Ein Teig-Quartett für alle Fälle

Krosser Pizzateig plus Pizzaiola

Metadaten des Gerichts 

Kochniveau: 4/10  Dauer: ca. 90 Minuten  Art: Hauptgericht (3 Pizzen)  Kosten: Günstig

Rezept zum Ausdrucken: Krosser Pizzateig plus Pizzaiola (PDF)

Zutatenliste – Teig

  • 200g Weizenmehl
  • 150g Weizenvollkornmehl
  • 150g Hartweizengrieß
  • 230ml Wasser 
  • 2 TL Salz
  • 1/2 TL Zucker
  • 1/3 Würfel/14g Frischhefe
  • 1 EL Olivenöl (Hier auf Hochwertigkeit des Produkts achten)
  • Nach Bedarf Mehl

Zutatenliste – Pizzaiola

  • 1 Pck./500ml passierte Tomaten 
  • 1 EL Oregano
  • 1 EL Basilikum 
  • 2 Zehen Knoblauch
  • 3 Schalotten
  • 1 TL Schwarzer Pfeffer
  • 1 TL Salz (Gerne durch Fleur de Sel aufwerten)
  • 1 TL Scharfes Paprikapulver

Praxis-Anleitung

  1. Zuallererst einen kleinen Teil (30 – 50ml) des Wassers lauwarm erhitzen, um daraufhin die Hefe und den Zucker darin zu lösen. Wenn die Mischung Blasen wirft, kann sie verwendet werden.
  2. Die beiden Mehlsorten, den Grieß und das Salz in eine Rührschüssel geben und vermengen. Anschließend den Hefeansatz und das Olivenöl hinzugeben und mit den Knethaken des Handmixers zu einem Teig verrühren, dabei nach und nach den Rest des Wassers zugeben. Wenn der Teig glatt geworden ist, die Masse noch einmal kräftig mit den Händen kneten.
  3. Nun den Teig für mindestens 30 Minuten zugedeckt an einem warmen Ort gehen lassen.
  4. In der Zwischenzeit kann die Pizzaiola zubereitet werden.
    • Dafür Knoblauch sowie Zwiebeln schälen, dabei Zweitere fein hacken.
    • Dann das Olivenöl in einer Pfanne erhitzen.
    • Die gehackten Zwiebeln darin dünsten und den Knoblauch hinzupressen. Nun die passierten Tomaten beimengen und zusammen mit den Kräutern und Gewürzen köcheln. Solange reduzieren bis eine kaum noch flüssige Paste entstanden ist.
  5. Nach dem ersten Gehen den Teig in drei gleichgroße Portionen bringen, abermals gut durchkneten und weitere 20 Minuten warm und zugedeckt gehen lassen.
  6. Unterdessen den Backofen auf höchster Stufe (ca. 250°) direkt mit einem Backblech vorheizen. Wer einen Pizzastein besitz, sollte diesen nach Gebrauchsanweisung verwenden.
  7. Die drei (Teig-)Rohlinge am besten mit der Hand oder dem Nudelholz in Pizzaform bringen. Hierbei helfen weiteres Mehl als Trennmittel und Geduld für ein gutes Ergebnis.
  8. Den Pizzaboden auf einer bemehlten Unterlage, mit der man ihn in den Backofen befördern kann (z.B. Holzschaufel, Schneidebrett, Glasplatte, etc.), platzieren und mit der Pizzaiola bestreichen. Hier kann leicht Frustration entstehen, wenn die Pizza wegen der Feuchtigkeit an der Unterlage zu haften beginnt. Mehr Mehl, als Material Holz oder Glas und schnelleres Arbeiten können hier helfen.
  9. Nach persönlichem Geschmack belegen und 10 bis 13 Minuten direkt auf dem ebenfalls mit Mehl bestreuten Blech bzw. Pizzastein ausbacken. Dabei helfen der Käse und Erfahrungswerte für die Feinabstimmung der Backzeit.
  10. Die zwei restlichen Pizzen nach gleichem Muster zubereiten und backen.

Neutrale Crêpes

Metadaten des Gerichts 

Kochniveau: 4/10  Dauer: ca. 60 Minuten  Art: Hauptgericht, Snack/Dessert (~ 8 Crêpes)   Kosten: Günstig

Rezept zum Ausdrucken: Neutrale Crêpes (PDF)

Zutatenliste

  • 150g Weizenmehl (Im historisch-deftigen Original wird nur Buchweizenmehl verwendet, mein erstes Experiment in dieser Richtung steht noch aus)
  • 50g Weizenvollkornmehl
  • 325ml Milch
  • 75ml Mineralwasser
  • ca. 2 EL Keimöl oder Sonnenblumenöl (Hauptsache aromatisch mild)
  • 1 Prise Salz (Wenn man den Teig nicht neutral halten möchte, kann man hier für die deftige Version erhöhen, Kräutersalz macht hier alternativ auch eine gute Figur) 
  • 1 Prise Zucker (Wie oben, für die süße Variante hier erhöhen)
  • 3 Eier

Praxis-Anleitung

  1. Die Mehlsorten in eine Rührschüssel geben sowie Salz und Zucker beifügen. Sollen süße oder deftigere Crêpes zubereitet werden, entsprechend erhöhte Menge wählen.
  2. Milch und Mineralwasser mischen, um diese Flüssigkeit daraufhin schrittweise in die Schüssel zu geben. Dabei den Teigansatz mit einem Handmixer einige Minuten gründlich verrühren.
  3. Den Teig kurz ruhen lassen, also 5 bis 10 Minuten zugedeckt zur Seite stellen. Je nach späterer Füllung, kann diese währenddessen vorbereitet werden. Was sich hierzu eignet, kennt man vom Crêpes-Stand, wobei der Kreativität bei der Auswahl der Zutaten und dem würzen kaum Grenzen gesetzt sind.
  4. Nun eine Pfanne auf mittlere Hitze bringen und mit dem Öl ausstreichen, also keinesfalls einfach mitten auf den Boden schütten.
  5. Den Teig mit einer Kelle zentral in die Pfanne geben und schnell so schwenken, dass sich der flüssige Teig gleichmäßig auf dem Boden verteilt. Als Portion hat sich bei mir eine fast gefüllte Suppenkelle bewährt.
  6. Kurz backen bis der Teig fest wird und dann wenden. Dies geht gut mit einem Spatel oder Mutige können mit einem geschickten 180°-Wurf wenden.
  7. Nachdem beide Seiten kurz gebacken wurden, nach Wahl befüllen bzw. bestreichen, in der Hälfte umklappen und noch kurz fertigbacken. Je nach gewünschter Bräunung und dem Belag variiert die Backzeit.
  8. Für die weiteren ca. 7 Crêpes genau so verfahren.

