Wenn auf Erden niemand mehr gezwungen wäre, mehr als vier Stunden täglich zu arbeiten, würde jeder Wissbegierige seinen wissenschaftlichen Neigungen nachgehen können und jeder Maler könnte malen, ohne dabei zu verhungern, und wenn seine Bilder noch so gut wären. Junge Schriftsteller brauchten nicht durch sensationelle Reißer auf sich aufmerksam zu machen, um wirtschaftlich so unabhängig zu werden, dass sie die monumentalen Werke schaffen können, für die sie heute, wenn sie so weit gekommen sind, gar keinen Sinn und keine Kraft mehr haben. Menschen, die sich als Fachleute für eine besondere wirtschafts- oder staatspolitische Phase interessieren, werden ihre Ideen entwickeln können, ohne dabei im luftleeren akademischen Raum zu schweben, was der Arbeit der Volkswirtschaftler an den Universitäten so häufig einen wirklichkeitsfremden Anstrich gibt. Die Ärzte werden Zeit haben, sich mit den Fortschritten auf medizinischem Gebiet vertraut zu machen, die Lehrer werden sich nicht mehr erbittert bemühen müssen, mit routinemäßigen Methoden Dinge zu lehren, die sie in ihrer Jugend gelernt und die sich in der Zwischenzeit vielleicht als falsch erwiesen haben.
Vor allem aber wird es wieder Glück und Lebensfreude geben, statt der nervösen Gereiztheit, Übermüdung und schlechten Verdauung. Man wird genug arbeiten, um die Muse genießen zu können, und doch nicht bis zur Erschöpfung arbeiten müssen. Wenn die Menschen nicht mehr müde in ihre Freizeit hineingehen, dann wird es sie auch bald nicht mehr nach passiver und geistloser Unterhaltung verlangen.
Bertrand Russell (1872 – 1970), Lob des Müßiggangs, S.30f (1957)
All human activity is prompted by desire.
[…]
The desires that are politically important may be divided into a primary and a secondary group. In the primary group come the necessities of life: food and shelter and clothing.
[…]
But other desires kept them [@Satorius: „the humans“ as a spices are driven by those „infinite“, secondary desires, and are moreover led by passions like excitement, hate and fear] active: four in particular, which we can label acquisitiveness, rivalry, vanity, and love of power.
[…]
I think every big town should contain artificial waterfalls that people could descend in very fragile canoes, and they should contain bathing pools full of mechanical sharks. Any person found advocating a preventive war should be condemned to two hours a day with these ingenious monsters. More seriously, pains should be taken to provide constructive outlets for the love of excitement. Nothing in the world is more exciting than a moment of sudden discovery or invention, and many more people are capable of experiencing such moments than is sometimes thought.
Interwoven with many other political motives are two closely related passions to which human beings are regrettably prone: I mean fear and hate.
[…]
You might regard Mother Nature in general as your enemy, and envisage human life as a struggle to get the better of Mother Nature. If men viewed life in this way, cooperation of the whole human race would become easy. But schools are out to teach patriotism; newspapers are out to stir up excitement; and politicians are out to get re-elected. None of the three, therefore, can do anything towards saving the human race from reciprocal suicide.
[…]
You may have been feeling that I have allowed only for bad motives, or, at best, such as are ethically neutral. I am afraid they are, as a rule, more powerful than more altruistic motives, but I do not deny that altruistic motives exist, and may, on occasion, be effective.
[…]
I would say, in conclusion, that if what I have said is right, the main thing needed to make the world happy is intelligence. And this, after all, is an optimistic conclusion, because intelligence is a thing that can be fostered by known methods of education.
Bertrand Russell (1872 – 1970), Nobel Lecture – What Desires Are Politically Important? (Stockholm: 11.12.1950; Link zum Volltext)
Hört, hört – gut gebrüllt Herr Philosoph!
