Manchmal ist das Alte wertvoll, die Vergangenheit doch nicht so vergänglich und der Blick zurück auf wohlig-warme Weise nostalgisch-sentimental. Diesem Motto getreu gebe ich einem selten gepflegten Konservatisimus Raum und die Ehre, schwelge in der Liebe zur Tradition und ergötze mich an Gewohntem; gebe also formal Gutenberg und seinen Blöcken kurzzeitig den Laufpass und komme inhaltlich sodann rasch zum Gegenstand des heutigen TFF: meinem – wie zuvor anderer Stelle erstmals erwähnten – Lieblingsroman. Diese Trilogie ist eine wahre Schatzkiste voll literarischer Artefakte, bezaubernd in seiner Form und bereichernd in seinen Inhalt, zugleich schöner Schein und wahres Wort.
Illuminatus! kehrt also wieder Mal zurück nach Quanzland, avanciert damit sowohl als Werk zum rezeptiven Rekordhalter, wie auch einer der beiden Co-Autoren, der hochverehrte und vielgelesene Robert Anton Wilson, das als bisher mit Abstand meistzitierter Autor tut.
Das Motiv, vielleicht gar der Archetyp, des Roboters war Anlass für Artikel und rein-recherchierende Relektüre des Romans und führt seinerseits, sticht vielmehr, mehr noch als die vormalige, erste Impression zweifach tief heinein und damit mitten ins Nervenzentrum der Erzählung, trifft zumal ihre neuralgischen Punkte, ihre thematisch-stofflichen Kraftlinien: Mystik und Wissenschaft, fiktional verbunden, versöhnend und verstörend, faktisch und praktisch als Position und Parodie munter changiert, meist als Esoterik zwischen, seltener als Exoterik durch die Zeilen dargeboten.
Im Prinzip ist die latent vermittelte Weisheit so simpel wie potenziell persönlich folgenreich: Wir alle tragen Mechanisches in uns, besitzen, bestehen aus starren Strukturen, die Zeit, Entropie und Zufall trotzen; dabei ist individuell egal, aber prinzipiell nicht trivial, ob wir diese Sedimente des Seins im wilden Strom des Werdens nun als Natur, Kultur, Sprache, Ideologie oder Utopie konkretisiert. Wir alle wählen aus, stanzen aus dem unendlichen All immer nur unseren endlichen, kleinen Schablonen aus, bestimmen und werden bestimmt, konstruieren und sind konstruiert, sind Subjekt und Objekt im Aktiv wie im Passiv. Wenn wir diese Wahrheit von der Relativität der Welt zunächst einmal erfahren und reflektiert haben, ist jedoch nur der erste Schritt getan; denn damit haben wir uns nur die (angelbich für manche, sogar die meisten Menschen verborgene) Prämisse des Daseins erhellt, aus der heraus eine m.E. effektiv-unendliche Folge an weiteren Schritten mündet – Aufklärung eben, als erster Schritt aus der Unmündigkeit. Die weiteren Schritte führen das Individuum immer weiter hinaus aus der Finsternis des homogenen Kreises und hinein ins Licht der heterogenen Linie, Etappe für Etappe näher zum Ziel, Stufe für Stufe hinauf zum höchsten Ideal, der vollkommenen Perfektion, welches mythisch-religöse Nomen oder rational-methodische Substantiv dieses Höchste dann auch immer bezeichnen mag. Nicht nur die Erkenntnis von Gutem und Bösem, sondern die Lust am Fortschritt und die Suche nach (weltlicher) Wahrheit haben die Menschen aus dem Paradies herausgetrieben und angestalchelt, seine eigene(n) Geschichte(n) zu schreiben: Das vormalige Tier, das erst Mensch wurde, will letztlich Gott gleichen; Schöpfer nicht nur seiner Selbst und seiner eigenen Welt sein und bleiben, sondern die wirkliche Welt der Objekte, Daten und informationen verändern – oder in den Worten des TFF, zuerst den inneren Roborter kontrollieren und sodann die äußeren Roboter programmieren.
