Ruhe und Frieden
Sechster Teil: Seiten 17 – 21
Was hatte sie bisher zusammengetragen? Selbstsorge und Sparsamkeit fielen ihr rasch ein; dann, nach einigen Sekunden, Stärke – und ja, was noch – bevor sie mental verkrampfte, entspannte sie sich bewusst mit ein paar tiefen, ruhigen und vollen Atemzügen. Genau, das waren sie: Autonomie, Erfahrungswissen und Übersicht. Oder fehlte doch noch etwas? Noch einmal kurz und knapp in schneller Folge: Selbstsorge, Sparsamkeit, Stärke, Autonomie, Erfahrungswissen, Übersicht. Ach, die Pragmatik war ihr entfallen, also das alles und Pragmatik.
Gut erinnert, lobte sie sich – aber genug davon, es gab nun wichtigere Aufgaben. Sie musste rasch weiter, sonst würde aus einem zu langen Weg, eine zu kurze Nacht. Sie war entschlossen und lief abermals los. Nicht jedoch ohne die letzten Meter des sicheren Hochplateaus für abschließende Gedanken zu ihrem Ordnungssystem zu nutzen.
Die fünfte und letzte Gruppe forderte sie im Kampf wohl am heftigsten heraus, stellte aber für ihre Wahrnehmung, ihr Gefühl und die geistige Gesundheit eine weit geringere Belastung dar. Roboter, Androiden, Drohnen, Verteidigungsanlagen und eigenständige Kampfsysteme gab es überall dort, wo sich fette Beute machen ließ. Da nur gut gesicherte Hochtechnologie die Katastrophe überstanden und die letzten Jahrzehnte überdauert hatte, waren ihr diese Exemplare in Hinblick auf Kampfkraft mindestens ebenbürtig. Als Spitze einer brachial abgebrochenen Technikevolution übrig geblieben, musste sie in den Konflikten mit diesen Maschinen all ihr Können und große Teile ihres Arsenals einsetzen, um am Ende als Siegerin dazustehen.
Eine besondere Herausforderung war in solchen Situationen, klug und besonnen zu bleiben, obwohl ein schwer zu besiegender Wächter die berechtigte Erwartung auf entsprechende Reichtümer weckte. Sie neigt wahrlich nicht zu Gier, aber je besser ein Ort geschützt war, desto größer war zumeist die Belohnung. So konnte die Beute, die am Ende eines derart kritischen, nicht selten lebensgefährlichen Einsatzes stand, für sich alleine mehr Geld einbringen, als Tonnen an Standardtechnik; mehr jedenfalls als die typischen Bewohner der Lebenszonen mit einem Jahr harter Arbeit verdienen konnten. Deshalb waren ein hohes Maß an Selbstbeherrschung und ständige Risikoabwägung gefordert. Mit diesen beiden hatte sie die nächsten wichtigen Überlebensprinzipien gestreift und setzte sie ans Ende der spontan nochmals wiederholten Liste.
Hier draußen war wirklich was los, vermeintlich klare Klassen hin oder her, das Bestiarium war reichhaltig: Zombies, von plump bis agil; ebenso zu Biowaffen mutierte oder als solche konstruierte Tiere und Pflanzen, von verblüffend über unangenehm bis tödlich; die ursprüngliche Flora und Fauna, die auch nicht eben harmlos waren; degenerierte Psychopathen, Gesetzlose und Wilde, die im Vergleich zu Zombies und Tieren auch noch intelligent waren, sich jedoch so weit von Moral und Menschlichkeit entfernt hatten, dass mit ihnen nicht friedlich auszukommen war; zuletzt die Welt der Technik.
Innerhalb und zwischen diesen fünf Gruppen, deren Zweige sich ständig erweiterten, verbanden und wieder vereinzelten, hatte sich ein konfuser Wirrwarr entwickelt. Jede Todeszone war anders, jede Todeszone war gleich. Ein Team aus Biologen und Soziologen hätte viel Arbeit darin, das Chaos hier draußen mal zu analysieren und ordentlich zu klassifizieren. Sie jedoch wälzte diese Gedanken hauptsächlich aus praktischem Interesse, die Wissenschaft überließ sie anderen. Kenne deine Feinde, ihre Stärken und Schwächen, war die passende Regel, die ihr hier draußen das Überleben sicherte. Da steckten als Prinzipien doch mehr dahinter als nur Übersicht und Erfahrungswissen, aber was noch?
Während sie so überlegte, wurde sie sich erst erstaunt dann frustriert bewusst, dass sie zuvor nur wenige Meter gelaufen, dann langsamer geworden war und seit über einer Minute schon wieder reglos dastand. Die unzähligen Tiere, die sie nun krabbelnd, kriechend und auf sich sitzend entdeckte, waren Beleg dafür genug, aber kein Grund zur Sorge. Sie schüttelte sich ruckartig und streifte danach die übrigen Tiere, die hartnäckig weiter an ihr klebten, sorgsam und respektvoll von Xentar ab.
Dass nur noch ein paar Meter Strecke vor ihr lagen, vermutete sie sodann und ging kräftigen Schrittes weiter. Dabei bahnte sie sich mühsam ihren Weg durch Gestrüpp und tief hängendes Astwerk. Ohne Muskelverstärkung stellte sich ein Spaziergang durch die Wildnis als anstrengender heraus, als sie gedacht hätte. Vorhin war ihr das nicht aufgefallen, obwohl die Strecke kaum anders gewesen sein konnte. Nur Schritt für Schritt kam sie voran.
Ihre weitschweifigen Überlegungen waren zuvor an einem toten Punkt angekommen, von diesem aus hatte sie nicht mehr weitergedacht – genug des Nachdenkens, gelobte sie sich abermals. Eben hatte sie sich dem Rand des Plateaus bis auf weniger als einen Meter genähert, ihn noch immer nur erahnend.
Ohne den Helmscheinwerfer wäre es gefährlich geworden, denn der dichte Pflanzenteppich verhinderte jeden Überblick, hing sogar lose merklich über den Abgrund hinaus. So aber war sie rechtzeitig stehengeblieben. Nun blickte sie in den metertiefen Abgrund, anstatt ihn nur zu ahnen. Gute vier Meter ging es an dieser Stelle fast senkrecht hinab und jetzt sah auch wieder den Baumriesen, der ihr vorhin als Orientierung gedient hatte.
Damit an ihrem ersten Etappenziel auf dem Rückweg angekommen, stemmte sie sich gegen einen jungen aber kräftigen Baum – vielleicht eine Morlaeiche? Sie umschlang ihn und lehnt sich leicht über den Abgrund. Trotz der geschlossenen Rüstung, spürte sie die raue Rinde, roch den süßen Duft der verschlossenen Blüten zu ihren Füßen. Darunter mischte sich der herbe Geruch frischen Harzes. Die zuvor so aufdringlichen Geräusche der Tierwelt wurden nun durch den Wind übertönt, der hier oben insgesamt und besonders hier an dieser Stelle sehr kräftig war. Er pfiff laut durch die kaum drei Meter breite Schneise zwischen den zwei Wäldern, welche durch einen wüsten Streifen und den felsigen Abhang voneinander getrennt wurden.
Dahin war ihr kaltes Interesse an einem bloßen Namen für diesen Baum, beendet ihr Sinnieren über Prinzipien und ihr Abdriften in schöne und hässliche Erinnerungen. Sie betrat gleich den steinigen Boden der Realität, die Friedenszeit war beinahe vorüber und vor ihr lag unbestimmt viel Weg. Der Preis für diese selbst verschuldete Verspätung würde ein zweifacher sein: weniger Schlaf und mehr Energieverbrauch.
Nun schaltete sie das künstliche Licht wieder aus und zog sich noch weiter hinauf in den überhängenden Baum. Über ein paar dünne Äste gelangte sie rasch in die knapp fünf Meter hohe Krone. Hier oben stand der Baum schon über einen Meter schräg über dem damit noch tieferen Abgrund. Die Aussicht von hier über die Bergflanke hinweg in das nächste Tal und die Ferne war beeindruckend:
Der Mond brach mehrfach kurz durch die Wolken, die eilig über den Nachthimmel glitten. Sie konnte den dunkel vor ihr liegenden Wald kilometerweit überblicken; Nebelbänke zogen hier und da träge über ihn hinweg, schlängelten sich zwischen den vereinzelt stehenden Baumgiganten hindurch. Einzelheiten konnte sie dabei keine ausmachen, wie auch. Wo die Schlaglichter des beinahe vollen Mondes hinfielen, entsponnen sich fantastische Bilder, erkennen aber konnte sie nichts.
Gebannt von diesem Schauspiel, lies sie in ihrer Vorsicht nach. Zu einem schlechten Tag kamen schlechte Erinnerungen und reichlich Versuchung, sich darin zu verlieren – Kopf hoch, morgen würde wieder ein besserer Tag, sprach sie sich gütig und tröstend zu. Danach genoss den Fernblick über das düstere Wunderland, ließ sich darin einspinnen.
Eine Böe fegte plötzlich hinab, erfasste den Baum voll; ein leises Knacken, ein lautes Krachen und alles begann zu fallen. Sie fiel.
