Gedankenpotpourri: Links und rechts

(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.

 

(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.

 

(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.

 

Parlamentarischer Rat (1948-1949), Grundgesetz der BRD – Artikel 14


„Links denken, rechts sein; rechts wirken, links sein“ – logisch diagonstiziere ich diesem Satz einen sanften Widerspruch, ideologisch brandmarke ich ihn spontan als Bigotterie und empfinde ihn seelisch bis sozial als eine ziemliche Zerreißprobe; Dynamik ist also garantiert.

Was denkt ihr, was seid ihr? Da hat wohl wie bei allem und wie immer jeder seine eigenen Sofort-Assoziationen und Identifikationen. Je nach Vorliebe und Standpunkt reichen diese ersten Ideen zu unseren beiden Wortungetümen weit und liegen interpersonal womöglich sogar quer: Sie beginnen vielleicht lebenweltlich bei Nazi vs. Punk oder tagespolitisch bei Petry vs. Gysi, historisch-härter womöglich mit Orban/Franco//Hitler vs. Stalin/Mao/Castro; vielleicht sind sie aber auch abstrakter, sei es öknomisch Markt vs. Plan, Eigentum vs. Arbeit, Wettbewerb vs. Regulation und Konkurrenz vs. Kooperation, sind damit grenzwertig politisch wie stärker noch Nationale vs. Internationale und Freiheit vs. Ordnung; womöglich geraten die ersten Eindrücke mit Individum vs. Kollektiv aber noch etwas geisteswissenschaftlicher, oder auch als Selbstverantwortung vs. Solidarität und Egoismus vs. Altruismus praktisch philosophisch; eventuell denkt einer eher an Daumen, die links rechts und rechts links sind, also an Richtungen im Raum, somit leibliche bis topografische Kategorien. Bevor es nun aber zu wild wird, terminiere ich den Wortwuch und konstatiere damit feierlich, dass die Weite, Breite und Quere so einfach scheinender Worte wie „links“ und „rechts“ ausreichend illustriert wurde.

Aber was bedeutet das denn eigentlich und warum ist überhaupt von Belang, was ich anfangs so lappidar, selbstverständlich und unvermittelt in einem schrägen Satzfragment dahergesagt und insgesamt in einen doppelten, nicht minder seltsamen TFF-Kontext gestellt habe? Was also haben ein politisches Buch und eine reale Verfassung, der inflationär genutzte Wortgegensatz „links/rechts“ miteinander zu tun; warum überhaupt aus heiterem Himmel dieser komische Aphorismus und die dadurch provozierte Frage nach den beiden, so simplen, deshalb so gefährlichen Attributen, die wir vermutlich alle häufig gebrauchen und nicht ganz so häufig begriffskritisch reflektieren?

Viele berechtige Fragen, deren Antwort höchstens angedeutet werden wird, werden soll. Denn genau darin liegt die Pointe: Es handelt sich um keine rationalen, keine klaren, keine sauberen Begriffe, sondern um ideologische, historische und rhetorische Bastardworte und dafür legen unter anderem die beiden Quellen ein Zeugnis ab. Darin vermischen sich die Sphären des Linken und Rechten subtil bis explizit, so dass Reinheit und Konsequenz in weite Ferne rücken; sie leben also, sind dynamisch und bedürfen deshalb eines refelxionswilligen Subjekts: Erbschaft und Enteignung; Eigennutz und Engagement; Verstand und Liebe; Tugend und Sünde, um nur ein paar Alliierte von „links/rechts“ zu nennen.

Alles fließt somit und sogar ich vermeintlich Linker entdecke bisweilen ein wenig Rechtes an mir, Euer Satorius


„Seit zwölf Jahren stellen Sie sich die Frage: Wer ist John Galt? Hier spricht John Galt. Ich bin der Mensch, der sein Leben liebt. Ich bin der Mensch, der weder seine Liebe noch seine Werte opfert. Ich bin der Mensch, der euch eurer Opfer beraubt und dadurch eure Welt zerstört hat, und falls ihr wissen wollt, weshalb ihr zugrunde geht – ihr, die ihr euch vor Erkenntnis fürchtet –, ich bin der Mensch, der es euch jetzt sagen wird.“    

 

