Quanzland + Terror-TFF & ein (fast viel) zu langes P.S.

Was ist eigentlich aus dem nicht ganz namenlosen [D.Q.] Gedanken-Terrorist geworden, der zu Beginn unserer Reise so präsent war: mundtot, verbittert, geschnappt, gar tot oder sogar zur Staatstreue bekehrt?

Seine Aktionen jedenfalls haben im letzten Jahr für ernstliche Aufregung in Quanzlands Öffentlichkeit gesorgt, soviel ist gewiss; jedoch ist er in den letzten Monaten zurückhaltender geworden, soviel steht ebenso sicher fest. Vielleicht nutzt sich sein Medium ab, werden die Menschen in ihrem Trott durch Textbomben nicht mehr aufgerüttelt, weder irritiert, noch inspiriert, eventuell haben sich die Bürger sattgegessen am kritisch zu verdauenden Text-Fast-Food oder sie wurden zuerst nur von dessen Neuheit wie modisch angezogen, letztlich dann aber von der politisch-existenziellen Note der Textauswahl abgeschreckt – man und besonders ich weiß es nicht.  

Mit seinen subversiven Zitaten hatte D.Q. fast im Alleingang die anfänglich boomende Kategorie des Text-Fast-Foods gefüllt. Ich wurde beinahe täglich von Texten angesprungen, die überall im Alltag auf willige und unwillige Passanten lauerten: in den Straßen, den Orten des öffentlichen Lebens, in Dokumenten und Sendungen, auf Bildern und Plakaten, besonders aber im digitalen Dschungel des Internets. Überall traff man auf Gedankenbomben, unweigerlich fast; aber dann, nach der ersten Furore legte sich Schritt für Schritt das Interesse und die Aufmerksamkeit, jeweils einen Schritt dannach fuhr der Terrorist – so die offizielle Sprachregelung – sein Engagement zurück. Zunächst subtil und qualitativ, dann merklich und quantitativ. Schwacher, schlechter und weniger – in dieser Reihenfolge geschah der Rückzug der Textfragmente und ihres Urhebers aus dem öffentlichen Raum.

Die staatlichen Organe gehen derzeit mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon aus, dass es sich um einen Einzeltäter handelt; oder, um es mit einem Zitat von einem Regierungssprecher zu sagen, das zweifach eindrücklich ist, sowohl für die öffentliche Atmosspähre in meiner neuen, alten Heimat als auch für die weitere Geschichte unseres inoffiziellen Mitarbeiters, der soviel Text zu dieser Seite beigetragen hat, dass ich ihn mit aller staatsbürgerlich-ironischen Distanz so betiteln möchte. : 

Sehr geehrte Mitbürger von Quanzland,

 

Unsere gründlichen und großangelegten Ermittlungen weisen zweifelsfrei auf eine Einzeltäterschaft des Terroristen hin. Eine rasch eingesetzte Terror-Sondereinheit aus den fähigsten Mitarbeitern von Wächterpolizei und Administration hat unermüdlich im Geheimen für unsere Sicherheit gearbeitet und erst kürzlich ihren neuesten Ermittlungsbericht in Auszügen vorgelegt. Neben den Fakten, die eine Einzeltäterschaft beweisen, finden sich darin beruhigende Terror-Zahlen und ein erfreulicher Terror-Trend: weniger Anschläge durch den Täter und weniger Akzeptanz seiner verqueren Meinungen durch die Bürger. Dafür liefern die letzten Ausgaben des Faktenbuchs zur Lage der öffentlichen Meinung, welches vom Statistikkonzil in Zusammenarbeit mit dem Bereirat zur Pfelge der Meinungslandschaft vierteljährlich herausgegeben wird, weitere eindrucksvolle Belege

.

Eingeschüchtert durch die Brillianz unseres Ermittlungs- und Regierungsapparates und vor allem frustriert durch die Zuversicht und Loyalität der Bevölkerung unseres starken Landes, zieht sich der rücksichtslose Terrorist feige und verschlagen wieder in die dunklen Winkel zurück, aus denen er vor gut neun Monaten gekrochen kam. Ohne die unzählbar vielen und unschätzbar wertvollen Hinweise, die Beweismittel und Aktionen besogter Quanzländer wäre diese Bedrohung der staatlichen Sicherheit nicht so beherzt abgewendet worden. Deswegen möchten sich die gesamte Administration und alle Mitarbeiter der Wächterpolizei ausdrücklich bei den Unmengen ziviler Helfern bedanken.

 

Der einzige Wermutstropfen in dieser Hinsicht bleibt trotz aller Erfolge der letzten Monate weiterhin die ungeklärte Täterschaft. Zöge sich der Terrorist sich nicht zurück, wäre zwar auch das sicher nur noch eine Frage von Wochen, aber er droht allen Ernstes ungestraft davonzukommen. Leider konnte daher bisher auch Niemand in den Genuss der großzügigen Belohnung kommen. In weiser Voraussicht hatte unsere großartige Administration, geheim beraten durch die Terror-Sonderkommision, zackig ausgeführt durch die Wächterpolizei, einen Bonus auf das individuelle Jahresgrundeinkommen als Terror-Kopfgeld ausgesetzt.

