Es lebt noch nicht, aber es erdet schon mal!

The sky around Alpha Centauri and Proxima Centauri (annotated)

Digitized Sky Survey 2 – Davide De Martin & Mahdi Zamani, Die Himmelsregion um Alpha Centauri und Proxima Centauri (beschriftet)

Proxima Centauri and its planet compared to the Solar System

European Southern Observatory (ESO) – M. Kornmesser & G. Coleman, Proxima Centauri und sein Planet verglichen mit unserem Sonnensystem


Es lebt! Nein, halt und stopp: Fantasieüberschuss – soweit sind wir bisweilen noch nicht. Aber immerhin: es erdet in der nächsten Nähe!

Aller astronomischen Voraussicht und Analyse nach dreht in unserer direkten kosmischen Nachbarschaft ein terrestrischer Exoplanet seine rasanten Runden. Um den nur vier Lichtjahre entfernten roten Riesen Proxima Centauri kreist besagter Gesteinsplanet innerhalb der habitablen, also bewohnbaren, Zone in ca. 11 Tagen ein Mal um seine Sonne. Wie die Europäische Südsternwarte im Anschluss an die wissenschaftliche Publikation kürzlich in dieser Pressemitteilung mitteilte, haben Forscher des „Pale Red Dot“-Projekts den Planeten entdeckt, auf dessen Oberfläche sogar die Möglichkeit von flüssigem Wasser, wenigstens regional, nicht ausgeschlossen werden kann.

Das mag zunächst recht nüchtern und wenig spektakulär klingen, stellt aber nicht weniger als ein epochales Ereignis dar. Nachdem die Erde zur Kugel geworden war, sodann aus dem Zentrum des Sonnensystems auf Planetenbahn Nummer drei von neun (aktuell „acht“ oder bald doch wieder „neun“) verlegt wurde, die übrigen Planeten unseres Heimatsystems entdeckt und sporadisch sondiert worden sind, ist seit wenigen Jahrzenten auch die Skepsis widerlegt, ob es überhaupt extrasolare Planeten gibt. Dass nun ein womöglich  lebensfreundliches Exemplar so dicht am heimatlichen Sonnensystem entdeckt wurde, beflügelt sicherlich nicht nur die Fantasie einiger Science-Fiction-Fans, wie ich einer bin, sondern auch die Ambitionen von Wissenschaftlern, Politikern und Bürgern. Mit „nur“ 4 Lichtjahren stellt die Strecke eine Entfernung von ca. 39.735.067.984.839,36 km, sprich 39,7 Billionen Kilometer, dar, die im interstellaren Maßstab betrachtet so gering ist, dass eine Sonde eine praktikable Erkundungsoption sein könnte. Visionäre Projekte in dieser Richtung gibt es bereits, wenn auch unsere Generation schlechte Aussichten haben mag, die Ankuft mitzuerleben, so doch mit etwas Glück den Start.

Warum ist etwas durch seine Entfernung beinahe Unwirkliches so wichtig, weswegen überhaupt von Belang, wo es doch hier auf der Erde genug wirklich wichtige Herausforderungen und große Probleme zu bewältigen gilt? Eine berechtigte, ethisch bis moralische hochbrisante Frage, die zu stellen und zu beantworten ebenso Not tut, wie sie zugleich weitere kritische Fragen provoziert: Ist eine Beschäftigung mit solchen Themen nicht ein Symptom, wenigstens ein Indiz für gefährliche Tendenzen wie Fantasterei, (Politik- & Welt-)Verdrossenheit, Eskapismus, vielleicht gar unverantwortliche Verschwendungssucht?

In Teilen mag das stimmen; das große Bild hingegen sieht anders aus: Seit Anbeginn der menschlichen Zivilisation waren Entdeckung, Expansion und Eroberung wesentliche Triebfedern von Fortschritt und Kultur. Dass diese beiden als wertvolle Errungenschaften durchgehen, bezweifeln wohl nur hartgesottene Kritikernaturen. Zweifelsohne. Ja, dabei und dadurch wurde unbestritten viel Blut vergossen, sich mehr als ein mal die Hände heftig schmutzig gemacht und letztlich vieles unwiderbringlich beschädigt oder gar gänzlich zerstört. Dementgegen steht einiges mehr auf der Habenseite: die Besiedlung des kompletten Planeten, die Loslösung vom Mythos und damit die Öffnung des Geistes für Wissenschaft und Technik, die Erschließung von natürlichen Potenzen und die Schaffung ökonomischer Werte. Wenn also der Krieg tatsächlich der Vater aller Dinge sein sollte, so ist das Paar Wissendurst plus Abenteuerlust die zugehörige Mutterfigur und ich bin damit eindeutig und erklärtermaßen ein Muttersöhnchen.

Der Weg der Menschheit, der uns zunächst zu den solaren Planeten und sodann zu extrasolaren Planeten zu führen vermag, könnte nicht nur kräftezehrend sondern auch heilsam sein, würde er im Zeichen der Mutter beschritten. Individuen werden zwar immer und immer wieder in Konflikt geraten, aber eine im kosmischen Maßstab einige Menschheit, die ihre Rolle im Universum bescheiden betrachten lernt und gemeinsam an der Lösung ihrer Probleme arbeitet, wäre eine dankbare wie denkbare Folge diese Weges. Dabei muss es nicht unbedingt ein intelligenter Freund oder Feind dort draußen sein, der einen Umschwung im Selbst- und Weltverhältnis des Menschen einleitet würde; es mag bereits ausreichen wirklich anzuerkennen, dass man nicht alleine im Universum ist.  Somit würden wir ein verantwortlicher Teil eines größeren Ganzen, sei dieses Kosmos oder Chaos.

