Terrorexzess mit Text-Fast-Food schädigt nicht nur Baumbestand!

Willkommen in (m)einem zweiten Text,

zu einer der rätselhaften, neueren Entwicklungen im Quanzland dieser Tage wurde mir ein bedenklich stimmender Text zugetragen. Einer Entwicklung, deren Kunde sogar bis über die Grenzen des Landes hinweg die Runde gemacht hat. Von Terror und natürlich fein säuberlich zwischen den Buchstaben versteckter Unruhe ist darin die Rede.

Vielleicht erfahren wir mehr über die Mentalität des Terroristen, wenn einige der mysteriösen Zettelchen von pflichtbewussten Bürgern entfernt oder dank der unermüdlich ermittelnden Wächterpolizisten sichergestellt werden. Aber was erzähle ich Euch! Lest erst einmal selbst, was für eine perfide Melánge aus schnöder Literatur, sophistischer Journalistik, billiger Popkultur und öffentlicher Proklamation – also Propaganda der gefährlichsten Sorte – ich in die Finger bekommen habe.


Der Weg ist gesäumt von kargen, nein kläglichen Winterbäumen und die eisigen Klippen der herannahenden Herausforderungen rauben nicht nur den erbaulichen Fernblick, sondern zuweilen auch etwas mehr, etwas tiefer, etwas weiter drinnen. Dennoch vermag es die farbenfrohe Allianz aus Horizont und Richtung der Atmosphäre etwas milde Euphorie zu spenden, ihr vielleicht sogar den feierlichen Hauch von Utopie zu verleihen.

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Die müden und mutlos gewordenen Wanderer erwarten, wenn sie sich denn auf ihrem Weg zu den Pforten des Quanzlands überhaupt je umblicken, verwitterte, auf den in Laufrichtung abgewandten Flanken der Bäume angebrachte, klitzekleine Zettelchen. Lassen die Erschöpften sich in ihrer Neugierde zugleich zu Neuem erfrischt von ihrem Weg abbringen, so werden sie mit allerlei, scheinbar erquicklichen Sentenzen, Aphorismen und Fragmenten belohnt. Mal von tiefem Geist beseelt, mal verstörend in ihrer Wahrheit, gelegentlich weise erhellend oder doch wie so häufig, verworren und unklar hinter einem Dickicht an Worten. Immer jedenfalls eines interessierten Blickes würdig; Baum für Baum, Schritt für Schritt entspannt sich ihnen rückwärts blickend ein Mosaik aus Facetten menschlicher Geisteskraft. Hier bieten sich also dem unentschlossen Ideentourist, zitatfertig aufs Dichteste hin fein filetiert, die erlesensten Bissen an Text-Fast-Food, welche die großen Ideenschmiede der Menschheitsgeschichte hervorgebracht, haben, selbstverständlich zeitgemäß to go,… but more then to-go,… to think-about.

„Bravo, welch couragierter Sozial-Aktionismus!“, könnte man bis hierhin vielleicht denken. Doch weit gefehlt, werte Mitbürger, etwas böses geht um! Was Tatortfoto und Bericht bisher bewusst und euphemistisch ausgespart haben, zerstört jeden Anflug von Anerkennung für diese Installationen sofort und endgültig. Es spuken nämlich unter diesen vermeintlich erhellenden Geistern  sehr viele gefährliche Gespenster umher, die mit versteckter aber um so spöttischeren Bitterkeit bewaffnet, subtilen Weltschmerz säend zu düsterstem Grübeln verführen. Diese inhaltliche Ambivalenz gibt neben den fatalen praktischen Folgen für den wertvollen Baumbestand, denn die klitzekleinen Zettelchen sind grotesker Weise mit vier bleiernen Kleinstheringen angebracht, großen Anlass zur Sorge um das öffentliche Wohl. In Teilen der Administration sieht man sogar die nationale Sicherheit gefährdet und fordert härtere Gesetzte sowie einen höheren Etat der Wächterpolizei. Aus diesem aktuellen, wie tief erschütternden Anlass bittet die Administration alle wachsamen Mitbürger um sachdienliche Hinweise, die zur Aufklärung der Täterschaft dieser Straftaten beitragen könnten.