Diesen beiden klaren wie bissigen Analysen eines weisen wie spöttischen Mannes möchte ich sofort schlicht und unkritisch zustimmen. Das aber scheitert ebenso rasch und so frage ich mich unweigerlich, beinahe noch reflexartig: Ja, aber…?! Warum kann etwas so Offensichtliches so offen und unverblümt ignoriert werden? Wie kann man, können wir als arbeitende Bürger, also zugleich als potentielles Opfer und potentieller Überwinder, derart demütig einen zivilisatorischen Zustand erdulden oder zumindest versiert verdrängen, vielleicht sogar selbstverleugnend gutheißen? Ist nicht die Wirklichkeit unserer (wirtschaftlichen) Welt weit komplexer, nicht so simpel zu abstrahieren und zu kritisieren, die Lösung damit doch nicht so trivial – 4 Stunden? Oder vielleicht – flüstert ungefragt die zischende Stimme des fatalistischen Verschwörungstheoretikers suggestiv fragend aus den dunklen Regionen des Großhirns – sind SIE so mächtig, kompetent und effizient, dass diese zählbaren Wenigen leichterhand die unzähligen Vielen manipulieren und letztlich kontrollieren können?
Stop! – genug wild und gefährlich gefragt und überhaupt: SIE?! Zudem kann jede echte Antwort, insbesondere eine, die als gelebte Konsequenz nicht weniger als echten Mut darstellt, mit spitzfindigen bis stumpfen Fragenkaskaden aus dem existenziellen Off heraus besudelt werden. Dabei steckt in Russells zwei ausdrücklichen Antworten politisches Potential für unsere (zukünftige) Zeit, zeugen seine beiden betrachteten Texte zudem zugleich von Klar-, Weit- und Hellsicht. Er beschreibt geradezu prophetisch die Tendenzen, die den persönlichen Alltag vermutlich vieler und die politische Praxis sicherlich fast aller Bürger in (kapitalistischen Post-)Demokratien auch im 21. Jahrhundert noch immer prägen: Multiple Vertrauenskrise, insbesondere gegenüber Politiker, Journalist, Lehrer und Wissenschaftler (Priester sind immerhin raus; Bänker/Manager bisweilen drin; aber man ist ja so vergesslich dieser Tage), die Liebe zur Macht, heftige Ökonomisierung, Rivalität, (Selbst-)Ausbeutung, Entfremdung, Habgier, Zerstreuung(s-Sucht), Furcht (nunmehr vor Terrorismus und etwas weniger vor verfeindeten Ideologien) sowie Hass und Eitelkeit. Diesem durchaus biblisch klingenden Heer aus Dämonen gesellen sich einige für Russell notwendig unbekannte Bonus-Monster (bspw. Populismus und Renationalisierung, Klimawandel und Ressourcenpeaks, Globalisierung und Konsumismus) hinzu und gemeinsam trotzt das Pack den bereits erkämpften zivilisatorischen Errungenschaften; vereint attackieren diese Teufel all die unschätzbar wertvollen Annehmlichkeiten unserer Lebenswelt, von denen regulierte Arbeit, politische Teilhabe, Kultur und Kommunikation sowie weitreichende Selbstbestimmung und (innere wie äußere) Sicherheit nur die im Zitat thematischen Güter einer langen Liste an historischen Errungenschaft sind.
Aber vor allem untersucht Bertrand Russell in seiner Rede und in seinem Werk auf einer breiten Basis von (Geistes-)Wissenschaften (Psychologie, Soziologie, Politik und Pädagogik, meine ich gewittert zu haben, wobei Mathematik, Philosophie und Logik sicher unterstützen) die positiven Möglichkeiten, der dunklen Seite der Geschichte entgegenzuwirken, ist also tatsächlich mutig und wagt den politischen Entwurf: In der Tradition von Humanismus und Aufklärung stehend und vom Sozialismus verführt, psychologisiert Russell zunächst wie gelesen und kommt dabei letztlich zu dem Schluss, dass Erziehung und Bildung sowie eine daraufhin ausgerichtete Neuorientierung von Schule, (medialer) Öffentlichkeit und Politik den weiteren Weg der (Post-)Moderne anleiten sollen.