    Flammkuchen mit Creme

    Metadaten des Gerichts 

    Kochniveau: 4/10  Dauer: ca. 45 Minuten  Art: Hauptgericht (~ 4 Fladen)  Kosten: Günstig

    Rezept zum Ausdrucken: Flammkuchen mit Creme (PDF)

    Zutatenliste

    • 250g Weizenmehl
    • 50g Roggen(vollkorn)mehl (Wahlweise verzichtbar, dann 50g mehr Weizenmehl)
    • 160ml Wasser
    • 2 EL Sonnenblumenöl (Ersatzweise jedes geschmacklich neutrale Öl)
    • Ca. 200g Crème fraîche
    • 2 TL Salz
    • 1 TL Weißer Pfeffer
    • 2 EL Milch
    • Nach Bedarf Mehl als Trennmittel
     

    Praxis-Anleitung

    1. Für den einfachen Teig die zwei Mehlsorten mit einem TL Salz, dem Öl und schrittweise dem Wasser in einer Rührschüssel mit der Hand verkneten. Zur Not auf ein Handrührgerät ausweichen.
    2. Sobald ein gleichmäßiger Teig entstanden ist, der nicht mehr klebt, auf vier Portionen aufteilen und noch kurz, also 5 bis 10 Minuten, ruhen lassen.
    3. Den Backofen derweil auf höchste Stufe (ca. 250°) mitsamt Backblech vorheizen. Ein Pizzastein ist eine gute Alternative zum Blech.
    4. Für die Creme die Crème fraîche mit dem zweiten TL Salz, dem weißen Pfeffer und der Milch in einer Schüssel vermengen.
    5. Sofern nötig, den Belag vorbereiten, sodass für die letzten Schritte alles zur Verfügung steht.
    6. Den Teig hauchdünn auf einer bemehlten Fläche ausrollen: je dünner desto besser.
    7. Daraufhin auf einer ebenso bemehlten Unterlage, mit der man ihn in den Backofen befördern kann (z.B. Holzschaufel, Schneidebrett, Glasplatte, etc.), platzieren und mit der Creme bestreichen. Bei diesem Schritt kann leicht Frustration entstehen, wenn der Flammkuchen wegen der Feuchtigkeit an der Unterlage zu haften beginnt. Mehr Mehl, als Material Holz oder Glas und schnelleres Arbeiten können hier helfen.
    8. Nun noch den Belag der Wahl grob, nicht zu dick und gleichmäßig über die Creme verteilen. Klassische Varianten werden mit Speck und Zwiebeln belegt, aber von deftigen bis süßen, fleischigen bis vegetarisch Zutaten ist hier vieles verwendbar, vom würzen ganz zu schweigen. Ich belege sehr gerne zusätzlich zur Klassik mit Frühlingszwiebeln, Datteltomaten und Ziegenkäse.
    9. Direkt auf dem mit Mehl bestreuten Blech/Pizzastein ca. 10 Minuten backen. Sobald der Teig zu bräunen beginnt, aus dem Backofen nehmen und servieren.
    10. Die drei weiteren Flammkuchen wie oben zubereiten.

Quarkwaffeln mit Heidelbeerjus

Metadaten des Gerichts 

Kochniveau: 2/10  Dauer: ca. 60 Minuten  Art: Snack/Dessert (~ 10 Waffeln)  Kosten: Günstig

Rezept zum Ausdrucken: Quarkwaffeln mit Heidelbeerjus (PDF)

Zutatenliste – Waffel

  • 350g Weizenmehl
  • 250g Quark
  • 150g Zucker
  • 125g Margarine
  • 150ml Milch
  • 2 EL Sonnenblumenöl (Ersatzweise jedes geschmacklich neutrale Öl)
  • 1 TL Backpulver
  • Eier
  • 2 Pck. Vanillezucker
  • 1/2 Fläschchen Vanille-Butter-Aroma
  • Nach Bedarf Margarine für das Waffeleisen

Zutatenliste – Jus

  • 1 Glas/500g Heidelbeeren
  • 1/2 TL gemahlene Nelken
  • 2 EL Honig
  • 1 Prise Kardamom
  • Nach Bedarf Gelierzucker (Zum schnelleren Eindicken der Jus, aber mit Geduld überflüssig. Als Alternativen helfen Agar-Agar oder Stärke)   
 

Praxis-Anleitung

  1. Für den Teig alle Zutaten in eine Rührschüssel geben und mit einem Handrührer 5 Minuten zu einem glatten Teig verrühren. Diesen beiseite stellen und während die Jus hergestellt wird, ruhen lassen.
  2. Die Heidelbeeren in einem Kochtopf erhitzen und zum Kochen bringen. Nun Honig, Nelke und Kardamom einrühren, die Hitze reduzieren und köcheln.
  3. Bei mittlerer Flamme mit oder ohne Hilfsmittel reduzieren, wobei die Kochzeit dann beendet werden kann, wenn eine dickflüssige Konsistenz erreicht werden konnte.
  4. Während die Jus einkocht, können bereits die ersten Waffeln zubereitet werden. Dafür eignet sich eine tiefe Waffelform besser, als diejenige für flache Herzwaffeln.
  5. Die Form vor der Zubereitung jeder Waffel mit Fett einstreichen und je nach Gerät solange backen, bis der Teig fest und leicht braun geworden ist. Bei waren das ca. 5 Minuten pro Stück.
  6. Die fertigen Exemplare entweder warm halten, um sie zusammen aufzutragen, oder direkt servieren. Dafür zuletzt mit der Jus übergießen.

Teil 2 – Ohne Worte viele Worte

Ruhe und Frieden

Zweiter Teil: Seiten 4 – 7

Sicherlich, sie konnte einfach ihre Rüstung aktivieren und auf eine Recherche in den Datenbanken ansetzen. Xentar würde das hinkriegen – so hießen sowohl das Model als auch die KI ihrer Technorüstung, denn sie hatte sich nicht die Mühe einer Individualisierung des technischen Bewusstseins gemacht. Sie beließ die vielen oberflächlichen Detaileinstellungen technischer Systeme gewöhnlich in ihrem Werkszustand; das war sicherer, robuster und störungsfreier.