In diesem Moment war unvermittelt ein Ast des jungen Baumes gebrochen, der Ast, auf dem sie bis eben gestanden hatte. Auch von den zwei Haltepunkten ihrer Hände war damit einer verloren gegangen, der verbliebene konnte ihr Gewicht kaum halten. Weniger als zwei Sekunden, dann knickte er ab und alles stürzte hinab in die Tiefe.
Sie hatte gut neun Meter freien Fall vor sich, bevor sie auf den spitzen Felsen am Fuß des Steilhangs aufkommen und dabei zerschmettert würde. In einem jahrelang trainierten Instinkt wollte sie mit einer simplen Geste technische Unterstützung herbeizaubern, scheiterte aber an dem störenden Astwerk, das sie auf ihrem Fall begleitete. Sie versuchte eifrig sich aus der hölzernen Umklammerung zu lösen und verlor dabei wertvolle Meter an Flughöhe. Nichts zu machen, überall um sie herum war es Grün und Braun. Zusammen mit ihr war wohl mehr als nur ein Ast über die Klippe gestürzt. Was konnte sie jetzt noch tun? Erst hoffen, dann abrollen, dachte sie noch scherzhaft, während sie sich über das Ausbleiben jeglicher Lebensfilme oder bedeutsamer Erinnerungsszenen wunderte. Ihren Tod frei von solchen Klischees zu wissen, war ein widersinniger Trost, aber ein Trost. Denn bald musste es soweit sein. Wie lange sie wohl flog, fragte sie sich besser gar nicht erst. Das war es jetzt also, lahme Fragen, mehr nicht und dann?
Nun kamen sie doch, die Nahtoderfahrung: Sie sah sich, von außen, gestochen scharf; kurz sogar ihren zukünftigen Aufprall auf einem steinigen Boden, der tatsächlich aber unausweichlich weiter auf sie zuraste. Sie fürchtete die brachialen Schmerzen, die sie vor der rettenden Ohnmacht noch heimsuchen, noch quälen würden. Der Schub an Erinnerungen blieb wirklich aus, stattdessen erlebte sie jedoch die langsamsten und intensivsten Sekunden und Meter ihres Lebens:
Jedes Atom um sie herum gewann unendliche Bedeutung. Sie wuchs, wandelte sich, wurde eine andere, sie hatte genug Aufmerksamkeit für alles: den grauen Stein, durchzogen von weißen Schlieren; die Mückenschwärme, gierig auf ihre fette Beute; den im Mondlicht purpurn schimmernden Ajaxfarn, dort unten am nahen Waldrand; auch die wenigen Todraucher, mit ihren kecken Hütten, den orangefarbenen Punkten; die Unmengen namenloser Tiere und Pflanzen um sie herum, das alles sah sie absolut klar und scharf trotz der herrschenden Dunkelheit. Sie schaute vermeintlich in das Wesen der Dinge. Nach einer Unzeit weise geworden, erblickte sie überall die Schleier der Existenz, wie sie wild flatterten und für sie durscheinend geworden waren, als sich plötzlich wieder alles änderte: Zeit und Raum forderten ihr Recht ein.
Aus ultimativer Achtsamkeit gerissen, glitt sie zurück, hinein in den dunklen Abgrund ihres inneren Selbst, zurück ins Gefängnis ihres fallenden Körpers. Dort wurde sie wohlig und warm empfangen, ihr Leib pulsierte schier vor Wonne, ein einziger Rausch durchströmte sie. Nicht lange war ihr vergönnt, darin zu baden, schon ebbte die Lust ab. Die Dunkelheit wurde intensiver, wurde tiefer, dichter, absorbierte sie.
Schon war die Stille vollkommener, als sie das jemals in einer Meditation erlebt hatte. Immer dunkler, immer glatter, immer leiser, immer steriler, immer leerer, immer weniger – schlussendlich pures Nichts.
#RM1 @ Ästhetische Erkenntnistheorie
Gegen TTIP/CETA und für (digitale) Politisierung
Da ich meine Zusage gegenüber der Metatext-Redaktion, aktiver und produktiver mit den Diskursen der Nacht umzugehen, weiterhin nicht so recht ernstgenommen habe, hole ich das jetzt aus wirklich ernstem Anlass nach. So kurz vor der zweiten Abrechnung der Metatext-Redaktion mit mir und meiner Leistung oder, schöner gesagt, dem 1. Jahresjubiläum von Quanzland, gibt es neben vielen anderen einen besonderen Anlass zur Sorge und damit einen Grund für politischen Aktivismus.
Auch wenn Quanzland ein Ort von Zweckfreiheit und Weltvergessenheit ist, beidem gleichsam mit semantisch-ästhetischer Spielereien nachgegangen wird, es muss Ausnahmen geben. Was also bringt mich dazu, Ernst und Fakten den Vorrang vor Fiktion und Eigensinn zu geben?
Es geht nicht um die drängende und eskalierende Flüchtlingsproblematik; auch nicht um die Zerrüttung Europas von innen und den Niedergang der (hiesigen) politischen Kultur; ebenso nicht um neorealistische Renaissance in der internationalen Politik, wobei die Stichwörter Ukraine, Naher Osten, Afrika und Südostasien kurz aufblitzen; sondern um TTIP und CETA.

Quelle: http://www.know-ttip.eu/wp-content/uploads/2014/01/flyer_ttip_wahlzettel.pdf [Rev. 29.09.15]
Einige erinnern sich vielleicht noch düster und etwas vage an das sog. Fracking oder die einst so medienwirksam inszenierten Chlor-Hühnchen, vielleicht sogar an die dadurch drohende Suspendierung von Rechtsstaatlichkeit und nationaler Souveränität. Manch einer ist womöglich mit einem unzeitgemäßen Langzeitgedächtnis gesegnet, was Politik und deren Kritik angeht, und sieht in solchen Verhandlungen eine teilweise Neuauflage des 2012 zurecht gescheiterten ACTA-Vertragswerks, nun halt auf bilateraler Ebene. Was aber ist in der breiten, medialen Öffentlichkeit noch übrig geblieben von der berechtigten Empörung, wieviel konnte mit staatsbürgerlichem Prostest erreicht werden und vor allem kann noch erreicht werden? Ich hoffe in beiden Fällen: Einiges, wenn nicht Vieles. Denn ohne einen öffentlichen Diskurs über solche hochbrisanten Themen, fehlte jeder Demokratie ein wichtiges Korrektiv, mangelte es unseren politischen Systemen an seiner Voraussetzung.
Bevor ich mich in oberflächlicher Polemik oder theoretischem Kleinklein verliere, komme ich nun langsam zum Kern dieses Artikels. Da die Debatte um die fragwürdige Thematik etwas zu erlahmen scheint, zu Recht und zu Unrecht von anderen Themen verdrängt wird, gilt es aufmerksam zu machen. Auch stehen hierbei die allgemeineren Fragen zur Debatte was dieser Tage politisch ist und wie man heutzutage politisch sein kann?
In einem reflektierenden Klimax möchte ich darauf versuchen zu antworten: Neugierig zu sein, sich daraufhin quellensensibel zu informieren, bildet die unerlässliche Basis; brave wählen zu gehen, schadet erstmal auch nicht; mit seinen interessierten Mitmenschen über allgemeine und spezielle Politiken zu reden, die Desinteressierten zurückhaltend für solche Gespräche zu begeistern und dabei für seine Überzeugungen einzutreten, ist auch nicht eben unwichtig, ohne dabei – selbstredend – die Meinung des Gegenüber respektlos, damit ohne gutmütigen Versuch des Verständnisses abzulehnen oder zu erzwingen; sich politisch zu engagieren, also eine Initiative persönlich zu unterstützen, damit auf den diversen verfügbaren Wegen mit politischen Entscheidern zu kommunizieren, zu protestieren, petieren und demonstrieren, kann sicher schon etwas mehr bewegen; gar eine solche Beschwerde selbst auf den Weg zu bringen, eine Bewegung zu gründen oder zu finanzieren, eventuell einer Partei beizutreten oder sich in der (Lokal-)Politik selbst zu bemühen, sorgt bereits merklich für Einfluss und ermöglicht gezielte Veränderung; mit offenem Angriff und Leidenschaft politisch motiviert tatsächlich Leiden zu schaffen, auf die Barrikaden zu gehen, zu kämpfen, schießt hingegen definitiv über Ziel hinaus – aktuell jedenfalls; ultimativ und paradox zugleich ist schließlich, nichts zu meinen und nicht handeln, nicht entscheiden zu wollen.
Aus dieser Bandbreite und deren ungesagten Zwischentönen hat jeder Bürger eines politischen Systems zu wählen. Wer sich, wie angedeutet, einer solchen Wahl verweigert, in dem er sagt, er sei eben nicht politisch und habe keine oder zu wenig Ahnung von sowas, noch gar Lust auf Politik, denn man könne doch sowieso nichts verändern, auch der ist ungewollt politisch. Politisch neutral zu sein, Nicht-Meinen und Nicht-Wählen sind genau wie Nicht-Kommunizieren eine performative Unmöglichkeit. Agiere ich nicht, unterlasse ich also meine Partizipation, tun andere es für mich mit und erfreuen sich meines delegierenden Schweigens. Als Element eines jeden (wirklich politischen) Systems bin ich, ob ich das will oder nicht, immer Teil von dessen sich selbst regulierender Dynamik.