Dass dabei die Ökonomie bestenfalls zweitrangig ist und somit im Bruch mit Marx eine ökonomische Politik angenommen wird, werte ich mal als inhaltlichen Kompromiss zwischen Idealismus und Pragmatismus; zumal die Folgerungen ähnlich, wenn auch gewaltloser ausfallen als noch bei Marx: Reform vs. Revolution – der ewige Zwist. Wie dem auch sei, auch in einer Welt des Diktats durch Kapitalien bleibt Bezugspunkt jeder konkreten Utopie notwendig der Mensch, mithin also das Dilemma von Menschheit und Mensch, Kollektiv und Individuum, Phylogenese und Ontogenese. In diesem Hinblick sieht Russell den Fortgang der Menschheit dann gewährleistet, wenn die Entwicklung des Menschen durch Erziehung und Sozialisation über (Schul-)Bildung hin zu adulter Autonomie führt und schließlich im (utopischen) Ziel der Russellschen Argumentation kulminiert: Intelligenz!
Ergo setzt er mit seiner Strategie dort an, wo ernstliche Widerstände der hurtigen Herausbildung von Intelligenz im Wege stehen und fordert deshalb, den (beruflichen) Alltag so umzugestalten, dass wir allesamt wieder Lust an intrinsisch motivierter Selbstvervollkommnung bekommen, überhaupt nur wieder bekommen können. Denn nur wer lustvoll lernt statt kunstvoll zu konsumieren oder angestrengend zu arbeiten, schult seine Intelligenz – kontinuierliches Denken macht halt (leider) einzig klug. Indem wir höchst hypothetisch mit nur noch vier Stunden entschieden weniger arbeiten und damit mehr Freizeit haben, kann ein jeder diesseits und jenseits von Schulen und Universitäten seine Talente entdecken und entwickeln – spielerisch, ohne Hast, Druck und Stress. In Teilzeit, satt und zufrieden wird der befreite Mensch auch nicht mehr so sehr vom Bedürfnis nach Rausch und Zerstreuung geplagt – so zumindest Russell, wohingegen ich da anderer Ansicht bin.
Eingerahmt und bewirkt wird die simple Maßnahme, die Arbeitszeit generell auf vier (oder weniger) Stunden zu begrenzen, was wohl nicht nur zufällig mit den von Marx seinerzeit errechneten vier Stunden an notwendiger Arbeit gepaart wurde, von einer ganz besonderen Politik. Denn die von Russell präferierten Maßnahmen und Konzepte erzeugen bei mir eine recht kunterbunte Liste an Attributen: Humanistisch, aufklärerischen, sozialistischen, liberal, demokratisch, Politik und einem sicherheitspolitischen Geflecht aus Institutionen, deren Wirken den analysierten (Grund-)Bedürfnissen, Motiven und Leidenschaften des Mängel- und Gängelwesens Mensch Rechnung trägt. Heißt so viel wie: Wir verkappten Jäger können uns austoben, Sex haben, kämpfen, tanzen und was wir sonst so wollen, wobei uns gemäß Russell Wissenschaft und Technik schon effektiv weiterhelfen und gewähren dem Naturwesen qua sozial reibungsfreiem Triebleben sozialen und globalen Frieden.
