Populismus, Populismus und nochmal: Populismus

In seinem Plädoyer für eine Neufassung nationaler Identitäten mit einer Orientierung am Gemeinwohl auf die Elemente einer solchen idealen Nation ohne Nationalismus befragt, antwortet der Denker, der in den 90er-Jahren vom „Ende der Geschichte“ sprach, wie bald folgend. Dass er im Übrigen von der Geschichte des 21. Jahrhunderts eines besseren belehrt wurde und weiterhin wird, ist hier ein historisch nicht unwesentliches Hintergrundgetöse.

Hören wir hier zunächst genauer hin: Denn für diese kritische Eingangsbehauptung seien als Belege kurz verwiesen auf den Trump-Effekt, das Straucheln der EU-Integration – Stichwörter hierzu: Brexit, Verfassungsvakuum, Visegrád-Komplott und neoliberaler Lobbyismus – sowie das ökonomische und ideologische (Wieder-)Erstarken des globalen Nicht-Westens, repräsentiert allen voran durch China, Indien und teilweise auch Rußland.

Vor allem aber muss Fukumyama sich der Heimsuchung durch das uralte Schreckgespenst, welches die Demokratie seit ihrer antiken Geburtsstunde im vorchristlichen Griechenland bedroht, erwehren, eines Dämons, welcher mit den Waffen moderner Informationstechnologie bewehrt zu neuer Potenz erstarkt; die Rede ist von der Diktatur der dummen, weil manipulierbaren und unvernünftig wählenden, Massen, kurzum dem Populismus. Um diese Entität nachdrücklich zu beschwören, wage ich eine schriftliche Evokation: Populismus und nochmals Populismus.

Wie also reagiert der große Vordenker des vermeintlichen historischen Globaltriumphs liberaler Demokratien auf diese alte und neue Herausforderung unserer Gemeinswesen; was stellt er ihm entgegen?


Man braucht eine demokratische und freiheitliche, nationale Identität. Sie muss für Menschen mit unterschiedlichem kulturellen Hintergrund zugänglich sein, die unterschiedliche religiöse Ansichten haben, aber einen gemeinsamen Glauben an die demokratischen Institutionen. Das ist es, was ich im Deutschen als „Verfassungspatriotismus“ bezeichne; das ist also der Kern.

Aber was man braucht, ist ein starke emotionale Bindung. So wie sie die „Nation“ im 19. Jahrhundert hatte. Wir wollen nicht zu diesem blinden Patriotismus zurückkehren, der auf Rasse und Ethnizität basierte; aber wir brauchen ein gewisses Engagement, nicht nur eine intellektuelle Verpflichtung [@Satorius: „comittment“ im englischen Originaltext] sondern eine Verpflichtung der ganzen Person. Und das bedeutet, dass wir Symbole brauchen, die eine Nation zusammenhalten, gemeinsame Erfahrungen.

Und das ist der schwierige Teil dessen, was man „demokratische Nationenbildung“ nennen würde: Die Nation stark genug zu machen, dass sie diese emotionale Bindung erreicht, aber doch nicht so stark, dass sie zu Aggression und Ausgrenzung führt.

Francis Fukuyama (1957 – ), Gespräch unter dem Titel „Populismus – Ende der Demokratien?“, in: Precht – 31.03.2019, ZDF, 22:47-24:07 (Direktlink: https://www.zdf.de/gesellschaft/precht/precht-populismus–ende-der-demokratien-richard-david-precht-im-gespraech-mit-francis-fukuyama-100.html)


Exakt diese Gratwanderung erscheint mir dieser Tage und seit mindestens einer Dekade ein Balanceakt sui generis zu sein: Denn auf der einen Seite des schmalen Pfads droht er, der Populismus, also in Konsequenz brutale Polarisiserung, soziale Fragmentierung und fluchtartige Privatisierung, auf der anderen Flanke hingegen locken die utopischen Verheißungen dessen, was Fukuyama oben – mehr in negativer Abgrenzung abgeleitet, denn in positivem Entwurf kühn und kreativ entworfen – als eine neue Form des „demokratischen“ Nationalismus beschreibt.

Aber wo in dieser unserer aktuellen Lebenswelt gelingt dieses zivilisatorische Paradestück, möchte ich im Angesicht der enttäuschten Hoffnungen fragen, welche uns die großen Demokratien des sog. Westens letzthin bereitet haben. Eine bisweilen und notwendig offene Fragestellung, die ich in ihrer Komplexität und Interdisziplniarität nicht beantworten, sondern mit Nachdruck stellen möchte. Da ich nicht vom Ende irgendeiner Geschichte sprechen kann, und sei es auch nur aus rhetorischem Kalkül, bleibt also fraglich, wie wir, wie ihr mit dieser Anforderung zurechtkommt – im politischen Diskurs ebenso wie im privaten Alltag.

Wenn wir also immerhin einen der vielen Feinde des demokratischen Fortschritts (, die im Übrigen buchstäblich Legion sind: Lobbyismus, Klimawandel, Demografie, Digitalisiserung, etc.) benannt haben, dann will ich abschließend doch wenigstens noch zwei überblicksartige Quellen anbieten, durch die das besagte, titelgebende Schreckgespenst weniger ominös, weniger diffus und mysteriös und damit greifbarer wird. Denn nur das, was man beginnt zu reflektieren und zu analysieren, kann solcherart zuerst erkannt und frühestens sodann gebannt werden – wenn überhaupt.

Jeder kennt ihn, ist er doch in aller Munde, aber was genau ist Populismus, dieser spezifisch moderne, neue Populismus, der uns Demokraten weltweit heimsucht, heraus- und womöglich überfordert?

Mit nächtlich-diskursivem Gruß, Euer Satorius


  1. „Wir sind das Volk“
  2. „Die Macht der Sprache“
  3. „Das Spiel mit der Angst“
  4. „Aufmerksamkeit um jeden Preis“
  5. „Verschwörungstheorien“
  6. „Fake News“
  7. „Wirkungsvolle Inszenierung“

ZDF (1963 – ), Die sieben größten Tricks der Populisten (Direktlink: https://www.zdf.de/dokumentation/zdfinfo-doku/gefahr-von-rechts-die-sieben-groessten-tricks-der-populisten-100.html)


Die sechs Merkmale des Populismus:

  1. „Das gute Wir“
  2. „Das böse andere“
  3. „Der politische Superman“
  4. „Der sprachliche Terror“
  5. „Die großen Gefühle“
  6. „Der bewusste Stilbruch“

Stefan Petzner (1981 – ), Trump to go. Eine kurze Erklärung, wie Populismus funktioniert, passim

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