Fern jeder Robotik, einfach nur wild und lebendig wachsend grüßt, Euer Satorius
Du siehst aus wie ein Roboter, sagte Joe Malik in San Francisco, in einem perspektivisch verzerrten Zimmer, in völlig verdrehter Zeit. Ich meine, du bewegst dich und gehst wie ein Roboter.
Bleib dabei, Mister Wabbit, sagte ein junger, bärtiger Mann mit düsterem Lächeln. Manche Tripper sehen sich selbst als Roboter. Andere sehen den Führer als Roboter. Bleib bei dieser Perspektive. Ist es eine Halluzination, oder ist es die Erkenntnis von etwas, das wir normalerweise unterdrücken?
Warte, sagte Joe. Ein Teil von dir ist wie ein Roboter. Aber ein anderer Teil von dir ist lebendig, wie etwas Wachsendes, ein Baum oder eine Pflanze…
Der junge Mann lächelt, sein Blick gleitet nach oben, zum Mandala, das unter die Decke gemalt ist. Well? fragt er. Glaubst du, das ist eine verständliche, poetische Kurzschrift: dass ein Teil von mir mechanisch ist wie ein Roboter und ein Teil von mir organisch wie ein Rosenbusch? Und was ist der Unterschied zwischen dem Mechanischen und dem Organischen? Ist der Rosenbusch nicht eine Art Maschine, die vom DNS-Kode benutzt wird, um mehr Rosenbüsche zu produzieren?
Nein, sagt Joe. Alles ist mechanisch, aber Menschen sind anders. Katzen besitzen eine Anmut, die uns verlorengegangen ist, oder zumindest teilweise verlorenging.
Wie glaubst du, haben wir sie verloren ?
Robert Anton Wilson (1932 – 2007) & Robert Shea (1933 – 1994), Illuminatus! Das Auge in der Pyramide – Band 1 (Der dritte Trip, oder Binah; 1977)
Tage, und George fand sich ohne jede Leidenschaft grübelnd, ohne Hoffnung oder Kummer oder Selbstgefälligkeit oder Schuld; wenn nicht völlig egolos oder in vollem Darshana, so dann doch wenigstens ohne jenes gierige und flammende Ego, das entweder nackten Tatsachen entsprang oder sich vor ihnen zurückzog. Er betrachtete seine Erinnerungen und blieb unbewegt, objektiv, in Frieden. Er dachte an Schwarze und Frauen und ihre subtile Rache gegenüber ihren Meistern; an Sabotageakte, die sich als solche nicht klar zu erkennen gaben, weil sie die Form von Gehorsamsakten annahmen; er dachte an die Shoshone-Indianer und ihre derben Witze, den Witzen und Scherzen unterdrückter Menschen überall so ähnlich; er sah plötzlich die Bedeutung des Aschermittwochs und der Saturnalien sowie der Weihnachtsparty in den Ämtern und den Büros und all die anderen beschränkten, genehmigten, strukturierten Gelegenheiten, bei denen Freuds Wiederkehr des Unterdrückten erlaubt war; er erinnerte sich aller Situationen, in denen er sich gegen einen Professor, einen Vorgesetzten, einen Bürokraten aufgelehnt hatte, oder, noch weiter zurückliegend, gegen seine Eltern, indem er auf die Gelegenheit wartete, in der er, dadurch, daß er haargenau das tat, was ihm aufgetragen wurde, eine mittlere Katastrophe hervorrief. Er sah eine Welt von Robotern, die starr auf den von oben vorbestimmten Pfaden ein-hermarschierten, und jeder Roboter besaß ein Stückchen Leben, war irgendwo ein bißchen menschenähnlich und wartete auf seine Gelegenheit, seinen eigenen Schraubenschlüssel irgendwann einmal in die Maschinerie zu werfen. Er sah schließlich, warum alles in der Welt fehlzuschlagen schien und die Situation Normal so All Fucked Up war. «Hagbard», sagte er langsam. «Ich glaube, ich komme dahinter. Die Genesis verläuft genau rückwärts. All unsere Probleme nahmen ihren Anfang beim Gehorsam, nicht beim Ungehorsam. Und die Menschheit ist noch gar nicht geschaffen worden.»
