Gretchenfrage 2.0: Und wann killst du Mutter Erde dieses Jahr?


Liste weiterführender Links zum Themenkomlpex:


Von nun an prellen wir die Zeche – und wir tun dies zudem höchst unsolidarisch, also kaum auf unsere eigene Rechnung, sondern wir schreiben die Kosten auf den Deckel anderer Regionen und zukünftiger Genetationen! Denn der Tag, an dem der globalen Durchschnittsmenschen die Erde dieses Jahr „abgeschossen“ hat, oder genauer und weniger heftig formuliert: ihre Ressourcen und Regeneration „überlastet“ hat, liegt jetzt bereits hinter uns. Deutschlands Durchschnitt fällt dabei noch schlechter aus: Wir Bundesbürger haben Mutter Erde bereits Anfang Mai gekillt und bedürfen zum Erhalt unseres aktuellen Lebensstandards ganze drei Erden. Den Rest unseres Jahres leben wir nun nach dem Motto „Nach uns die Sintflut“ oder, um die Redewendungen letztlich auf die Spitze zu treiben, werden wir dem Mutterschiff Erde zu den sprichwörtlichen Ratten, die das Schiff (wenigstens durch Unterlassung) versenken. 

Mein Zugang mag etwas morbid im Abgang wirken, aber die Drastik der Darstellung dient eindeutig pädagogischen Zwecken, wie insgesamt das zu Grunde liegende Konzept des ökologischen Fußabdrucks. Dabei hat dieser Sachverhalt auch etwas zutiefst Tröstliches, gibt er  uns doch die Verantwortung zurück und erhöht damit unseren Einfluss: Es liegt an uns; wir handeln und unterlassen; jeder einzelne Mensch ist alltäglich gefragt. Ökonomie, Ökologie und insbesondere Politik werden praktisch und konkret, finden bei uns zuhause statt, sind nicht mehr nur theoretisch und abstrakt.

Der Preis dessen, wenn man diese Sache (mit oder ohne den Selbsttest des eigenen Fußabdrucks) denn überhaupt ernst nimmt, ist vermutlich ein gerüttelt Maß an kognitiver Dissonanz, also dem unangenehmen Gefühl und der entsprechenden (verdrängten) Erkenntnis, dass das eigene Handeln und Denken, unser Leben und unsere Werte im Spannungsverhältnis, womöglich sogar im Widerspruch zueinander stehen. Was an dieser Stelle bleibt, ist psychologisch gesehen recht einfach: Umdeutung oder Leugnung der Fakten, Anpassung durch Umgewöhnung des Verhaltens oder eine teuer erkaufte Ignoranz bei fortschreitendem Missverhältnis. Zwei dieser Wege führen in oder an den Abgrund heran, die goldene Mitte ist das Ideal, aber wie die meisten echten Lösungen mit Anstrengung und Verzicht verbunden: Wer will schon radfahren oder laufen, Bus- oder Bahnfahren, statt sich mit dem Auto fortzubewegen; Urlaub in der Nähe, Deutschland oder Europa, machen, statt die weite Welt zu entdecken; globalen Burger, Steak, Käse und Wurst für regionales Gemüse, Obst, Nuss und Brot eintauschen; statt des Filmabends mit Smartphone-Intermezzo bei hellstem Lampenschein und optimalem Klima, einfach nur dasitzen und ohne Strom Spaß haben; zuletzt die luxuriöse Higtech-Stadtvilla in bester Lage räumen und in die spartanische Blockhütte im Wald ziehen?

Nur der Anwärter zum totalen Gutmenschen bejaht hier weitreichend und zweifelsfrei, aber das ist auch nicht der Punkt, denn es geht nicht bloß ums gute Gewissen, sondern um eine ernsthafte Reflexion über das eigene Verhalten. Was und wie weit man seinen Alltag dann verändert, ist überhaupt erst der zweite Schritt nach dem ersten. Spieglein, Spieglein an der Wand, was tue ich und was könnte ich tun, wollte ich besser leben, steht ganz am Anfang und ist mein bescheidenes Artikel-Ziel. Denn nur, wer sich der Möglichkeit von mentalen Misstönen, der besagten „Kognitiven Dissonanz“, öffnet, kann sich selbst überzeugen oder von anderen überzeugt werden. Überreden also, bloßes Erlassen und Verordnen zumal, mag manchem als Mittel demokratisch-liberaler Politik erscheinen, ich jedoch begnüge mich mit diesem Diskursangebot und vertraue den Rest Euch selbst an. Ob daraufhin persönliche Klugheit, kalkulierendes Selbstinteresse, Moralität und was dergleichen mehr ist, letztendlich nur zu Denk- oder gar zu Verhaltensänderung führen, bleibt jedem Selbst überlassen. Wir Westler leben, (fast) wie wir wollen und können wählen – glücklicherweise!

Hoffen und Handlen darf und werde ich. Jedenfalls mir gefiel das Bild nicht, das ich zu sehen bekam, als ich mich zuerst vor den Spiegel stellte, um mich selbstkritisch zu betrachten. Und es geht mir weiterhin noch so, wenn auch nur (noch) relativ, verbrauche ich doch angeblich derzeit nur 1.1 Erden pro Jahr und werde erst ab dem 29.11.2018 zum Täter. Dass meine Opfer namen-, ort- und zeitlos sind, macht die Tat zwar leichter und bequemer, ändert aber nichts an meinem Spiegelbild und bringt die existenzielle Kakophonie zwischen meinen Ohren nicht zum Verstummen. Vielleicht sollte ich alternativ ganz laut „Fake News!“ schreien, mich konsumierend Zestreuen oder schlicht und einfach ganz und gar Betäuben? Eher nicht, wenn ich mir die Tendenz anschaue und eine Prognose auch nur vage vorstelle:

Euer immer-ambivalenter Adept zwischen Gut- und Schlechtmenschentum, Satorius

Schreibe einen Kommentar