All diese Schritte führen laut Russell letztlich beim befriedigten sowie hochgebildeten Individuum zu einer erwarteten Einsicht, die übrigens seinerzeit zu seinem Leidwesen von den sog. Moralisten als eigennützig („selfish“) gebrandmarkt wurde, dass es rational betrachtet am vernünftigsten ist, jenseits von partiellen Gruppendynamiken immer auf die größtmögliche Gruppe und sein Handeln auf ihre Interessen auszurichten. Denke also nicht an deinen kleinen Klan, sondern an die ganze Gattung und ihre Probleme, was konkret bedeutet: die Menschheit und insbesondere ihren globalen Kampf mit der Natur. Dieser gemeinsame Kampf, Kooperation insgesamt speist sich ihrerseits aus positiven, im Text nur relativ kurz angesprochenen Aspekten psychologischer Anthropologie: Altruismus, Mitleid und die zentrale Intelligenz. Wenn die Menschen also nur glücklich sind, alle Bedürfnisse von Staat und Wirtschaft befriedigt werden und ihrem naturgegeben Schatten politisch Rechnung getragen wird, dann herrschen Solidarität, Kooperation, Frieden und bringen Arbeit, Kultur, Wissenschaft zum erblühen. Am Ende der hier höchstens angedeuteten Utopielogik steht dann ein ideales „Parlament der gebildeten Egoisten“, das die Welt der Menschheit im allgemeinen und den Menschen, also sich selbst, im besonderen verwaltet und regiert. Diese demokratische bis republikanische Herrschaftsform steht unter einer angenommen, aber unangenehm unklaren, irgendwie monistisch imaginierten Perspektive von Gemeinwohl und vervollkommnet die Geschichte auf europäische Art – well done, Bingo, et voilà!
Utilitarismus und Liberalismus, Demokratie und Sozialismus mal eben szientifisch grundiert und flux vereint, schön harmonisch konvergiert, fast ohne alle die Dialektiken und Widersprüche. Das funktioniert so leicht, weil nämlich das Naturwesen Mensch technologisch und bildnerisch absolut in sich versöhnt wird und sich selbstbestimmt wie sozialverträglich perfektioniert. Der Rest ist unsere Geschichte geworden und von heutiger Warte hat sich einiges positiv in Richtung der Russellschen Ideale entwickelt; ebenso sind aber einige seiner dystopischen Negationen weiterhin wahr und überdies selbstverständlich auch vieles Singuläres, Unerwartetes passiert. Netterweise will ich hiermit nur grob zusammenfassend und vage angedeutet Kritik an der Russellschen Position üben, die in Hinblick auf ihren naiven Positivismus, ihre Vagheit (ist womöglich dem Medium geschuldet), die massiver Unterschätzung von Ökonomie und der (für ihn unvorhersehbar sogar digital und viral gewordenen) Kapital-Globalisierung einige offene Flanken böte.
Zurück also zum Positiven, nunmehr zu den Gelegenheiten der Gegenwart, denn wie eingangs betont, stimme ich der Tendenz nach Russells zu: Bestmögliche Bildung macht notwendig den Anfang und der Rest kommt dann später schon ganz von selbst. Wohlwissen um die chronologische Paradoxie von Henne und Ei und eingedenk der idealistischen General-Abstraktion finde ich hierbei insbesondere eine Idee persönlich sehr reizvoll, nämlich Alltag und Beruf so auszurichten, dass diese den eigenen Bedürfnissen und Fähigkeiten sowie deren steter Befriedigung und Entwicklung dienen. Einen solchen zivilisatorischen Luxus können sich heutzutage viele von uns durchaus eher gönnen als zu Russells Lebzeit.
Dennoch, selbst ein verhaltenes Dankeschön in Richtung unserer global betrachtet recht eigennützigen Version von liberalem Kapitalismus kommt mir im Angesicht der globalen Zustände nicht so recht über die Finger in die Tasten auf den Schirm. So stehen wir mit unserer post-industriell avancierten Digitalwirtschaft wohl, wenn zugegeben weltweit auch nur punktuell, national bis regional, historisch an dem bedeutsamen Punkt, an dem vielleicht erstmals in der Weltgeschichte ein unfassbares Ausmaß menschlichen Potentials fern von reproduktiven und damit repetitiven Tätigkeiten freigesetzt worden ist und (~exponentiell) zunehmend noch freigesetzte werden wird. Automatisierung und Produktivitätssteigerung machen die Menschen frei zu gehobener Arbeit, befähigen ihn zu allerlei kulturellen und intellektuellen Aktivitäten. Diese Transformation spüren wir heute umso stärker, was wohl auch keiner der viele Verwalter, Künstler, Forscher, Lehrer, und Coaches anzweifeln; all die geistig dienstleistenden Arbeitnehmer, lange geschult und breit gebildet, bringen täglich ihre Intelligenz auf Touren und damit in die Gesellschaft. Die Tertiarisierung der Wirtschaft sollte ein unbestreitbarer Beleg für die Existenz einer avancierten (Wissens-)Wirtschaft und damit das Vorliegen einer wichtigen Prämisse von Russells utopischer Argumentation sein, wie eine Vollendung von Industrie und Technologie auch bei Marx‘ und vielen anderen zur utopischen Pforte stilisiert wird.