So, genug der Reflexion und der Missionierung gegen die grassierende Krankheit der Politikverdrossenheit – was also kann man konkret im Falle von TTIP und CETA tun? Informieren, Kommunizieren und Agieren sind möglich und nötig: Einige Ressourcen dafür habe ich für Euch in einer kleinen Linksammlung zusammengestellt. Zudem hängen noch Links für einen allgemeinen, bequemen Weg in die Welt der digitalen Bürgerlichkeit an. Und keine Sorge, auf Parteienwerbung verzichte ich, denn es geht um die Sache und nicht um beliebige Bekenntnisse.
Wer das Kritisierte nach Lektüre, Nachdenken und Meinungsbildung noch gut findet – nun, gut – auf dessen Meinung bin ich schlicht gespannt: also gerne her mit Kommentaren zum Thema, welcher Couleur auch immer.
Mit Lust, Neugierde und Hoffnung, Euer Satorius
Information
- http://know-ttip.eu/home/
- http://know-ttip.eu/ceta/
- http://www.umweltinstitut.org/themen/verbraucherschutz-ttip/verbraucherschutz-uebersicht.html
- https://stop-ttip.org/de/wo-liegt-das-problem
- Offener Brief an die EU & Open Letter to the EU
- Rechtsgutachten TTIP/CETA
- Alle Zeitungen und Online-Medien bieten weitere Artikel und Quellen, denn die hier versammelten Texte sind bewusst einseitig gehalten
Aktion
- https://www.umweltinstitut.org/stop-ttip/
- https://stop-ttip.org/de/
- https://www.campact.de/ttip-ebi/ebi-appell/double-opt-in/
- https://www.change.org/p/bundesverfassungsgericht-b%C3%BCrgerklage-gegen-ceta
- Vollmacht für Verfassungsbeschwerde
Quelle: http://ttip-demo.de/home/ [Rev. 29.09.15]
Digitale Demokratie (Petition, Kommunikation)
Inoffizielle Plattformen
Offizielle Kanäle
- http://www.bundesregierung.de/Webs/Breg/DE/Startseite/startseite_node.html
- https://epetitionen.bundestag.de/
- http://www.petiport.europarl.europa.eu/petitions/de/main
- Kontakt zu ihrem regierenden Politiker des Vertrauens, ob auf Ebene der Gemeinde, des Landes oder des Bundes.
Teil 5 – Düstere Gedanken im tiefdunklen Wald
Ruhe und Frieden
Fünfter Teil: Seiten 14 – 17
Aus den Gedanken kehrt sie in die Wirklichkeit zurück. Ihre Sicht reichte nicht mehr weiter als einige Meter, aber das war etwas. Was war denn das dort vorne, ein paar Meter voraus? Ach, eine sportliche Herausforderung tat sich ihr auf, diesen fast meterhohen Stein dort musste sie einfach überspringen: Konzentration – und Sprung! Ha, wenn das nicht sogar etwas zu leicht gewesen war, dachte sie nach der eleganten Landung. Sie lief mittlerweile nur noch im Trab und hatte deshalb einen kurzen Sprint eingelegt. Nun musste sie bereits kopfhohes Gestrüpp durchkämen und sich stellenweise durch engstehende, halbhohe Bäume zwängen. Dabei wich sie immer mehr Exemplaren aus, die sie überragten, und war jetzt nur noch geschätzte 50 Meter vom Ende des Hochplateaus entfernt. Ohne Vermessung und dafür nötigen Technikeinsatz konnte sie hierbei nur Erfahrung und Wahrnehmung intuitiv kombinieren und musste vertrauensvoll raten; aber das tat sie mit Genuss.
Also, wobei war sie eben von der spontanen Lust auf den Sprung über den Stein unterbrochen worden? Ach ja, sie hatte über die Gegner nachgedacht, denen gegenüber sie kein nachsichtiges Verhalten an den Tag legen wollte, Instinkt und Reflex hin oder her. Eigentlich waren ihre mentalen Vorsätze vorhin andere gewesen, aber solange sie vorsichtig war, konnte sie sich noch ein wenig mit Nachdenken ablenken. Da das mit dem Kampfbewusstsein sowieso nicht klappen wollte, warum sich weiter abmühen und frustrieren. Zusätzlich zu ihrem Vorsatz, ihre verwirrend vielen Überlebensregeln zu leicht merkbaren Wörtern zu bündeln, konnte es nicht schaden, auch ihre Erfahrungswerte im Umgang mit ihren Kontrahenten zu überdenken. Das war zu nett gedacht, viel zu nett – fuhr sie sich impulsiv und fahrig zugleich in ihre Gedankenkette: Sie hatte es nicht mit Kontrahenten zu tun, sondern mit Monstern, Bestien, mit abscheulichen Ungeheuern.
Es gab kaum richtige Kämpfe zwischen den verschiedenen Arten, nur das übliche Fressen und Gefressen-Werden, wobei die ursprüngliche Natur sich, soweit sie das mitbekommen hatte, angepasste und damit den neuen Gattungen untergeordnete. Erst durch Menschen wie sie, die Widerstand leisteten und sich nicht einfach fügten, entstanden wirkliche Kampfplätze und ernsthafte Schlachtfelder. In solchen Situationen fürchtete sie sich nur noch mäßig, auch wenn das eine hart erkämpfte Abstumpfung war; hin und wieder sogar derart wenig, dass sie im Gegenteil mit den tumben Viechern spielte und sie dazu allererst provozierte. Einzelne Schlurfer oder kleine Gruppen hielt sie besonders gerne zum Narren. Größere Ansammlungen hingegen oder die stärkeren Exemplare wie Schleicher und Schlächter umging sie klugerweise weiträumig. Dass Schlurfer und auch Schreier immer häufiger in Rudeln und sogar Horden auftraten, war nicht immer so gewesen und musste von ihr hingenommen werden, es würde sich so schnell wohl auch nicht mehr ändern. Es war eine ebenso verderbliche Entwicklung, wie sie gewöhnlich geworden und damit kalkulierbar war. Hier, tief in den Wäldern trieben sich allerdings nur wenige Gegner dieser ersten Klasse herum, der Klasse in ihrem losen System, für deren Mitglieder sie wenig Rücksicht kannte. Sie hielt sich derzeit zum Glück im Reich von einigermaßen unverdorbener Fauna und Flora auf; die zweite und dritte Klasse herrschte hier im Herz der Wildnis. Das brachte jedoch den entscheidenden Nachtteil mit sich, das hier auch wenig Wertvolles zu erbeuten war. Deshalb diente dieser Abschnitt ihrer Route als Abkürzung und zugleich als eine Art Ausgleich zu der Tristesse der üblichen Ruinenlandschaft, in der die eigentlichen Schätze auf sie warteten.
Konnte sie den gewiss sinnvollen, das Überleben sichernden Überlegungen irgendein Prinzip entlocken und in ein vielleicht zwei knappe Worte verpacken? Vielleicht Erfahrung, Übersicht oder gar Wissenschaft dachte sie rasch und war beinahe schon zufrieden. Jedenfalls war es sehr wichtig, die Vielfalt an Gegnern, deren Eigenschaften und die mit ihnen gemachten Erfahrungen zu sammeln und gründlich zu ordnen, um daraus praktische Schlüsse für zukünftige Kämpfe ziehen zu können. Es galt, durch Nachdenken die Übersicht zu wahren. Außerdem, die Schrecken zu benennen und sie in eine einfache Ordnung zu pressen, nahm den furchtbaren Erlebnissen einiges an Druck, half ihr, sich von ihnen zu distanzieren. Erfahrungswissen und Übersicht erschienen ihr als gute Kandidaten für ihre Sammlung, waren zugleich so betrachtet gleichzeitig Anlass und Ergebnis.
Weisheit und Zweifel geboten ihr allerdings, das Leben und besonders das sinnverwirrende Unleben nicht übertrieben zu vereinfachen, es also mit der Verallgemeinerung nicht zu übertreiben. So wurde sie trotz aller Ähnlichkeiten immer wieder jäh überrascht, mit jedem Tag ein wenig und in jeder Region allemal. Das galt insbesondere für die Wesen, die sie Schlächtern getauft hatte. Die obszöne Königsklasse der menschgemachten Monstrositäten überbot alles, was sie bisher auf ihren ausgedehnten Touren hatte erdulden müssen. Die Begegnungen mit ihnen waren selten, aber von so unbeschreiblichem Grauen, dass sie mitunter das Traumatischste waren, was sie auf ihren Beutezügen erlebt und danach zu verarbeiten hatte. Bevor sie bei ihrer momentan ziemlich angeknacksten Verfassung einen weiteren Zusammenbruch riskierte, schob sie einen mentalen Riegel vor dieses Thema und beließ es bei dem bloßen Namen.
