Superlativer Organismus

Manchmal stellt man sich superlative Fragen, auch und besonders als Geist, der im Umgang mit Unendlichkeit, Phänomenen und epistemischen Grenzen ernüchtert wurde: Was ist das höchste Alter, das ein Mensch je erreicht, die größte Körperhöhe, auf die er emporgewachsen? Was ist das größte und langlebigste Tier, wie sieht es weiterhin bei den Pflanzen und den Lebewesen im Allgemeinen aus. Wie groß, wie alt, wie schwer ist wohl der imposanteste Organismus auf dem Planeten Erde?

Nachdem ich mir diese letzte, ultimative Frage gestellt hatte, dachte ich abgebrüht und kleinkariert an knapp dreistellige Zahlen, außer vielleicht beim Alter, und machte mich auf die Suche. Die Funde waren atemberaubend und persönlich-sympathisch zugleich. Soviel schon mal kryptisch vorweg, aber ein klein wenig Spannungsbogen sei mir vergönnt.

Dank dem klaren Zweikampf zwischen Mammutbaum (Direktlink) und Blauwal (Direktlink), wissen wir alle, dass die Tiere insgesamt und speziell die Menschen hier ganz außer Konkurrenz spielen, womöglich existiert noch so ein exotisches Bakterium, das überraschend alt wird, mit Glück. Es soll da wohl auch im Meer ein paar Anwärter geben, einen Schwamm (Direktlink), der unglaubliche 10.000 Jahre alt wird, sogar von einer unsterblichen Qualle (Direktlink) ist die Rede. Kurz resümiert und dabei überschlagen, also alles in allem dominieren wohl sicher die Pflanzen die Ranglisten unter den Organismen: gleichzeitig groß, schwer und alt, wenn auch nicht schnell unterwegs oder derzeit gar messbar intelligent. Dieses Vorurteil klingt scheinbar sofort plausibel, ist es aber nicht.

Mit der Biologie im Rücken wage ich begriffliche – vielleicht gar wesentliche – Haare zu spalten, denn der lebende Rekordhalter ist nämlich weder Tier noch Pflanze. Hier eine erste, abstrakt-bildlich Annäherung an das wundersame Wesen, das in Punkto absolute Zahlen in der Summe ziemlich stark auftrumpft. Die unsterbliche Qualle wird übrigens aus mathematischen wie (onto-)logischen Gründen vorab disqualifiziert.

Hallimasch Karte
United States Department of Agriculture, The Malheur National Forest – Location of the World’s Largest Living Organism: S. 3

Etwas ist faul im Staate Oregon, könnte man kolportieren. Aus Perspektive der Bäume betrachtet, steckt in dieser Aussage sogar schmerzlich viel Wahrheit. Denn die Armen fallen dem hungrigen Monster faulend und reihenweise zum Opfer. Wer aufmerksam die Legende der Grafik gelesen hat, wird ab hier zunehmend gelangweilt, deswegen schnell zu Auflösung: Areal D wird dort – oben rechts – eindeutig benannt als Fungus = Pilz. Genauer und dadurch episch wie dramaturgisch angemessener präsentiert, stelle ich hiermit feierliche den Sieger des superlativen Wettbewerbs der Organismen vor *Trommelwirbel*:

The Humongous Fungus, der größte lebende Organismus!

Die riesige Kolonie der Gattung Dunkler Hallimasch (Armillaria solidipes/Armillaria ostoyae) ist kaum abzugrenzen und abzuschätzen, kommt aber mit diesen enormen Dimensionen daher: 7,567 bis 35,000 Tonnen Gewicht; ca. 9.65 km² Fläche und einem Alter, dessen Schätzung kontrovers von minimal 1900 bis maximal 8650 Jahren reicht.

Hallimasch
United States Department of Agriculture, The Malheur National Forest – Location of the World’s Largest Living Organism: S. 5

Mit einem Profilbild des Siegers der Superlative erweise ich dem Reich der Pilze meinen Respekt. Für mich als altgedienten Mykophilen geht diese Geste leicht von den Gliedern. Also solcher muss ich darauf hinweisen, dass dieses Bild nur den Fruchtkörper und damit nur einen oberflächlichen Bruchteil des Gesamtorganismus namens Pilz darstellt – die Geschlechtsmerkmale sozusagen, reizvoll aber relativ winzig. Wer des englischen mächtig nach Primärquellen lechzt, der wird hier (PDF) fündig. Wikipedia ist in diesem Fall nicht aktuell und deklassiert den ultimativen Fungus merklich gegenüber den neueren Zahlen.

Als langjähriger Freund der Fungi verabschiedet sich mit einer tiefen Verbeugung in Richtung des ehrfurchtgebietenden, mächtigen Humongous Fungus, Euer Satorius


Nachtrag der Metatext-Redaktion: Unseren Recherchen zufolge hat Satorius mit Pando (Direktlink) einen aussichtsreichen Mitbewerber unterschlagen. Da dieser aber nur in einer von drei Kategorien extremen Vorsprung genießt bleib der Homoungus Fungus der Spitzenreiter. Wie Satorius und wir bei der anlässlichen Besprechung feststellten, niemand auf Wikipedia scheint die aktuelle primäre Quelle zum Megapilz gelesen zu haben. Den auch bei Pando wir wieder eine entschieden geringere Zahle zugrunde gelegt.

So ist das eben, passiert sogar den Besten – außer uns alle, die wir nur passiv meckern statt zu aktive zu verbessern. Immerhin konnten wir genussvoll Satorius zurechtweisen und bis zum Nachrechnen für den Vergleich auch ein wenig zum Schwitzen bringen. Qualitätssicherung ist uns die liebst Aufgabe.

Ergebenst, Ihre Metatextredaktion  

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