Diesem Trend entspricht im Bereich der (Aus-)Bildung, eine immer höhere weltweite Alphabetisierung und sukzessive Akademisierung der Bevölkerung. Wissenschaft und Forschung, inklusive der angeschlossenen angewandten Technologie (Heckler & Koch, Google, JPMorgen Chase und kapitalistische Konsorten), erzielen in jeder Hinsicht heftigste Wachstumsraten und repräsentieren damit gegenüber klassischeren Wertquellen wie Kraft, Geschicklichkeit und Rhetorik einen überproportional großen Anteil der globalen Wertschöpfung. Exponentiell gedacht, wird es zukünftig zunehmend rascher vorangehen in dieser Richtung. Roboter und künstliche Intelligenzen entfesseln und potenzieren nunmehr nicht mehr nur in der Fantasie die menschliche Arbeitskraft; wovon Generationen in ihren Büchern und später Filmen träumten, umgibt uns wie selbstverständlich im Alltag und gibt uns historisch gesehen an Magie grenzende Fähigkeiten. Aber nicht nur das, auch die Basis stimmt, denn dank Arbeitsteilung und Produktivitätssteigerung werden potentiell genug Lebensmittel hergestellt, dass niemand mehr Hunger leiden müsste. Aktuell kann ich den nötigen altruistischen Willen und alles zu dessen Verwirklichung nötige, wie eine ideale Logistik, den notwendigen radikalen Technologie- und Kapitaltransfer, die Befriedung sozialer wie militärischer Konflikte sowie eine Heilung psychischer wie physischer Krankheiten, nur hier in meinem Text und auch nur für wenige Zeilen voraussetzten. Deswegen begnüge ich mich mit dem faktischen und verlasse das fiktionale: Subsistenz-Arbeit bindet nur noch einen Bruchteil der Arbeitleistung und in unseren Breiten ist die Versorgung mit Lebensmittel so gut, wie es sich Russell nur hätte wünschen können.
Wobei ich den moralischen Gedankenabschluss nicht unterdrücken kann, dass Marketing und weitere professionelle Verwerflichkeiten die Menschen zur guten alten Völlerei verleiten: Erst der Flatrate-Fressflash bei McDonalds oder beim x-ten all-you-can-eat/all-inclusive Ereignis, dann die Gegenmaßnahmen wie Magenschlingen, Diätpillen, dazu passende Diät-Programme, Light-Produkte (man beachte die womöglich systematisch bedingte hohe Anglizismen-Quote) und einige der neusten Ess-Ideologien. Solcherart pervertiert könnte das Subsistenz-Ideal kippen und in ein Dekadenz-Real stürzen. Dennoch will ich meine Russellsche Utopielaune nicht trüben und positiv mit seiner liebenswerten Position umgehen.
Kulturbudgets und die Quantität an kreativen Erzeugnissen, um noch eine weiter erfreuliche Facette kurz und zuletzt zu schneiden, erzielen seit Jahrzehnten riesige absolute wie relative Zuwächse und haben dabei hohe Wachstumsraten, wenn sie auch nicht vergleichbar zu den hartexponentiellen Raten von (Digital-)Wirtschaft und Wissenschaft sein dürften. Die Qualität der Produkte in Kunst und Kultur bleibt, grobschlächtig und unparteiisch gedacht, ebenso außen vor wie die schlechterdings freche und damit unzulässige Frage, ob das bisher entwickelte objektive Fakten oder subjektive Fiktionen sind.