Aus internen Quellen sickerte die kurz vor Redaktionsrotation die Information durch, die Taten hätten einen terroristischen Hintergrund. Sogar von einem Bekennerschreiben sei hinter vorgehaltener Hand die Rede. Es gehe dem mutmaßlichen Einzeltäter mit seiner Aktion um zweierlei: Sowohl um einen „radikalen Aufruf zum Meinungspluralismus, der aber zugleich die intellektuellen Traditionen der mannigfachen Kulturen ernstnimmt“ [Bekennerschreiben: S. 1, Vers 23f.]. Zum anderen um einen (land-)wirtschaftspolitischen Protestakt gegen privatisierte Monokulturen an hässlichen aber ertragreichen Winterbäumen. „Die demütige Schönheit der natürlichen Natur darf nicht weiterhin so schamlos einer kommerziellen Schnödheit der kulturellen Natur geopfert werden“ [Bekennerschreiben: S.83 und vgl. Fußnote 23 auf S.43], so das zweite derzeit vorliegende Zitat aus dem in seiner Existenz noch nicht bestätigten Schreiben. Hoffen wir, dass diesem Öko-Sozio-Terroristen schnell das Handwerk gelegt werden kann. In der Zwischenzeit ist jeder rechtschaffende Bürger dazu angehalten, das mysteriöser Weise immer wieder überall von Neuem angebrachte Text-Fast-Food im Sinne des Gemeinwohls zu entfernen und gut verwahrt bei der nächsten Dienststelle der örtlichen Wächterpolizei abzugeben.

Ob mit oder ohne gut verwahrten Beweismitteln für unsere treuen Wächter, das bleibt natürlich deine persönliche und freie Entscheidung. Jedoch werden diejenigen, welche zur Wahrung der Sicherheit und Ordnung beitragen, mit einem großzügigen, einjährigen Loyalitätsbonus auf ihr persönliches Grundeinkommen belohnt. Sei also frei und zugleich klug, denn das ist pragmatische Rechtschaffenheit und diese ist einer der wichtigsten Grundpfeiler der Quanzländischen Kultur. Also Vorsicht werter Wanderer, aber vor allem treuer Mitbürger, verweile nicht zu lange an solch Orten von Delinquenz und Subversion. Begib dich lieber geschwind zurück auf den guten, direkten Weg zu deine Tageszielen; und zu den Pforten eines tugendhaften Quanzlands, auf das wir alle zurecht Stolz sein können und stolzer sein werden, und sicher dir nebenbei deinen Bonus noch heute!


Was ist in meiner Heimat passiert, wenn derartige Nachrichten selbst hier am Rand der Welt, also noch kilometerweit vor den nominellen (Staats-)Grenzen von Quanzland, bereits so bedrohlich tönen? Ich werde wirklich unsicher, ob die Zeit für eine Rückkehr bereits reif ist, versuche aber trotz dieser Neuigkeiten zuversichtlich zu bleiben. Ob wir wohl auch etwas von diesem Text-Fast-Food oder besser diesen bewusstseinsverändernden Textbomben zu fassen bekommen. Ich jedenfalls bin sehr neugierig. Immerhin dieser Trost bleibt mir an diesem Punkt des Weges, womit dieses unwürdige Textstück oben tatsächlich ein profundes Stück Wirklichkeit darstellt.

Nach dieser Eröffnungsetappe unserer gemeinsamen Reise nach und später durch Quanzland ist dennoch überraschende, erste Ernüchterung eingetreten. Nachdem wir so frohgemut vor knapp einem Monat zufällig am Hafen einer unbedeutenden Stadt, an einer ebenso unbedeutenden Küste eines hingegen sehr bedeutenden Kontinents angekommen waren, war viel Zeit vergangen. Bei einem flüchtigen und sehr einseitigen, aber zufälligen und unverbindlichen Gespräch war die Rede von seltsamen Themen (Denk-Welten, Kulinarik, etc.) und von komischen Phrasen: einer wachsenden Welt, verantwortungsloser Freigeistigkeit, geistigen Tänzen. Meine Güte war da ein Stilfindungs- und insgesamt Orientierungsprozess noch unvollkommen. Nun aber hat sich das Chaos sortiert und die seltsame Abstraktheit der Welt sich damit weitgehend gelegt. Damit entstehen nun immer vertrautere Formen und Inhalte von Text und Welt.

Jeder ist in der Zwischenzeit seinen Geschäften nachgegangen und hat also auch eigene Reisevorbereitungen getroffen. Ein kleines Stück des gemeinsamen Weges sind wir nun zusammen gegangen. Aber wie es auf Reisen so ist jeder hat seine eigene Pläne und Interessen. Wir bleiben aber definitiv digital verbunden, auf der Reiseroute nach Quanzland. Ich als Rückkehrer, ihr als Touristen, werden sich unsere Wege  unweigerlich wieder kreuzen. Und achtet auf dieses womöglich wirklich lesenswerte Text-Fast-Food. Wenn ich was in dieser Richtung aufschnappe, gebe ich umgehend Nachricht davon.

Bis die Tage an einer anderen Wegeskreuzung, Euer Satorius

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