Heimat auf der Zunge und in der Nase

Wer hat es nicht, das nostalgisch besetzte Heimatgericht. Meistens hat es die Oma sogar noch besser als die Mutter gemacht, man hatte Vorfreude sobald man davon wusste und war es dann soweit, gab es kein Halten mehr: pure kindliche Gaumenfreude!

In meinem Fall hatte diese Stellung im Persönlichkeitsinventar eindeutig ein einziges Gericht inne: der Bloatz (Direktlink). Leib-und-Magen-Gericht einerseits, Familienidyll und Dorfidentität anderseits, alles das in einem war er, der gute alte Bloatz. Zumal es ihn mindestens ein Mal, selten mehr als zwei oder drei Mal im Jahr gegeben hatte. Die weiteren Chancen auf Bloatz-Genuss hingen von Glück und Zufall ab, womit die Vorfreude auf die seltenen Gelegenheiten um so größer war. Der eine garantierte Anlass war und ist – wer kennt es nicht – das eine große Heimatfest, namentlich bei mir das Dorffest.

Das Besondere hieran ist die Tatsache, dass der Bloatz dabei im Zentrum steht. Er wird von den erfahrensten Köchinnen zubereitet und im eigens für diesen Zweck errichteten Backhaus in einem Steinbackofen zubereitet. Dieser Ofen wird – man bemerke die traditionelle Rollenverteilung – von den Männern des Dorfes mit Reisig befeuert, ein Vorgang, der sich über zwei Tage hinzieht und viel Rauch und Schweiß mit sich bringt.

Die Luft wird erfüllt von strengem, aber dennoch reizvollem Reisigrauch, dicht und von Schwarz über Grau bis Weiß gefärbt, je nach Trocknung und Art des Anfeuerns. So wachte ich jedes Jahr mit diesem Geruch in der Nase auf und wusste glücklich was kommen würde: drei Tage Bloatz- und Dorffest. Neben Bloatz bedeutete das eine ganze Batterie an Freuden: Alle Freunde zu Besuch, Disco, Festgeld für (Kinder-)Bespaßung und Sinnenrausch, Pommes und Bratwurst und Solidarität. Alle zusammen sorgten wir für ein gemeinsames Fest, für uns selbst und für Gäste aus der näheren und weiteren Umgebung.

So war das damals. Und ist heute noch, allerdings in stark reduziertem Format, vor allem aber gänzlich entzaubert. So wundern die ständigen Tempuswechsel auch nicht, denn das heutige Dorffest liegt in weiter Ferne und vermag mich nicht mehr in die Heimat zu locken. Aber eines bleibt erhalten, der Bloatz. Auch ohne Reisigrauch und Backhaus gibt er noch ein verdammt leckeres Gericht ab. Das Rezept ist zwar sehr aufwendig, aber es lohnt sich.

Wie schon Marx wusste, entsteht der wahre Wert immer aus menschlicher Arbeit. Eine tiefe Einsicht in die (Meta-)Physik der Ökonomie, die im Kochen ihr treffendes Analog findet. Ebenso wie Marx, bin ich zwar kein Marxist, spiele aber gerne mit verschiedensten Theoremen und Paradigmen. Es hat mich dabei sehr erstaunt, wie anschlussfähig viele marxistische Begriffe sind, sogar auf die Sphäre des Kochens lassen sie sich anwenden: Entfremdung, Wertsteigerung, Stoffwechsel und Gebrauchswert sowie Dergleichen mehr.

Bevor es nostalgisch oder intellektuell noch weiter ausufert, geschwind zurück und vor zum eigentlichen Anlass: Das Rezept ist über Jahre mit viel Beratung entstanden und damit wohl ein erster wirklich klassisch zu nennender Beitrag in der Kulinarik. Hier meine lang elaborierte und leicht interpretiere Variante des Nieder-Stöller Bloatz.