„Eigentlich würde ich ja gerne mal A (Yoga machen) oder B (Arabisch & Französisch lernen), aber mit meinem (Vollzeit-)Job, der Familie und meinen Steckenpferden: X (Vivarium),Y (Fahrrad) und Z (Lesen/Schreiben) bin ich voll ausgelastet. Das kostet mir leider zuviel, vor allem zuviel von meiner Lebenszeit!“, ist ein sicherlich nicht ganz und gar ungewohnter Gedanken. Für alle, die mit ihm sympathisieren, klingt der Slogan Russels (und meine notwendige Ergänzung) sicher gut an: „Nur 4 Stunden Arbeit (und das bei vollem Lohnausgleich)!“ Voller Nutzen, wenig Kosten bringen den homo oeconomicus in uns zum Jubeln. Denn der Mangel sitzt ihm immer im Nacken, treibt ihn vor sich hin und kerkert ihn ein. Da sitzt er nun in seinem dunklen kleinen Kabinett und zählt und kalkuliert und eruiert. Dabei scheut er je nach Temperament mehr oder weniger die Investition von Energie, Geld und Zeit. Solcherart limitiert erwirbt sich der gediegene Haushälter des Lebens kaum neues Inventar für sein Oberstübchen, zumal er ohne ein ordentliches extrinsisches Motiv in einer grauen und leidenschaftslosen Welt schon mal garnicht darüber nachdenkt loszulegen. Da zerstreut er sich doch lieber wie gewöhnlich und konsumiert unterdessen brav allerlei Produkte; dafür hat er ja immerhin 8+ geschuftet, damit er es sich so richtig gut gehen lassen kann!
Polemisch bis in die Satzzeichen, zugegeben, aber der argumentative Kern bleibt klar und plausibel: Solange die öffentlich-private Doublette aus Konsumismus und Erwerbsarbeit, katalysiert durch Unmengen an freiem Kapital und ausgestattet mit den nötigen Produktionsmitteln, einen Gutteil der Bevölkerung in Schach halten darf, herrscht gemäß Russell politischer Handlungsbedarf. Das ist definitiv der Fall, in welchem Maße mag ich nicht quantifizieren, qualifizieren kann ich es hingegen ausreichend. Der Lohndruck lockt und lethargiert zugleich. Was also tun?
Aller Voraussicht zum Trotz bleibt ein wichtiger Faktor in Russells Gleichung außerhalb seines Definitionsbereichs und der Wert der Gleichung stimmt deshalb vielleicht derzeit in seinem prognostizierten Betrag, von Intelligenz, Arbeitskraft, Kreativität und dergleichen mehr, nicht jedoch im erwarteten Vorzeichen; obwohl er doch durch Marx sensibilisiert gewesen sein dürfe, unterschätzen die Texte (Ironie mal ignoriert) die strukturelle und damit überindividuelle Kraft des Kapitals. Zumal es im digitalen Zeitalter mächtige Alliierte, eine zusätzlich künstliche Dimension und Repräsentanz in Hard-, Soft- und Wetware erhalten hat. Die Myriaden an Maschinen und Millionen von Programme dienen dabei deterministisch, einflussreiche bis gewöhnliche Mensch aus fraglicheren Gründen. Hier jedenfalls verfängt das Bildungsideal als Lösungsstrategie nicht, denn das Kapital absorbiert alles hocheffizient, setzt dabei aus Widerständen und Spannungen sogar Energie frei, die es kurzerhand kommerzialisiert. Bedenkt man zudem noch das institutionelle Gerippe, das sich der Kapitalismus gleich einem schützenden Exoskelett zu- und angelegt hat und attestiert überdies, dass Bildung zunehmend warenförmiger und berufsbezogener wird, könnte man rebellisch werden. Vollbeschäftigungsdogmatik, Wettbewerbsideologie, Wachstumslogik, Leistungslust und Exportüberschüsse tun ihr übriges und schon war Russells Traum eine Geschichte unter vielen und alles andere als Geschichte, vergangen, verflogen, dahin.