Dann gab es noch die vierte Gruppe, ungefährlich und hochgefährlich: Menschen mit verdrehten Ansichten und bizarren Lebensweisen. Gewöhnlich waren sie wenigstens oberflächlich nicht so heftig entartet, zudem waren sie ihr technisch häufig derart unterlegen, dass sie keine physische Gefahr bedeuteten. Da sie aber im Unterschied zu den ersten drei Klassen in ihrem Tun eine echte Wahl hatten, sich auch hier draußen in den Todeszonen noch immer bewusst selbst bestimmen konnten, war ihr Verhalten schwer verständlich, nicht nachzuvollziehen und dadurch eine kaum erträgliche psychische Belastung. Die Bestien der ersten Klasse flößten ihr Abscheu und Ekel, nicht selten auch mal echte Furcht ein, das war nicht zu leugnen; auch sie ihren wollten ihren Tod, aber die humanoiden Bestien taten trotzdem weit mehr, sie zertrümmerten ihren Glauben an das Gute im Menschen, erzeugten nicht nur tiefe Empörung, sondern Zorn und Hass. Diese gefühlsmäßigen Zustände zu ertragen, war viel schlimmer und ließ sie manchmal an ihrer Entscheidung zweifeln, dem, was an Zivilisation noch übrig war, den Rücken zuzukehren und auf sich selbst gestellt in Freiheit zu leben. Ihr Lebensstil, ihre Umgangsformen hatten sich auch verändert, seit sie die meiste Zeit alleine durch die Todeszonen streifte – natürlich. So verwerflich und krank jedoch, wie diese Psychopathen lebten, würde sie aber trotz der Schroffheit und Verschrobenheit, die sich bei ihr durch die unablässige Einsamkeit unvermeidlich eingeschlichen hatten, nie werden. Das ließ sie keinesfalls geschehen, niemals. Von zehn Menschen, die sie hier draußen im Durchschnitt in einem Monat traf, würde sie sieben, also mehr als die zwei Drittel, dieser Gruppe zuordnen, schätze sie aufgrund jahrelanger, ernüchternder Erfahrung.
Der vorhin nach dem Käferangriff gefasste Vorsatz, ihren Helm bald aufzusetzen, blieb wirkungslos. Dabei befeuerte sie ihre Sturheit, verwirrte sie die lästige Zerstreutheit, die sie heute ungewöhnlich hart heimsuchte. Von Schmerz genötigt und von Einsicht geleitet, wollte sie das nun also nachholen.
Nachdem sie angehalten und daraufhin die Insekten wild mit den Armen um sich schlagend vertrieben hatte, war es so weit: vorbei der echte, intime Kontakt zur Umwelt. Technische Sicherheit war ihr Lohn für den Verzicht.
Sie nahm den Helm vom Gürtel, der sie wie der Rest der Rüstung auch deaktiviert in mattem Dunkelgrün tarnte, und setze ihn routiniert auf. Ein vernehmliches Klicken erklang, gefolgt von einem kurzen Zischen. Hinter dem halbrunden Oval des Frontschirms, der ihr in seiner makellosen Transparenz ein uneingeschränktes Sichtfeld bot, war sie nun vor schädlichen Einflüssen von außerhalb geschützt. Auch ihre Atemluft wurde von nun an gefiltert, bevor sie in ihre Lungen strömen durfte. Alles jedoch weiterhin ohne den Einsatz höherer, aktiver Techniksysteme – also blieben ihr weiterhin ein paar wenige Korridore in die Wirklichkeit um sie herum, die Natur, den Wald.
Umwege durch die tiefe Wildnis genoss sie sehr; immer wenn sich ihr die Gelegenheit dazu bot, machte sie Ausflüge auf diese Inseln. In einem weltumspannenden Ozean an Stadtruine war sie eben manchmal reif für einen Ausflug auf die Insel. Die Naturlungen waren solche Orte der Erholung und das Beste, es gab sie weltweit, sogar recht gleichmäßig über den Planeten verteilt. Bei der Planung ihrer Touren baute sie gewohnheitsmäßig mehrere Aufenthalte dort ein, genehmigte sich unterwegs zudem noch spontane Ausreißer dorthin; sodass am Ende bisweilen ihr lockeres Zeitmanagement zu einer größeren Herausforderung wurde als die Bewältigung augenscheinlicher Gefahrenquellen.
Weiter also – beschloss sie konsequent und fuhr fort. Für den Helmscheinwerfer, den sie zuletzt noch hinzuschaltete, konnte sie ebenfalls auf Xentars Dienste verzichten. Durch zwei Lichtkegel erhellt, sah sie ihre Umgebung jetzt deutlich. Um sie herum und besonders in Blickrichtung vor ihr raschelte, zischte und klapperte es tausendfach. Überall wuchsen Pflanzen und wuselten Tiere. Diese strengten sich mächtig an, wohin sie mit ihren Kopfbewegungen das Licht auch lenkte, zu den dunklen Rändern der kreisrunden Zonen hin zu flüchten. Auch erkannte sie und wurde sich jetzt im heftigen Kontrast zu vorher bewusst, wie farbenfroh es hier doch eigentlich war. Töne von Grün und Braun überwogen zwar, aber beim genauen Hinsehen entdeckte sie fast alle Farbtöne irgendwo: besonders auf Blüten und Fruchtkörpern, aber auch Blättern, in Panzern und Flügeln, Fellen und Federn, in Augen, die schillernd aufblitzten.
Obwohl dieser Anblick sie regelrecht verzauberte, sie die Natur im Grunde innig und aufrichtig liebte, erleichterte sie eine Gewissheit dennoch: Deren diverse Vertreter waren ab jetzt dort draußen und sie war alleine hier drinnen – in der relativen, technischen Sicherheit ihres ganz eignen Panzers.
Bei aller Faszination ermahnte sie sich nachträglich: Die kleinen Insekten hatten es in sich, sie konnten eine tödliche Gefahr bedeuten, vor allem wenn man sich arglos von ihnen stechen ließ. Dafür brauchte man gar nicht mal so viel Pech. Sobald sie ihre Rüstung aktivieren würde, musste sie den Einstich und ihr Blut auf mögliche Gifte und Erreger untersuchen lassen. Dann wurde sowieso vieles anders. So würde auch der erhellende Scheinwerfer bereits wieder ausgedieht haben, denn sie sollte wohl kaum als strahlend helles Ziel einladend durch die Todeszone spazieren. Offenes Licht kam in der Nacht einer Leuchtreklame mit der Aufschrift gleich: „Ihre nächste Beute befindet sich genau hier – guten Appetit“. Nur die kleinen Tiere, die ganz unten in den Nahrungsketten standen, scheuten das Licht und flohen. Ganz so, wie sie das im Moment weiterhin eindrucksvoll direkt vor sich erlebte.
Es konnte von hier aus nicht mehr weit sein bis zur Kante des Kraterplateaus – höchstens noch ein Dutzend Meter. Sie war damit dem ersten Etappenziel auf ihrem Rückweg mittlerweile ganz nahegekommen. Aber viel zu spät, da sie viel, viel zu viel, nachgedacht hatte, wie sie sich ehrlich, ohne Schonung eingestand. Ab dort vorne musste sie sich zusammenreisen und auf das Wesentliche fokussieren: Überleben.
Ihr Mangel an geistiger Disziplin war heute ungewöhnlich ausgeprägt, zudem außergewöhnlich anstrengend. Auch wenn die Friedenszeit noch nicht ganz erschöpft war und sie hier oben keine ernsthaften Gegner erwartete, so fahrlässig wie bisher durfte sie nicht weitermachen.
Wenigstens hatte sie dabei auch etwas Sinnvolles getan und war häufig zu ihrem Vorsatz zurückgekehrt. Was hatte sie denn bisher gesammelt? Es war wohl höchste Zeit für eine erste Erinnerung, eine erste Wiederholung sonst konnte sie später von vorne beginnen. Die Muße dafür musste sie nun erst erzwingen; auf eine oder zwei Minuten kam es jetzt auch nicht mehr an. Zu spät für eine reibungslose Rückkehr war sie jetzt sowieso, also lieber noch hier oben kurz innehalten, als dort unten hinter der Kante.
Chaos, Ordnung oder keines von beidem
The laws of God, the laws of man,
He may keep that will and can;
Not I: let God and man decree
Laws for themselves and not for me;
And if my ways are not as theirs
Let them mind their own affairs.
Their deeds I judge and much condemn,
Yet when did I make laws for them?
Please yourselves, say I, and they
Need only look the other way.
But no, they will not; they must still
Wrest their neighbor to their will,
And make me dance as they desire
With jail and gallows and hell-fire.
And how am I to face the odds
Of man’s bedevilment and God’s?
I, a stranger and afraid
In a world I never made.
They will be master, right or wrong;
Though both are foolish, both are strong.
And since, my soul, we cannot fly
To Saturn nor to Mercury,
Keep we must, if keep we can,
These foreign laws of God and man.
Alfred Edward Housman (1859 – 1936), The Laws of God, The Laws of Man (1922)
Die unheimliche Dritte im Bunde: Die Sprachphilosophie
Spätestens seit Hegels „Phänomenologie des Geistes“ ist klar, dass das Problem des Geistes ein Problem der Sprache ist. Folgerichtig entwickelte sich die Kritik der Hegelschen Philosophie etwa bei Schopenhauer und Nietzsche auch als Sprachphilosophie. Spätestens seit Nietzsche wird Metaphysik als in die Sprache eingeschrieben gedacht. Und das bedeutet die Erkenntnis, dass die Sprache selbst das Hindernis für die sprachliche Überwindung der Metaphysik ist. Nietzsche sowie die metaphysikkritischen Philosophen nach ihm versuchen deshalb, mit unterschiedlichen Strategien, dem Zirkel der Metaphysikkritik zu entkommen. Die Hinwendung zu poetischer Diskursivität findet hier ihre rationale Erklärung. Sie ist nicht nur poetischen Neigungen zu verdanken, sondern ist eine philosophisch motivierte Strategie, den Zirkel der Metaphysikkritik zu durchbrechen.