Der Chefingenieur war der Einzige, der noch in der Lage war, sich zu rühren. Er eilte an einen Fernsehapparat und hantierte aufgeregt an den Schaltern herum. Doch der Bildschirm blieb dunkel; der Sprecher war nicht gewillt, sich zu zeigen. Nur seine Stimme flutete die Ätherwellen im ganzen Land – und auf der ganzen Welt, dachte der Chefingenieur. Sie klang, als spräche er hier, in diesem Raum, nicht zu einer Gruppe, sondern zu einem Einzelnen. Es war nicht der Tonfall, in dem man eine Versammlung anspricht, sondern der Tonfall, in dem man einen Verstand anspricht.    

 

„Ihr habt davon reden hören, dies sei ein Zeitalter der moralischen Krise. Ihr habt es selbst gesagt, teils ängstlich, teils in der Hoffnung, die Worte hätten keine Bedeutung. Ihr habt gejammert, die Sünden der Menschheit zerstörten die Welt, und ihr habt die menschliche Natur für ihren Widerstand gegen die von euch eingeforderten Tugenden verflucht. Da für euch Tugendhaftigkeit gleichbedeutend ist mit Opferbereitschaft, habt ihr nach jeder neuen Katastrophe noch größere Opfer verlangt. Im Namen einer Rückkehr zur Moral habt ihr all die Übel geopfert, die ihr für die Wurzel eurer Misere hieltet. Ihr habt die Gerechtigkeit der Barmherzigkeit geopfert. Ihr habt die Unabhängigkeit der Einigkeit geopfert. Ihr habt die Vernunft dem Glauben geopfert. Ihr habt den Wohlstand dem Mangel geopfert. Ihr habt die Selbstachtung der Selbstverleugnung geopfert. Ihr habt das Glück der Pflicht geopfert.    

 

Ihr habt alles zerstört, was ihr für böse, und alles erreicht, was ihr für gut hieltet. Weshalb schreckt ihr also voll Grauen vor dem Anblick der Welt, die euch umgibt, zurück? Diese Welt ist nicht etwa das Produkt eurer Sünden, sondern das Produkt und Spiegelbild eurer Tugenden. Sie ist die Verwirklichung und Vollendung eures moralischen Ideals. Ihr habt dafür gekämpft, davon geträumt, sie herbeigesehnt, und ich – ich bin der Mensch, der euch euren Wunsch erfüllt hat.    

 

Es gab einen unversöhnlichen Gegner eures Ideals, den zu vernichten euer Moralkodex ersonnen wurde. Ich habe diesen Gegner aus dem Verkehr gezogen. Ich habe ihn euch aus dem Weg geräumt und eurem Zugriff entzogen. Ich habe die Quelle all jener Übel, die ihr nach und nach geopfert habt, entfernt. Ich habe euren Kampf zu Ende geführt. Ich habe euren Motor zum Stillstand gebracht. Ich habe eurer Welt den menschlichen Verstand entzogen.    

 

Die Menschen leben nicht nach dem Verstand, meint ihr? Ich habe diejenigen aus dem Verkehr gezogen, die es doch tun. Der Verstand ist ohnmächtig, meint ihr? Ich habe diejenigen aus dem Verkehr gezogen, deren Verstand es nicht ist. Es gibt höhere Werte als den des Verstandes, meint ihr? Ich habe diejenigen aus dem Verkehr gezogen, für die es sie nicht gibt.    

 

Während ihr dabei wart, alle Gerechten, Unabhängigen, Vernünftigen, Wohlhabenden und Selbstbewussten auf eurem Altar zu opfern, bin ich euch zuvorgekommen; ich habe sie als Erster erreicht. Ich habe sie über euer Spiel und euren Moralkodex aufgeklärt, dessen Wesen zu begreifen sie zu unschuldig und großzügig waren. Ich habe ihnen gezeigt, wie sie nach einer anderen Moral leben können: meiner. Und sie haben sich für meine entschieden.   