Eine entscheidende Frage ist und bleibt schlussendlich unbeantwortet: Wie beginnen und sodann den Übergang gestalten? Solange Bildung nicht notwendig und hinreichend zu multipler, insbesondere emotionaler Intelligenz einer kritischen Masse an poltischen Akteuren führt, heilt und versöhnt sie gleichsam keineswegs. Bei seinem idealistischen Wahlprogramm, angenommen es würde denn überhaupt ernstgenommen und glaubhaft gegenfinanziert, würden wohl viele Menschen Russels Partei für neue, gerechtere Lebenspraxis in das UN-Parlament entsenden, wenn es sie denn beide eines Tages gäbe und man dann nicht gerade besseres, spannenderes und schöneres zu tun hätte. Bevor ich jetzt also der Verführung erliege, zu resignieren oder zu theoretisieren, also nicht mehr nur einem verblichenen Utopiker möglichst nett zu huldigen und seine Aktualität abzuklopfen, sondern womöglich noch missmutig oder übermütig beginne, zu verunglimpfen und zu schimpfen, gar eigene Utopien zu entwickeln, mich somit zwischen Reform und Revolution entscheiden müsste – lass ich es lieber und überlasse die Geschichte(n) sich selbst!
In neuer, ungeahnter Schreibwut, Euer Satorius
„@Satorius: „the humans“ as a race are driven by those „infinite“, secondary desires, and is moreover led by passions like excitement, hate and fear] active: four in particular, “
The term „human“ as in homo sapiens doesn´t describe a race but a spices, at least in my known definitions.
Corrected! Sometimes I treat the terminologies of foreign sciences a bit careless; so im always glad to have careful readers.
„dass wir allesamt wieder Lust an intrinsisch motivierter Selbstvervollkommnung bekommen“
das scheint mir ein weiser schimmel zu sein
Ist es, wahrlich, denn „intrinsisch“ plus „Selbst-“ ergibt, genau genommen und damit klug geschissen, einen Pleonasmus. Seinerzeit habe ich die Figur/den Fehler (was mehr sind die meisten Stilmittel in Hinblick auf schulische Regelbefolgung) vorbewusst platziert und interpretiere notgedrungen deshalb mein Stilmittel/meinen Fehler im Rückblick: Mir missfällt wohl, trotz aller Sympathie für Russell, die Emphase und die Idealisierung der Freizeit als Hort der glückseeligen, weil übergwiegend intrinsischen Aktivität; so sehr ich meine freie Zeit auch persönlich schätze. Deshalb spicke ich meine intentional gutmütig gehaltene Replik mit stilistischen Selbst-Sabotagen, die manipulativ das Negative, Kritische Element stärken. Dieses kritische Potential in mir hatte ja sowieso spätestens mit der abschließenden Überschrift die Feder übernommen. Ha, analysiert das!
Bevor ich mich hier an einer analyse versuche 😉
verstehe ich das richtig das Pleonasmus die Stilmittelbezeichnung für eine Tautologie ist (sein kann)?
Die Begriffe für eine Verstärkung durch Verdoppelung (oder Vervielfachung) liegen semantisch etwas wild neben, auf, über und in einander und sind deshalb etwas trickreich abzugrenzen. Ich finde die Variante stimmig gemäß der die Tautologie, zumal in der Logik so gebräuchlich, die Oberklasse von Redundanzen (Wort, Bedeutung, Information) ist und Pleonasmus somit neben wenigen anderen ein spezieller Typ der Verstärkung durch Redundanz ist: Nämlich der Fall, wenn ein Adjektiv-Substantiv-Paar redundant ist, wie der Klassiker „alter Greis“ oder sowas wie „schlauer Lehrer“ – nein, eher nicht.