 

Zurück zur Orientierung – der Name irgendeines Vulkans in irgendeiner Gegend war jedenfalls äußerst bedeutungslos für ihre Pläne. Wichtig war hingegen seine Lage, denn hier an dieser doppelten, geo-politischen Grenze hatte sie den nördlichsten Punkt ihrer aktuellen Route erreicht. Von hier aus wollte sie erst ostwärts reisen und dann nach Süden weiterziehen. Sie war gezwungen, die Richtung zwei Mal so drastisch zu ändern, weil sie sonst direkt in die fast immer umkämpften Grenzregionen spazieren würde, vom Vulkan mal abgesehen. Dort trafen Fronten aufeinander, zwischen die sie nie wieder geraten wollte. Im Norden lag eine zweite, für sie auch namenlose, europäische Macht mitsamt einer bevölkerungsstarken Lebenszone, ähnlich ihrem Verbündeten im Osten, der für den Schwenk Richtung Süden sorgte.

 

Vor allem gab es wegen eben dieser Nähe zur menschlichen Zivilisation dort vermutlich sowieso kaum Beute zu machen. Ihr Geschäftsmodell war auf endliche Ressourcen gegründet, die Beute stark begrenzt, deshalb aber sehr begehrt und entsprechend teuer.
So wahllos sinnierend gönnte sie sich noch ein wenig mehr dieser unendlich wertvollen Friedenszeit. Sie kam wieder zu sich, erfrischte ihre Energien, erholte sich mental und lud ganz nebenher zusätzlich noch Xentars Speicher auf. Die waren derzeit beinahe zu 100% aufgeladen, wie ein kurzer Blick auf eine simple Anzeige am linken Handgelenk ergab.
Da sie auf einer Beutetour sowieso nicht anspruchsvoll meditieren konnte, erlaubte sie sich vermehrt geistige Lässigkeiten. Sie ließ sich von ihren Gedanken treiben und triftete zufällig von Einfall zu Einfall. Zu einer Zeit, zu der sie sonst einen Sonnengruß entbot, war sie geistig in alle Winde zerstreut. Sie fokussiert alles Mögliche, nur nicht den Augenblick, schweifte vorsätzlich ab, sprang unmotiviert von Erinnerungen hinüber zu Emotionen, dann kurz weiter zu den Sinnen und wieder zurück.

 

Jetzt dachte sie schon wieder über das Leben in der Todeszone und die dort geltenden Gesetze nach.

 

Es konnte ja nicht schaden, auch in ihrer täglichen Horrorpause mental ein klein wenig zu trainieren. Sie dachte sonst so häufig wie möglich an ihre diversen Grundregeln, denn sie war überzeugt, dass Worte und Gedanken um so mächtiger wurden, je öfter sie gedacht wurden. Wenn diese Regeln ihr Überleben zu sichern halfen, waren sie wenigstens den spielerischen Versuch einer Sammlung und Vereinfachung wert. Es musste doch möglich sein, die unüberschaubare Vielfalt auf wenige Prinzipien zu verdichten, die sie sich anschließend als einzelne Wörter leichter merken konnte.

 

Sie fasste einen Vorsatz: Zukünftig würde sie weiter abschweifen, wollte aber von nun an auf nützliche Art nach und nach das wiedererinnern, was sie die Jahre über an Erfahrungsschätzen angesammelt hatte. Sie wälzte es ja sowieso immer mal wieder in Gedanken, also war es nur eine Frage der Zeit, bis sie alle Ideen beisammenhatte und das mit den einfach zu merkenden Prinzipien würde sie auch irgendwie hinbekommen, fügte sie sich ermunternd hinzu.

 

Ein bisschen Orientierung konnte auch nicht schaden, dachte sie sprunghaft und erinnerte sich mühselig an die entscheidenden Fakten: Dieser Landstrich war vormals als Eifel bekannt gewesen. Hier hatte es Jahrhunderte lang einen ausgedehnten Naturpark gegeben. Im Zuge der globalen Urbanisierung war die Kernregion zur Atmungszone erklärt und entsprechend kultiviert worden. Das Umland war, wie aller Grund und Boden außerhalb der globalen Naturlungen, immer stärker erschlossen worden, nur um dann schlussendlich so zu enden, wie es nunmehr fast überall aussah. Aktuell war der Großraum nämlich restlos entvölkert, wieder ganz und gar verwildert, eine waschechte Wildnis mitten in der Todeszone eben. Nach dem großen Knall hatten besonders der wiedererwachte Vulkanismus und schließlich die globalen Schrecken des unmöglichen Krieges der Region endgültig ihren Todesstoß versetzt.

 

Es war die Hobbyforscherin in ihr, die sich vor den Beutetouren solche praktisch meist zweitrangigen Hintergründe über die Orte aneignete, die sie später auf den einzelnen Etappen ihrer Route besuchen wollte. Da sie sehr vergesslich war, prägte sie sich die wenigen, wirklich wichtigen Tatsachen meist mehrfach ein. Deswegen war sie jetzt sogar ein klein wenig stolz auf ihre Erinnerungsleistung. Ihr Gedächtnis machte ihr häufig zu schaffen und war damit eine zweite Baustelle in ihrem Leben.

 

Gerade deshalb, so tröstete sie sich pragmatisch, tat sie alles, um ihr Bewusstsein zu schulen und ihren unruhigen Körper zu beruhigen – außer im Moment, gestand sie sich ein und geleitete ihr Denken weiter, in andere, neue Bahnen: Sie war in vielerlei Hinsicht Autodidaktin, an Leidenschaft und Akribie mangelte es ihr deshalb aber keineswegs. Zuallererst empfand sie sich jedoch als Kämpferin und Abenteurerin, als eine Frau der Tat, der Aktion und des Kampfes. Denken und Vernunft waren nur Mittel zum praktischen Zweck, nicht mehr aber auch nicht weniger.

 

Solche Momente der Selbstvergewisserung waren im Laufe der wochenlangen Streifzüge durch die Wildnis eine unerlässliche Form der Psychohygiene. Ohne ein soziales Gegenüber, lauerte hier draußen ständig die Gefahr, sich selbst im überwiegenden Alleinsein zu verlieren, schlimmstenfalls verrückt, wahnsinnig zu werden: Wisse wer du bist, was du willst und wie du handelst. Charakterfestigung und Selbstbestätigung zu betreiben, war hierfür ein sehr wichtiges Denkritual, Identitätsarbeit oder besser Selbstsorge das dazu passende Prinzip.