Peter Engelmann (1947 – ), Jacques Derrida. Die différance: S. 23f. (Einleitung – Semiotik und Metaphysikkritik; 2004)
Kürzlich (Direktlink) sprach ich von Seinslehre (Ontologie) und Erkenntnistheorie (Epistemologie), wies ihnen eine herausragende Stellung im Korpus der philosophischen Disziplinen zu und nun das: Metaphysik und Sprachphilosophie seien die neuralgischen Punkte des verehrten Fachs?
Ja und Nein, äh Jain – möchte ich fast sagen, denn zwischen Metaphysik und Ontologie gibt es keine strikte, und wenn überhaupt dann eine fließende Grenze. Was allerdings die Sprachphilosophie betrifft, da lenke ich gerne reumütig ein und gestehe zu: Sie ist allerdings zentral und hochrelevant, mehr noch, ohne sie ist keine zeitgenössische Philosophie denkbar und damit verständlich.
Neben den erwähnten zweieindrittel Begriffen – Ontologie/Metaphysik und Epistemologie – darf sie im historischen Inventar der modernen philosophischen Trickkiste keinesfalls unterschlagen werden. Ohne einen Sprung auf die Metaebene der Sprache, sei sie Medium oder gar umfassende Grenze von Denken und damit Philosophieren, bliebe ein allzu großer blinder Fleck in der Reflexionslandschaft bestehen.
Dabei sind es typischerweise auch die im vorausgehenden Artikel bedachten (neo-)transzendentalen Ansätze, die seit Kant so ihre liebe Last mit der Sprachlichkeit des Denkens haben. Während die diversen Neukantianer in der Folge des Königsberger Klopses für eine Vermittlung von Geist und Materie eintraten, blieben bei ihnen eben die sprachlichen Strukturen bisweilen noch unterbelichtet. Damit standen sie zwar weiterhin und immerhin zwischen den Fronten eines den Geist überbelichtenden Idealismus und eines diesen sträflich verdunkelnden Materialismus, dennoch war noch ein Stück Denkweg zu gehen bis zum sog. lingustic turn zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
Erwähnens- und anerkennenswerte Trittsteine auf diesem ideengeschichtlichen Weg waren für die philosophische Seite des Diskurses vor allem Ernst Cassirers Philosophie der Symbolischen Formen und Wittgensteins Philosophische Untersuchungen. Dessen vielbeachtetem Frühwerk Tractatus logico-philosophicus verweigere ich hier mal bewusst die Ehrerbietung, auch wenn es sich dem Problem der Sprache für das Denken explizit annimmt – zu explizit und logisch, um noch einer lebendigen Welt angemessen zu sein. Erst recht war noch ein weite Reise zu machen, bis man bei der analytischen Philosophie auf Basis des Pragmatismus und den vielen, mir hochsympathischen Formen von Differenzphilosophie und kritischer Theorie landen würde. Insbesondere Jacques Derridas Dekonstruktion möchte ich hier andeutungsweise hinsichtlich des Text-Fast-Foods erwähnen. Das 21. Jahrhundert also, war noch fern und einige ausgewiesen hässliche Perioden der Menschheitsgeschichte mussten erst noch durchschritten werden, aus denen dann auch die (Sprach-)Philosophie ihre bitteren Lehren zu ziehen hatte.
Hier kommen wir nach dem womöglich etwas ermüdenden, philosophiegeschichtlichen Umweg von einer Ergänzungen zum letzten Denkwelt-Artikel endlich zum eigentlichen Anlass dieses Textes. Bevor hier jedoch der falsche Eindruck von Wissenschaftlichkeit aufkommt, bei all den Anflügen von Struktur, Argument und Chronologie, lasse ich nun Poesie über Sprache sprechen. Damit gewähre ich dem Nachdenken über Sprache seinen ihm gebührenden Platz neben den bereits besagten zwei Teildisziplinen der nicht nur akademischen Philosophie. Dass ich sie zunächst vergessen habe, mag mit der Unheimlichkeit zusammenhängen, die sie und den Sprung auf die Metaebene begleiten, oder einfach mit der Kürze von Zugang und Anspruch. Das zuvor besagte sprachlose X dankt mir die Wiedergutmachen sicherlich ebenso, wie mein schließlich damit wieder zu beschwörender Agnostizismus.
Aus dem Landschaftspark zwischen Philosophie, Poesie und Linguistik grüßt zweifelnd, Euer Satorius
Für Nelly Sachs, die Freundin, die Dichterin, in Verehrung
Ihr Worte, auf, mir nach!,
und sind wir auch schon weiter,
zu weit gegangen, geht’s noch einmal
weiter, zu keinem Ende geht’s.
Es hellt nicht auf.
Das Wort
wird doch nur
andre Worte nach sich ziehn,
Satz den Satz.
So möchte Welt,
endgültig,
sich aufdrängen,
schon gesagt sein.
Sagt sie nicht.
Worte, mir nach,
dass nicht endgültig wird
– nicht diese Wortbegier
und Spruch auf Widerspruch!
Lasst eine Weile jetzt
keins der Gefühle sprechen,
den Muskel Herz sich anders üben.
Lasst, sag ich, lasst.
Ins höchste Ohr nicht,
nichts, sag ich, geflüstert,
zum Tod fall Dir nichts ein,
lass, und mir nach, nicht mild
noch bitterlich,
nicht trostreich,
ohne Trost,
bezeichnend nicht,
so auch nicht zeichenlos –
Und nur nicht dies: das Bild
im Staubgespinst, leeres Geroll
von Silben, Sterbenswörter.
Kein Sterbenswort,
Ihr Worte!
Ingeborg Bachmann (1926 – 1973), Ihr Worte (1961)
Halte mich in deinem Dienst
lebenslang
in dir will ich atmen
Ich dürste nach dir
trinke dich Wort für Wort
mein Quell
Dein zorniges Funkeln
Winterwort
Fliederfein
blühst du in mir
Frühlingswort
Ich folge dir
bis in den Schlaf
buchstabiere deine Träume
Wir verstehen uns aufs Wort
Wir lieben einander
Rose Ausländer (1901 – 1988), Sprache (1976)
Unterwegs zum sprachlosen X? … oder doch nicht!
Thema des transzendentalen Ansatzes sind weder Strukturen noch Prozesse des Seins. Ihm geht es vielmehr um die Interaktion eines menschlichen Subjekts mit einem unbekannten Gegenüber aus dem Objektbereich, welche aus der Perspektive des Subjekts zu beschreiben ist. Einschlägige Analysen bringen zahlreiche Belege dafür, dass der Mensch seine im Zuge dieser Interaktion stattfindenden Erfahrungen sehr erfolgreich nach dem Vorbild von Interpretationsmustern deutet, die sich im Zuge seiner Kontakte mit menschlichen Kommunikationspartnern bewährt haben. Alle naturwissenschaftlichen Begriffe und Modellvorstellungen verweisen damit letztlich auf Vorbilder aus dem Bereich der Typisierung von sozialen Strukturen und Prozessen.
Karl Czasny (1949 – ), Quantenphysik als Herausforderung der Erkenntnistheorie (Direktlink zum Artikel) [Rev. 18.09.15]
Wenn daher das Selbstbewusstsein [~Subjekt, D.Q.] ein Gegenstand ist, der ausschließlich im Rahmen von symbolvermittelter sozialer Interaktion erfahrbar und nachweisbar ist, weil er ausschließlich im kollektiven Vollzug dieser Art des Handelns existiert, dann ist es prinzipiell von der auf naturwissenschaftlich restringierter Beobachtung von Reiz-Reaktions-Mustern fußenden materialistischen Ontologie weder begreifbar noch ableitbar.
Karl Czasny (1949 – ), Schrödingers Katze endlich zur Ruhe gebettet? (Direktlink zum Artikel) [Rev. 18.09.15]
Im Herzen der zeitgenössischen Philosophie gibt es zwei Kammern: Ontologie und Epistemologie. Um den Angriff auf das Metaphern-Verbot – von manchen Akademikern gepriesen und geheiligt – in rhetorisch-heftiger, weil doppelter Form als Personifizierung konsequent fortzusetzen: Die Ontologie aka. Metaphysik ist der Hirnstamm der Weisheitsliebe und die Erkenntnistheorie das evolutionär neuere Großhirn der (philosophischen) Wissenschaft.
Nüchtern betrachtet sind beide Disziplinen also zentrale, doch historisch und methodisch differente Bereiche der Philosophie. Ideengeschichtlich sympathisieren sie mit allerlei Ismen; je nach Zeit und Vorliebe entweder mit Nominalismus, Materialismus und Empirismus oder mit Realismus, Idealismus und Rationalismus. Sein und Denken taugen als differenzierende Bezugspunkte eben so sehr wie viele andere Polarisierungen, welche die Geistesgeschichte in ihrer produktiven Kreativität unablässig hervorgebracht hat und weiterhin hervorbringt.