„So stehen wir mit unserer post-industriell avancierten Digitalwirtschaft wohl, wenn zugegeben weltweit auch nur punktuell, national bis regional, historisch an dem bedeutsamen Punkt, an dem vielleicht erstmals in der Weltgeschichte ein unfassbares Ausmaß menschlichen Potentials fern von reproduktiven und damit repetitiven Tätigkeiten freigesetzt worden ist und (~exponentiell) zunehmend noch freigesetzte werden wird. Automatisierung und Produktivitätssteigerung machen die Menschen frei zu gehobener Arbeit, befähigen ihn zu allerlei kulturellen und intellektuellen Aktivitäten.“
Hier sehe ich einen Optimismus den ich nicht ganz teilen kann. Für eine (vlt. signifikante) Anzahl von Individuuen mag das zutreffen.
wenn ich mir aber das Herr an prekär Beschäftigten in unserem Land anschaue, die dafür sorgen, dass „der [Chef] mit dem Geld aus [ihrer] Arbeit Seiner Tochter noch ’nen Lamborghini kauft“ (K.I.Z., Boom Boom Boom, 2016). Hier beißt sich die Katze in den Schwanz,
oder zeigt sich die Henne Ei Problematik. Mit sicherheit kann ein Gesellschaftlicher wandlungsprozess nur graduell von statten gehen, er muss aber damit beginnen, dass eine „kritische Masse“ an „Russell´schen Inteligienzbestien“ ersteinmal in Existenz trit. Das sehe ich zur Zeit leider nicht, schon garnicht am Horizont.
„Eine entscheidende Frage ist und bleibt schlussendlich unbeantwortet: Wie beginnen und sodann den Übergang gestalten? Solange Bildung nicht notwendig und hinreichend zu multipler, insbesondere emotionaler Intelligenz einer kritischen Masse an poltischen Akteuren führt, heilt und versöhnt sie gleichsam keineswegs.“
Jap
Ob ich optimistisch bin, wage ich zu bezweifeln; das ist aber gleichwohl immer eine Frage der Relation. Hier jedoch war es bemüht, denn Ziel dieses Artikels war, es einer Gute-Nacht-Geschichte das hoffnungspotente Positive zu entlocken, das anschlussfähig an aktuelle Tendenzen sein könnte. Die offenste Flanke der sicherlich von Russell keineswegs in rein programmatischer Absicht verfassten Texte bleibt schlicht und schlecht die Wirklichkeit, wenn man denn auf praktisch-politische Fragen steht: Was tun, Revolution – Reform – Zustimmung – Zerstreuung – …?
„(Heckler & Koch, Google, JPMorgen Chase und kapitalistische Konsorten)“
LOOOL schön das do „don´t be evil“- Google hier in so guter Gesellschaft nennst
Wer differenziert, verliert! – oder so ähnlich. An dieser Stelle bin ich hinter der saftigen Polemik aber wirklich in einem wesentlichen Punkt von Marx beeinflusst: Das Kapital (bzw. seine Dynamik) ist anonym und expansiv, trägt somit notwendig möglichst jede Maske und infiltriert damit tendenziell jeden Winkel nicht nur der geschäftlichen Welt. Deshalb werfe ich recht undiffierenziert Firmen querbett in einen enumerativen Topf. Scheiss auf eure Philosophien, Kodizes und Leitlinien, der Markt macht euch alle am Ende relativ gleich oder zumindest funktional hinreichend ähnlich.
Es verliert also, wer differenziert … an Spiel-Spass, analytischer Einfachheit, existenzieller Angemessenheit und, und, und …
Ob das wohl auch für die Überflieger gilt?
Nein nicht ernsthaft. Ich finden Deinen Ansatz sehr willkommen (oder wie Mutti Merkel sagen würde: Richtig und wichtig)
Persönlich hätte ich eher Appel als Google in die Liste geschrieben aber das nur am Rande 😉
Ich glaube die Überflieger haben sich trotz aller kapitalistischer Grabenkämpfe noch einiges an Idealimus erhalten; aber der Grad an gelebtem Idealismus liegt ja letztlich an jedem Lehrer selbst, entscheidet sich daraufhin, wie er seine Aufgabe ausfüllt und welche Prioritäten er dabei setzt.
Retrospektiv gesehen hast du recht, aber der Zufallsteufel war hier wohl mit am Werk.