 

Nummer eins, der Anfang war gemacht, lobte sie sich verhalten. Sie verweilte noch ein paar weitere Minuten in ihrer zerstreuten und zugleich sammelnden Versunkenheit. Dabei versuchte sie sich vorsatztreu in der stummen Erinnerung der vielen Überlebensregeln und Grundsätze, die sie über die Jahre hinweg so ersonnen hatte. Sie fielen ihr spontan und auf Abruf nur spärlich ein, also musste sie geduldig mit sich sein. Zudem hatte sie so ihre Probleme damit, die paar gefundenen Erfahrungsschätze in Prinzipien umzudenken. Verallgemeinerung lag ihr nicht, nicht dass sie intellektuell überfordert gewesen wäre, aber sie mochte es überhaupt nicht, dem Besonderen ein Allgemeines vorzuziehen. Es war ihr an sich zuwider, dennoch erkannt sie für sich die Vorteile an und gelobt innerlich Besserung.

 

Sie ermahnte sich, ermunterte sich wieder zu Milde und Gelassenheit. Rasch entspannte sie sich und meditierte im Freistil, paradox und unkonventionell ging das vor sich: Erfüllt und verschont von weiteren Kaskaden wahlloser Eindrücken und kreisender Gedanken, die sich in einer endlosen Kette aneinanderreihten. Keines der Glieder vermochte besonders lange präsent zu bleiben, kaum der springenden Aufmerksamkeit wert. Sie war gleichzeitig gebunden und frei.

 

Zwischendurch kehrte sie immer wieder zurück in die wirkliche Welt, erfreute sich der phänomenalen Schönheit der Situation, in der sie sich gerade befand, genoss sie mit allen Sinnen. Sie konnte über den Krater hinweg bis weit in die Ruinenwüsten des Rheinlands schauen. Verschwommen erkannte sie im Norden noch den weiteren Orbitalkanal, um den herum das Herz der dortigen Lebenszone pochte. Der fast perfekte Sonnenuntergang, seine sanfte Wärme auf der Haut, die dynamische Mischung aus Natur und Kultur und ihre emotionale Reaktion darauf, die rauchige Luft und der säuselnde Wind, von dem die würzigen Gerüche des nahen Waldes herangetragen wurden, vermischt mit Noten von Verbranntem und Schwefel – ja, ganz sicher –, die Steine und die Kiesel, der Sand unter ihrem Hintern und der fast verschwundene Geschmack der Waldbeeren, die sie auf dem Hinweg gegessen hatte, all diese Empfindungen nahm sie dankbar und begierig auf.
Schlussendlich war sie befriedigt, war bereit für die beginnende Nacht. Sie fieberte vor allem bereits dem nächsten Tag entgegen, war auf seine Herausforderungen und Gelegenheiten gespannt, war schon voll Vorfreude. Hoffentlich ging die Nacht schnell vorüber, begleitet von angenehmen Träumen und ohne lästige Störungen, formulierte sie ein paar fromme Wünsche.

 

Ach, das geht schon, gab sie undiszipliniert nach – noch ein paar wenige Minuten durfte sie sich gönnen, sie würde auf dem Rückweg einfach ein bisschen schneller laufen.
Plötzlich donnerte ein urtümlicher Schrei aus weiter Ferne heran. Laut und knarzig dröhnte er trotz der sicherlich großen Distanz, die er zurückgelegt haben musste.
Ihre Gedanken brachen abrupt ab, so als wollte die Welt ihr kundtun, was sie von der eben gefällten Entscheidung hielt: wenig bis gar nichts. Sofort wurden Instinkte geweckt, augenblicklich und unweigerlich. Sie erwachten abrupt und regten sich mehr als nur zaghaft. Der Schrei erinnerten sie daran, ermahnten sie ja förmlich, sich nun endlich loszureißen, um einen sicheren Unterschlupf zu finden. Je länger sie damit wartete, desto schneller musste sie später sein, motivierte sie sich, ihre Laune zu überdenken. Und desto mehr Monster vertreiben, fügte sie zähneknirschend hinzu.

Achtung: Lyrik-Alarm!

Lyrik-Alarm!

Er schrillt unglaublich laut, durch die Gänge der Redaktionsräume von Quanzland. Die Mitglieder der Metatext-Redaktion verkriechen sich in ihren Büroboxen ganz tief unter ihrem Schreibtisch, die Hände fest auf die Ohren gepresst. Wie eine Schulglocke, wie eine Totenglocke, bedrohlich und lächerlich gleichermaßen.

Bisher war der Alarm eher selten erklungen, nun aber wird das öfter vorkommen – dafür sorge ich höchstselbst und mit diabolischem Genuss. Heute erst war ich für einen doppelten Alarm von beträchtlicher Länge verantwortlich. Die Töne hallen mir noch in den Ohren, aber das war es wirklich wert. Von der Banause zum Banausen-Sadist, ist mein derzeitige Leitmotiv im Umgang mit den Redakteuren.

Das schlichte Gedicht, damit eine der kräftigsten und ältesten Quellen dessen, was wir mindestens Literatur, manch einer überzogen gar Kultur nennt: Die gut alte Lyrik. Wer hat sie in der Schule nicht hassen gelernt? Eine Frage deren Umfrage mich wahrlich reizen würde. Ich jedenfalls bin seit Langem wortaffin, musste mich aber noch länge und zwar gründlich von der Lyrikunlust erholen, die mir die Schule, der Deutschunterricht in seiner Brillanz verpasst hatte.

Nun erwacht sie wieder, zaghaft aber stetig. Wo waren und sind Worte freier und fließender: im Roman, dem Internetvideo, dem Hörspiel oder dem Gedicht? In Allem potentiell und in der Gewichtung wohl immer individuell. Meine Gewichtung jedenfalls verschiebt sich ständig.

Diese Dynamik ist hart erarbeitet und erscheint aus anderem Blickwinkle womöglich als Rastlosigkeit, Sprunghaftigkeit oder sogar als Oberflächlichkeit. Vielleicht ist beides wahr, unwahrscheinlich nur eines von beiden oder vermutlich keines. Allerdings gibt es so viel zu entdecken, warum also: rasten, stillstehen oder versinken?

Die doppelte Dosis Dichtung,

derentwegen die demütigen Diener daniederknien,

darf durch die Düsternis der dunklen Dame dein Denken dekontaminieren.

