Wochenendlektüren Nr.6 – YY1: S. 2-5/~34 [Version 1.2]

Pflicht oder Lust, was sollte das Schreiben, ja mehr noch, das Leben anleiten? Ist eine Handlung authentischer, womöglich sogar moralischer, die aus positiver Neigung alá „Ja, darauf habe ich richtig Bock!“ getan wird oder eher diejenige, welche innerhalb eines vernünftigen Wertesystems erwogen und abschließend pflichtbewusst getroffen wird, wenn nötig im Unterschied zu erstgenanntem Hedonismus auch negativ alá „Wäre zwar geil, ist aber unklug oder gar ungerecht – also: Nein!“ bzw. „Eigentlich keine Lust, aber muss halt, deshalb: Ja!“?

Dieser Fragekomplex klingt nicht nur groß, er ist philosophiegeschichtlich epochal und auch psychologisch noch unabgeschlossen, wenn nicht unabschließbar. Ich komme darauf und drehe mich darum, weil ich in puncto Blog für sich und Schreiben an sich häufig zu trägem Hedonismus neige. Hierbei und ganz im Gegensatz zu anderen Bereichen des Lebens, die weniger ästhetisch und fakultativ sind, vermag ich kaum eine Pflichtethik anzuerkennen und anzuwenden. Warum auch, geht es hierbei, hierin doch weder um den potentiell leidenden Anderen, das größere Glück des Kollektivs oder um Fortschritt und Perfektion …

Und schon beginne ich meine zuerst so klare Trennung zwischen Lust und Kunst auf der einen sowie Ernst und ökonomischer Politik auf der anderen Seite des ethischen Terrains anzuzweifeln. Wahrscheinlich zurecht, ist doch ein naiver Hedonismus selten ein guter, weil erfolgreicher Lebensberater – trotzdem, begehre ich sodann wieder auf und beharre zuletzt: Ich schreibe nur, wenn ich Zeit und Lust, Muße und Muse habe.

Jetzt ist ein solcher Moment, heute ein solcher Tag. Also macht euch auf ein paar frische Inhalte gefasst. Den Anfang macht altbewährtes und neu überarbeitetes Material vom literarischen Dilettanten in mir. Es geht dabei heute zunächst weiter mit Yin & Yang (YY) in der zukünftigen Sklavenhalterstadt Gor Thaunus; währendessen wartet Xaver S. (XS) weiterhin im Erdorbit auf seine Landung und damit Fortsetzung; Alice Aqanda (AA) harrt gelassen im Grünen ihrer lange überfälligen Aktualisierung; von der noch ausstehenden Bekanntschaft mit Kjotho (KJ), dem tierischen Trio Trudie, Valerian und Balthazar (TVB), den Psychedeelern (PD) und dem noch namenlosen Vektoren (V8) nicht ganz konsequent geschwiegen.

In dieser Richtung kann also, das wollte ich oben just mal angedeutet haben, noch viel passieren; weswegen das Format Originale und die verbundenen Formate und Themen im Gegensatz zu manch anderem Aspekt von Quanzland und trotz aller hedonistischen Latenz und Leere eine rosige Zukunft haben. Am schlimmsten steht es dabei derweil um die „Kulinarik“ und die „Wilden Trips“ – erstere siecht modrig dahin, zweitere warten weiterhin auf Wachstum.

Nun also zum nächsten Streich, der mit Lust geführt und mit Grüßen komplettiert wird, Euer Satorius


1. Zugang YY – Gor(e)

Mit Yang ist heute kaum was anzufangen, der döst schon eine ganze Weile nur so vor sich hin oder tut jedenfalls erfolgreich so als ob – vielleicht nur, um mir im richtigen Moment dazwischenfunken und damit die Show stehlen zu können. Ich kenne mein Bruderherz nur zu gut, aber hier gibt es erstmal nichts zu stehlen. Mit meiner Eröffnung will ich auch üben, so cool, schlagfertig und selbstsicher zu wirken, wie er es ist und ich es nicht wirklich bin. Wie auch, in die Rolle einer Sache gezwungen, bloßes Eigentum, ist sowas wie echtes Selbstbewusstsein ein krasses Kunststück. Erst recht fällt es mir heute Abend schwer, eine Stunde nach dem Ende meiner erst achten Tagschicht in allerhöchstem Hause. Nach der ersten Woche in meiner neuen Funktion als Hausdienerin bin ich offen gestanden reichlich daneben, ziemlich übellaunig und noch fertiger mit der Außenwelt als schon zuvor – weit mehr und auf eine andere Art, als ich anfangs gedacht habe. Ich komme mir klein und wertlos vor, nichtig.

Außerdem sind die erbärmlichen Gestalten dort drüben kein allzu geiles Publikum für meine Ego-Show. Wenn sie mich überhaupt verstehen können, stutze ich, weil mir erst jetzt klar wird, dass hier keinesfalls jeder die Sprache der Gründer – Deutsch – spricht. Vielleicht sprechen sie Neolatein, Englisch oder sogar Solar, wobei all die anderen alten Sprachen und besonders die frühere Einheitssprache hier strikt verboten sind. Da ich keine weitere Runde Regelsurfing starten will und das Glückspiel Welche Sprache ist die richtige? einer bescheuerten Lotterie gleichkommt, bleibe ich still. Dank meines früheren Lebens spreche ich immerhin einige Sprachen, zumindest oberflächlich. Doch gibt es neuerlich wieder so viele verschiedene Sprachen, denn jeder popelige Zwergstaat will seine eigene haben. Auch wenn Deutsch die gängige Sprache in Gor und Umgebung ist, wer weiß schon, von woher die vier Typen gekommen sind. Die Fluchtwege sind bekanntlich lang und haben solares Ausmaß – fast jeder will auf die Erde zurück und dort in einer der Lebenszonen unterkommen. Wir sind zwar nur ein kleiner Vorposten irgendwo in der Wildnis, liegen aber so nahe an einer der Großen Sieben, dass hier reger Durchgangsverkehr herrscht. Auch hätten die verdammten Jägertrupps ihre Reviere mittlerweile weit nach Westen, sogar bis jenseits des Rheins ausgedehnt, so munkelt es zumindest die brühwarme Gerüchteküche in der Glasstadt, und zwar strikt auf Deutsch. Hunger drängt sich abermals auf, mein Magen knurrt vernehmlich.