So kurz, knapp und eklektisch lässt sich die Kontroverse um die Weltraumfahrt mit Fernziel Milchstraße zwar nicht schlichten, aber als ein spekulatives Argument auf der Pro-Seite taugt die gemachte Überlegung eventuell. Und da wir und besonders ich lieber große Fragen stelle, als mir den Anschein geben zu wollen, diese sogleich ernsthaft und vollständig zu beantworten, betrachte ich diesen Text als kleinen Aufriss eines interessanten Themas und überlasse erstmal einer anderen Stimmen die Bühne:


 

Die lange und sehr vehement vertretene These von der Sonderstellung der Menschheit im Kosmos gerät zunehmend ins schwanken. Die, wie Sigmund Freud es nannte (obwohl er dabei etwas gänzlich anderes im Sinne hatte) dritte große narzistische Kränkung der Menschheit scheint unmittelbar bevorzustehen: Zu den Gewissheiten, dass die Erde nicht den Mittelpunkt des Universums markiert, und jener, dass der Mensch von affenartigen Wesen abstammt, könnte bald die Erkenntnis kommen, als intelligente Spezies nicht allein im Universum, also eben auch nicht der singuläre Höhepunkt einer irgendwie gearteten Schöpfung zu sein.

 

[…]

 

6. Fazit

 

Tatsächlich spricht, wenn man sich die Entwicklung des wissenschaftlichen Wissens in den letzten drei Jahrzehnten ansieht, alles dafür, sich – wie es die Anfangs erwähnte Konferenz der Royal Society getan hat – systematisch mit der Frage des ‚Erstkontaktes’ zwischen Menschen und Außerirdischen und dessen Folgen zu beschäftigen:

 

Erstens kann nach den astronomischen Erkenntnissen der letzten Jahre als fast sicher gelten, dass das Universum nur so von Planeten wimmelt, die prinzipiell die Möglichkeit für die Entstehung von Leben bieten. Gleichzeitig konnte die biologische Grundlagenforschung zeigen, dass überall dort auf der Erde, wo Leben möglich ist, dieses Leben auch tatsächlich existiert. Aus diesen beiden Befunden wird heute nicht nur von SETI-Enthusiasten gefolgert, dass die Entstehung von Leben in unserem Universum nicht die Ausnahme, sondern eher die Regel ist. Und da wir heute nicht wissen können, ob bewusste Intelligenz ein inhärentes Potential biologischer Evolution ist, müssen wir Menschen damit rechnen, als intelligente Spezies nicht allein im Universum zu sein. Auch wenn wir es heute nicht definitiv wissen können.

 

Zweitens sammeln wir nicht nur mit zahlreichen Instrumenten passiv immer mehr Informationen über das Universum, sondern wir dringen auch mit Raumsonden aktiv immer weiter in unser Sonnensystem vor. Mit jedem Schritt in die Tiefen des Kosmos, mit jedem neuen Teleskop und jeder weiteren Raumsonde wächst die Wahrscheinlichkeit, Beweise für die Existenz außerirdischen Lebens zu finden – falls die These der weiten Verbreitung von Leben im Universum denn richtig ist. Und wenn zusätzlich noch die Annahme stimmt, dass biologische Evolution zumindest mit einer gewissen Chance zu bewusster Intelligenz führt, steigt auch die Wahrscheinlichkeit, Belege irgendeiner Art für die Existenz außerirdischer Zivilisationen zu finden.

 

Und drittens schließlich wäre die Konfrontation mit einer außerirdischen Zivilisation unbezweifelbar einer der schwerwiegendsten Einschnitte in der bisherigen Menschheitsgeschichte: Die Gewissheit, als intelligente Spezies nicht allein im Universum zu sein, würde nicht nur unser wissenschaftliches und philosophisches Denken revolutionieren, sondern könnte auch eine Vielzahl schwerwiegender Auswirkungen bis hinein in unser alltägliches Leben haben. Wie diese genau aussehen werden, ist heute mit Gewissheit nicht zu sagen. Aus soziologischer Warte und unter Berücksichtigung unseres Wissens über asymmetrische Kulturkontakte auf der Erde scheint mir hier im Zweifelsfalle eine skeptischpessimistische Haltung als die realistischere. Für die SETI-Forschung, namentlich für die von einigen Unentwegten heute propagierte aktive Variante, bedeutet dies: Es ist wissenschaftlich gesehen sicherlich Hochtechnologie-, kulturell betrachtet jedoch Hochrisikoforschung. Und für die entsprechenden Technikfolgeabschätzungen ist es höchste Zeit.

 

Michael Schetsche, Menschen und Außerirdische – Mögliche kulturelle Konsequenzen des Erstkontakts mit dem maximal Fremden: S.4f. & S.17f. (Vortrag am 20.1.2011, Universität Kaiserslautern; Direktlink zur PDF)

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