Ein Lyrikalarm setzt an, droht aufzubranden, bricht aber sofort wieder ab: Fehlalarm – Puh, Glück gehabt!

Nun aber endlich zu den zwei Anlässen des nächtlichen Textes, den Dichtern Heine und Hoffmann von Hoffmannswaldau. Beiden gingen wohl offenen Ohres und Herzens durch ihre Welt. Deren Tendenzen in ihrer Vergangenheit und Zukunft aufzuspüren, den Zeitgeist einzufangen und allesamt sorgsam zu verdichten, gelang ihnen meisterlich: „Eins Plus“ – Aufgabe voll erfüllt und mit herausragendem Talent aufgefallen.

Die beiden dazugehörigen Alarme liegen bereits hinter den armen Teufeln, die unter mir und meinen Allüren leiden müssen, seit ich hier und jetzt tippe. Während meine Meta-Texter deshalb nunmehr zögerlich und verschüchtert, manche sogar sichtlich verstört, unter ihren Tischen hervorkriechen, schreite ich stumm tippend zur Text-Tat. Zwei erlesen Exempel deutscher Literatur, Text-Fast-Food möchte ich fast sagen, wären sie nicht so unglaublich nahrhaft und sättigend, wird pünktlich zum Frühaufsteher-Frühstück serviert.

In freudig-fieser Erwartung kommender Lyrik-Alarme, Euer Satorius

P.S. der geschundenen Metatext-Redaktion: Von nun an ist es gegen unsere ausdrückliche Bitte und zu unserem Leidwesen möglich, die lyrischen Exempel an Text-Fast-Food in der Unterkategorie Lyrik-Alarm (Direktlink) zu finden.


Ich kenne die Weise, ich kenne den Text,

Ich kenn auch die Herren Verfasser;

Ich weiß, sie tranken heimlich Wein

Und predigten öffentlich Wasser.

Ein neues Lied, ein besseres Lied,

O Freunde, will ich euch dichten!

Wir wollen hier auf Erden schon

Das Himmelreich errichten.

Wir wollen auf Erden glücklich sein,

Und wollen nicht mehr darben;

Verschlemmen soll nicht der faule Bauch,

Was fleißige Hände erwarben.

Es wächst hienieden Brot genug

Für alle Menschenkinder,

Auch Rosen und Myrten, Schönheit und Lust,

Und Zuckererbsen nicht minder.

Ja, Zuckererbsen für jedermann,

Sobald die Schoten platzen!

Den Himmel überlassen wir

Den Engeln und den Spatzen.

Und wachsen uns Flügel nach dem Tod,

So wollen wir euch besuchen

Dort oben, und wir, wir essen mit euch

Die seligsten Torten und Kuchen.

Heinrich Heine (1797 – 1856), Deutschland. Ein Wintermärchen: S. 6f (Caput 1; 1844)


Was ist die Welt und ihr berühmtes Glänzen?
Was ist die Welt und ihre ganze Pracht?
Ein schnöder Schein in kurzgefaßten Grenzen,
Ein schneller Blitz bei schwarzgewölkter Nacht,
Ein buntes Feld, da Kummerdisteln grünen,
Ein schön Spital, so voller Krankheit steckt,
Ein Sklavenhaus, da alle Menschen dienen,
Ein faules Grab, so Alabaster deckt.
Das ist der Grund, darauf wir Menschen bauen
Und was das Fleisch für einen Abgott hält.
Komm, Seele, komm und lerne weiter schauen,
Als sich erstreckt der Zirkel dieser Welt!
Streich ab von dir derselben kurzes Prangen,
Halt ihre Lust für eine schwere Last:
So wirst du leicht in diesen Port gelangen,
Da Ewigkeit und Schönheit sich umfaßt.

Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau (1616 – 1679), Die Welt (1647 – 1648)

Teil 1 – Wer es nicht lassen kann, sollte es nicht lassen

Er lässt es nicht, kann es nicht lassen! Wer bin ich, ihn aufzuhalten? Also Glückauf, munter weiter des Weges! Aber wo soll es eigentlich hinführen?

Nach den ersten Gehversuchen auf dem steinigen, langen Pfad zum noch namenlosen, unendlichen Roman bekommen wir heute einen ersten Teil eines neuen Kapitels zu lesen. Wie zuvor bei der ersten Version der Rückkehr des Fast-Magisters werde ich den Gesamttext in mehrere Teile zerhacken und nach und nach, Stück für Stück servieren. So wird der Textbrocken sicher bekömmlicher und vielleicht lässt er sich so besser verdauen.

Wieder gewinnen wir damit einen neuen Zugang. Ein anderer Blick schweift, andere Sinne erschließen sich eine Welt – ihre je eigene Welt. Bisher lernten wir neben der von Xaver Satorius, nur die Perspektiven von Yin und Yang kennen. Wer aber ist diese neue Figur aus der Feder des Dilettanten? Hat er dazugelernt oder nicht? Entsteht nun vielleicht sogar zaghaft so etwas wie eine Rahmenhandlung, oder begibt sich lediglich ein weiterer eigenständiger Handlungsstrang auf seinen ungewissen Weg in eine nebulöse Zukunft? Fragt und urteilt selbst, über Ruhe in Frieden.

Schaurig-schöne Lektüre, Euer Satorius

P.S der Metatext-Redaktion: Die älteren Ergüsse des Schreibgesellen finden sich in den vorhergehenden Beiträgen der neuen Unterkategorie Originale (Direktlink), da sie sonst in den tiefen des Archivs ungesehen verschwinden könnten. Aber Achtung, über 50 Seiten allererste Schreibexperimente lauern dort auf den unvorsichtigen Leser! Die Angaben in Klammern ordnen den Titeln ihre Kapiteldetails im Gesamtkontext des namenlosen Werkes zu.

Ein Neumensch im Ausnahmezustand (XS1)

Ein Sturm zieht auf (YY1 – V. 0.9)

Xaver mal anders (XS2)


Ruhe und Frieden

Erster Teil: Seiten 1 – 4

Die Sonne schickte sich soeben an, blutrot hinter den Ruinen der ehemaligen Wohntürme unterzugehen. Auf den Spitzen der erhalten gebliebenen Arkologien, die früher einmal zigtausenden Menschen eine Heimat geboten hatten, wuchsen nun Bäume und Pflanzen. Zusammen mit den Resten der kolossalen Architektur und den Höhenzügen der hügeligen Landschaft zeichneten sich die Silhouetten dieser jungen Wälder malerisch gegen den Horizont ab. Als Schatten lagen sie dunkel vor einem leuchtenden Himmel, der von Hellblau über Blassgelb bis Karmesinrot alle farblichen Nuancen und Abstufungen eines perfekten Sonnenuntergangs aufbot.