Mit besonderen Grüßen in die Heimat, Euer Satorius


Nieder-Stöller Bloatz alá Quanzland

Metadaten des Gerichts 

Kochniveau: 6/10  Dauer: ca. 150 Minuten  Art: Hauptgericht  Kosten: Günstig

Rezept zum Ausdrucken: Nieder-Stöller Bloatz alá Quanzland (PDF)

Zutatenliste

  • 1,2kg Kartoffeln (Vorzugsweise weich kochend, womit ich bei der Kartoffel erstmals unterscheide und damit die weiche Variante in einem Rezept verwende. Alle vorher in Rezepten erwähnten Kartoffeln waren vorwiegend festkochend, falls die Frage bisher entstanden sein sollte)
  • 750g Brotteig (Genauer, ein Natursauerteig wie er für Roggenbrot bzw. Bauerbrot verwendet wird. In der Utopie wird dieser Sauerteig selbst mehrtägig geführt und gefertigt, pragmatischer aber ist er frisch vom Handwerksbäcker zu beziehen oder nötigenfalls kann er auch mit 500g trockener Brotbackmischung aus dem Supermarkt hergestellt werden) 
  • 1 riesige Gemüsezwiebel (Ersatzweise 3 Küchenzwiebeln) 
  • 125g Katenschinken (Wer es noch deftiger mag, kann auch Speck nehmen) 
  • 2 Becher Schmand
  • 1 – 2 EL (Kräuter-)Salz (Regional bzw. national heißt dieses Gericht bewusst Salzekuchen, also persönlich abschmecken und dabei bedenken: Die Menge an Zucker im ordinären Kuchen ist im Vergleich hierzu extraordinär)
  • 1 TL Fleur de Sel (Alternativ Meersalz oder obige Salzsorte)
  • 1 EL schwarzer Pfeffer
  • 1 TL weißer Pfeffer
  • 4 Eier
  • 2 EL Butter oder Margarine
  • (2 EL ganze Kümmelkörner)

Praxis-Anleitung

  1. Den Anfang macht der Brotteig, wo auch immer er herkam. Diesen zunächst nach einem (nochmaligen) Gehen an einem warmen Ort auf ein tiefes, eingefettetes Backblech geben. Solange kräftig andrücken bis die Masse dünn und ohne Rand auf dem Blech verteilt worden ist. Nun mit einer Gabel den Teig löchern und zugedeckt für weitere 45 Minuten zimmerwarm gehen lassen.
  2. Die geschälten Kartoffeln in einem großen Topf mit Salzwasser weich kochen.
  3. Währenddessen die Zwiebel schälen und in grobe (Halb-)Ringe schneiden. Nun den Katenschinken kurz auslassen, daraufhin die Zwiebel in der gleichen Pfanne in dem ausgelassenen Fett dünsten und für später beiseite stellen.
  4. Bei drei der vier Eier Eigelb und Eiweiß voneinander trennen. Danach die drei Eigelb zusammen mit einem Drittel des Schmands, dem weißen Pfeffer und dem Fleur de Sel verrühren. Das komplette Ei und die drei Eiweiß hingegen werden für die Kartoffelmasse aufgehoben.
  5. Nach dem Kochen die Kartoffeln stampfen und dabei die restlichen zwei Drittel Schmand, die aufgehobene Eimasse und die Butter untermengen sowie zuletzt mit (Kräuter-)Salz und schwarzem Pfeffer würzen.
  6. Während der Backofen auf 200° vorheizt wird diese Kartoffelmaße als nächstes gleichmäßig dick auf dem Brotteig verstrichen, mit dem Gemisch aus Schmand und Ei versiegelt sowie mit Speck, Zwiebeln und – sofern gewünscht – Kümmel garniert.
  7. Der fertig geschichtete Bloatz wird zuerst auf der untersten Schiene 5 Minuten bei 200° an- und dann 20 Minuten bei 180° ausgebacken. Ab der Hälfte der Zeit kontrollieren, ob die Zwiebeln verbrennen, um diese bei Bedarf mit Wasser zu bestäuben und dadurch zu retten.
  8. Nach dem Backen den Salzekuchen leicht auskühlen lassen, in rechteckige Stücke schneiden und warm genießen. (Im Kühlschrank aufbewahrt, kann er auf mehrere Tage verteilt genossen werden. Auch Einfrieren ist für einige Monate problemlos, also ohne Aromaverlust, möglich)

 

 

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