt die Menschen der verschiedenen Epochen und Kulturen an? Welchen kleinen und großen Utopien und Dystopien hängen wir nach, seien sie sozial, politisch, ästhetisch, technisch, sexuell und skaliert von epochal bis trivial? Wie und warum erhofft sich der homo utopicus all das für seine Zukunft? Was kümmert all das die Welt? Welche Ontologie steckt hinter den Hirngespinsten? Und warum haben Gott und Marx, Nietzsche und Aristoteles beim Zentralbegriff Heimat allesamt zusammen mit vielen anderen ihre schmutzigen kleinen Finger mit im Gedanken-Spiel?
Alles in allem, im Großen und Ganzen seelisch naheliegende, höchst spannende und vor allem zutiefst historische bis politische Fragen, die jede Zeit, jedes Zeitalter neu und anders stellen, neu und anders beantworten kann und sollte. Aber warum sollten gerade wir, die kurzweilige, -firstige, -konzentrierte und kürzende Internet-Generation, warum sollte die bequemste Generation der Menschheitsgeschichte das Rad neu erfinden? Warum überhaupt drehen, am blutigen Rad der Geschichte, am staubigen Rad der Zeit?
Während dieser definitiv nicht rhetorisch misszuverstehenden Fragenkomplex idealerweise wenigstens kurz zum Nachdenken provoziert, lausche ich schon Mal bedächtig den ersten Klängen einer ewigen Sinfonie, einer Musik der Hoffnung und des Hoffens, wie sie aus den Archiven der Geistes- und Ideengeschichte herauftönt. Lauschen wir doch gemeinsam dem Orchester und einem seiner mutigeren Dirigenten. Fangen wir an ihm zuzuhören, ihn zu lesen, vielleicht erfahren wir sogar, was sich bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts im kollektiven Bewusstsein unserer Zivilistation an Anworten auf den utopischen Fragenkomplex niedergeschlagen hatte. Lassen wir uns inspirieren von der unendlichen Geschichte der Utopieforschung, der Ernst Bloch viele, viele Meta-Kapitel hinzugefügt hat – eventuell ja sogar zu neuen Beiträgen, ob sie nun meta-, para– oder ortho-utopisch sein mögen.
Mit einer tiefen Verbeugung vor einem ehrenwerten Lebenswerk, Euer Satorius
Das Prinzip Hoffnung (Erster, Zweiter und Dritter Band): #EB1.1 @ Unendliche Utopieforschung
Geschehen wird Geschichte, Erkenntnis Wiedererinnerung, Festlichkeit das Begehen eines Gewesenen. So hielten es alle bisherigen Philosophen, mit ihrer als fertig-seiend gesetzten Form, Idee oder Substanz, auch beim postulierenden Kant, selbst beim dialektischen Hegel. Das physische wie metaphysische Bedürfnis hat sich dadurch den Appetit verdorben, besonders wurden ihm die Wege nach der ausstehenden, gewiss nicht nur buchmäßigen Sättigung verlegt. Die Hoffnung mit ihrem positiven Korrelat, der noch unabgeschlossenen Daseinsbestimmtheit, über jeder res finita, kommt derart in der Geschichte der Wissenschaften nicht vor, weder als psychisches noch als kosmisches Wesen und am wenigsten als Funktionär des nie Gewesenen, des möglich Neuen. Darum: besonders ausgedehnt ist in diesem Buch der Versuch gemacht, an die Hoffnung, als eine Weltstelle, die bewohnt ist wie das beste Kulturland und unerforscht wie die Antarktis, Philosophie zu bringen.
S. 4f.
Das utopische Bewusstsein will weit hinaus sehen, aber letzthin doch nur dazu, um das ganz nahe Dunkel des gelebten Augenblicks zu durchdringen, worin alles Seiende so treibt wie es sich verborgen ist. Mit anderen Worten: man braucht das stärkste Fernrohr, das des geschliffenen utopischen Bewusstseins, um gerade die nächste Nähe zu durchdringen. Als die unmittelbarste Unmittelbarkeit, in der der Kern des Sich-Befindens und Da-Seins noch liegt, in der zugleich der ganze Knoten des Weltgeheimnisses steckt.
S. 11
Ernst Bloch (1895 – 1977), Das Prinzip Hoffnung – Erster Band: Vorwort (1938 – 1947)