 

Sie genoss dieses Panorama, die besondere Situation. Sie war alleine hier draußen, hier oben, am Abgrund. Sie ließ sich während dieser wertvollsten Minuten des Tages von Frieden, Harmonie und Schönheit erfüllen. In der Umgebung gab es vermutlich nur wenige Menschen, denen es wie ihr vergönnt war, die Kraft dieses Anblicks in sich aufsaugen zu dürfen – zugleich atemberaubend und erholsam. So konnte sie Wärme, Energie und Zuversicht für die kommende Nacht tanken. Das war nötig.

 

Aus Erfahrung wusste sie, wie trügerisch diese idyllische Atmosphäre manchmal trotz des scheinbaren Friedens sein konnte; ein Wissen, ohne das sie sich weit tiefer hätte entspannen können. Vielleicht wäre sie sogar fähig gewesen, den Moment in meditativer Versenkung voll ausschöpfen zu können. Teilweise tat sie das hier und jetzt, aber eben nicht mehr als die zum Überleben nötige Anspannung ihr erlaubte. Da war im heraufdämmernden Zwielicht der nahenden Nacht – Friedenszeit hin oder her – natürlich entschieden weniger, als am lichten Tag.

 

Derzeit befand sie sich auf einer weiteren Beutetour durch eine weitere der vielen zerstörten Kulturlandschaften, die einst Zierde menschlicher Hochzivilisation gewesen waren. Sie wusste kaum noch zu sagen, die wievielte Region in ihrer Laufbahn sie hier gerade durchstreifte, ehrlicherweise eigentlich plünderte. Viel wichtiger war nämlich, dass hier wie anderswo Artefakte, Schätze und allerlei Botschaften aus der Vergangenheit nur darauf warteten, erst entdeckt und sodann geborgen zu werden – oder geplündert, was nur eine Frage des Blickwinkels war. Dinge und Informationen von unschätzbarem Wert lockten: Kleingeräte und Speichermedien, wertvolle Rohstoffe und Ressourcen, Kunstwerke sowie Dokumente und allerlei dekadenter Tand. All dies musste nur in Besitz genommen werden. Die handfesten Werte unter dem Beutegut konnte sie anschließend einträglich und problemlos verkaufen. Das nebenbei unablässig gesammelte Wissen und die gemachten Erfahrungen bereicherten hingegen ihren ganz privaten Schatz; und dieser wuchs weiterhin kräftig an.

 

Sie liebte die Zeit hier draußen, obwohl oder gerade, weil das Leben in der Todeszone so unvorhersehbar und abenteuerlich, so wild und gefährlich war. So ganz und gar verstand sie sich an diesem Punkt auch nicht. Es ging ihr wohl vor allem um drei Dinge: Freiheit, Autonomie und Stärke. Drei Werte, die zurzeit jedoch nur zu einem hohen Preis gelebt werden konnten. Stete Wachsamkeit war nötig, geistige Belastungen und physische Strapazen mussten duldsam getragen werden. Und trotz aller Erfahrung und Voraussicht ließen sich häufig auch Kämpfe nicht vermeiden. Auf diese folgten dann im Regelfall: Leid und Qual. Ein Duo, dem sie meistens sogar offen gegenübertrat – austeilen und einstecken, ehrenvoll und mit Würde. Ebenso hielt sie es mit Angst und Furcht; hier draußen ständige Begleiter, die sie mit einer grimmigen Lust am Nervenkitzel willkommen hieß. Blieben zuletzt Ekel und Abscheu, ein Duett, auf das sie gerne verzichtet hätte. Genau in beim Umgang mit diesen beiden Empfindungen befand sich ihre aktuelle Charakterbaustelle.

 

In der erfolgreichen Bewältigung der vielen widerwärtigen Eindrücke, die sich hier draußen unvermeidlich durch alle Sinne aufdrängten, lag das große Kontra ihres Daseins. Denn hier waren unsägliche Hässlichkeit, Übel und Disharmonie allgegenwärtig und aufdringlich gleichermaßen. Soviel zur Reflexion dachte sie zufrieden – ein bisschen Katharsis schadete ihrer Stimmung nie. Um all das, was hier auf einen einstürmte, gesund und munter zu überstehen, bedurfte es gründlicher Psychohygiene, zudem unerschütterlicher Charakterstärke und fester Gewohnheiten. Ihre Rituale und Regeln unterstützen sie bei dieser Aufgabe. Somit gab es – Manitu sei dank – regelmäßig solche Momente wie diesen: Schönheit, Ruhe und Harmonie beseelten zwei Mal am Tag ein kurzes Zwischenspiel, morgens und abends herrschte fast eine ganze Stunde Frieden in der Todeszone. Dadurch gewann sie Zeit und Raum für reichlich Muße und ein wenig Müßiggang, die während der restlichen Stunden des Tages kaum einen Platz fanden. Die übrigen, nicht mehr ganz 22 Stunden, kämpfte sie um Beute und ihr Überleben, von den sechs Stunden Schlaf mal abgesehen. So war es und das war ihr Alltag, bestätigte sie mental die Gegebenheiten.

 

Bald jedoch musste sie aufstehen und ihren Lieblingsplatz der aktuellen Tour – so hatte sie eben spontan beschlossen – räumen. An diesen Ort und die epische Atmosphäre dieser Situation würde sie sich noch lange erinnern, so hoffte sie inständig: Mit dem Hintern lässig auf dem Kraterrand, die Beine im Abgrund eines Vulkans baumelnd, hatte sie einen grandiosen Sonnenuntergang vor einem widerstreitend-schönen Panorama genießen dürfen, das seines Gleichen suchte. Nein, korrigierte sie sich, sie genoss das alles noch immer, in vollen Zügen; genau jetzt und genau hier.