Hagbard, mehr denn je falkengesichtig, sagte sorgsam: «Du näherst dich der Wahrheit. Geh jetzt ganz vorsichtig, George. Die Wahrheit ist nicht, wie Shakespeare es sagen würde, wie ein Hund, den man in seine Hütte prügeln kann. Wahrheit ist ein Tiger. Geh jetzt ganz vorsichtig, George.» Er drehte sich in seinem Stuhl und zog aus der Schublade seines modernen, dänischen, quasi marsianischen Schreibtisches einen Revolver. George sah zu, so kühl und allein wie ein Mann auf dem Gipfel des Mount Everest, wie Hagbard die Trommel öffnete und auf die sechs Kugeln darinnen zeigte. Dann schloß er die Trommel und legte den Revolver vor sich auf die Schreibunterlage. Hagbard sah die Waffe nicht weiter an. Dieselbe Szene wie mit Carlo wiederholte sich da, doch blieb Hagbards Herausforderung unausgesprochen, aphoristisch; sein Blick verriet nicht einmal, daß ein Wettkampf begonnen hatte. Die Waffe glitzerte unheilverkündend; im Flüsterton sprach sie von all der Gewalttätigkeit und Heimlichkeit auf dieser Welt, von Verrat, der von Medici bis Machiavelli unge-träumt geblieben war, von Fallen, die für unschuldige Opfer aufgestellt worden waren; er schien den Raum mit der Aura seiner Gegenwart anzufüllen, und ja, er barg in sich sogar die subtilere Drohung, die von einem Messer ausging, der Waffe der Leisetretenden, oder der Peitsche in den Händen eines Mannes, dessen Lächeln zu sinnlich ist, zu intim, zu wissend; mitten in Georges so absolute Ruhe war sie eingedrungen, unentrinnbar und unerwartet wie eine Klapperschlange im Laufe eines Nachmittags an einem so süßen Frühlingstag in der Welt gepflegtestem und künstlichstem Garten. George konnte das Adrenalin in seinem Blutstrom pulsieren hören; sah das «Aktivationssyndrom» seine Handflächen feucht werden lassen, seinen Herzschlag zunehmen, sein Sphinkter sich um einen Millimeter weiten; und immer noch, high und cool auf seinem Berg, fühlte er: nichts.
«Der Roboter», sagte er, und sah dabei Hagbard an, «ist leicht durcheinander.»
«Leg deine Hand nicht in dieses Feuer», warnte Hagbard, unbeeindruckt. «Du wirst dich verbrennen.» Er guckte, er wartete; George konnte seinen Blick nicht von diesen Augen lösen, und dann sah er in ihnen jenen belustigten Ausdruck von Howard, dem Delphin, die Verachtung seines Grundschuldirektors («Ein hoher IQ rechtfertigt weder Arroganz noch Ungehorsam»), die verzweifelte Liebe seiner Mutter, die ihn niemals hatte verstehen können; die Einsamkeit Nemos, seines Katers in jenen Kindertagen; die Bedrohung durch Billy Holtz, dem Stärksten seiner Klasse, und die totale Andersartigkeit eines Insekts oder einer Schlange. Mehr noch: er sah das Kind Hagbard, stolz wie er selbst auf seine intellektuelle Überlegenheit und ängstlich wie er selbst vor der Bösartigkeit dümmerer aber stärkerer Klassenkameraden, und dann den ganz alten Hagbard, Jahre von hier, mit Falten am Hals wie ein Reptil, aber noch immer mit dem Ausdruck einer endlosen, suchenden Intelligenz. Das Eis begann zu schmelzen; der Berg stürzte in einem Aufschrei von Protest und Trotz in sich zusammen; und George wurde den Strom hinabgetragen, den Stromschnellen entgegen, wo der Gorilla brüllte und die Maus rasch dahinlief, wo der Saurier seinen Kopf aus tertiärem Blätterwerk hob, wo das Meer schlief und die DNS-Spirale sich rückwärts dem Aufblitzen zudrehte, das jetzt diese Helligkeit, dieses Licht, verursachte, dieses Wüten, das ewige Wüten gegen das schier unmögliche Sterben des Lichts, dieses Sturms und dieser Zentrierung.
