Ratschläge gegen das sogenannte Glück

Satire in Bestform, von der Couch auf die Bühne und frei nach dem Credo „Wider dem Ausverkauf der Lebenskunst“, so persifliert ein leitender Psychiater die profitorientierte Bauernfängerei mit des Menschen ewiger Karotte; nein, nicht der Glaube, das andere „G“, das von „Glück“, das sogennante Glück – große Worte überall, große Verantwortung allenthalben. Ratgeber im Speziellen, deren glückshungrige Konsumentenschaft im Besonderen und eine beinahe penetrante philosophisch geschulte Kritik an der wahnsinnigen Normalität im Allgemeinen sind Themen von Manfred Lütz‘ Text und Werk.

Dabei gleicht der zynisch kolorierte, sehr kurzweilige Vortrag einem essayistischen, ja bisweilen einem wilden Ritt durch die Randbezirke großer „P’s“: Praktische Philosophie, Psychologie, Politik, Phänomenologie, Poetik, und immer wieder, den Pathologien von Pöbel und Psychotherapie und Publikum. Die Moral der Geschichte, immer in der Westentasche mitgereist, ist am Ende eben so einfach, wie ich ihr bedingungslos zustimme: Lasst Euer Existenz nicht unkritisch von außen vereinnahmen, seid innerlich aber zugleich offen für die anderen Existenzen dort draußen. Er fordert damit nicht weniger als Freiheit für das Glück um der menschlichen Würde und Singularität willen, Freiheit für all die vielen existenziellen Ideen (Gerechtigkeit, Liebe, Lust, Gott, Gut/Böse, etc. pp.), mit denen Markt, Macht und Mythos seit jeher, mit historisch wechselnder (Hoch-)Konjunktur ihre schmutzigen Spielchen treiben – mal der Eine mehr, mal der Andere, dann wieder die Dritte im unheiligen Bunde.

Wer es lieber primär und sogar gänzlich gratis hat, der kann in seiner Position als mildtätiger Zwangsspender der öffentlichen Rundfunkanstalten freimütig Gebrauch vom Angebot des SWR machen. Bequem im mitgeschnittenen O-Ton oder als neunseitiges Manuskript in Schrift gebannt ganz runterladen und komplett reinziehen: Manfred Lütz, Ich rate Ihnen zu einem Ratgeber mit gutem Rat (Multimedia-Link).

Mit absolut ideologie- wie strikt floskelfreien und außerdem garantiert total authentischen Grüßen, Euer Satorius


Philosophie hat die Aufgabe, die Welt zu verstehen und zu zeigen, wie man gut leben kann. Das ist eine überzeitliche Aufgabe, die vor 2.500 Jahren genauso wichtig war wie heute. Mir geht es darum, Menschen von Glücks-Ratgebern zu emanzipieren und ihnen auf Augenhöhe zu begegnen, wie Sokrates das gemacht hat. Sokrates hat keine Glücks-Ratgeber geschrieben, er hat überhaupt keine Bücher geschrieben, sondern er ist auf den Marktplatz gegangen und hat gesagt: Erkenne dich selbst.

 

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Man muss aufpassen, dass im Rahmen der Psychotherapie normale Lebensschwierigkeiten nicht pathologisiert werden. Ich wurde neulich von einem Journalisten angerufen, der sagte, er würde eine Sendung über Burn-out machen. Ich war irgendwie gut drauf an diesem Tag und sagte: „Burnout gibt es doch gar nicht, in der ICD-10, der internationalen Klassifikation psychischer Störungen, ist Burnout als Krankheit gar nicht vorgesehen. Das ist eine Z-Kategorie, also so etwas Ähnliches wie Falschparken.“ Er war etwas verunsichert und sagte, er habe recherchiert, die Leute seien doch heute rund um die Uhr erreichbar durch Handy, Email usw. Ich habe geantwortet: „Im 30-jährigen Krieg waren die Menschen rund um die Uhr durch die Schweden erreichbar, das war viel unangenehmer. Im 19. Jahrhundert gab es 12 Stunden Arbeit unter Tage ohne Urlaub, im 20. Jahrhundert zwei Weltkriege. Wir müssen mal auf dem Teppich bleiben.“ Ich bestreite gar nicht, dass die Arbeit heute manche Menschen krank macht und dagegen muss man etwas tun, das ist ganz klar. Aber der Burn-out-Begriff ist völlig untauglich.

 

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Im pompejianischen Bordell sind Totenschädel an die Wände gemalt als Aufforderung: Mensch, denke daran, dass du stirbst, lebe jeden Tag lustvoll, carpe diem – nutze den Tag. Der Totenschädel beim Heiligen Hieronymus in der Wüste sagt in gewisser Weise etwas Ähnliches: Christ, denke daran, dass du stirbst, und lebe jeden Tag ganz bewusst – natürlich nicht im Bordell, das ist der Unterschied.

 

Manfred  Lütz (1954 – ), Ich rate Ihnen zu einem Ratgeber mit gutem Rat – Über das Gelingen (SWR2 Aula am 20. Dezember 2015), S.5, S.7 & S.8

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