 

Hierauf musste sie sich eine Zuflucht für die kommende Nacht suchen, für sich und ihren Mjuhlie, der sie auf Beutetour stets begleitete. Jener war derzeit schon fast voll beladen, mit den unzähligen Beutestücken der letzten drei Tage. Leider lockte ihr tumber Transportrobot durch seine Andersartigkeit Fauna wie Flora unvermeidlich an. Mit seiner unnatürlichen Geräuschkulisse, seinen seltsamen Gerüchen, vor allem durch seine aufdringliche Erscheinung fiel der Koloss aus Metall und Kunststoff unweigerlich auf. Deshalb war sie es bereits gewohnt, bei ihrer Rückkehr nach der Pause eine Schar neugieriger Wesen vertreiben zu müssen. Die schlichen dann gewöhnlich argwöhnisch um den Kubus herum, der mit seinen drei mal drei mal drei Metern Volumen kaum zu übersehen war, und mussten dann vertrieben oder beseitigt werden. Ihn würde sie daher zuerst und sehr gründlich verstecken müssen, danach konnte sie in der Nähe ein gemütliches Lager für sich selbst einrichten. Eine verlassene Höhle oder ein freies Gebäude wären ein perfekter Unterschlupf für die Nacht, fantasierte sie entgegen Erfahrung und Erwartung zugleich. Dann endlich konnte sie sich in Ruhe hinlegen, einschlafen und hoffentlich gut und intensiv träumen. Die letzte Nacht war gut gewesen. Ja, Träumen war ein toller Ausgleich zur Realität, wie sie in einer Todeszone herrschte.

 

Klar, sie war freiwillig hier, und ja, sie konnte mit ihren Fähigkeiten und ihrer Ausrüstung problemlos überleben – aber wofür die Nacht im Freien verbringen? Es würde unnötig viel, zumal vermeidbare Kraft und überdies wertvolle Ressourcen kosten. Nachts waren erstens weitaus mehr Jäger unterwegs als im hellen Tageslicht und zweitens wollte sie den erholsamen Schlaf nicht aufschieben. Diesen Verzicht wollte und konnte sie auch nur begrenzt technologisch ausgleichen. Sich mindestens sechs Stunden Schlaf zu verordnen, hatte sich bewährt, also würde sie versuchen, es fortzuführen. Eine der Grundregeln des Kampfes, des Denkens und der Natur gebot ihr, überall dort Energie zu sparen und sich zu regenerieren, wo und wann das möglich war. Sparsamkeit war hier draußen unerlässlich, auch wenn sie mit diesem Prinzip nicht immer so konsequent war. Was waren schon Regeln ohne Ausnahmen – genau, keine Regeln sondern Gesetze und mit diesen wusste sie wenig anzufangen.

 

Sobald die Sonne untergegangen sein würde, musste sie den doppelsinnige Ausblick hinter sich lassen, in dem Verfall und Wachstum kollidierten, Leben und Tod symbolisch miteinander rangen, dabei war gänzlich unklar, welche Seite auf lange Sicht die Oberhand behalten mochte. Derzeit führte die Wildnis offensichtlich und klar mit weitem Vorsprung vor der Zivilisation. Es verdunkelte sich zusehends.

 

Bald würde sie dem schwindenden Licht des vergangenen Tages den Rücken zukehren und in Richtung der kommenden Nacht davoneilen. Bei diesem Gedanken schaute sie instinktiv kurz über ihre linke Schulter und erkannte, dass sich die Nacht hinter ihr in einer Front tiefster Dunkelheit ankündigte, die vom östlichen Horizont bedrohlich und scheinbar rasch heranrollte. Von der mächtigen Orbitalverbindung, die vor dem Horizont liegenden, sonst so aufdringlich war, sah sie wenig mehr, als sporadisch gestreute, bunte Lichter, eingefasst von dunklen Konturen vor einer satten Finsternis. Das Territorium einer der seltsamen europäischen Mächte mit einem Stadtmoloch, dessen Namen sich ebenfalls nicht eingeprägt hatte – irrelevant.

 

Sie wendete den Kopf wieder zurück und blickte versonnen hinab in den klaffenden Abgrund direkt vor ihr und unter ihren Füßen, wie er sich kilometerbreit, kreisrund und hunderte von Meter tief vor ihr aufspannte: ein düsteres Loch voll schroffer Felsen, an den Spitzen erleuchtet von vereinzelten Sonnenstrahlen. Die Luft hier oben war merklich heißer und schmeckte sie nicht sogar ein wenig nach Asche und Schwefel, oder bildete sie sich das bloß ein? Der letzte dokumentierte Ausbruch lag sicher schon eine ganze Weile zurück. Die rund um den Krater üppig wuchernde Vegetation belegte das doch eindrücklich. Auch wenn sie sich den Namen dieses gewaltigen Vulkans gar nicht erst gemerkt oder vielleicht auch nur sofort wieder vergessen hatte, der Ausbruch lag sicher schon länger zurück. An die wirklich wichtigen Fakten erinnerte sie sich immerhin leidlich, wenn auch bisweilen etwas vage. Für eine gute Schätzung hatte es meistens gereicht.

Heimat auf der Zunge und in der Nase

Wer hat es nicht, das nostalgisch besetzte Heimatgericht. Meistens hat es die Oma sogar noch besser als die Mutter gemacht, man hatte Vorfreude sobald man davon wusste und war es dann soweit, gab es kein Halten mehr: pure kindliche Gaumenfreude!

In meinem Fall hatte diese Stellung im Persönlichkeitsinventar eindeutig ein einziges Gericht inne: der Bloatz (Direktlink). Leib-und-Magen-Gericht einerseits, Familienidyll und Dorfidentität anderseits, alles das in einem war er, der gute alte Bloatz. Zumal es ihn mindestens ein Mal, selten mehr als zwei oder drei Mal im Jahr gegeben hatte. Die weiteren Chancen auf Bloatz-Genuss hingen von Glück und Zufall ab, womit die Vorfreude auf die seltenen Gelegenheiten um so größer war. Der eine garantierte Anlass war und ist – wer kennt es nicht – das eine große Heimatfest, namentlich bei mir das Dorffest.

Das Besondere hieran ist die Tatsache, dass der Bloatz dabei im Zentrum steht. Er wird von den erfahrensten Köchinnen zubereitet und im eigens für diesen Zweck errichteten Backhaus in einem Steinbackofen zubereitet. Dieser Ofen wird – man bemerke die traditionelle Rollenverteilung – von den Männern des Dorfes mit Reisig befeuert, ein Vorgang, der sich über zwei Tage hinzieht und viel Rauch und Schweiß mit sich bringt.