 

Nun, da trotz einer dankenswerten Flut an Meldungen und Anzeigen von Ihnen allen da draußen, ein leidlich geschickter Einzeltäter uns alle weiterhin narrt, hat sich die Administration heute überraschend dazu entschlossen, ihren Dank gegenüber den wachsamen Mitbürgern auch finanziell auszudrücken. Im Rahmen ein staatlichen Lotterie können Drei der 50 hilfreichsten Beiträge einen 20%-Bonus für ihr nächstes Jahrsgrundeinkommen erwarten. Aber nicht nur das, allen 50 wird ein sicherer Bonus von 5,23% zugebilligt. Denn Sie, geliebte Mitbürger sind das Volk, das mit seiner Treue und seinem Engagement Quanzland zu einem so guten und schönen Ort machen.

 

Ein Hoch auf uns, ein Hoch auf Quanzland!

 

Regierungsproklamator Klaus-Eduard von Doberstädten (1968 – ), Transskript der Regierungserklärung vom 19.09.2015 [Die ähm, wie sie wissen, sozusagen, quasi, etc.-Schleifen wurden gegenüber dem tatsäclichen Vortrag im Transskript gutmütig zugunsten von Leserschaft und Lesbarkeit entfernt – es war wirklich grausam, ehrlich!]

Das, lasse ich – zunächst sprachlich nichtsagend innehaltend – kurz ausklingen – und kommentiere es dann auch nicht weiter, denn es spricht für sich selbst, klar und deutlich. Zudem verlöre der Kontrast zum Folgenden noch weiter an rhetorischem Glanz, zögerte ich ihn noch länger heraus.

In sproadisch wiedererwachter Quanzland-Perspektive präsentiere ich eine der rar gewordenen Gelegenheiten. Sie läuft dem sogenannten erfeulichen Terror-Trend zuwider. Sie ist ein prächtiges Exemplar von terroristischem Text-Fast-Food alá Anonymus – endlich wieder bissig wie früher, klar im Ausdruck und in der Form, ein ungleicher, aber gleichsam kritischen Dialog zwischen utopischen Weitdenkern:


 

Unsere Postulate waren also falsch, man müsste alles ganz von vorne beginnen. Doch wir leiden an einem schrecklichen Mangel an Vorstellungskraft. Es fällt uns immer schwerer, für uns andere Lebensmöglichkeiten in Betracht zu ziehen. Wir sind gleichsam geistig paralysiert. […] Wir lassen unsere kostbarste Ressource verkümmern: nämlich die Fähigkeit der Seele, von einer Idee verwandelt und vervollkommnet zu werden.

 

[…]

 

Die Perspektive einer Welt ohne Politik ist Träumerei. Es ist für uns eine Notwendigkeit, uns in politischen Gemeinwesen zu organisieren. Meine Sorge ist es nicht, der Politik zu entkommen, sondern zu ihr zurückzukommen, in einem Moment, in dem Europa dazu tendiert, sie aufzugeben.

 

Pierre Manent (1949 – ), Gespräch unter dem Titel „Wer hat Angst vorm Fortschritt?“ In: Philosophie Magazin Nr. 01/2015 (Dezember/Januar), S. 36f.


Ich bin sehr skeptisch hinsichtlich der Idee der Bildung neuer politischer Gemeinwesen als Ausweg für die Globalisierung. Zunächst, weil ich nicht glaube, dass man der Globalisierung entkommen kann. Dann, weil mir Politik nicht als ein Ausweg erscheint.

 

[…]

 

Wenn der Staat verschwindet, kommt möglicherweise der Kannibalismus wieder in Mode. Ich bin mir nicht sicher, aber möglich wäre es. Um den Kannibalismus zu verhüten, reicht allerdings ein minimaler Staat. Ich billige ihnen zu, dass nicht alle staatlichen Organe Unheil bringen, doch die Gefahr ist größer, wenn sie einen gigantischen Staat haben. Wenn sie in Frankreich den Staat von 55 Prozent des Bruttoinlandsproduktes auf 15 Prozent reduzieren würden wie in Singapur, wäre das bereits ein großer Fortschritt. Von 15 auf 0 Prozent zu gehen wie in Somalia, wäre ein Fehler. Es ist alleine eine Frage des Maßes!

 

[…]

 

Es kommt mir so vor, als gab es zumindest am Ursprung des Projekts der Moderne eine sehr klare Vision von der Zweckbestimmtheit des Fortschritts. […] Im Vergleich dazu würde unser derzeitiger Geisteszustand eher in den Bereich „epikureischen Hedonismus“ fallen: Wir glauben, dass alles untergehen wird, und wir wollen bloß essen, trinken und fröhlich sein vor dem Ende der Welt. 

 

Peter Thiel (1967 – ), Gespräch unter dem Titel „Wer hat Angst vorm Fortschritt?“, in: Philosophie Magazin Nr. 01/2015 (Dezember/Januar), S. 37ff.

P.S.: Falls sich jemand darüber wundert, hier keine Erwähnung des einjährigen Jubiläums [Impressum vom 15.10.14 & erster Beitrag am 16.10.14] zu finden, das überlasse ich der derzeit ungewiss verschollenen Metatext-Redaktion. Diese seltenen Feierlichkeiten sind üblicherweise ihre Plattform und der unglückliche Unfall war sicher nicht ihre Schuld. Ja, richtig gehört, ein Unfall – die armen Teufel waren auf ihrem Betriebsausflug mit einem Kreuzfahrschiff unterwegs und havarierten während sie in Bermuda-Shorts und Hawaiihemd ihren Urlaub genossen. Von der Karibik, durch den Panamakanal, hinein in den Pazifik sollte die Reise gehen; sie endete tatsächlich bereits vorher. Bevor ich das PS endgültig entehre, der langen Geschichte zu kurzes Ende: Die Rettung ist so gut wie gewiss, die Rückkehr ebenso, aber ungewiss.