Neuzeit, Moderne und insbesondere Postmoderne haben hierbei die einst noch überschaubare Lagerbildung unendlich kompliziert. Spätestens seit dem 18. Jahrhundert ist es im Detail zu vielfältigen Mischformen gekommen. Besonders die (Natur-)Wissenschaften sind hierbei zum kontroversen Schlachtfeld für den uralten Titanenkampf der Philosophie geworden. Dabei lässt sich diese tiefe und breite Trennlinie im Denken besonders gut, wie oben im Text-Fast-Food zu lesen, am Begriffspaar Subjekt-Objekt verdeutlichen, wenn auch einige mir besonders lieb gewordene Positionen innerhalb dieses epochalen Diskurses jenseits dieser Dichotomie operieren oder wenigsten operieren wollen.
Nun aber zeichnet sich ein neuer, vielleicht dereinst befriedender Impuls aus Richtung der modernen Physik ab. Auch wenn berechtigte Zweifel an der verfrühten Freude über die ersehnte Harmonie angeraten sind, die sich am Horizont erhoffen lässt, so hat die Quantenphysik unbestritten das Potential, der Vielfalt an Standpunkten – seien sie mal eher ontologisch, mal eher epistemologisch – eine Vereinfachung zu verschaffen.
Fraglich bleibt gleichwohl und prinzipiell immer eines: Bin ich, bist du, sind wir als beschränkte, endliche und bedürftige Menschen überhaupt je im Stande, näher heranzukommen an Wahrheit und Gott oder besser an das sprachlose X?
Zurückgelehnt im Ohrensessel agnostischer Bequemlichkeit, begnüge ich mich heute und jedenfalls mit Fragen, Zweifeln und verhaltenen Hoffnungen und überlasse die Antworten Euch da draußen und insbesondere den Wissenschaftlern, die darin Meister sind!
Mit gebändigter Neugierde und entfesselter Gelassenheit, Euer Satorius
Teil 4 – Hinein in die Wildnis, zurück in die Vergangenheit
Ruhe und Frieden
Vierter Teil: Seiten 10 – 14
Plötzlich schrillte ein zweiter Schrei über sie hinweg, hoch und dissonant, böse.
Ihr mentaler Fokus riss abrupt völlig ab. Sie fiel hin, rollte sich trotzdem noch irgendwie instinktiv ab und blieb reglos auf dem Boden zwischen den Pflanzen liegen.
Alte Erinnerungen wurden wach, übernahmen die Kontrolle über ihren Geist: Dunkle Schwärme, Geflatter und Gekreische, Schmerzen, unendliches Leiden. Waren es Vögel, Fledermäuse oder Insekten? Kot und Blut, noch mehr Schmerzen, milde Ohnmacht und irre Albträume. Dann ein Licht am Ende der Düsternis. Knappe Rettung und der Schwur, gründlich zu vergessen. In den Schatten ihres Bewusstseins hatte sich tief Vergrabenes, im Dunklen Verborgenes zu regen begonnen.
Traumatische Bilder aus ferner Vergangenheit suchten sie unnachgiebig weiter heim. Nun nach unendlich unbestimmter Zwischenzeit flauten sie ab, waren weniger stark als noch zuvor, wallten aber weiterhin und wiederkehrend auf, jedoch nur noch kurz. Sie verharrte schwer atmend und zusammengekauert auf dem sandigen Boden, versuchte sich wieder zu sammeln. Nachdem sie sich aufgesetzt hatte, begann sie routiniert nach verstörend langen Sekunden mit einer Atemübung. Als das alleine nicht half, nahm sie noch ein starkes Mantra hinzu: Ich bin hier, ich bin jetzt, ich bin mächtig, ich bin stark. Ich beuge mich nur dem Kosmos und dem Leben in ihm. Damit hatte sie nach weiteren gut 20 Sekunden der disziplinierten, mehrfachen Rezitationen Erfolg. Die mentalen Wogen glätteten sich, jedoch nur langsam, so als wäre zuvor ein riesiger Felsbrocken in den bodenlosen Ozean ihres Geistes gestürzt.
Sie fasste sich, bändigte zunächst die Gefühle und Erinnerungen, dachte dann rationaler und zielgerichteter und letztlich erneut weniger – nun war sie wieder leidlich fokussiert. Da ihr bei dem Sturz körperlich nichts passiert war, rappelte sie sich ächzend auf und beschloss, schnell weiterzulaufen. Die Zeit drängte, denn sie hatte fast fünf Minuten durch den Vorfall verloren, wie sie nun mit einem Blick auf ihr Handgelenk entsetzt feststellen musste.
So etwas war ihr zuvor bereits einige Male passiert, nicht jedoch in dieser Heftigkeit. Vielleicht sollte sie nach dieser Tour eine längere Erholungsphase einlegen und gewisse Dinge aufarbeiten, dachte sie noch. Als sie daraufhin ihren Lauf beschleunigte, wurde sie wieder eins mit dem Weg, spürte ihre Kraft und gab sich der Bewegung völlig hin. Ganz so leicht konnte sie die Episode und die durch sie ausgelöste Unruhe, die ja sehr berechtigt war, nicht ablegen.
Dieser zweite Warnruf war nun schon in mittelbarer Nähe erklungen, aus den Wipfeln der Bäume hinter dem Abhang, auf den sie derzeit zulief. Einen halben Kilometer voraus ragten die Kronen der Bäume weit über den Rand des Plateaus empor. Damit überragten sie die wenigen größeren Bäume hier oben um einige Längen. Derart schnell konnten herkömmliche Bäume nicht in Höhe schießen. Dort stand vermutlich eine Gruppe genetisch modifizierter Riesenbäume, vermutete sie nun wieder gedankenschnell. Bei einem so erstaunlichen Wachstum mussten das die legendären Neo-Sequoias sein, die das Bild vieler ehemaliger Naturlungen mit ihrer schieren Größe bestimmten. Nach einem letzten Ausbruch des Vulkans vor nur sechs Solarjahren, war für gewöhnliche Bäume nicht genug Zeit vergangen, um eine so erstaunliche Wuchshöhe zu erreichen. Warum war ihr das vorhin bloß nicht aufgefallen, wo war sie mit ihren Gedanken nur gewesen?
Indes stolperte sie fast abermals. Sie wollte sich durch weitschweifige Gedanken von ihrer Trübsal ablenken lassen und geriet dabei ins Schlingern.
Gut erinnert – lobte sie sich trotzdem gönnerhaft, nachdem sie sich gefangen hatte und wieder beschleunigen konnte: Neo-Sequoias jetzt, zuvor Todraucher und Ajaxfarn. Der Name des Vulkans fiel ihr allerdings noch immer nicht ein. Ihr verquerer Stolz hinderte sie jedoch wie meist daran, unmittelbar die höheren Funktionen ihrer Technorüstung zu konsultieren oder diese überhaupt nur zu aktivieren. Noch konnte sie auf aktive technische Unterstützung verzichten, die würde noch früh genug notwendig werden.
Sie schätzte ihre technischen Hilfsmittel durchaus hoch, brauchte aber das Gefühl von Widerstand und bisweilen das von echter Konsequenz. Ohne die Erfahrung solcher Grenzen, menschlicher Mängel und Minderwertigkeiten konnte aus einer Schwäche nie echte Stärke neu erwachsen. Sie selbst musste ein Problem lösen, um daraus lernen zu können und wollte sich nicht abhängiger von der Technik machen als nötig, nur weil gerade noch genug Energie im Speicher war. Alle Arten von Bequemlichkeit und Verschwendung verloren in der Wildnis ihre Berechtigung, formulierte sie einen weiteren Grundsatz. Gut, dass er ihr eingefallen war, denn er war einer der Wichtigsten. Sparsamkeit und – ja, und was – welches andere Prinzip steckte noch hinter dieser Idee: Stolz, Stärke, Trotz, Authentizität, Sturheit, Autonomie?
Ja, das waren sie: Autonomie, Stärke und Sparsamkeit, die Drei gefielen ihr. Bloß nicht zu selbstkritisch werden, dachte sie, wobei sie kurz lächelte. Während sie schon wieder viel zu nachdenklich geworden durch das grüne Dickicht hetzte, hatte sie den spontanen Verdacht, mindestens einen der Begriffe kürzlich erst bedacht zu haben, kümmerte sich aber kaum weiter darum – um so besser, dann war er wohl wichtig, schloss und vertröstete sie den Impuls.
Dämmrige Dunkelheit hinter sich zu wissen, tiefe Düsternis voraus zu sehen und zwei ungeheuerliche Schreie – der eine fern, der andere intim – machte auch ihr normalerweise entspanntes Maß unterdessen restlos voll. Wollte sie klarkommen, gab es nur eine probate Option: Sie musste aufmerksamer und wacher werden, noch agiler und wendiger, sich langsam aber stetig in ihr Kampfbewusstsein versenken. Bis zum Ende der Hochebene, die um den Kraterrand herum verlief, waren noch einige hundert Meter zurückzulegen und sie rannte so gut und schnell es die mit jedem Schritt dichter werdende Vegetation eben noch zuließ. Ohne größtenteils in Xentar gehüllt zu sein, hätte sie sich wohl kaum so rücksichtslos durch diesen Pflanzenteppich bewegen können, geschweige denn wäre ihr Sturz vorhin so glimpflich ausgegangen, stellte sie dankbar fest.