Die Luft wird erfüllt von strengem, aber dennoch reizvollem Reisigrauch, dicht und von Schwarz über Grau bis Weiß gefärbt, je nach Trocknung und Art des Anfeuerns. So wachte ich jedes Jahr mit diesem Geruch in der Nase auf und wusste glücklich was kommen würde: drei Tage Bloatz- und Dorffest. Neben Bloatz bedeutete das eine ganze Batterie an Freuden: Alle Freunde zu Besuch, Disco, Festgeld für (Kinder-)Bespaßung und Sinnenrausch, Pommes und Bratwurst und Solidarität. Alle zusammen sorgten wir für ein gemeinsames Fest, für uns selbst und für Gäste aus der näheren und weiteren Umgebung.

So war das damals. Und ist heute noch, allerdings in stark reduziertem Format, vor allem aber gänzlich entzaubert. So wundern die ständigen Tempuswechsel auch nicht, denn das heutige Dorffest liegt in weiter Ferne und vermag mich nicht mehr in die Heimat zu locken. Aber eines bleibt erhalten, der Bloatz. Auch ohne Reisigrauch und Backhaus gibt er noch ein verdammt leckeres Gericht ab. Das Rezept ist zwar sehr aufwendig, aber es lohnt sich.

Wie schon Marx wusste, entsteht der wahre Wert immer aus menschlicher Arbeit. Eine tiefe Einsicht in die (Meta-)Physik der Ökonomie, die im Kochen ihr treffendes Analog findet. Ebenso wie Marx, bin ich zwar kein Marxist, spiele aber gerne mit verschiedensten Theoremen und Paradigmen. Es hat mich dabei sehr erstaunt, wie anschlussfähig viele marxistische Begriffe sind, sogar auf die Sphäre des Kochens lassen sie sich anwenden: Entfremdung, Wertsteigerung, Stoffwechsel und Gebrauchswert sowie Dergleichen mehr.

Bevor es nostalgisch oder intellektuell noch weiter ausufert, geschwind zurück und vor zum eigentlichen Anlass: Das Rezept ist über Jahre mit viel Beratung entstanden und damit wohl ein erster wirklich klassisch zu nennender Beitrag in der Kulinarik. Hier meine lang elaborierte und leicht interpretiere Variante des Nieder-Stöller Bloatz.

Mit besonderen Grüßen in die Heimat, Euer Satorius


Nieder-Stöller Bloatz alá Quanzland

Metadaten des Gerichts 

Kochniveau: 6/10  Dauer: ca. 150 Minuten  Art: Hauptgericht  Kosten: Günstig

Rezept zum Ausdrucken: Nieder-Stöller Bloatz alá Quanzland (PDF)

Zutatenliste

  • 1,2kg Kartoffeln (Vorzugsweise weich kochend, womit ich bei der Kartoffel erstmals unterscheide und damit die weiche Variante in einem Rezept verwende. Alle vorher in Rezepten erwähnten Kartoffeln waren vorwiegend festkochend, falls die Frage bisher entstanden sein sollte)
  • 750g Brotteig (Genauer, ein Natursauerteig wie er für Roggenbrot bzw. Bauerbrot verwendet wird. In der Utopie wird dieser Sauerteig selbst mehrtägig geführt und gefertigt, pragmatischer aber ist er frisch vom Handwerksbäcker zu beziehen oder nötigenfalls kann er auch mit 500g trockener Brotbackmischung aus dem Supermarkt hergestellt werden) 
  • 1 riesige Gemüsezwiebel (Ersatzweise 3 Küchenzwiebeln) 
  • 125g Katenschinken (Wer es noch deftiger mag, kann auch Speck nehmen) 
  • 2 Becher Schmand
  • 1 – 2 EL (Kräuter-)Salz (Regional bzw. national heißt dieses Gericht bewusst Salzekuchen, also persönlich abschmecken und dabei bedenken: Die Menge an Zucker im ordinären Kuchen ist im Vergleich hierzu extraordinär)
  • 1 TL Fleur de Sel (Alternativ Meersalz oder obige Salzsorte)
  • 1 EL schwarzer Pfeffer
  • 1 TL weißer Pfeffer
  • 4 Eier
  • 2 EL Butter oder Margarine
  • (2 EL ganze Kümmelkörner)

Praxis-Anleitung

  1. Den Anfang macht der Brotteig, wo auch immer er herkam. Diesen zunächst nach einem (nochmaligen) Gehen an einem warmen Ort auf ein tiefes, eingefettetes Backblech geben. Solange kräftig andrücken bis die Masse dünn und ohne Rand auf dem Blech verteilt worden ist. Nun mit einer Gabel den Teig löchern und zugedeckt für weitere 45 Minuten zimmerwarm gehen lassen.
  2. Die geschälten Kartoffeln in einem großen Topf mit Salzwasser weich kochen.
  3. Währenddessen die Zwiebel schälen und in grobe (Halb-)Ringe schneiden. Nun den Katenschinken kurz auslassen, daraufhin die Zwiebel in der gleichen Pfanne in dem ausgelassenen Fett dünsten und für später beiseite stellen.
  4. Bei drei der vier Eier Eigelb und Eiweiß voneinander trennen. Danach die drei Eigelb zusammen mit einem Drittel des Schmands, dem weißen Pfeffer und dem Fleur de Sel verrühren. Das komplette Ei und die drei Eiweiß hingegen werden für die Kartoffelmasse aufgehoben.
  5. Nach dem Kochen die Kartoffeln stampfen und dabei die restlichen zwei Drittel Schmand, die aufgehobene Eimasse und die Butter untermengen sowie zuletzt mit (Kräuter-)Salz und schwarzem Pfeffer würzen.
  6. Während der Backofen auf 200° vorheizt wird diese Kartoffelmaße als nächstes gleichmäßig dick auf dem Brotteig verstrichen, mit dem Gemisch aus Schmand und Ei versiegelt sowie mit Speck, Zwiebeln und – sofern gewünscht – Kümmel garniert.
  7. Der fertig geschichtete Bloatz wird zuerst auf der untersten Schiene 5 Minuten bei 200° an- und dann 20 Minuten bei 180° ausgebacken. Ab der Hälfte der Zeit kontrollieren, ob die Zwiebeln verbrennen, um diese bei Bedarf mit Wasser zu bestäuben und dadurch zu retten.
  8. Nach dem Backen den Salzekuchen leicht auskühlen lassen, in rechteckige Stücke schneiden und warm genießen. (Im Kühlschrank aufbewahrt, kann er auf mehrere Tage verteilt genossen werden. Auch Einfrieren ist für einige Monate problemlos, also ohne Aromaverlust, möglich)