 

All jene, die verschwunden sind, jene, die ihr zwar gehasst, die zu verlieren ihr aber gefürchtet habt – ich war es, der sie euch entzogen hat. Versucht nicht, uns zu finden. Wir sind nicht gewillt, uns finden zu lassen. Klagt nicht, es sei unsere Pflicht, euch zu dienen. Wir erkennen eine solche Pflicht nicht an. Klagt nicht, ihr bräuchtet uns. Uns gilt ein Bedürfnis nicht als Anspruch. Klagt nicht, wir gehörten euch. Wir gehören euch nicht. Bittet uns nicht zurückzukehren. Wir sind im Streik, wir, die Verstandesmenschen.    

 

Wir streiken gegen Selbstaufopferung. Wir streiken gegen den Glauben an unverdiente Belohnungen und unbelohnte Pflichten. Wir streiken gegen das Dogma, das Streben nach eigenem Glück sei böse. Wir streiken gegen die Doktrin, das Leben sei schuldhaft.    

 

Unser Streik unterscheidet sich von dem, den ihr seit Jahrhunderten praktiziert: Wir streiken nicht, um Forderungen durchzusetzen, sondern um sie zu erfüllen. Eure Moral erklärt uns für böse. Wir haben beschlossen, euch nicht mehr zu schaden. Eure Wirtschaftslehre erklärt uns für nutzlos. Wir haben beschlossen, euch nicht mehr auszunutzen. Eure Politik erklärt uns für gefährlich und verlangt, dass man uns Fesseln anlege. Wir haben beschlossen, euch nicht mehr zu gefährden, aber auch die Fesseln nicht mehr zu dulden. Eure Philosophie erklärt uns zu einem bloßen Trugbild. Wir haben beschlossen, euch nicht mehr zu täuschen, sondern euch der Wirklichkeit ins Angesicht sehen zu lassen – der Wirklichkeit, die ihr wolltet, der Welt in ihrem jetzigen Zustand, einer Welt ohne Verstand.

 

Wir haben euch alles gewährt, was ihr von uns verlangt habt, wir, die wir seit jeher die Gebenden waren, uns aber erst jetzt dessen bewusst geworden sind. Wir haben keine Forderungen, die wir an euch richten, keine Bedingungen, über die wir mit euch verhandeln, keinen Kompromiss, den wir mit euch schließen könnten. Ihr habt uns nichts zu bieten. Wir brauchen euch nicht.

 

Werdet ihr jetzt klagen: Nein, das wolltet ihr nicht? Eine Welt in Schutt und Asche, ohne Verstand, sei nicht euer Ziel gewesen? Ihr hättet nicht gewollt, dass wir euch verlassen? Ich weiß, dass ihr schon immer wusstet, was ihr wolltet, ihr moralischen Kannibalen. Aber euer Spiel ist aus, denn nun wissen auch wir es.

 

Durch Jahrhunderte der von eurem Moralkodex hervorgerufenen Plagen und Katastrophen hindurch habt ihr gejammert, euer Kodex sei nicht befolgt worden und die Plagen seien die Strafe dafür, die Menschen seien zu schwach und selbstsüchtig, um all das Blut zu vergießen, das dafür zu vergießen nötig sei. Ihr habt den Menschen verdammt, ihr habt die Existenz verdammt, ihr habt diese Erde verdammt, aber nie habt ihr es gewagt, euren Kodex in Frage zu stellen. Eure Opfer haben die Schuld auf sich genommen und weitergekämpft; eure Flüche waren ihr Lohn für ihr Martyrium, während ihr fortfuhrt zu klagen, euer Kodex sei edel, aber die menschliche Natur sei nicht gut genug, ihn zu befolgen. Und niemand erhob sich, um die Frage zu stellen: Gut? – Nach welchem Maßstab?

 

Ihr wolltet wissen, wer John Galt ist. Ich bin der Mensch, der diese Frage gestellt hat.

 

[…]

 

Ihr werdet gewinnen, wenn ihr bereit seid, den Eid abzulegen, den ich zu Beginn meines Kampfes abgelegt habe – und für diejenigen, die wissen wollen, an welchem Tag ich zurückkehren werde, wiederhole ich ihn nun vor aller Welt: ‚Bei meinem Leben und meiner Liebe zum Leben schwöre ich, dass ich niemals um eines anderen Menschen willen leben werde, noch von einem anderen verlangen werde, um meinetwillen zu leben.'“

 

Ayn Rand (1905 – 1982), Der StreikTeil Drei, A ist gleich A, VII. „Hier spricht John Galt“: passim

 

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