Noch immer drohte ihr keine akute, keine greifbare Gefahr von außen, aber ein arglos wirkendes Opfer zog leicht Jäger an. Diese konnten natürlich ihrerseits nicht ahnen, dass ihr vermeintliches Opfer weit mehr war als das. Was sie sahen, verleitete die Mehrzahl ihrer Feinde zu einem fatalen Fehlschluss. Aber sollte sie ihnen wirklich vorhalten, nicht zwischen Sein und Schein unterscheiden zu können – wohl kaum, denn die meisten waren blutrünstige Bestien. Mit ihr hatten sie sich nämlich keineswegs eine wehrlose Beute ausgesucht, sondern das genaue Gegenteil davon: eine ihnen in vielen Belangen überlegene Kriegerin.
Auch wenn sie solche Gedanken – Kampf, Überlegenheit und Triumph – sehr reizten, sie sollte unnötige Feindkontakte vermeiden. Außerdem würde die Situation bei der Rückkehr zum Mjuhlie wahrscheinlich genug Gelegenheit zum Kämpfen bieten. Wenn ausnahmsweise nicht, so konnte sie vielleicht später vor dem Schlafen noch eine kleine Runde spielen, aber erst nachdem sie ihr Lager gefunden und eingerichtet haben würde. Besser vermied sie es ganz, sie waren doch irgendwie alle Lebewesen. Manitu durchströmt alle lebendigen Geschöpfe, ermahnte sie sich rasch und gelobte, das Leben als solches zu ehren und zu bewahren. Nein – es gab da einen entscheidenden Unterschied, schränkte sie den Gedanken schnell wieder ein. Mal abwarten und sehen, wie später ihre Laue sein würde, vertröstete sie sich letztlich doch versöhnlich und schlug in diesem Moment einen Schwung blassgrünen Blattwerks zur Seite. Weit konnte es nicht mehr sein, so dicht, wie die Pflanzen an dieser Stelle nunmehr wuchsen. Höchstens noch gute 100 Meter bis zur Kante schätzte sie sogleich, auch ohne dass sie die Riesenbäume noch gesehen hätte.
Von nun an war mehr Vorsicht gefordert. Sie musste früh und schnell die richtigen Entscheidungen treffen. Vor allem aber durfte sie sich nicht überschätzen und ihre Gegner unterschätzen. Sie hatte in der Vergangenheit genug Situationen erlebt, in denen eine Flucht die leichtere, die bessere oder manchmal sogar die einzige Wahl gewesen war. In solchen Notfällen verließ sie sich dann vollkommen auf ihre Technik, entweder durch einen Abgang in vollem Tarnmodus oder mit einer spektakulären Flucht per Jetpack hoch hinauf in luftige Höhen. Das geschah eher selten, war mehr die Ausnahme denn die Regel.
Hatte sie sich nicht eben gerade noch vorgenommen, sich in den hochkonzentrierten Kampfmodus zu versetzen? Sie ließ sich heute wirklich allzu leicht ablenken. Das war sicher eine Nachwirkung des vorhin erlebten Schocks oder brachte sie die erschütternde Begegnung des gestrigen Tages noch immer aus der Fassung? Dieser Greis mit seiner widerwärtigen Sippe und die widernatürlichen Rituale, deren Zeugin sie unfreiwillig geworden war, wollten ihr nicht aus dem Kopf gehen. Bevor die damit verbundenen Eindrücke als Erinnerungen voll wiederkehren konnten, begab sie sich mental wieder auf den Pfad der Kriegerin: Manitu ist groß, der Kampf und das Leben sind gleichsam heilig, begann sie von Neuem mit dem einleitenden Mantra eines Rituals, das sie in ihr Kampfbewusstsein versetzen sollte.
Das wollte ihr aber derzeit nicht so recht und so leicht gelingen wie üblich, so verwirrt und irritiert war sie noch immer von den Erlebnissen der nahen Vergangenheit. Und ohne diesen fokussierten Geisteszustand war ihre Kampfkraft erheblich vermindert.
Obwohl ihre Einsatzbereitschaft derzeit eingeschränkt war, zögerte sie die ausstehende Aktivierung ihrer Rüstung weiterhin hinaus. Den Helm wenigstens musst sie nun bald aufsetzen, da ihr die Pflanzen zunehmend über den Kopf wuchsen und damit ständig ins Gesicht zu schlagen drohten. Vor allem wurden die Insekten im nunmehr üppigen Pflanzengewirr mit jedem Meter größer, gefährlicher und vielzähliger. Es grenzte bereits jetzt an eine Mutprobe, mit dem nicht aufgesetzten Helm auf den rundum schützenden Verschluss der Technorüstung zu verzichten. Nur noch ein klein wenig länger durchhalten, ein paar weitere Meter – ermutigte sie sich und schlug unterdessen einen handtellergroßen Käfer kraftvoll zur Seite, der direkt auf ihr Gesicht zugeflogen kam. Mit seinem leuchtend roten Panzer, dem tiefen Summen seiner Flügelschläge und besonders den mächtigen Mandibeln wirkte er derart angriffslustig, dass sie in einem unkontrollierten Reflex kräftig zuschlug. Das Insekt krachte daraufhin geräuschvoll an einen nahen Baum, dort knackte es widerwärtig, gab schließlich ein letztes erbarmungswürdiges Quietschen von sich und sank in einem Schwall seines eigenen Bluts an der Rinde hinunter in sein steiniges Grab.
Sie hatte impulsiv ihrem Instinkt nachgegeben, obwohl sie ihrem Opfer auch ausweichen oder wenigstens sein Leben hätte schonen können. Sei es drum, so etwas passiert eben in der Wildnis, beschwichtigte sie ihre aufkeimenden Gewissensbisse. Wer oder was sie potenziell bedrohte oder gar wirklich angriff, verspielte dadurch den prinzipiellen Schutz, den sie versuchte jedem Lebewesen zu gewähren. Hierbei waren die biotechnologischen Abscheulichkeiten jenseits der unsicheren Grenzen zwischen Leben und Tod, Natur und Technik klar ausgenommen. Auch wenn sie nicht zweifelsfrei unterscheiden konnte, hatte sie über die vielen Jahre hinweg eine Trennlinie gezogen, die Feind und Freund unterschied. Überleben war hier draußen wichtiger, als jedes noch so überzeugende Bekenntnis. Ihre persönlichen Ideale waren im Existenzkampf bestenfalls Leitlinien. Pragmatik geht vor Romantik, bedachte sie eine weitere Überlebensregel und hatte damit direkt das Prinzip parat.
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Teil 3 – Weiterhin ohne Worte mit noch mehr Worten
Ruhe und Frieden
Dritter Teil: Seiten 7 – 10
Also zuallererst: Wo hatte sie vorhin ihren Mjuhlie überhaupt abgestellt? Keine Ahnung! Oh nein, nicht schon wieder – seufzte sie innerlich und setzte daraufhin milde hinzu, dass sie ja immerhin nichts Lebenswichtiges vergessen hatte. Sie war halt einfach so: vergesslich.
Irgendwo hinter der Klippe und dem Wald auf dem Südosthang des Vulkans, soviel war wenigstens gewiss, würde er schon warten. Sollte sie ihn dort wider Erwarten tatsächlich nicht finden, würde sie einfach die Ortung Xentars zu Hilfe nehmen. Denn ohne ihr mobiles Lager, auch das war gewiss, konnte sie morgen nicht weiterarbeiten. Außerdem stand für den kommenden Abend die nächste Abholung der wertvollen Ladung an. Sie hatte nämlich in den letzten Tagen, mehr noch als auf den zurückliegenden Etappen, einen wirklich guten Schnitt gemacht. Bei der hiesigen Dichte an Lebenszonen verwunderte sie diese Tatsache noch immer, aber sie würde sich wohl kaum darüber beschweren. Ihre aufkeimende Sorge war sicher übertrieben, es ging fast immer gut.
Was sie an Kleinigkeiten im Alltag vergaß oder auch durch Pech anzog, machte sie mit Konstitution und Können locker wett. Falls die mal nicht ausreichten, half ihr das pralle Arsenal an hochkarätiger Technologie, das sie sich über die Jahre hinweg angeeignet hatte. Auf sich selbst gestellt überleben zu können, war schon mal gut, aber einen riesigen Fuhrpark und die erlesenste Ausrüstung als Bonus oben drauf, war noch besser. Derart moralisch gestärkt erlaubte sie sich entgegen dem Zeitdruck noch ein paar letzte Gedanken vor dem überfälligen Aufbruch.
Ihr Geschäftsmodell war gefährlich, dafür aber höchst einträglich. Mit den seltenen und begehrten Raritäten war sie vor Ort häufig Monopolistin, besonders auf den kleineren Märkten. Eine Situation, die sie genoss, und ein Vorteil, den sie gnadenlos ausnutze, indem sie horrende Preise verlangte. Reiche Schnösel gab es überall, auch wenn anfangs von ihnen nur ein paar wenige zu ihr kamen, reichte das meistens schon aus. Sie blieb einfach mehrere Tage am gleichen Ort und überließ den Rest der Eitelkeit und Geschwätzigkeit ihrer zufriedenen, gut vernetzten Kundschaft. Bald – ungefähr in einer Woche, schätzte sie spontan – sollte sie wieder genug Stücke angesammelt haben, dass sich eine solche Verkaufsaktion lohnte. Alte Standardtechnik und Rohstoffe veräußerte sie lieber an ihre üblichen, altbewährten Abnehmer, aber für Sammlerstücke und Kuriositäten war ihr jede mittlere Siedlung ein idealer Absatzmarkt. Je größer die Märkte und damit Siedlungen wurden, desto mehr Hände griffen in den Handel ein und das bedeutete im Endeffekt für sie nur eines: Gewinnminderung.
