Lebensräume, die Zweite: utopsiche(s) Gesellschaft(sbecken)

In der heutigen, abermals anonym aufgetauchten Bilderfolge teilen sich drei (von dreißig; wie eine der Metatext-Redaktion vollständig vorliegende, als Anhang dem Video beigefügte Excel-Tabell belegt) Gattungen (Guppy, Garnele, zwei Schneckearten) einen Lebensraum, der perspektivisch monoton auf eine verwackelte Nahaufnahme beschränkt bleibt. Zusammen damit geradzu minimalistisch anmutend, wird im gesamten Video auf eine Tonspur radikal verzichtet, womit das Sehen absoluten Vorrang erhält.

Als Vorbereitung für die zweite Bilderfolge erlaube ich mir jedoch zunächst, ein kleine Portion an Nervennahrung für den hoffentlich neugierigen Kopf zu kredenzen. So bleibt das anschlißende Video nicht so stumm, zusammenhanglos und unvermittelt, wie es das unkommentiert wäre. Drollig sind die Dutzend Tiere sicherlich, wie sie ihr jeweils natürliches Verhalten zeigen: die quirllige Zwerggarnele (Neocaridina davidi var. „Red-Fire“), die verspielten Guppyjungen (Poecilia reticulata spec.) und die träge dahinschlurfenden zwei Arten an Schnecken-Dudes, die gut sichtbaren, blauen Posthornschnecken (Planorbella duryi) und die nur mit Kennerblick (und mit einem detaillierten Fauna-Inventar als Excel-Sheet) unten rechts erkennbaren (Quell-)Blasenschnecken (Physa fontinalis spec.), die kleinwüchsiger sind und ein längsgewundenes Gehäuse mit goldigen Schimmer ihr Häuslein nennen.

Als Gesellschaft, alle zusammen tun sie das, was dieses Hobby, so spannend und reizvoll macht, sie leben gut miteinander, wie sie eben miteinander leben können und sollen und wollen, also artgerecht und plavoll abgestimmt; währendessen lassen sie uns (ja, zwangsweise – zugegeben) teilhaben an ihrem zufriedenen und friedvollen Zusammenleben. Homöostase und Harmonie herrschen hierbei; jede Art hat ihre Nische, ihre Funktion, sozialverträgliches Futter mitsamt Fressverhalten. Keiner knabbert den anderen also an, eines der wichtigsten, wenn selbst auch nur minimales Kriterien für ein sog. Gesellschaftsbecken. Ruhe und Frieden regieren in einem sozialen Kleinod: Blubber-Spaß und Wohlfahrt für alle!



Polizisten und Richter, Beamte und Politiker braucht es hier nicht, Ordnung und Recht, Effektivität und Gerechtigkeit erhalten sich beinahe von selbst, solange das Becken kompetent betrieben, befüttert und gewartet wird. Eine assoziativ naheliegende, tendenziell bissige Parodie-Analogie zu menschlichen Gesellschaften und dem (Nicht-)Funktionieren innerhalb ihres Lebensraumes drängt sich ebenso stark auf, wie ich diesen Impuls präventiv unterbinde. Mir und euch erspare ich damit ein neuerliches zu tiefes Abdriften in die Diskurse der Nacht, wo doch der Ausgang dieses Artikels abermals recht proto-politisch bis trüb ausfallen wird. Wer mag zusätzlich und willig ist, sich und seiner aktuellen Lebenswelt einen simplifizierenden Spiegel vorzuhalten, der denke über folgenden (Kon-)Text nach: (sozialer) Frieden, Population, Ressourcen(um)verteilung, (Arten-)Vielfalt, (subjektiver) Mangel, Konkurrenz, Grenze und Gewalt.

Um eine nachtdiskursive Allusion und deren Abstraktion komme ich also abschließend nicht herum, wie ich insgesamt merke, dass die Lebensräume eine stärkere Affinität zu den Diskursen der Nacht denn zu den Denkwelten entwickeln. Dabei gäbe es aus der Warte unterschiedlichster Wissenschaften, vieles zum Thema beizutragen: Chemie des Aquariumwassers, Physik der Beleuchtung, Biologie auf all ihren Ebenen, Ökonomie des Betriebs beispielsweise. Noch mehr Lebensräume also, noch mehr unterschiedliche Lebenwesen mithin und somit der ethisch brisante Fragekomplex, den ich bewusst twitterfreundlich auf Englisch ausformuliere: Who’s first – (e)quality for all or quality for some?

Für mich ist die Position hier absolut glasklar: Bedingungsloses Grundeinkommen in Form von globaler Grundversorgung und gleiche Grundrechte für alle primären, sekundären und (unschädlichen) tertieren Bewohner – eine analytisch-funktionale Differenzierung, die im Ideal kein moralisches Gefälle legitimieren soll. Die drei Stufen sind daraufhin rasch damit erklärt, dass der Primärbewohner (Guppy) der Hauptbesatz eines jeden Lebensraumes ist, Sekundärbewohner (Schnecke, „Bodenpolizei“) alle hinzugefügten, anspruchsloseren und z.T. maßenhaft vorkommenden Begleiter mit unterstützender Funktion sind und sich zuletzt die Tertierbewohner (Fliegen, Grillen, Schaben, Spinnen) aus diversen Futtertieren und eingewanderten Nicht-Schädlinge zusammensetzen. Die wirklichen Schädlinge (Planarien, Schimmelpilze, Milben und dergleichen) werden begrifflich gesondert und müssen in der Praxis leider aus katgorischen Gründen bestenfalls sanft reduziert oder schlimmstenfalls hart eleminiert werden. Die Gesetzgebung des Notstands also, wobei die Grenze für diese inanimalische Diskriminierung sensibel, offen und durchlässig, von Situation zu Situation verhandelbar ist, Klugheit muss hier her, und vor allem gilt: VORSICHT – Lebensgefahr! Denn jedes Tier, jede Pflanze, auch jeder Pilz, jedes Kleinstleben oder ganz buddhistisch einfach, jedes Lebewesen, dass unseren Lebensraum gewollt oder ungewollt bevölkert hat, besitzt unverbrüchliche Lebensrechte und diese liegen mitunter qua sog. Intelligenz in unserer Verantwortung als Züchter/Halter/Pfleger/Diener von Lebewesen. Dieses prinzipielle Zugeständnis sind wir der (Um- &Tier-)Welt schuldig: Nichts Lebendes ist eine Ware, nichts ontologisch unser Eigentum!

Euer Hohepriester des Lebens und Administrator seiner Räume, Satorius

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