«Hagbard …» sagte er zum Schluß.
«Ich weiß. Ich kann es sehen. Fall jetzt nur nicht in jenes andere Ding zurück. Das ist der Irrtum der Illuminaten.» George lächelte schwach, noch immer nicht völlig in die Welt der Worte zurückgekehrt. «<Esset und ihr werdet sein wie Gott>?» sagte er.
«Ich nenne das den Non-Ego-Egotrip. Natürlich ist das der größte Egotrip, den es gibt. Jedermann kann ihn lernen. Ein zwei Monate altes Kind, ein Hund, eine Katze. Aber wenn ein Erwachsener ihn entdeckt, nachdem ihn Gehorsam und Unterwürfigkeit über Jahre oder Jahrzehnte hinweg in ihm ausgelöscht haben, kann das, was sich einstellt, furchtbar wirken. Deshalb sagen die Zen Roshis: <Einer, der erhabene Illumination erlangt, ist wie ein Pfeil, der direkt in die Hölle fliegt.> Vergiß nicht, was ich dir über gebotene Vorsicht gesagt habe, George. Du kannst jeden Moment aufhören. Es ist toll dort oben, und du brauchst ein Mantra, um dich davon fernzuhalten, bis du weißt, wie du dich dort bewegen mußt. Hier ist dein Mantra, und würdest du die Gefahr kennen, in der du dich befindest, würdest du es mit einem Brandeisen brutal in dein Hirn einbrennen, um sicherzugehen, es niemals zu vergessen: Ich bin der Roboter. Wiederhole es.» «Ich bin der Roboter.»
Hagbard machte ein Gesicht wie ein Pavian, und George lachte wieder; endlich. «Wenn du mal Zeit hast», sagte Hagbard, «wirf mal einen Blick in mein kleines Buch, Pfeif Nicht, Wenn Du Pißt … Exemplare davon gibt es auf dem ganzen Schiff. Das ist mein Egotrip. Und halt dir immer vor Augen: du bist der Roboter und niemals wirst du etwas anderes sein. Natürlich bist du auch der Programmierer, und sogar der Meta-Programmierer; doch das ist eine andere Lektion, für ein anderes Mal. Jetzt genügt es, daß du dich des Säugetiers, des Roboters erinnerst.» «Ich weiß», sagte George. «Ich habe T. S. Eliot gelesen, und jetzt verstehe ich ihn. <Demut hat kein Ende.>» «Und Menschheit ist erschaffen. Das … andere … ist nicht menschlich.»
George sagte dann: «So bin ich also angekommen. Und da ist nichts als ein weiterer Startplatz. Der Anfang eines anderen Trips. Eines härteren Trips.»
«Bei Heraklit lautet das so: <Das Ende ist der Anfang.»> Hagbard stand auf und schüttelte sich wie ein Hund. «Ich denke, ich sollte jetzt lieber ein wenig mit FUCKUP arbeiten. Du kannst hierbleiben, wenn du willst, oder in deine eigene Kabine gehen. Eines schlage ich dir jedoch vor, lauf nicht gleich herum und posaune deine neue Erfahrung aus. Auf diese Art und Weise kannst du es zu Tode schwatzen.»
Robert Anton Wilson (1932 – 2007) & Robert Shea (1933 – 1994), Illuminatus! Der goldene Apfel – Band 2 (Der siebte Trip, oder Netzach; 1978)
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