In die großen Lebenszonen, dorthin, wo man manchmal fast vergessen konnte, wie es um die Welt wirklich stand, ging sie prinzipiell nur noch zum Einkaufen und für wichtige Kundenkontakte. Die Weltflucht, die dort kollektiv zelebriert wurde, war für die meisten Überlebenden die neue Normalität geworden. Diese Verdrängung geschah aus leicht nachvollziehbaren Gründen, wie gerade sie besser wusste, als die Meisten. Sogar weit besser wusste, als ihr das trotz aller Härte manchmal lieb war. Dass es viele triftige Gründe dafür gab, der Welt den Rücken zuzukehren, Augen, Ohren und was sonst noch ging, mit angenehmen Reizen zu überfluten, machte daraus aber bei weitem keine Tugend. Nicht einmal eine zweckmäßige Strategie war es, um die Messlatte nicht direkt ganz hoch zu legen. Eines stand fest, sie mochte diese Orte nicht: Zu viel Schein, zu wenig Sein und keinen Sinn, witzelte sie philosophisch.
Man musste ziemlich rustikal und auch etwas morbid sein, wenn man hier draußen lebte, konnte jedoch im Gegenzug dafür so viel freier sein. Die mit dem Verlust an Sicherheit verbundene Bürde an Selbstverantwortung, die zum Überleben befähigte, nahm sie dafür gerne auf sich.
Kenne die sozioökonomische Welt, ihre Regeln, ihre Tücken und vor allem ihre Konsequenzen – durfte sie das noch als Überlebensregel gelten lassen? Nein, entschied sie spontan, dieser Bereich war für Menschen wie sie zweitrangig geworden und damit eher eine Empfehlung denn eine notwendige Regel.
So, Schluss jetzt – unterbrach sie sich ruppig. Nun war es wirklich so weit, nun musste sie endgültig aufhören, ihre Pause übermäßig auszudehnen.
Die letzten Sonnenstrahlen verkündeten das Ende des Tages und markierten damit den Beginn einer neuen Nacht in der Todeszone. Die Mauer aus Zwielicht, die ihr vorhin in der Ferne aufgefallen war, überrollte sie plötzlich von hinten und verdichtete sich bedrohlich vor ihr. Der Kraterkessel füllte sich mit Schwärze und alles darin versank in Schatten. Wie bei jedem Sonnenuntergang war damit der späteste Zeitpunkt erreicht, an dem sie noch sicher einen Unterschlupf finden konnte. Bei der unklaren Entfernung und dem schwierigen Terrain musste sie jetzt zu einem Gewaltmarsch aufbrechen. Gute 20 Minuten blieben ihr jetzt noch bis zum Ende der relativen Ruhe. Der Frieden würde bröckeln und schließlich brechen, auch und gerade hier, fern der Ruinenfelder in der grünen Wildnis, spätestens bei der Rückkehr zum Mjuhlie.
Also erhob sie sich, verließ geschmeidig ihre lässige Sitzposition am Rande des Abgrunds und glitt direkt schwungvoll in die Hocke. Kurz spannte sie sich – eins, zwei, drei Sekunden lang – und schnellte vom Rand weg nach oben. Aber sie sprang nicht bloß auf, kam nicht einfach nur zum Stehen, sondern drehte sich im Flug akrobatisch um ihre eigene Achse und landete sicher auf beiden Füßen in Laufrichtung vom Krater weg. Da sie mit den Beinen in Schrittbreite, komplett angespannt und mit leicht gebeugten Knien aufgekommen war, rannte sie blitzschnell los. Nicht nur das, sie schlug wirre Haken, duckte sich sporadisch und tänzelte, soweit das nebenher ging. Alles wirkte irgendwie chaotisch, scheinbar deplatziert, wie kindliche Übertreibung im wilden Spiel. In Wirklichkeit wärmte sie sich damit auf und spielte dabei ein paar Automatismen durch.
Sie brachte sich unterdessen in Stimmung für die nahende Nacht und beschwor ihre taktischen Ideale: Leidenschaft und Stärke, Eleganz und Schnelligkeit, niedriger und schwankender Schwerpunkt, Täuschen und Tarnen, Unvorhersehbarkeit und wenig Angriffsfläche, trotzdem stets zum Angriff bereit und präzise in der Attacke. So rannte sie dahin, auf ihre skurrile, infame Art und entfernte sich Meter für Meter, Kurve um Kurve von ihrem Ruheplatz an der Kante des Vulkankraters.
Bei ihrem Abgang vom Kraterrand hatte sie wohl ein wenig Geröll losgetreten. Nun hörte sie gerade noch im Davonrennen, wie die Steine polternd den Abhang hinunterrollten und wie der Lärm ihres Abgangs als dumpfe Schläge in den riesigen Kessel hineinbrandeten. Sie hielt aber nicht inne, lauschte nicht den verhallenden Geräuschen. Ob diese auf der gegenüberliegenden Seite ankommen würden oder nicht, war ihr während ihres Abgangs herzlich egal. Die bewaldeten Wohntürme am gegenüberliegend Nordwestrand des Kraters jedoch hatten sich mit ihrer satten Schwärze im markanten Kontrast zum leuchtend farbenfrohen Hintergrund tief in ihre Erinnerung gebrannt. Entgegen ihrer Hoffnung begannen diese lebendigen Lichtbilder nun langsam und unerbittlich in ihrem Gedächtnis zu verblassen – Schritt für Schritt. Das erbauende Gefühl, einen wertvollen Augenblick erlebt zu haben, blieb ihr jedoch erhalten, ebenso wie die Frische. Zuversicht durchströmten sie, sie füllte sich lebendig. Sie beschleunigte ihr Tempo und näherte sich zielstrebig der äußeren Kante des Kraterplateaus, hinter der einer Klippe lag. Nach dieser folgte ein erst heftiger, dann sanfterer Abstieg, der die Flanke des Vulkans hinunterführte.
Dort irgendwo musste ihr Mjuhlie auf sie warten – hoffentlich, denn ihre Erinnerung war in dieser Richtung weiterhin mehr als vage. Vielleicht sollte sie sich noch mal intensiver zurückerinnern: Derzeit hetzte sie noch durch kniehohe Pflanzen, aber die Dichte würde rapide zunehmen bis zur Klippe. Auf ihrem Weg dorthin würde sie die Ausläufer des ersten, jungen Waldes erreichen. Bis zur Kante und dem Steilhang, danach ging es erst richtig los. Tiefer Wald, mit allem was dazugehörte, erstreckte sich dort. Eine düstere, feuchtwarme Hölle aus Tieren, Pflanzen, Pilzen und Ungeheuern verschlang einen kleinen Menschen, der sich dort hineinwagte. Das Gefälle fiel auf der Ostseite des Berges bei Weitem nicht so heftig aus, wie auf den anderen drei Flanken. Zusammen mit den Spalten, heißen Quellen und Lavadurchbrüchen war die Strecke dennoch keineswegs zu unterschätzen. Es gab im gesamten Wald ausgedehnte Felder Ajaxfarn. Auf dem Hinweg konnte sie deshalb nur auf wenigen schmalen Wegen, wie durch Schneisen zum Gipfel gelangen. Passte man nicht höllisch auf oder war wie sie gepanzert, so waren tiefe Schnittwunden noch der angenehmste Ausgang einer Begegnung mit diesem Gewächs. Vom gleichen Kaliber waren auch die hier in üppigen Kolonien vorkommenden Todraucher. Dabei handelte es sich um einen schwarzen Kappenpilz mit orangefarbenen Lamellen und den markanten, in schrillem Orange leuchtenden Punkten überall auf dem Hut. Dieser auffällige Pilz war imstande, einen tödlichen Sporenregen auszustoßen, der alles im Umkreis von bis zu einem Meter erwischte. Was daraufhin passierte, hatte sie einmal in abgeschwächter Form erlebt und wollte sich besser nicht daran zurückerinnern. Deshalb machte sie seither sicherheitshalber einen besonders großen Bogen um diese Art. Derartig aggressive Gewächse gab es nicht zufällig weltweit. Bevor sie ihre Ziele aus dem Blick verlieren würde, kehrte sie zum Eigentlichen zurück: der Wald, der Weg hindurch und der immer noch unklare Standort ihres Transportraumers am anderen Ende des zurückgelegten Weges.
Die Umgebung beanspruchte zunehmend ihre Aufmerksamkeit. Das Gestrüpp, die Büsche und die nunmehr schon hüfthohen Baumsprösslinge störten mittlerweile ihren Lauf, sodass sie ihr Tempo für das Ausweichen verringern musste. Sie konzentrierte sich nun wieder voll auf die Bewegung, versuchte jeden Schritt, jeden Krafteinsatz, ganz bewusst zu erleben; spürte ihren Atem und ließ ihn trotz der Anstrengung nicht flacher werden, tief in den Bauch, möglichst ruhig und langsam.
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