Woran es auch immer liegen mag, verdränge ich meinen Körper nochmals, ob sie mich nicht verstehen können, anderweitig kaputt oder sonst irgendwie daneben sind, ich ernte weiterhin keine Reaktion auf meine tolle Ansprache. Nicht Mal die kleinste Regung dort drüben, überhaupt gar nichts. Wie die vier Gestalten in ihren sichtlich versifften Klamotten da herumlungern, gilt es hier wirklich weder jemanden zu beeindrucken, noch gibt es irgendwas zu gewinnen. Inzwischen verharren sie seit über fünf Minuten unbewegt im Eingangsbereich unseres Lagers, nachdem sich zuvor das schwere Panzertor mit einem unheilvollen Krachen fest und unwiderruflich hinter ihnen verschlossen hat. Davor war es wie immer geräuschvoll aber träge zur Seite und ebenso auch wieder zugeglitten, minutenlang in gähnender Langsamkeit und mit einem widerwärtigen Knarzen und Knirschen – nervig und spannend. Irgendeiner von den ach so tollen BeatBoyz musste zuvor also wenigstens so viel Aufmerksamkeit aufgebracht haben, das Tor zu öffnen und sie damit zu uns reinzulassen. Einfach mal so, frei nach dem Motto: Scheiß auf die Sicherheit der Wertlosen. Unsere Sicherheit bedeutet ihnen kaum etwas – das ist echt typisch. Den Rest der üblichen Prozedur, die man gelegentlich sogar mal miterleben darf, scheint man in der aktuellen Schicht kurzerhand und bequemerweise vergessen zu haben. Das ist so bezeichnend für das verstrahlte Pack.

Ich beginne nochmals herumzuspinnen, mache mir wieder allerlei Sorgen: Wer weiß schon, was die Neulinge uns hier gerade einschleppen. Myrte aus Kuppel 67 hat mir heute Morgen erst wieder grausige Gerüchte über die angeblich gebrochene Kontaminationsgrenze nicht weit im Westen direkt am Mittelrhein erzählt. Seitdem wären die bisher schon lebensgefährlichen Todeszonen noch tödlichere Orte geworden – wenn das halt stimmt, was sie berichtet hat. Es klang schon hart übertrieben und unglaublich. Yang hält Myrte, wie viele andere auch, für eine Spinnerin. Solche Gerüchte sind für ihn nur hysterisches Geschwätz von Dummköpfen oder sogar schlimmstenfalls konterrevolutionäre Propaganda.

Dass mein Bruder derartig abstrakte Idee denken und solch heftige Worte aussprechen kann, verblüfft mich immer wieder aufs Neue. Seit er mit den selbsternannten Marxisten abhängt, überrascht er mich häufiger mit schrägen Idee aus der europäischen Vorgeschichte, die aber meist gar nicht mal so daneben sind. Dabei bin ich von uns beiden für Denken und Wissen zuständig und er, ja er, ist eher praktisch veranlagt – ein kleines, halbstarkes Männchen eben. Wow, denke ich selbstzufrieden, meine Überheblichkeit fühlt sich gut an, wäre das doch nur immer so.

Wahrscheinlich träumt mein starkes Brüderchen gerade von einem weiteren, nutzlosen Aufstand der Sklaven. Diktatur des Proletariats, wie es seine neuen Freunde nennen müssten, wenn sie mehr als nur den Namen Marx und ein paar Schlagworte irgendwo aufgeschnappt hätten. Ich kenne diese Leute in Wirklichkeit überhaupt nicht persönlich, sehe sie nur aus der Ferne und höre von ihnen aus Yangs Erzählungen. Nachdem er vor ein paar Monaten in den Minen angefangen hatte, lernte er in seiner Schicht zwei Typen – Mike und Bob – kennen und fing an, mit ihnen und ihrer Clique abzuhängen. Wie auch immer man sich freiwillig für so bescheuerte Namen entscheiden kann, ist mir rätselhaft, wo doch die Wahl des Namens eine der wenigen Freiheiten ist, die wir Sklaven hier haben. Nach allem, was ich bisher mitbekommen habe, traue ich diesen Pseudorevolutionären kaum mehr als Halbwissen über die tatsächlichen Hintergründe zu. Aber wenn man so schwer schuften muss, wie diese Typen das unter Tage, auf den Feldern und in den Schwitzbuden tun müssen, dann braucht man wohl den Irrglauben an Widerstand als eine Art der Überlebensstrategie. Sollen sie nur weiterreden und vor sich hinträumen, solang sie und damit vor allen mein Bruder Yang nicht irgendwann wieder was handfest Dämliches versuchen. Das letzte Mal war eine derbe Sauerei mit viel Geschrei, Gewalt und zu vielen Toten gewesen. Als die letzten Möchtegernrebelen es vor ein paar Jahren, nur ein paar Monate nach unserer Ankunft, mit einem Aufstand versucht hatten, haben wir am Ende ziemlich viel Platz und auf einmal sogar größere Rationen bekommen – dann doch lieber Regelsurfing, denke ich mir und horche auf.

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